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Der Ball weint und die Pipatsch blüht nicht mehr - Niedergang des Männerhandballs in Rumänien

„Was man besaß, weiß man, wenn man's verlor.“ 
Erich Kästner

Das Leben ist ein Kommen und Gehen. Einst kamen unsere Vorfahren ins Banat und machten aus einem Sumpfgebiet die Kornkammer Europas. Die Früchte ihrer Arbeit konnten sie nicht lange ernten. Dann gingen sie – gedemütigt, drangsaliert, schikaniert, unterdrückt, erniedrigt, verkauft. Sie nahmen viel Leid im Gepäck mit. Verursacht durch Deportation, Verschleppung, Verfolgung, Enteignung, Flucht, Entrechtung. Die dafür verantwortlichen Rumänen bestätigten die Aussage der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann: „Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler.“ Die Rumänen hatten die Lektion nicht gelernt. Sonst hätten sie ihren deutschen Mitbürgern das alles nicht angetan.

Diese haben mit ihrer Auswanderung eine Lücke hinterlassen, die selbst 31 Jahre nach dem Umsturz nicht geschlossen werden konnte. Das trifft auf viele Bereiche zu, auch auf den Handball. Eine deutsche Sportart, erfunden 1917 vom Berliner Oberturnwart Max Heiser. Zwei Jahre später gestaltete mit Sportlehrer Carl Schelenz ein anderer Berliner die Regeln so, dass Handball auch für Männer attraktiv wurde. Er führte den Drei-Schritt-Rhythmus ein und gilt als Vater des Handballspiels.

Das Wort Handball zeigt, wie wichtig die Hand ist. Denn: Ohne Hand kann der Ball nicht gespielt werden. Und wie er von den Rumäniendeutschen gespielt wurde! Es war ihre Sportart! Viele Banater Dörfer und so manche siebenbürgische Stadt bebten und vibrierten bei den Torwürfen. Und nicht selten wackelte sogar der Kirchturm. Handballspiele waren Festtage. Dörfer wie Bogarosch und Perjamosch oder das Heidestädtchen Hatzfeld schafften es im Großfeldhandball bis in die 1. Liga.

Unvergessen das Lovriner Wunder im Kleinfeldhandball. Vor 51 Jahren stieg Ştiinţa aus dem 4000-Seelen-Dorf (darunter ca. 1600 Deutsche) in die höchste Spielklasse auf. Ein Handballmärchen! Fortan kamen die Großen Steaua und Dinamo aus dem fernen Bukarest in die schmucke Heidegemeinde. Sie mussten diese erst mal auf der Landkarte suchen. Wie groß die Dominanz der Banater Schwaben im Handball war, zeigte das Auftaktspiel von Ştiinţa in der A-Liga gegen Poli Temeswar. Beim 9:9-Remis standen gleich zehn (!) Banater Schwaben im Lovriner Aufgebot – plus zwei Rumänen. Und der Trainer? Ebenfalls Banater Schwabe. Ein Husarenstück war auch der Erstligaaufstieg 1988 von Comerţul aus dem Arankastädtchen Großsanktnikolaus (mit immerhin noch drei Banater Schwaben im Kader), obwohl sich die Mannschaft wie Ştiinţa nur eine Saison oben halten konnte.

Deutscher Aderlass

Die Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen legten den Grundstein für die einst weltberühmte rumänische Handballschule mit vier Weltmeistertiteln bei den Männern. Lange Zeit war Rumänien sogar Rekordweltmeister. Aber: Das Wunder dauerte nicht lange. Denn: Wie in vielen anderen Bereichen kehrten die Deutschen auch dem rumänischen Handball den Rücken und wanderten aus. Stellvertretend seien mit Hans Moser, Josef Jakob, Michael Redl, Roland Gunnesch, Werner Stöckl und Otto Tellmann einige genannt, die mit Rumänien Weltmeister wurden. Unvergessen Hans-Günther Schmidt aus Marienfeld, der zwar nicht den WM-Titel mit Rumänien holte, obwohl er Stammspieler in der Nationalmannschaft war. Weil er sich dreieinhalb Monate vor der WM 1964 nach Deutschland absetzte. Dort stieg Hansi mit dem VfL Gummersbach und der deutschen Auswahl zum Bomber der Nation auf. 

Die Hände der Rumäniendeutschen waren weg – und nur der Ball geblieben. Doch was ist aus ihm geworden? Ein trauriger Geselle! Weil keiner mehr da war, der ihn hegte, der ihn pflegte, der ihn streichelte, der ihn liebkoste, der ihn schmeichelte. Deshalb begann der Ball zu weinen – und seine Tränen fließen bis heute...

Wie wohl er sich dagegen früher gefühlt hat! Das wurde besonders in diesen Augenblicken deutlich. Denn: Vor drei Tagen waren es 60 Jahre, seit Rumänien zum ersten Mal Weltmeister wurde. Am 12. März 1961 triumphierte die rumänische Auswahl vor 13000 Zuschauern in der ausverkauften Dortmunder Westfalenhalle mit 9:8 nach zwei Verlängerungen in einem hochdramatischen Spiel über die Tschechoslowakei.

Das Tor wurde vom Lugoscher Michael Redl verbarrikadiert, der im Finale Kapitän war und anschließend zum weltbesten Torhüter gewählt wurde. Die entscheidenden Treffer warf der Temeswarer Hans Moser, der drei Jahre später in Prag ebenso wie Redl zum zweiten Mal in Folge Weltmeister mit Rumänien wurde. Großen Anteil am zweiten Titel hatte 1964 auch Josef Jakob aus Mercydorf, damals bester Rechtsaußen der Welt. Beim WM-Sieg in der ČSSR wurde Moser Torschützenkönig und später zum Welthandballer des Jahres gekürt. Seine absolute Krönung fand im Jahr 2000 statt, als der Spielmacher und Torjäger in einer Umfrage des World-Handball-Magazins, der Zeitschrift der Internationalen Handball-Föderation (IHF), von zehn renommierten Nationaltrainern in die Jahrhundert-Sieben gewählt wurde, die Weltauswahl des 20. Jahrhunderts. Handballherz, was willst Du mehr?

Hans Moser erinnert sich sehr gerne an seinen ersten Weltmeistertitel. „Den empfand ich als den allerschönsten. Toll war auch der zweite, aber der erste bleibt immer der schönste. Eben weil es der erste war“, erklärt der Temeswarer, der im Landkreis Günzburg lebt. Im gleichen Atemzug unterstreicht er die wichtige Rolle der Rumäniendeutschen: „Die rumänischen Spieler haben von der Erfahrung der Deutschen profitiert. Wir hatten eine Supermannschaft, in der vom Trainer bis zum letzten Mann alles gestimmt hat.“

Von Moser gibt's eine nette, unbekannte Anekdote. Unlängst entdeckte er ein altes Foto seiner Eltern, auf dem sie am Temeschstrand in Schag unter einem Regenschirm liegen, aufgespannt als Sonnenschutz. Neben ihnen eine Lederkugel, auf der das Wort „Handball“ geschrieben steht. Das war 1936. Ein Jahr später kam Moser auf die Welt. „Der Handball wurde mir in die Wiege gelegt“, schmunzelt der 84jährige ehemals beste Handballer der Welt.

Jakob (81) denkt mit Wehmut an die erfolgreichen Zeiten zurück. „Wir Deutsche haben eine große Lücke im rumänischen Handball hinterlassen“, gesteht der Mercydorfer, der in Schwabach wohnt. „Heute spielt kein einziger Deutscher mehr in der rumänischen Nationalmannschaft.“ Wie auch, wenn sie alle ausgewandert sind.

Verblasster Medaillenglanz

Vom englischen Erzähler und Dramatiker William Somerset Maugham stammt der Satz: „Die Zeit ist ein guter Arzt, aber ein schlechter Kosmetiker.“ Deshalb konnte im rumänischen Handball nichts übertüncht und der Niedergang nicht aufgehalten werden. „Die Rumäniendeutschen hatten einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung des rumänischen Handballs“, bestätigt Roland Gunnesch (76) aus Nürnberg. Der Siebenbürger Sachse hat 19 Jahre für Poli Temeswar in der 1. Liga gespielt. Zweimal wurde der Rückraumspieler Weltmeister mit Rumänien (1970, 1974). Das ist schon lange vorbei. Die vergangene Weltmeisterschaft in Ägypten war bereits die fünfte in Folge, an der Rumänien nicht teilgenommen hat. Und an einer Europameisterschaft haben sich die Rumänen zuletzt vor 23 Jahren beteiligt. Unglaublich, aber wahr!

Natürlich gibt's auch noch andere Ursachen für den Niedergang des rumänischen Männerhandballs. Alle drei rumäniendeutschen Weltmeister legen den Finger in die Wunde. „Viele Spieler sind zu ausländischen Klubs gewechselt. In der Nationalmannschaft haben sie darauf geachtet sich nicht zu verletzen. Damit sie bei ihren Vereinen weiter gutes Geld verdienen können. Dagegen haben wir täglich stundenlang geübt, und uns war es egal, ob wir etwas verdient haben oder nicht. Hauptsache, wir hatten Spaß“, erinnert sich Moser. Und Jakob ergänzt: „Es wird nicht mehr für guten Nachwuchs gesorgt.“ Gunnesch weiß auch warum: „Weil die früheren Sportschulen fehlen. Außerdem gibt es zu viele Ausländer in den Klubs, die den einheimischen Spielern den Platz wegnehmen.“

1977 gewann Steaua Bukarest in Sindelfingen gegen ZSKA Moskau den Europapokal der Landesmeister. Es war der letzte große internationale Titelgewinn des rumänischen Männerhandballs. Dazu beigetragen haben Trainer Otto Tellmann aus Agnetheln und Kreisläufer Werner Stöckl aus Reschitza. Lang, lang ist's her... Genauso wie die letzte Olympiateilnahme vor 29 Jahren! Zuvor hatte Rumänien zwischen 1972 und 1984 bei vier aufeinanderfolgenden Olympischen Spielen stets eine Medaille geholt (einmal Silber, dreimal Bronze).

Vom Olymp ins Banat. Dort bläst der Wind durch die handballleeren Ortschaften. Eine Kreismeisterschaft gibt's nur noch in Temesch. Arad und Karasch-Severin haben keine mehr. Sieben Teams waren vor der Pandemie in Temesch am Start, darunter eines aus Arad(!). Vor 50 Jahren sah das noch ganz anders aus. „Als ich 1972 anfing Handball zu spielen, waren 36 Mannschaften in der Temescher Kreismeisterschaft“, erinnert sich der Billeder Handballveteran Adam Csonti (63). „Zum Niedergang hat der Verband mit unsinnigen Regeln beigetragen. So durften nur drei Spieler älter als 23 Jahre alt und zwei, darunter ein Torhüter, mussten 1,90 m groß sein. Was viele zum Aufhören zwang.“ Nach dem Umsturz verschlimmerte sich alles noch mehr. „Die staatlichen Betriebe zogen sich als finanzielle Unterstützer zurück, viele Spieler suchten ihr Glück im Ausland. Die Jugendarbeit wurde vernachlässigt“, kritisiert Csonti.

Als Ersatz wurden in der 1. Liga ausländische Spieler aus dem jugoslawischen und russischen Raum verpflichtet, die billig, aber nicht gut waren. Ebenso ausländische Trainer. So wurden die Temeswarer Poli-Handballer fünf Jahre lang von einem montenegrinischen Coach betreut. Für ihn kehrte mit Vlad Caba ein Ex-Spieler zurück, um den erforderlichen Neuaufbau einzuleiten. Neben Poli spielt mit Reschitza eine weitere Banater Mannschaft in der 1. Liga. 

Trauriger Geburtstag

Ganz verschwunden ist dagegen die „Banater Handball-Weltmeisterschaft“, der traditions- und ruhmreiche Pipatsch-Pokal, der von meinem früheren Arbeitgeber „Neue Banater Zeitung“ veranstaltet wurde und über den ich fünfmal berichtet habe. Es war das sportliche Volksfest der Banater Schwaben, weit über die lokalen Grenzen hinaus bekannt, geschätzt und beliebt.

An der ersten Auflage 1974 in Jahrmarkt beteiligten sich 16 Mannschaften. Ihre Zahl stieg kontinuierlich an. Der Höhepunkt wurde 1983 erreicht, als 33 (!) Teams teilnahmen und mehrere Qualifikationsturniere ausgetragen werden mussten. Bei der Endrunde in Großsanktnikolaus wurden sage und schreibe 26 Preise verliehen. Was für Zeiten! Ab dann ging's konstant bergab – weil die Deutschen gingen. Die letzte Stunde des jährlich veranstalteten Pipatsch-Pokals schlug 2003 in Hatzfeld. Nach 29 Jahren war es aus und vorbei! Die Handball-Pipatsch blüht nicht mehr im Banat. Dörfer wie Jahrmarkt, Bogarosch, Wiseschdia, Lovrin, Sanktanna, Orzydorf, Marienfeld, Neubeschenowa, Semlak, Nitzkydorf, Warjasch, Neupetsch, Moritzfeld, Sackelhausen, Tschanad, Lenauheim, Mercydorf, Guttenbrunn, Gertianosch, Glogowatz sowie das Städtchen Hatzfeld sind von der Handballkarte verschwunden. Und mit Arad sogar ein ganzer Landeskreis. Unvorstellbar! Dabei spielten Gloria, Constructorul und Strungul mal in der 1. Liga. Heute klingt's wie im Märchen: Es war einmal...

US-Filmregisseur Woody Allen meinte: „Man kriegt nicht alles, aber man kriegt alles zurück.“ Daran hätten die Rumänen denken müssen, als sie das Fundament für die Aussiedlung der Rumäniendeutschen gelegt haben. Die Rumänen haben nicht alles gekriegt, was sie wollten. Aber: Sie haben alles zurückgekriegt, was sie nicht wollten. 

Das rumäniendeutsche Kapitel im Männerhandball ist beendet – wie in vielen anderen Bereichen. Dafür haben die Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen ein neues in Deutschland aufgeschlagen. Und haben das gemacht, was Johann Wolfgang von Goethe gesagt hat: „Aus den Steinen, die dir in den Weg gelegt wurden, kannst Du etwas Schönes bauen.“

Im Frühsommer werden es 100 Jahre, seit der siebenbürgische Lehrer Wilhelm Binder das Handballspiel von einer Studienreise aus Deutschland nach Rumänien mitgebracht hat. 1921 fand in der Brukenthalschule in Hermannstadt das erste Handballspiel auf rumänischem Boden statt. Aus Siebenbürgen brachten es donauschwäbische Studenten ins Banat.

100 Jahre Handball in Rumänien – ein trauriger Geburtstag! Denn: Es ist niemand mehr da, der die Kerzen ausbläst. 

Wie es mit dem rumänischen Männerhandball weitergehen wird? Die Antwort ist wie das Motto dieser Kolumne: In den Wind geschrieben...

Kommen Sie gut durch die Zeit!