Josef Sallanz zeichnet ein nuancenreiches Bild einer Region abseits der Aufmerksamkeit - Einige Dutzend Kilometer donauabwärts der Elias-Canetti-Stadt Rustschuk/Ruse liegt der nordwestliche Endpunkt der Region Dobrudscha, die der Größe nach einem Viertel der Republik Österreich entspricht. Ihre Grenzen werden durch den Unterlauf der Donau, die Schwarzmeerküste und die bulgarische Hügellandschaft Ludogorie definiert. Es ist das Verdienst des aus Neupanat/Horia bei Arad stammenden Humangeografen Josef Sallanz, die allenfalls als Durchzugsraum von Armeen bekannte Region neu zu beleuchten, insbesondere auch in Bezug auf die große ethnografische Vielfalt.
Das 262 Seiten umfassende Werk gliedert sich in zwei Hauptabschnitte, zum einen in „Schlüsselmomente dobrudschadeutscher Geschichte“ (Siedlungsgeschichte 1841-1940), sowie zweitens in den volkskundlich orientierten Abschnitt „Dobrudschadeutsche Lebenswelten“, in dem Feste im Jahres- und Lebenszyklus, Religion, Bildung, Kultur und Wirtschaftsleben behandelt werden. Zu Beginn des Buches finden wir eine Einführung in den geografischen Raum und in die Vorgeschichte von der Antike bis zur osmanischen Periode.
Die Reihe „Potsdamer Bibliothek östliches Europa – Geschichte“, der der Band zugeordnet ist, bietet leserfreundliche Editionen mit reichem Bildmaterial und ohne Fußnoten, die sich an ein breites Publikum richten – wie auch die Monografie „Donauschwaben. Deutsche Siedler in Südosteuropa“ von Gerhard Seewann und Michael Portmann, die Ende vergangenen Jahres in einer zweiten erweiterten Auflage erschienen ist.
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Im Gegensatz zu anderen historischen deutschen Ansiedlungen in Südosteuropa handelte es sich bei den überwiegend als Bauern lebenden Dobrudschadeutschen um eine kleine Gruppe, die nach der rumänischen Volkszählung von 1930 lediglich 12500 Personen umfasste. Das waren 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung der Dobrudscha, die damals mehrheitlich aus Rumänen, Bulgaren und Türken bestand, mit Abstand folgten Russen (Lipowaner), Tataren und an sechster Stelle die Deutschen. Im Buch wird in Kurzkapiteln auch auf die Geschichte dieser Völker (und einigen mehr) eingegangen. Der rumänische Historiker Nicolae Iorga (1871-1940) sah in dieser Region ein Europa und Asien en miniature, in dem sich Orient und Okzident begegnen (S. 19).
Die Deutschen stellten eine äußerst heterogene Gruppe dar, sodass sich, wie Sallanz am Ende bilanziert, kaum eine gemeinsame Identität ausbildete. Die Heterogenität fußte zunächst auf dem Umstand, dass die Zuwanderung in mehreren Etappen und aus unterschiedlichen Regionen erfolgte: zumeist als Sekundärzuwanderung aus Bessarabien und anderen Gouvernements Neurusslands, aber auch aus dem Kaukasus, Wolhynien, Galizien, Norddeutschland, Ost- und Westpreußen und dem Wartheland. Von ihren Wurzeln her stammten diese Menschen einerseits aus dem süddeutschen Raum (Eigenbezeichnung „Schwaben“), andererseits aus norddeutschen und preußischen Gebieten („Kaschuben“). Folglich war auch die konfessionelle Zugehörigkeit vielfältig – es überwogen die evangelisch-lutherischen Gläubigen, gefolgt von einem Drittel Katholiken und rund zehn Prozent Freikirchen (vor allem Baptisten). Die Gruppen lebten geschlossen, man blieb weitgehend unter sich. Immer wieder kam es zur Weiterwanderung, vor allem nach Nord- und Südamerika, und neue Ankömmlinge rückten nach.
Mit der Anerkennung des unabhängigen Staates Rumänien im Jahr 1878 war auch für die Dobrudscha mit der Hauptstadt Konstanza/ Constanța die Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich beendet. Unter den ansässigen Türken und Tataren kam es zu einer Massenauswanderung, die von einer gezielten Ansiedlung von Rumänen aus der kleineren, nun bulgarischen Süddobrudscha begleitet war. Die unter der Herrschaft des Hohenzollern-Königs Karl I. begonnene Rumänisierungspolitik gereichte auch den Deutschen zum Nachteil, so in Form von Einschränkungen im Landerwerb und der Verdrängung der deutschen Lehrerschaft. Im Ersten Weltkrieg erfuhr man dann, was es bedeutet, unter Generalverdacht zu geraten: Zahlreiche Männer wurden interniert, während aber mitunter ihre Söhne für die rumänische Armee an die Front geschickt wurden.
Das Ende der Dobrudschadeutschen kam mit der NS-Rassenideologie, die auch die Rückholung von deutschen „Splittergruppen“ umfasste, welche in der Folge das „Volkstum im Osten“ (so etwa im Warthegau) stärken sollten. Dazu zählten neben den rund 16000 Dobrudschadeutschen auch mehr als 90000 Bessarabiendeutsche. Der Autor beschreibt die Stimmung der Deutschen als überwiegend pro Umsiedlung. Er beleuchtet Nuancen, die kaum bekannt waren, so etwa die vorübergehende Internierung von rund 100 unzufriedenen Umsiedlern in den Konzentrationslagern Flossenbürg und Ravensbrück. Ein beredtes Zeugnis stellt das Schreiben mehrerer (aus dem Dorf Malkotsch/Malcoci bei Tulcea stammender) Bauern dar, in dem sie als „teitsche Bauern aus der Tobroscha“ eine nicht näher genannte Berliner Behörde um die Erlaubnis zur Rückkehr bitten: „[...] mir wollen von herzen eich hilfreich sein Mit unserer Landwirtschaften und wollen eich das Getreite ales zukommen [l]asen blos was mir fir und unser fich [Vieh] zum Essen Brauchen mechted ir uns zukomen lasen [...]“.
In Summe zeichnet der Autor ein nuancenreiches Bild einer Region abseits der Aufmerksamkeit. Dabei wird die (Alltags-)Geschichte einzelner Dörfer gekonnt mit den Entwicklungen auf der Makroebene verknüpft. Es werden auch die Wege der Aussiedler nach dem Weltkrieg verfolgt. Leserinnen und Leser, die sich für historische deutsche Minderheiten interessieren, werden dieses Werk ebenso mit Gewinn lesen wie all jene, die sich einen Beitrag zur Kulturgeschichte Rumäniens und Bulgariens erwarten.
Josef Sallanz: Dobrudscha. Deutsche Siedler zwischen Donau und Schwarzem Meer. Potsdam: Deutsches Kulturforum östliches Europa, 2020 (Potsdamer Bibliothek östliches Europa – Geschichte). 262 Seiten. 19,80 Euro