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Vor 50 Jahren: Geschichte in lebenden Bildern

Eine große Gruppe in bunten Trachten versammelte sich sonntags vor dem Rathaus für den Umzug durchs Dorf – die Gemeinschaft bewies sich als stark und wohlgefestigt.

Bäuerinnen und Bauern in Arbeitstracht, auf allen Bildern Kinder mit dabei.

Kinder in der neuzeitigen Jahrmarkter Kerweitracht führten eine Teilnehmergruppe an. Zweite von links Lehrerin Katharina Schäffer, die uns die Fotos für diesen Bericht zur Verfügung stellte, mit im Bild ihre beiden Söhne.

Die ersten schwäbischen Großveranstaltungen der Nachkriegszeit, die sich auf den Straßen vor der Öffentlichkeit in Deutschbentschek und Sackelhausen „abspielen“ durften, lagen schon über ein Jahrzehnt zurück, als die Gründung der Räte der Werktätigen deutscher Nationalität in Rumänien (1968) mit ihren drei Banater Kreisorganisationen dem deutschen Kulturleben wieder einen Anschub gab. Eine kleine Tauwetterperiode setzte ein, heißt es jetzt im Rückblick. Leider sind die Filmaufnahmen zum ersten großen „Schwabenfest“ der Nachkriegszeit – von öffentlicher Bedeutung nicht nur für Bentschek – und zum Fest in Sackelhausen (erste Nachkriegskerwei 1955) in unseren Archiven nicht gesichert. Das erste und größte historische Trachtenfest der Deutschbentscheker fand am 1. September 1957 statt, anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Gemeinde. Der Film dauerte ca. 30 Minuten, „ich habe ihn als Kind gesehen“, erinnert sich der Vorsitzende der Heimatortsgemeinschaft Willi Kuhn.

Deutsches Kulturleben im Aufwind

Der neue Impuls zeigte sich in der Folge unter anderen in unzähligen jährlichen Banater Trachten-Kerweifeiern – von Pfingsten im Frühjahr in Jahrmarkt bis zum Spätherbst zu Martini im November – und Trachtenbällen in der kalten Jahreszeit (Fasching). Den „größten Schwabenball“ organisierte im Gefolge schon 1969 der Lehrer und zeitweilige Schuldirektor Hans Tittenhofer mit Teilnehmern aus der ganzen Umgebung und dann noch größer – mit 110 Paaren – in der Art der Einwanderungsfeiern mit Schwergewicht auf den Trachten im Wandel der Zeit am 10. Februar 1970 in Warjasch. Auch da wurde gefilmt. Es folgten ähnliche Großveranstaltungen mit historischen Trachten, öffentlich im Dorf, verbunden mit Volkstänzen sowie auch im Kulturheim in Tschanad (1970), wo 1972 eine große Männerkerwei stattfand, ferner in Marienfeld u.a.

Vor genau 50 Jahren fand am 13. und 14. Februar 1971 eine weitere, etwas andersartige schwäbische Festlichkeit statt, in die fast das ganze Dorf aktiv und als Zuschauer eingebunden war: die Darstellung der Ortsgeschichte von den Anfängen über 250 Jahre in lebenden, farbenprächtigen und klingenden Bildern, also weit über die „Nachbildung“ der drei Einwanderungsbilder des Malers Stefan Jäger hinaus. Mitgewirkt haben zudem der große Temeswarer Schubert-Chor unter der Leitung von Herbert Weiss mit einem untermalenden Volksliederprogramm und die „Pipatsch“-Kapelle unter Dirigent Heinz Wenrich. Gekommen waren sowohl Samstag als auch Sonntag viele Gäste und zahlreiche Offizielle aus Temeswar, Kronstadt und Bukarest. Weil damit gerechnet wurde, dass der Kulturheimsaal – das frühere Gasthaus Seibert – wieder zu klein sein wird und die Sicht auf die Bühne schlecht war, wurde schnell ein Balkon an der hinteren Wand errichtet für geladene Gäste-Zuschauer. Die Bukarester Tageszeitung „Neuer Weg“ schätze das Ereignis noch 1977 in einem Bericht als einen „Höhepunkt“ ein „im Banater schwäbischen Kulturbetrieb der letzten Jahrzehnte“ (aus der Pressemappe Josef Schäffer, 1932-2017).

Die gesamte Bühnendarbietung der „Einwanderungsfeier“ wurde tags darauf bei schönem, wenn auch kaltem Februarwetter auf den Straßen wiederholt und für die deutschsprachige Sendung des Rumänischen Fernsehens Bukarest gefilmt. Gesichert ist, dass dieser Sahia-Studio-Streifen sogar als Vorspann in Banater Kinos gezeigt wurde.

Die ganze Dorfgemeinschaft war eingebunden

Die Hauptorganisatoren der Feier waren die Jahrmarkter Gymnasiallehrer Josef Schäffer (Geographie und Biologie), stellvertretender Schuldirektor, Hans Speck (Geschichte, Musik) – von ihnen stammten auch Konzeption, Lieder- und Textauswahl sowie Vorbereitung der Trachten der jeweiligen Zeit- und Themenbilder – und der 2020 verstorbene damalige Kulturheimdirektor Michael Lukas. Mitorganisiert haben aber auch viele Lehrkräfte, die Kindergärtnerinnen, die Gemeindeleitung mit Vizebürgermeister Josef Wagner, die Gruppe Handwerker der Tischlerei unter Meister Peter Oberle, die Loris-Musikkapelle und die
Jugendkapelle. Von Klein- und Vorschulkindern, Jugendlichen, Jungverheirateten, Handwerkern, der Kartenspieler- und „Spinnstub“-Generation bis zum 88-jährigen Kleins Vetter Gerhard waren alle Generationen vertreten, die Jüngsten waren 16 Monate beziehungsweise zwei Jahre alt. Für die zugewanderten Rumänen im Ort und für das benachbarte rumänische Dorf Cerneteaz (schwäbisch Zorn genannt), das auch im Gemeindemuseum einen Raum zur Verfügung gestellt bekam, wirkte eine Gruppe Jugendlicher in rumänischen Volkstrachten mit.

Im Bildband „Jahrmarkt im Banat“ aus dem Jahr 1985 wurden 25 Fotos aus dem Zyklus der Einwanderungsfeier aufgenommen. Herausgeber war die Heimatortsgemeinschaft in Deutschland, deren Gründung beim ersten Jahrmarkter Treffen am 9. und 10. September 1972 in Reutlingen auch ein Ausläufer dieses Dorffestes war. Inzwischen steht eine Reihe Bilder von damals auch im Internet. Ein illustrierter Beitrag zur Erinnerung an das Fest erschien in der „Banater Post“ vom 20. März 2001.

Alle Schritte zur behördlichen Genehmigung und Absicherung waren vom damaligen Vorsitzenden des Temescher Kreisrates der Werktätigen deutscher Nationalität Nikolaus Berwanger, Initiator der sehr aufwändigen Feierlichkeit, eingeholt und durchgesetzt worden, auch die Redaktionen der deutschsprachigen Zeitungen („Neue Banater Zeitung“, „Neuer Weg“, „Karpatenrundschau“, alle drei Chefredakteure waren zugegen) standen informierend und werbend hinter den Vorhaben. Um das große Pensum der vielfältigen Vorbereitungen schaffen zu können, wurde Gymnasialprofessor Schäffer vom Schulamt für eine Zeit sogar freigestellt. Bei den Hauptproben für die vielen Gruppen war das künstlerische Mitwirken des Schauspielers Hans Kehrer wichtig. Die Gesamtregie hatten die Lehrer Schäffer (künstlerischer Leiter) und Speck (Dokumentarist, nach Ludwig Schwarz) inne.

Überwältigende, beispiellose Leistung

„Sechs lebende Bilder“ machten den Kern der Darbietung aus, mit eindrucksvollen Gestalten in entsprechenden Trachten und Kleidern, vom Dreispitz, dem Männerzopf und den Schnallenschuhen bis zur Feldarbeit (Acker, Aussaat, Ernte), den Handwerkern und den Spinnstubenbeschäftigungen der Generationen. Nicht fehlen durfte die Kerwei, auch als Fest der Jugendlichen: 40 Trachtenpaare und die Musik dazu.

Über die Großveranstaltung schrieb unter anderen der Publizist Ludwig Schwarz unter der Überschrift „Überwältigende Trachtenschau in Jahrmarkt“ eine ganzseitige Reportage in der „Karpatenrundschau“ Nr. 7 vom 19. Februar 1971, für den „Neuen Weg“ erstellte Franz Engelmann eine große bebilderte Reportage, in der „Neuen Banater Zeitung“ von Sonntag, 14. Februar 1971, erschien ein erster, aktueller Bericht, zwei Tage später eine Bilder-Doppelseite („eine beispiellose Leistung“). Engelmann vermutete, dass die Gemeinde noch nie so viele Gäste empfangen hatte wie an diesen zwei Tagen. Laut Pressebericht  sollen es allein am Sonntag  geschätzt 1500 gewesen sein. Leider sind die Fotos der damaligen Pressefotografin Trude Peter (Pantea) mit dem NBZ-Redaktionsarchiv verschollen.

Der Schriftsteller Ludwig Schwarz ging auf den „tieferen Sinn“ und den „wertvollen Inhalt“ der „Trachtenfest-Tradition“ ein. Auf der Bühne „rollten“ im Verlauf von über zwei Stunden die „zweieinhalb Jahrhunderte Banater schwäbische Geschichte“ in „lebenden Bildern vorbei, dargestellt von 280 Mitwirkenden“. Die Szenen wurden für die Zuschauer im übervollen Saal „zu wahrem Erleben“ dank der begeisterten Hingabe der Laiendarsteller, die über eine längere Zeit vorbereitende Proben auf sich nahmen.

Bis heute stellen sich viele die Frage, ob diese Feste Teil der Identitätssuche, der Selbstdarstellung und des Selbstvergewisserns, eines letzten gemeinschaftlichen Aufbäumens waren oder Zeichen der „Wegsuchenden“ dieser letzten Generation, aus der viele mental schon vor einer schweren Entscheidung standen.

Abschließend unterstrich der Reporter, dass es sich um ein „allgemeingültiges Ereignis“ von regionaler Bedeutung handelte, das „uns alle angeht“. In diesem Sinne verfasste Organisator Josef Schäffer 1985 seine Rückschau im erwähnten Bildband „Jahrmarkt im Banat“. Er schätze das Fest als ein „Bild der Erinnerung an unsere alte Heimat“ ein, in der Hoffnung, dass es den Landsleuten noch lange erhalten bleibe.

Anmerkung: Eine Besonderheit in Verbindung mit dem Fest soll hier noch erwähnt werden: Ludwig Schwarz spendete sein Honorar für den Bericht in der „Karpatenrundschau“ der Jahrmarkter Familie Tannenberger als bescheidene Hilfe zum Wiederaufbau ihres Heimes nach einem verheerenden Hausbrand.