zur Druckansicht

Was kann man schon machen? – Man kann etwas machen! Der Temeswarer Bürgermeister Dominic Fritz seit vier Monaten im Amt (Teil 1)

Als Bürgermeister von Temeswar will der Deutsche Dominic Fritz die 330 000-Einwohner-Stadt umkrempeln und einen neuen Stil in der Kommunalpolitik etablieren. Quelle: www.dominicprimar.ro/media

„Die Wahl von Dominic Fritz zum Bürgermeister von Temeswar (Timi-şoara) ist die große Sensation einer durchaus spektakulären Lokalwahl in Rumänien. Sie hat im traditionellen Macht- und Parteiengefüge des Landes, in dem Gemeinde- und Kreisräte eine sehr wichtige Rolle spielen, vieles durcheinander gewirbelt“, schrieb der Journalist Keno Verseck, Autor einer Rumänien-Landeskunde (C. H. Beck Verlag, dritte Auflage, 2007), im „Spiegel“. Dem 36-jährigen Deutschen, der weder rumänischer Staatsbürger ist noch familiäre Wurzeln dort hat, war etwas Großes gelungen: Als erster Ausländer in der Geschichte Rumäniens hat er am 27. September 2020 den Bürgermeisterposten einer rumänischen Großstadt, der drittgrößten des Landes, erobert. Die Wahl des Schwarzwälders war eine faustdicke Überraschung: Auf Anhieb erhielt der politische Neueinsteiger 52,66 Prozent der Stimmen und verwies den bisherigen Amtsinhaber Nicolae Robu (PNL) mit 23 Prozent Vorsprung auf Platz zwei.

Für einen neuen Politik- und Regierungsstil

Dominic Fritz, der 2003 nach dem Abitur für ein freiwilliges soziales Jahr nach Temeswar kam, sich in die Stadt verliebte, immer wieder zurückkehrte und 2019 seinen Wohnsitz von Berlin nach Temeswar verlegt hat, war als Kandidat der jungen, reformorientierten Partei USR (Uniunea Salvaţi România, Union Rettet Rumänien) unter der Leitung von Dan Barna angetreten, die 2019 ein Wahlbündnis mit der ebenfalls neu gegründeten Partei PLUS (Partidul Libertate, Unitate și Solidaritate, Partei der Freiheit, Einheit und Solidarität) des früheren EU-Landwirtschaftskommissars und Premiers Dacian Cioloş eingegangen war und im August 2020 mit dieser unter dem Namen USR PLUS fusionierte. Fritz ist mit einer konkreten Vision für die Stadt Temeswar in den Wahlkampf gezogen, mit dem Ziel, eine „Revolution des guten Regierens“ herbeizuführen. Sein Programm war ein Gegenentwurf zu dem in Rumänien praktizierten, von Geheimniskrämerei, intransparenten Geschäften, Vetternwirtschaft und Seilschaften gekennzeichneten Politik- und Regierungsstil. Dominic Fritz, der inzwischen ein einwandfreies Rumänisch spricht, warb für eine offene, moderne und effiziente Stadtverwaltung, für mehr Transparenz und Bürger-nähe, für mehr Umweltschutz und eine zeitgemäße Mobilitätsstrategie und versprach ein Ende von Verwaltungsfilz, Nepotismus, Korruption, finanziellem Missmanagement und Bevormundung der Bürger durch die Politik. Außerdem setzte er sich zum Ziel, die Stellung Temeswars als europäische Stadt und als regionaler Mittelpunkt für Wirtschaft, Technologie und Kultur zu stärken, Strategien für die Entwicklung der einzelnen Stadtteile zu entwickeln, Innovation und Kreativität im Wirtschaftsbereich zu fördern, die kulturelle Infrastruktur auszubauen und das Projekt Europäische Kulturhauptstadt voranzubringen. In dem Videoclip, mit dem er seine Kandidatur bekanntgab, hatte Fritz die rumänische Redewendung „Was kann man schon machen? – Man kann sowieso nichts machen!“ aufgegriffen und die pessimistische Aussage ins Gegenteil gekehrt: „Man kann etwas machen!“

Davon war er überzeugt und damit konnte er auch viele Bürgerinnen und Bürger Temeswars überzeugen, die die achtjährige Herrschaft des immer wieder wegen eigenwilligen Entscheidungen in die Kritik geratenen Bürgermeisters Nicolae Robu leid waren. Am 30. Oktober 2020 wurde Dominic Fritz als Bürgermeister vereidigt. „Die Politik ist kein Zweck an sich, sondern lediglich ein Mittel, um das Leben der Menschen zu verbessern. Wir brauchen die Politik, um aus Hunderttausenden Individuen eine funktionale Gemeinschaft zu machen – mit gemeinsamen Regeln, die von allen befolgt werden, mit Offenheit für neue Ideen, mit der Beteiligung aller, denn alle haben einen Beitrag zu leisten“, sagte er in seiner Antritts-rede. Den Stadträten, die vor ihm den Eid abgelegt hatten, versicherte er: „Sie werden in mir immer einen Partner haben, einen kompromiss-losen Partner, der keine Tricks duldet, aber für eine Zusammenarbeit offen ist.“ Und die Temeswarer ließ er wissen: „Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich ein bequemer Bürgermeister sein werde. Aber ich werde ein ehrlicher Bürgermeister sein – mit all meinen Fehlern, aber sicherlich auch mit meiner ganzen Energie. Ich werde jeden Tag alles geben für Temeswar.“

Seit der Amtsübernahme sind mittlerweile vier Monate vergangen. Bürgermeister Dominic Fritz sah sich in dieser Zeit vor große Herausforderungen gestellt, die durch die Corona-Pandemie noch potenziert wurden (er selbst war im Januar positiv auf das Coronavirus getestet worden und musste sich in häusliche Isolation begeben). Die rumänischen Medien wie auch die „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“ berichten laufend über neue Entwicklungen, Aussagen und Maßnahmen des neuen Stadtoberhaupts, dessen Wirken darauf ausgerichtet ist, sein politisches Programm umzusetzen und seine Wahlversprechen einzulösen. Für unsere Leserschaft haben wir zusammengefasst, was sich seit dem Wechsel an der Spitze der Stadtverwaltung zugetragen hat.

Schwierige Koalitionsverhandlungen

Der USR-PLUS-Allianz war es zwar gelungen, in Temeswar den Bürgermeistersessel zu erobern und stärkste Kraft im Stadtrat zu werden, doch fehlte ihr zur absoluten Mehrheit eine Stimme. Sie stellte 13 Stadträte, die PNL neun, die PSD drei und die „Pro România“ zwei. Im Temescher Kreisrat, an dessen Spitze der PNL-Politiker und frühere Bürgermeister von Neubeschenowa Alin Nica gewählt wurde, stellte sich die Lage umgekehrt dar: Dort erzielte die PNL 17 Mandate, zwei weniger als die absolute Mehrheit, die USR-PLUS kam auf zehn Sitze, die PSD auf sieben und „Pro România“ drei. Demnach lag es nahe, ein Übereinkommen zwischen USR-PLUS und PNL anzustreben, um in Temeswar und im Kreis regieren zu können. Die USR-PLUS war der Ansicht, dass die Zusammenarbeit allein von geteilten Werten, gemeinsamen Prinzipien für ein gutes Regieren und der Einigung auf konkrete Vorhaben getragen werden könne und dass die Posten in der Stadt- und der Kreisverwaltung – die beiden Vizebürgermeisterposten sowie die beiden Posten des stellvertretenden Kreisratsvorsitzenden – gleich aufgeteilt werden müssten. 

Die am 16. Oktober aufgenommenen Verhandlungen zwecks Bildung stabiler politischer Mehrheiten im Temeswarer Stadtrat und im Temescher Kreisrat gestalteten sich schwierig und waren von öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten begleitet. Eine Einigung hinsichtlich der Verteilung der Stellvertreterposten in den beiden Verwaltungsgremien konnte erst Ende Dezember, drei Monate nach der Kommunalwahl, erzielt werden.

Zu Vizebürgermeistern der Stadt Temeswar wurden Ruben Laţcău (USR-PLUS) und Cosmin Tabără (PNL). Zusammen mit Dominic Fritz bilden sie die dreiköpfige Stadtexekutive. Laţcău, Jahrgang 1988, ist Mechanik-Ingenieur und verfügt über eine zehnjährige Erfahrung in der Wirtschaft. Er koordinierte die Teams der USR-PLUS-Allianz, die das Wahlprogramm für Temeswar und den Kreis Temesch verfasst haben. Als Vizebürgermeister ist er verantwortlich für die Bereiche Investitionen, Verkehrsinfrastruktur und städtische Mobilität, Reform öffentlicher Dienstleistungen, Bauwesen, Stadtreinigung, Kindertagesstätten, Schulen und Krankenhäuser. Zum Zuständigkeitsbereich des 44-jährigen Anwalts Cosmin Tabără, Sohn des Ex-Landwirtschaftsministers Valeriu Tabără, gehören die rechtlichen Belange der Stadtverwaltung, das städtische Eigentum, das Einwohnermeldeamt, das Sportwesen und die Lokalpolizei.

Am 29. Dezember wählte der Temescher Kreisrat den 32-jährigen Alexandru Proteasa von der PNL und den 37-jährigen Cristian Moş von der USR-PLUS zu stellvertretenden Vorsitzenden. Proteasa ist Unternehmer, bis September 2020 war er Mitglied des Gemeinderats von Neumoschnitza. Moş ist Ingenieur, 2016 beteiligte er sich an der Gründung der Temescher USR, deren Vorsitzender er ist. Gemeinsam mit dem 39-jährigen Kreisratsvorsitzenden Alin Nica (PNL) bilden sie das jüngste Team, das den Kreis Temesch seit der Verwaltungsform von 1968 je leitete.

Hochkarätig besetzter Beraterstab 

Laut Gesetz stehen dem Bürgermeister sechs persönliche Berater zu. Dominic Fritz ernannte in seinen Beraterstab fähige, sehr erfahrene Leute, die ihn bei der Umgestaltung der Stadtverwaltung im Sinne von Effizienzsteigerung, Professionalisierung und Bürgerfreundlichkeit unterstützen werden. Schon wenige Tage nach seiner Vereidigung stellte er die ersten zwei Berater vor. Loredana Pintea, eine Betriebswirtin mit zwanzigjähriger Management- und Beratererfahrung, die sich in Organisations- und Personalfragen gut auskennt, wird die Bereiche Finanzen und Wirtschaft, Personalwesen, öffentliche Anschaffungen, Qualitätsmanagement, Rechtsabteilung und internes Managementcontrolling verantworten. Der erfolgreiche Architekt und Stadtplaner Rudolf Gräf, der unter anderem für die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Temeswar und Tschernowitz tätig war, wird sich besonders um die Erneuerung im öffentlichen Raum, die Bewahrung des architektonischen Erbes und die Wiederbelebung der historischen Stadtteile kümmern und die ökologische Infrastruktur im Auge behalten. 

Ende November ergänzte Dominic Fritz seinen Stab um zwei Posten: Simona Fiţ – sie gilt als Expertin für Verwaltungsfragen und Kulturpolitik und hat an der Erstellung der Temeswarer Bewerbung für den Titel einer europäischen Kulturhauptstadt wesentlich mitgewirkt – wird ihn in Sachen Management des öffentlichen und privaten Guts der Stadt, Kultur, Bildungs- und Jugendarbeit, Bürgerbeteiligung und Sozialdienstleitungen beraten. Mit Valentin Mureşan holte sich Fritz einen IT-Fachmann ins Team, der mehrere Start-Ups in diesem Bereich gegründet hat, zehn Jahre in Irland lebte und an der Universität von Dublin unterrichtete. Der Ingenieur wird in die Entscheidungsprozesse eingebunden, die die Infrastruktur und IT-Lösungen betreffen, also auch die Smart City-Strategie, Digitalisierung und Optimierung der internen Abläufe in der Stadtverwaltung, und die Verbindung zur lokalen IT-Branche aufrechterhalten.

Die beiden letzten Beraterstellen besetzte Fritz am 11. Februar 2021 mit der Ingenieurin und Psychologin Dana Lazăr und den Journalisten Bogdan Marta. Erstere ist besonders im Konzipieren und Begleiten von EU-finanzierten Projekten bewandert und soll den Bürgermeister sowohl in diesem Bereich als auch in allgemeinen Europaangelegenheiten und Organisationsmanagement unterstützen. Marta, der zuletzt das Nachrichtenportal Timiş Online geleitet hat, soll für mehr Transparenz der Stadtverwaltung gegenüber den Bürgern und eine professionelle Medien- und Öffentlichkeitsarbeit sorgen.

Die Stelle des City Managers (Stadtverwalters) ließ Fritz landesweit ausschreiben. Von über 300 Bewerbern entschied er sich für den 42-jährigen Bukarester Bankier Matei Creiveanu, der seit 2014 das Rumänien-Büro der HYPO NOE Landesbank für Niederösterreich und Wien AG geleitet hat. Creiveanu hat das Hermann-Oberth-Lyzeum (das heutige Goethe-Kolleg) in Bukarest besucht und an der dortigen Akademie für Wirtschaftswissenschaften studiert, er spricht Deutsch, Englisch und Französisch und verfügt über viel Erfahrung in Fragen der öffent-lichen Verwaltung und der Finanzierung von öffentlichen Infrastrukturprojekten. Zu den eindringlichen Aufgaben des Ökonoms gehören die Senkung der Ausgaben, die Erhöhung der Einnahmen und die bessere Nutzung und Verwertung des städtischen Eigentums.
Die ADZ zitierte den City Manager mit der Aussage, die Stadtverwaltung dürfe keinen kostspieligen und unnötigen Projekten hinterher rennen, sondern habe sich vor allem auf die Qualitätssteigerung der öffentlichen Dienstleistungen zu konzentrieren. Das sei aber keine Frage des Geldes mehr, sondern allein der Effizienz des Verwaltungsapparats, der Qualitätsarbeit der Beamten und der Führungsqualitäten der Amtsträger. Creiveanu zeigte sich zuversichtlich, dass dies auch in Temeswar gelingen werde, zumal Dominic Fritz und sein Team eine andere Vision von der öffentlichen Verwaltung entwickelt hätten und es dem Bürgermeister gelungen sei, ein Team von Sachkundigen zu bilden, um das ihn jeder Konzern beneiden würde.

Stadtverwaltung unter die Lupe genommen

Bereits in seiner ersten Pressekonferenz nach den Wahlen hatte Dominic Fritz tiefgreifende Änderungen versprochen. Er wolle sich zunächst ein klares Bild von der Lage in der Stadtverwaltung verschaffen und kündigte an, alle Abteilungen des Bürgermeisteramtes und alle untergeordneten Institutionen und Behörden einer umfangreichen Prüfung zu unterziehen. Es werde zweifelsohne eine Umstrukturierung geben, die auch Personaländerungen beinhaltet. Der gewählte Bürgermeister warnte aber vor zu schnellen Erwartungen. Die gesamte Organisationskultur, Mentalitäten und Strukturen müssen und werden sich ändern, doch das benötige Zeit, erklärte er. Darüber hinaus hatte er mitgeteilt, sich Klarheit über die Finanzlage der Stadt verschaffen zu wollen. Man werde alle laufenden Projekte der Robu-Administration, sowohl die angekündigten als auch die teilweise gestarteten, prüfen und nicht zögern, einzelne Vorhaben zu stoppen, wenn diese nicht wirklich notwendig seien. Als weitere Priorität nannte Fritz die Vorbereitung des Kulturhauptstadt-Programms, die hinzugewonnenen zwei Jahre seien äußerst wichtig.

Was die Überprüfung der Stadtverwaltung ergab, war ernüchternd. Der neue Stadtvater ging auf seinen Pressekonferenzen mehrmals darauf ein. Jede Abteilung schmore im eigenen Saft und praktiziere den Alleingang, ohne sich mit den anderen Abteilungen und den nachgeordneten Behörden zu beraten. Viele Verfahren und Arbeitsabläufe seien undurchsichtig. Es fehle die strategische Perspektive, man halte sich kaum an das Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Die Beamten fürchteten sich vor Entscheidungen und seien gewohnt, dass jede Maßnahme „von oben“ beschlossen wird und ohne Widerspruch umgesetzt werden muss. Ein weiteres Problem sei der geringe Grad der Digitalisierung der Verwaltung. Lediglich 2,8 Prozent der im Jahr 2020 eingegangenen Anträge, Gesuche und sonstigen Schreiben von Bürgern und Institutionen sei von den Antragstellern elektronisch versendet worden. Erschütternd sei auch die Tatsache, so der Bürgermeister, dass von den über 600 Beamten, die von der Stadt beschäftigt werden, nur etwa ein Viertel mindestens eine Mail pro Tag verschickt. 

Von der notwendigen Ordnung im Hause sei man zwar noch immer weit entfernt, aber man erziele große Fortschritte, verkündete Dominic Fritz zweieinhalb Monate nach seiner Amtseinführung. Die Arbeitsweise der Stadtverwaltung beginne sich zu ändern. Ziel bleibe, das Bürgermeisteramt in der ersten Hälfte des Jahres 2021 zu reorganisieren. Entlassungen seien nach Abschluss des Audits nicht auszuschließen. Fritz gab auch bekannt, dass wichtige Ämter im Rathaus nur durch Ausschreibungen besetzt und die willkürlichen Ernennungen von interimistischen Abteilungsleitern abgestellt würden.