zur Druckansicht

Unter ständiger Bedrohung für Leib und Leben

Deportierte aus dem Lager Volodka einen Tag vor der Heimreise. Einsender: Ferdinand Pikula

Die erstfolgende Regierung nach dem Zusammenbruch Rumäniens unter General Constantin Sănătescu hatte durch das Dekret 12.500 vom 27. August 1944 eine Auflistung der Angehörigen der Deutschen Volksgruppe Rumäniens (gemeint waren damit sämtliche Volksdeutschen) veranlasst. Diese Maßnahme erfolgte, nachdem die „Vertreibung aller auf dem Gebiete Rumäniens befindlichen Volksdeutschen“ bereits im Waffenstillstandsangebot vom 25. August 1944 an die Alliierten vorgesehen war, welches der rumänische Gesandte Alexandru Cretzianu in Ankara überreicht hatte.

Die mitregierende Nationalzaranistische Partei beantragte durch Außenminister Grigore Nicolescu-Buzeşti über die in Moskau befindliche Delegation die Vertreibung der Deutschen, und auch die sozialdemokratische Presse Rumäniens setzte sich dafür ein. Die Sowjets hatten anfangs abgewinkt. Am 3. Oktober 1944 jedoch forderte General Winogradow, der Vorsitzende der Alliierten Kontrollkommission in Bukarest, von der rumänischen Regierung die Zustellung von Listen und informativen Daten über die Angehörigen der deutschen und der ungarischen Minderheit im Lande. Der Zweck dieser „Übung“ wurde bald schon gewahr: Am 15. Dezember 1944 legte der Volkskommissar der Sowjetunion für Innere Angelegenheiten Berija dem Staatskomitee für Verteidigung unter dem Vorsitz Stalins einen Bericht über die Deutschenzählung in den von der 2., 3. und 4. Ukrainischen Front befreiten Gebieten vor. Stalin hatte den so genannten „Arbeitseinsatz zur Wiedergutmachung“ der Volksdeutschen aus Südosteuropa also bereits im Herbst 1944 ins Auge gefasst.

Was Rumänien betrifft, handelte es sich in diesem Bericht um insgesamt 421.846 Personen, darunter (separat vermerkt) 70.476 Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren und Frauen von 18 bis einschließlich 30 Jahren. Zudem waren auch noch 7890 Deutsche verzeichnet, die sich in verschiedenen rumänischen Internierungslagern befanden.

Entsetzliche Szenen in den Banater Orten

In einer Weisung des rumänischen Innenministeriums vom 3. Dezember 1944 wird der detaillierte Aushebungsplan zur Verschleppung der Deutschen näher erläutert. Der Aushebungsbefehl trägt das Datum 6. Januar 1945 und ist im Namen der Alliierten Kontrollkommission an den rumänischen Ministerpräsidenten Nicolae Rădescu gerichtet. Dieser protestierte zwar am 13. Januar gegen die Deportation der Rumäniendeutschen, blieb jedoch gegen die sowjetischen Forderungen machtlos. Erreicht wurde schließlich, dass nahezu 13.000 Deutsche von der Deportation bewahrt blieben, darunter Frauen mit Kindern bis zu einem Lebensjahr und solche, die mit Rumänen verheiratet waren, desgleichen Invaliden, Arbeitsunfähige und Fachleute sowie Mönche und Nonnen. Zur Deportation gelangten arbeitsfähige Männer zwischen 17 und 45 Jahren und Frauen von 18 bis einschließlich 30 Jahren.

Die Verschleppungsaktion in die Ukraine, nach Südrussland, in das Donezbecken bis in den Ural und Vordersibirien begann im Banat am 13./14. Januar 1945. Die Schwabendörfer waren in der Nacht zum 13. Januar von rumänischen Militäreinheiten unter sowjetrussischer Überwachung umstellt worden, so dass kein Mensch mehr unkontrolliert in den Ort gelangen oder ihn verlassen konnte. In den Dorfgassen spielten sich entsetzliche Szenerien des Grauens und der Hilflosigkeit ab: Rumänische Gendarmen und Soldaten drangen von Haus zu Haus vor, um die auf Listen verzeichneten deutschen Männer und Frauen aufzugreifen und in die örtliche Sammelstelle zu verfrachten, von wo sie dann nach zwei bis drei Tagen zur Bezirkssammelstelle gebracht und einem sowjetischen Übernahmekommando zugeführt wurden. Die arbeitsfähigen deutschen Dorfbewohner wurden in regelrechter Menschenjagd gefangen genommen: Jungen Müttern zerrte die Soldateska die Kleinkinder von der Brust und legte sie den Großeltern vor die Füße, junge Burschen, die versucht hatten davonzulaufen, wurden in barbarischer Weise halb tot geprügelt. Die wüsten Eindringlinge brachen Haustüren auf, und wer sich ihnen entgegenstellte, wurde niedergeknüppelt oder einfach erschossen.

Meinem Vater und mir, die auf der Verschleppungsliste standen, gelang es in der zweiten Nacht, über die Hausgärten durch die gelockerte Kette der Wachmannschaft zu entkommen. Mit drei weiteren Entflohenen fanden  wir ein Versteck auf einer so genannten „Tanja“ (Farm) nahe der ungarischen Gemeinde Mailat. Hier hatten sich bald schon mehr als zwanzig Leute aus meinem Heimatort zusammengefunden. Vom Dorf her war nach drei Tagen immer noch der Verfolgungslärm der Menschenjagd zu vernehmen. Wir schickten Kundschafter in die unmittelbare Gemarkung, um die Lage auszuspähen und Kontakt mit Dorfleuten zu suchen.

Der letzte Kundschafter brachte uns die erschreckende Nachricht: Der Kleinrichter hatte am Vormittag getrommelt und kundgetan, dass alle Geflohenen sich innerhalb von acht Stunden melden und im Gemeindehaus einfinden müssen. Sobald dies nicht geschieht, würden deren Altväter an ihrer Stelle aufgegriffen und für den Abtransport bereitgehalten. Mein Großvater war mit seinen 67 Jahren ein altersschwacher Mann. Ihm konnten wir dies nicht antun. Also machten Vater und ich uns sofort auf den Weg zurück ins Dorf.

Allerseits im Banat, vor allem aber in den Gemeinden mit gemischter Bevölkerung, wurden während dieser Menschenjagd zahlreiche verfolgte Deutsche, vor allem Mädchen, Frauen und Jugendliche, dem Zugriff der Soldateska und Gendarmerie entzogen, indem ihre rumänischen Nachbarn und Freunde sie in ihren Häusern und Gehöften versteckten und somit vor der Verschleppung bewahrten.

Die Deportation der deutschen Bevölkerung wurde vielerorts von moralisch verkommenen Elementen des „Fetzenproletariats“ aus der Randsiedlung als auch durch geltungsbedürftige Genossen der örtlichen kommunistischen Parteiorganisation unterstützt, die sich den militärischen Suchgruppen als „ortskundige Begleiter“ anschlossen.

Die Deportation in die Sowjetunion erfasste allein im Banat etwa 80 Ortschaften mit überwiegend deutscher Bevölkerung. Die Zahl der Verschleppten unterschied sich von Ort zu Ort, zumal ein beachtlicher Teil der Bevölkerung aus der Banater Heide bereits im Herbst 1944, auf der Flucht vor der Roten Armee, abgezogen war. Die Bewohnerschaft der Heckengemeinden war hingegen kompakt geblieben. Schätzungsweise wurden mehr als 40.000 Banater Schwaben in die Sowjetunion verschleppt.

Die äußerst schwierigen Lebensbedingungen in den sowjetischen Auffanglagern nach 16 Reisetagen durch die Winterkälte der russischen Steppe in Viehwaggons ohne Versorgung mit warmem Essen, die trostlose Ruinenlandschaft, in der die Wohnbaracken bei Schnee und Eis erst aufgebaut werden mussten, führten von Beginn an zu gesundheitlichen Schwierigkeiten und Erkrankungen. Besonders für die Frauen und Mädchen wurde die völlig ungewohnte Schwerstarbeit in den Kohlegruben ohne jeden Arbeitsschutz und ärztliche Versorgung bald schon zur akuten Bedrohung. Zudem wurden das folgende Hungerregime und die fehlende Hygiene im Alltagsleben sowie das Ungeziefer zu einer furchtbaren Plage für Tausende in den Baracken zusammengepferchte Menschen. Bereits im Herbst 1945 kam es zu Epidemien und Seuchen,  die ungezählte Opfer forderten.

Extreme Arbeits- und Lebensbedingungen

Die Zahl der verschleppten Banater Schwaben wurde bereits im ersten Jahr der Zwangsarbeit in den russischen Arbeitslagern dezimiert. Die ersten Krankentransporte aus der Sowjetunion gelangten im Spätherbst 1945 nach Rumänien. Die meisten Menschen waren so schwach, dass sie innerhalb weniger Tage daheim verstarben. Zu ihnen gehörte auch mein Vater. 1946 gelangte noch ein zweiter Krankentransport nach Rumänien. In der Folgezeit wurden solche Transporte über Frankfurt/Oder nach Ostdeutschland dirigiert. Keiner sollte mehr wissen, woher diese Deutschen kamen und zu welchem Lande sie gehörten.

Die russische Bevölkerung, die uns anfangs als „deutsche Faschisten“ beschimpfte, gewann nach kurzer Zeit der Zusammenarbeit in den Kohleschächten und auf den Baustellen allmählich Vertrauen in uns. Selber arbeitete ich mit einigen Landsleuten im Kohleschacht zusammen mit Russen, die uns als anständige Menschen und fleißige Arbeiter langsam kennen und schätzen lernten. Bereits im zweiten Arbeitsjahr brachte ich täglich, nach Schichtende, Bruchholz und Kohle zu einer russischen Familie, die ihren Sohn im Krieg verloren hatte. Die beiden Alten retteten mir das Leben, indem sie mir hin und wieder eine warme Hirsesuppe, zwei Löffel mit Kascha (Weizenbrei) oder einen eingesäuerten Apfel vorsetzten. Ich half ihnen durch das Jahr, besserte das Dach ihrer Kate aus, zog einen Lattenzaun um das kleine Gehöft, malte ihnen das kleine Zimmer oder schaffte Heu für den Winter herbei. Immer wieder gab es nach der Schicht im Kohleschacht noch Zeit für mich, den beiden alten Leuten ein wenig zur Hand zu gehen.

Die meisten Kohlehäuer aus dem Banat hatten solche „Hasaikas“, um die Hungerjahre leichter überwinden zu können. Die Russen erwiesen sich uns Banater Schachtarbeitern gegenüber umgänglich und nach kurzer Zeit der Zusammenarbeit wohlwollend. Die meisten unter ihnen zeigten sich als ausgesprochen gute Leute. Das Volk war auch hier weder der bolschewistischen Partei und schon gar nicht Stalins Vernichtungsregime gleichzustellen. Wie anders sollten wir es sonst verstehen, dass viele unserer russischen Arbeitskollegen im November 1949, bei unserer Entlassung nach fünf Jahren Zwangsarbeit, die Transportwaggons ausschmückten, Öfen einbauten und uns schließlich – unter den Klängen ihrer „Harmoschkas“ – Hand in Hand zum Bahnhof geleiteten? Diesen russischen Bergleuten erging es in den Hungerjahren 1945-1947 nicht viel besser als uns, wenn man in Betracht zieht, dass ihre Freiheit keine wirkliche war.

Das Brot war in jenen schrecklichen Jahren die Ernährungsgrundlage für das hungernde Volk der Sowjetunion. Wir deutschen Zwangsarbeiter im Bergbau erhielten täglich 1200 Gramm schwarzes, gerstiges Brot. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Wer seine Arbeitsnorm überbot  erhielt einen Stachanow-Talon für 50 Gramm „Sviniaja Tuschonka“, ein Löffelchen fetter amerikanischer Schweinefleischkonserve und 30 Gramm Zucker dazu.

Normerfüllung und Planüberbietung waren fünf Jahre lang für uns Zwangsarbeiter das A und O der Lebenserhaltung. Besser erging es in den Arbeitslagern nur wenigen Deutschen, vor allem den Starschinas, Dolmetschern, Köchen und einigen Handwerkern.

Der russische Bergarbeiter bekam auf seinen Talon die gleiche Brotration täglich, musste jedoch sein Brot mit Frau und Kindern teilen, die jeder nur 350 - 650 Gramm Brot erhielten. Sie aßen Hirsebrei, Ziegenmilch, rote Futterrüben, Kartoffelreste aus irgendeiner Stalowaja, seltener Kartoffeln und am Wochenende Malai, sobald sie ein wenig Maisschrot ergatterten. Gemüsebau konnte, ohne eigenen Garten, nicht betrieben werden. Erst im Sommer 1948 verbesserte sich die Situation, als Brot im freien Verkauf erhältlich wurde.

Dieser Vermerk gehört schließlich auch dazu, um der Wahrheit die Ehre zu erweisen. Insgesamt wurden schätzungsweise 78.000 Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion verschleppt. Eine zahlenmäßig genaue Übersicht ist kaum zu erstellen, zumal eine Reihe Banater Ortschaften über keinerlei Verzeichnisse verfügen. Während aus Neupetsch 320 und aus Glogowatz 568 Deutsche verschleppt worden waren, betrug die Zahl der zur „Wiedergutmachungsarbeit“ in die Sowjetunion Verschleppten in einigen großen Ortschaften wie Perjamosch oder Gertianosch nur 56 bzw. 69 Personen. Dies lag daran, dass die deutsche Bevölkerung ihre Heimatgemeinden in der Banater Heide bereits im Frühherbst 1944 auf der Flucht vor der herannahenden Roten Armee verlassen hatte und nur zum Teil zurückgekehrt war.

Die Opferzahlen an Toten zeigten sich jedoch als unterschiedlich und vom Hunger- und Arbeitsregime, als auch von den jeweiligen medizinisch-hygienischen Bedingungen und den Seuchenauswirkungen in den verschiedenen Arbeitslagern abhängig. Die meisten Opfer gab es unter den Menschen, die bei Tagelicht in den Steinbrüchen, beim Transport, auf den Großbaustellen, den Ziegelöfen, Verladeplätzen schaffen mussten. Dazu trugen nebst der Unterernährung, bei nur 600 Gramm Brot, auch die große Winterkälte von oftmals mehr als minus 40 Grad Celsius wie auch der absolut fehlende Arbeitsschutz sehr viel bei.

So musste ich, zusammen mit einigen Oberschlesiern, die in das gleiche ,Strafnoj batalion“ im berüchtigten Straflager Verovka gelangt waren, im Hochwinter den riesigen Förderturm des Kohleschachtes „Krasnij Profintern“ in 30 Meter Höhe bei minus 41 Grad Kälte streichen. Dabei blieben die Fetzenbürsten mit kochendem „Kusbaß-Lack“ (verdünnter Teer) an den Eisenstangen kleben, sobald sie nicht sofort wegbewegt wurden. Wir standen auf einem Holzbrettchen, hatten dicke Baumwollseile um den Leib und wurden in Abständen von einer halben Stunde mit einer Seilwinde hochgezogen. Niemand von uns wusste, ob er tot oder lebend wieder herabgelassen würde.

Schändliches Verhalten der Lagerführer

Das schändliche Verhalten der Lagerführer und Starschinas, deren Grobheit und Rücksichtslosigkeit gegenüber vielen Wehrlosen, vor allem  Frauen, hat viele Landsleute in Not getrieben und zugrunde gerichtet. Viele dieser Bevorzugten verstanden es, durch Versorgung und Bestechung der sowjetischen Offiziere und Lagerführung mit allerlei Wertsachen, die sie unseren Leuten abgenommen hatten, Privilegien für sich zu erlangen. Andere festigten ihre eigene Position durch Verleumdung und Verrat der Untergebenen, vor allem aber durch rücksichtslose Ausnutzung der geplagten Menschen im Lager.

Ich erlebte es selbst einige Male, wie schlafende Bergleute mitten in der Nacht mit wildem Geschrei von den Schlafpritschen aufgetrieben wurden, um die schweren Netze für den Fisch- und Krebsfang der Offiziere durch den nahen See zu schleppen oder aber die vereisten Baumstämme aus Sibirien auszuladen, um dadurch Prämien zu erhalten, anstatt dieses Holz für den Schachtunterbau normalerweise von den Arbeitern des „Lesnoj sklad“ bei Tage ausladen zu lassen.

Es gab nur wenige Lagerführer, wie einen Anton Hempt (Lager Kadievka) oder Anton Schnur (Lager Wjetka), die mit Verständnis und Mitgefühl so manches Unheil von den abgehärmten und ausgezehrten Unglücksmenschen ihrer Heimat abzuwehren versuchten. Vielmehr gehörten die meisten zu jenen, die in ihrer Skrupellosigkeit und krankhaften Machtbegier die Lagerinsassen einer unerträglichen Drangsalierung unterwarfen, sie wegen kleinster Vergehen im Überlebenskampf bei den Sowjetoffizieren verpfiffen und somit den Strafkompanien zuführten, wo sie Mahorkabrühe und Salzwasser tranken, weil mancher von ihnen hoffte, auf diese Weise in den „Isolator“ zu kommen, um vielleicht über diese „letzte Station“ doch noch mit einem Krankentransport durch Ostdeutschland in die Heimat zu gelangen. Das Thema Lagerführer blieb für uns Überlebende der sowjetischen Kohlezechen und Arbeitslager über lange Zeit hinaus ein schändliches Kapitel Banater Volks-gemeinschaft.

(Auszug aus einer umfangreicheren Studie des aus Kleinsanktpeter/Totina stammenden Autors zum Thema „Der Opfergang der Banater Schwaben“)