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Schnittmuster für das „Sonntagsgwand“

Theresia Teichert, langjährige Brauchtumsbeauftragte des Landesverbandes Baden-Württemberg, zeichnet mit einem speziellen Computerprogramm die eingescannten Schnittmuster in akribischer Feinarbeit nach und speichert sie digital.

Hildegard Bauer, den meisten als „Bauer God“ bekannt, kontrolliert die Schnitte anhand von DIN-A4-Ausdrucken. Fotos: Ines Szuck

Theresia Teichert, langjährige Brauchtumsbeauftragte des Landesverbandes Baden-Württemberg, zeichnet mit einem speziellen Computerprogramm die eingescannten Schnittmuster in akribischer Feinarbeit nach und speichert sie digital.

Workshops zur Trachtenherstellung und -pflege, Besuche von Museen, Heimatstuben oder Bibliotheken. Sie hatten viel vor – die Frauen der Arbeitsgemeinschaft Tracht, kurz „AG Tracht“. Ziel der im Sommer 2019 gegründeten Arbeitsgruppe war und ist es, das vorhandene Wissen in den Gruppen der DBJT (Deutsche Banater Jugend- und Trachtengruppen) und der Landsmannschaft zu bündeln, Interessierte zusammenzubringen, Austausch zu ermöglichen und gleichzeitig eine praktische Anlaufstelle bei Fragen zur Anfertigung und Pflege der Banater Volkstracht zu sein. Auch der Vorstand der DBJT sollte bei Bedarf unterstützt werden.

Ein erstes praktisches Seminar dazu fand sogleich im November 2019 statt. Während des Brauchtumsseminars in Unterhub im Allgäu gab es einen Workshop zum Thema „Stärken der Unterröcke“. Ein zweiter war fürs Frühjahr 2020 geplant. Dabei sollte das Nähen eines Frauen-Trachtenhemdes auf dem Programm stehen. Mehrere Frauen, die sich mit der Tracht beschäftigen und nähen wollten, hatten sich dafür bereits angemeldet. Und dann, ja dann kam Corona und alles musste abgesagt werden.

Wer nun aber glaubt, die AG Tracht habe ihre Arbeit eingestellt, der irrt gewaltig. Denn im Hintergrund wurde viel geschafft. Die Frauen waren fleißig. Da persönliche Treffen nicht mehr stattfinden konnten, suchten und fanden sie einen anderen Weg, sich auszutauschen und zusammenzuarbeiten. Computer und Technik machen es möglich. Diskutieren kann man schließlich auch über Internet. In regelmäßigen Skype-Sitzungen tauschen sich die Frauen aus, klären Fragen und Probleme, diskutieren und sprechen sich über das weitere Vorgehen ab.

So manch einer mag sich nun fragen, was die Frauen denn überhaupt zu besprechen haben und was genau sie da eigentlich tun. Nun, dem kann geholfen werden. Um Wissen vermitteln und Fragen zur Tracht und deren Herstellung und Pflege beantworten zu können, haben sich die Frauen zunächst sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt, recherchiert, Bücher, Aufschriebe, Dokumentationen gewälzt, mit Zeitzeugen gesprochen, Fotoalben durchforstet, sich ausgetauscht und viel diskutiert. Besonders freut die Frauengruppe, dass sie Edith Singer aus Temeswar zur Unterstützung gewinnen konnten. Sie hilft mit Rat und Tat und ist mit ihrem Wissen eine große Bereicherung für die Gruppe. „In unserer letzten Videositzung haben wir einen sehr spannenden Einblick in ihr (Edith Singers) Trachtenarchiv in Temeswar bekommen“, erzählt Renate Krispin, die sich innerhalb der Arbeitsgruppe um die Verwaltung, das Finanzielle, das Organisatorische, aber auch um die Kontaktpflege und, nicht zu vergessen, um die Gestaltung der geplanten Arbeitshefte-Reihe kümmert. Die Hefte-Reihe soll dabei alles rund um das Thema „Nähen des Werk- und Sonntagsgewands sowie der Kirchweihtracht der Banater Schwaben“ behandeln.

Ein Detail ist übrigens immer wieder Diskussionsthema innerhalb der Arbeitsgruppe und wichtiger, als man es zunächst vermuten mag: Wie ist die korrekte Länge des Trachtenoberrocks? Ist er knöchellang oder endet er knapp über- oder unterhalb der Knie? Oder ist es doch ganz anders? Was ist historisch richtig? Ein Blick in Bücher oder Fotoalben ist nicht immer hilfreich, denn hier findet sich alles, von bodenlang bis über Knie. War der Rock Anfang des 20. Jahrhunderts noch nahezu bodenlang, so trug man ihn in den 1970er Jahren teilweise knapp oberhalb der Knie. Die Erkenntnis daraus? Die Rocklänge passte sich, wie so vieles, an die jeweilige Mode der Zeit an. Heute ist es vielerorts verbreitet, den Rocksaum mit knapp
20 Zentimeter Abstand zum Boden enden zu lassen.

Weitere wichtige Themen, die die Gruppe im Blick hat und mit denen sie sich intensiv beschäftigt, sind Materialien, Stoffe, Zubehör, aber vor allem Schnittmuster. „Nachdem wir in den letzten Jahren vermehrt festgestellt haben, dass eine besondere Nachfrage und damit ein Bedarf an Schnitten und Anleitungen dafür da ist, haben wir uns entschieden, mit dem ‚Schwowischen Sonntagsgwand‘ anzufangen“, erklärt Renate Krispin. „So werden in diesem Arbeitsheft Grundschnitte für Hemd oder Bluse, Rock und Schürze sowie eine repräsentative Auswahl an Schnittmustern von im Banat getragenen Jacken oder Blusen enthalten, beschrieben und bildlich dargestellt sein.“

Die Frauen sind gut organisiert, die Aufgaben im Team um Elwine Muth sind klar verteilt. Jede weiß, was sie zu tun hat. Nach dem Sammeln mussten die vorhandenen Schnitte zunächst korrigiert, angepasst, abgeglichen, beschriftet, ja vereinheitlicht werden. Denn jeder Schneider hat so seine eigene Art, Schnitte zu erstellen. Was für die einen völlig logisch erscheint, hinterlässt bei anderen nur Fragezeichen. Das hieß für die Frauen: Hier müssen klare Regeln her, wenn die Schnitte für möglichst viele Menschen nutzbar sein sollen. In der Arbeitsgruppe sind dafür Heidelinde Redl und Elwine Muth zuständig. Sie bringen alles auf einen Nenner. Damit die späteren Nutzerinnen den Schnitt auch umsetzen, also nähen können, liefert Heidelinde Redl eine grobe Arbeitsanleitung mit dazu. Unterstützt wird sie dabei von Hildegard Bauer, den meisten als „Bauer God“ bekannt. Gemeinsam probieren sie Schnitte aus, nähen Probe, tüfteln gemeinsam an Schnitt und Anleitung, bis es passt. Die grafische Umsetzung und Gestaltung der Schnitte übernimmt dann Theresia Teichert. In einem speziellen Programm zeichnet sie die eingescannten Schnittmuster in akribischer Feinarbeit nach und speichert sie digital. So können sie schneller verändert, korrigiert, angepasst, später dann ausgedruckt und vervielfältigt und damit vielen Menschen zugänglich gemacht werden. Diese professionell aufgearbeiteten Schnitte werden anschließend von Heidelinde, Elwine und Hildegard Bauer nochmals genau geprüft. Acht Augenpaare sehen schließlich mehr und besser als eins.

Ein interessantes Detail soll diesbezüglich nicht unerwähnt bleiben: Die Schnittmuster werden nicht in Originalgröße, sondern maßstabsgetreu zunächst im DIN-A4-Format ausgedruckt und auf Logik und Richtigkeit geprüft. Nur wenn’s irgendwo richtig hakt, wird der Schnitt in Originalgröße, also DIN A0, erneut ausgedruckt, geprüft, wenn nötig Probe genäht und dann angepasst. Die Endkontrolle übernimmt schließlich nochmals Elwine Muth. Sie ist es auch, die den Überblick über das große Ganze hat. Sie weiß, welche Schnitte vorhanden sind, in welchem Stadium der Bearbeitung sie sich befinden, was noch fehlt oder wo der Schuh drückt.

Ein wichtiger Punkt, der noch gelöst werden will, ist das Gradieren der Schnitte, d.h. die Anpassung der Schnittmuster für verschiedene Größen, also das Vergrößern und Verkleinern derselben. Denn einer Frau mit Größe 34 nützt es nichts, einen Schnitt in Größe 44 zu haben und einer Frau, die Größe 48 trägt, hilft der Schnitt in Größe 40 auch nicht weiter. Doch auch dafür findet sich eine Lösung. Das Team arbeitet fleißig daran.

Da die Gruppe mit Dokumentation, Archivierung und Erstellung der Schnittmuster gut vorankommt und diese in Teilen sogar schon abgeschlossen sind, liegt jetzt der Fokus auf der Publikation des ersten Arbeitsheftes, das sich mit dem „Sonntagsgwand“ beschäftigt. Vor der Veröffentlichung gilt es zu klären, wie das Heft genau aufgebaut und gestaltet sein muss, dass es einerseits nicht nur ein gutes Arbeits- und Hilfsmittel darstellt, sondern andererseits auch ansprechend und damit für möglichst viele Menschen interessant ist. Lukas Krispin, der die Gruppe bei der Gestaltung des Layouts tatkräftig unterstützt, versucht nun die Vorstellungen der Frauen so umzusetzen, dass das Heft nicht nur optisch ansprechend, sondern auch praktisch in der Handhabung ist.

„Bekanntlich wächst man ja an seinen Aufgaben und so sehen wir einer spannenden Zeit entgegen“, fasst Renate Krispin zusammen. Und dass Interesse besteht, zeigt eine aktuelle Anfrage. Eine junge Frau aus Oberösterreich hatte sich kürzlich an Elwine Muth gewandt. Ihre Großeltern stammen aus verschiedenen Gemeinden im heutigen Rumänien, Kroatien und Serbien. Die Großmutter mütterlicherseits wuchs in Großsanktnikolaus auf. Da sich die junge Frau seit einiger Zeit für das Nähen begeistert, hat sie den Entschluss gefasst, sich eine Volkstracht zu nähen. Sie will auf diese Art ein Stück weit dazu beitragen, die Geschichte ihrer Familie und die vieler anderer zu erhalten und weiterzutragen. Diese Anfrage zeigt aber nicht nur das bestehende Interesse, sondern auch, wie wichtig die Arbeit der AG Tracht ist und in Zukunft sein wird.

Erreichbar ist die „AG-Tracht“ per Mail ag-tracht@dbjt.de oder Telefon 0179 / 2918743. Ansprechpartnerin ist Elwine Muth.