zur Druckansicht

Die vier schwersten Jahre meines Lebens

Das Grauen der Verbannungsjahre hatte Margarete Schneider 1955 bestimmt noch nicht ganz überwunden, aber sie konnte zuversichtlich in die Zukunft blicken, da sie ihre Familie – ihren Ehemann Josef Schneider (1911-1993) und ihre drei Kinder Rosl (geb. 1950), Seppy (geb. 1951) und Anny (geb. 1952) – um sich hatte.

Margarete Schneider bei der Feier ihres 90. Geburtstags am 4. Oktober 2017 Einsenderin der Fotos: Anny Ghiga-Schneider

Deportierte Kleinbetschkereker in Stalino im August 1949, wenige Monate vor ihrer Heimkehr Einsender: HOG Kleinbetscherek

Heute ist meine Mutter Margarete Schneider 93 Jahre alt. Sie wurde am 4. Oktober 1927 im banatschwäbischen Dorf Eichenthal geboren und lebt seit vielen Jahren in Königsbrunn bei Augsburg. Die nachfolgende Geschichte über jene schicksalsschwere Nachkriegszeit hat sie mir nach vielen Jahren des Schweigens zum allerersten Mal am 27. Oktober 2013 erzählt. Es ist die Geschichte über die Zeit ihrer Deportation zur Zwangsarbeit in die damalige Sowjetunion. Als Zeitzeugenbericht wurde sie im Dezember 2017 auch in das Archiv der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin übernommen.

Es war im Januar 1945. In Eichenthal wie in der gesamten Region fanden zu jener Zeit keine Kampf- oder Kriegshandlungen mehr statt, da die sowjetische Armee auf ihrem siegreichen Weg Richtung Westen, ganz Rumänien bereits überrollt hatte und sich überall im Banat –auch in unserem 400-Seelen-Dorf Eichenthal – „niedergelassen“ und die Verwaltung in den Banater Ortschaften übernommen hatte.
Als erstes sollte alles, was deutsch war, registriert und bestraft werden, abgesehen von den bereits stattgefundenen Bestrafungen und Racheakten an den Deutschen, wie Raubüberfälle, Prügelaktionen, Vergewaltigungen, Erniedrigungen usw.

Auch bei uns in Eichenthal wurden alle damaligen Volksdeutschen registriert, wir konnten aber nicht ahnen, was das für uns zu bedeuten hatte. Und schon am 16. Januar 1945 erschienen in meinem Elternhaus zwei sowjetische Soldaten in Begleitung eines rumänischen Soldaten, um meine zwanzigjährige Schwester Veronika, die auf der Liste stand, abzuholen. Da aber Vroni nicht zuhause war, nahmen sie mich fest – obwohl ich gerade erst vor kurzem 17 Jahre alt geworden war – und schubsten mich energisch aus der Stube hinaus. Ich ging natürlich nicht freiwillig mit den Uniformierten mit, hatte aber keine andere Wahl, denn sonst hätten sie meine Mutter oder meinen Vater festgenommen und abgeführt. Sie ließen mir gar keine Zeit, mich umzuziehen oder wärmer anzukleiden, obwohl es draußen eisig kalt war. Die Uniformierten stießen mich vor sich hin, hinaus auf die Dorfstraße und dann Richtung Dorfschule. Und da ich meine Festnahme nicht still und zahm hingenommen hatte, stieß mir einer mit dem Gewehrkolben heftig in den Rücken, so dass ich bäuchlings zu Boden fiel und mir starke Kratzer im Gesicht, an Armen und Beinen zuzog.

Das Klassenzimmer in der Dorfschule füllte sich langsam mit mir bekannten Landsleuten, die wahrscheinlich das gleiche Schicksal erwarten sollte wie mich. Keiner von uns, auch nicht die Dorfbevölkerung oder unsere Angehörigen wussten,     was mit uns geschehen beziehungsweise wohin man uns bringen werde. Und das bis zu dem Tag, an dem wir in Russland aus dem Zug stiegen. Es gab vorher nur Gerüchte im Dorf, die nichts Gutes vermuten ließen.

Wir verbrachten zunächst ein paar Tage unter Arrest im Klassenzimmer der Eichenthaler Schule, ohne Kontakt nach außen. Ich erinnere mich noch daran, dass mir mein Vater damals einen kleinen Koffer mit warmen Wintersachen und Unterwäsche brachte – mehr war nicht erlaubt –, was die nächsten vier schwersten Jahre meines Lebens im sowjetischen Arbeitslager als Kleidung herhalten musste. Danach wurden wir in die Banater Kleinstadt Lugosch gebracht, wo wir in Waggons verladen wurden. Es dauerte einige Tage, bis unsere Papiere überprüft waren, um danach weiter ostwärts transportiert zu werden.

Auch nach Lugosch kam mein besorgter Vater und brachte mir gerade noch rechtzeitig meinen dicken Wintermantel. Direkten Kontakt durfte man ja zu keinem Menschen haben, auch nicht zum Vater oder zur Mutter. So erfolgte die Übergabe des Mantels an mich ganz geheim, direkt in den Waggon, in dem ich, gemeinsam mit vielen anderen Landsleuten, eingesperrt war. Es gab natürlich keinen Kurier, der mir das Kleidungsstück hätte überreichen können, auch kein Fenster, das geöffnet werden durfte, und auch keinen Türspalt oder sonst eine andere vernünftige Möglichkeit, um in den Besitz des Mantels zu gelangen. Es gab nur das kleine, kaum kopfgroße Loch im Fußboden des Waggons, das uns als Abort diente. Gut in Zeitungspapier eingewickelt, wurde der Mantel – danach natürlich in etwas unhygienischem Zustand – in die „gute Stube“ hineingeschubst. Er leistete mir gute Dienste während der langen Fahrt bis in die Sowjetunion und auch noch viele Monate später...

Der Transport mit dem Zug durch Rumänien war sehr strapaziös. Wir waren ungefähr dreißig Personen in meinem Waggon und schliefen auf harten Pritschen. In einer Ecke stand ein kleiner Ofen, der aber kaum Wärme abgab. Ab und zu hielten wir in größeren Bahnhöfen, wo wir mit frischem Trinkwasser versorgt wurden. Schlimmer war es, wenn man seine Notdurft verrichten musste. Einige Leute verhüllten dabei den Platz mit größeren Decken, aber der unangenehme Geruch wollte danach nicht so ganz aus dem stickigen Waggon verschwinden.

Ungefähr 13 Tage nach unserer Aushebung in Eichenthal kamen wir in Jassy, im Nordosten des Landes an, wo wir in russische Viehwaggons verladen wurden. Es folgten weitere 15 qualvolle Tage Fahrt durch Russland. Die Zustände waren übelst. Unser Waggon war mit noch mehr Landsleuten als bisher vollgepfercht, die nicht nur aus Eichenthal, sondern auch aus anderen banatschwäbischen Dörfern stammten. Er war mit muffigem, stinkigem und total verlaustem Stroh ausgelegt, auf dem wir schlafen mussten. Wir wurden darin von Läusen und Flöhen buchstäblich überfallen und sollten dieses Ungeziefer auch im sowjetischen Arbeitslager nicht wieder loswerden. Dort kamen dann noch Wanzen hinzu, die unser Leben zusätzlich zur Hölle machten.

Und dann waren wir da: in einer eisigen, weiten und schier endlosen Gegend, verloren, traurig und nicht wissend, wie es weiter gehen würde. Es folgte ein stundenlanger Fußmarsch, wir stiefelten durch hohen Schnee, hatten aber zum Glück kein schweres Gepäck dabei. Ich glaube, das wurde irgendwie zum Lager transportiert. Es war am 12. oder 13. Februar 1945, als wir unser unbekanntes Ziel erreichten: das Arbeitslager Romanka bei Krasnodar. Krasnodar liegt zwischen Schwarzem Meer und Kaspischem Meer im Kaukasusvorland und ist heute eines der wichtigsten Zentren Südrusslands.

Das Arbeitslager bestand aus drei großen ehemaligen Kasernen mit Parterre und einem Stockwerk, die recht stabil aussahen. Sie waren aus Brettern gebaut oder zusammengezimmert, der Raum zwischen den Brettern war mit gestampftem Sägemehl gefüllt.

Nachdem wir unsere Pritschen zugeteilt bekamen, ging es zuerst in die Entlausungsstelle. Dort lernten wir auch unsere Lagerärztin kennen, die mir in späteren Jahren medizinische Hilfe leisten sollte.
Mit mir waren in einem kleinen, kalten Schlafraum insgesamt zwölf Personen. Je zwei Eisenpritschen standen übereinander und hatten sogar einen Strohsack. Auf jeder Pritsche schliefen immer zwei Frauen. Ich hatte das Glück, die Schlafstelle mit meiner Freundin und Cousine aus Eichenthal Rosl Fischer zu teilen.

In Romanka waren noch folgende Eichenthaler Landsleute: die Schwestern Leni und Gretl Petri, Anna Petri (Christians Anna), Anna Petri (Kressners Nani), meine beiden Cousinen Luisa Wosnek und Rosl Fischer, außerdem Pauli Adam und Niklos Buschbach, der 1947 bei einem schweren Grubenunglück tödlich verunglückte.

Zum Waschen gingen wir in einen gemeinsamen Waschraum und wir aßen gemeinsam in einer Kantine. Das Essen war sehr, sehr dürftig. Morgens gab es höchst selten einen dünnen Tee mit Brot, aber in der
Regel gab es schon am Morgen Kohl, manchmal gedünstete Hirse mit Spuren von Hackfleisch. Ab und zu waren Fischstückchen darin. Wir aßen aus Tontellern und alles nur mit Löffeln. Da wir in der Kohlengrube in Dreischichtarbeit eingeteilt waren, gab es am Morgen, zu Mittag und am Abend immer nur diese ewig gleichen Menüs, ein geschmackloser, gekochter Mischmasch oder Brei, mal aus Kohl, mal aus Hirse (Kascha), mal mit Kraut oder aus Undefinierbarem. Brot gab es auch dazu. Das erhielt man rationiert und abhängig von der Arbeit, die man verrichtete. Da ich tief unten in der Kohlengrube arbeitete, erhielt ich die Höchstration, das waren eineinhalb Kilo Brot. Andere, die oben an der Kohlenkippstelle in eisiger Kälte schufteten, erhielten weniger. Das Brot schmeckte zwar nicht, aber es stillte irgendwie den Hunger und diente manchmal als „Handelsobjekt“ auf dem „Basar“ vor dem Lagertor. Dort tauschte man es notgedrungen gegen gekochte Rüben, Kefir (eine Art saure, steife Milch), Zucker, Sonnenblumenkerne oder Seife ein, da solche Lebensmittel oder Hygieneartikel nicht auf Ration zugeteilt wurden und man sie selbst kaufen musste. Und der Monatslohn reichte nicht, um sich reichhaltiger ernähren zu können.

Wir mussten jeden Tag zur Arbeit. Alle aus dem Lager Romanka – das waren Frauen aus Eichenthal, Bakowa und Lugosch, dann Männer aus verschiedenen Banater Ortschaften –arbeiteten in der und um die Kohlengrube. Und das in drei Schichten, so dass man sich eigentlich kaum traf oder miteinander sprechen konnte, denn vor der Arbeit musste in Eile gegessen, umgezogen und losmarschiert werden, um rechtzeitig an der Arbeitsstelle anzukommen; und nach der Schicht musste man sich umziehen, waschen und in die Kantine. Danach war man todmüde und fiel gleich ins Bett (sprich: auf die Pritsche).

Was wir trotz Müdigkeit spürten, waren die widerlichen Läuse und Flöhe. Die waren bereits in unserer Arbeitskluft versteckt. Das waren dicke, steife und dreckige lange Arbeitshosen – nicht zu verwechseln mit den abgesteppten bekannten russischen „Pufoaicas“ –, die einige im Winter gegen die Kälte trugen. Unsere Arbeitshosen ließen wir nach der Arbeit immer in einem kleinen Vorraum, um sie für den nächsten Arbeitsgang wieder anzuziehen. Selbst wenn ich vor der Arbeitskluft saubere Unterwäsche anzog, krochen die Läuse gleich aus der verdammten Arbeitshose und saugten sich auf der Haut fest. Nachts kamen die Wanzen hinzu. Die schlimmsten Quälgeister, die man sich vorstellen kann.

An den Füßen trug ich wie alle anderen Leidensgenossen ein Paar Galoschen, die mir viel zu groß waren. Aber ich wickelte die Füße zuerst in ein Packen Zeitungspapier, wickelte zudem Papier um die Hose über dem Schienbein und umwickelte dann alles mit Draht, der von der Sprengstoffschnur aus der Kohlengrube herrührte. So bekam ich keine kalten Füße und Beine und schützte die Gliedmaßen gegen die kantigen Kohlenstücke, die ich in der Grube auf die kleinen Kohlewaggons, die Loren, schaufeln musste.

Die Arbeit in der Grube selbst war sehr hart. Ich gehörte zu den Kohle-schauflern im letzten Teil des Schachtes, also dort, wo täglich neue Kohle gefördert wurde. Dabei wurden zuerst kleine Löcher in die Kohlenwand gebohrt. Danach kamen zwei russische Sprengerinnen – die eine hieß Froska und die andere Vera –, die Sprengpulver in die Löcher legten. Wir mussten nach ihrem Warnruf „Palit!“ zurückweichen, soweit es eben ging. Dann wurde das Pulver von Froska und Vera angezündet, und nach der Explosion fiel im dicken Rauch- und Kohlenstaub ein kleiner Berg von Kohlen auf einem großen Haufen übereinander. Bevor wir die Kohle in die kleinen Loren zu schaufeln begannen, kamen ein paar Männer, um zu überprüfen, wie sicher das Gerüst noch war, und stellten Stützen auf, um ein Herunterbrechen der Stollendecke zu verhindern.

Die Kohle wurde von uns ununterbrochen und unter ohrenbetäubendem Krach in die bereitstehenden drei bis sechs Loren geschaufelt, die wir anfangs mit eigener Kraft bis zur Kippstelle, also zur Abnahme- und Umladestelle an der Erdoberfläche, schieben beziehungsweise ziehen mussten. Erst viele Monate später halfen uns Pferde beim Transportieren der Loren. Ich war dann ein sogenannter „Konohontschik“, d.h. ich spannte das Pferd vor die erste Lore ein, hing drei bis sechs weitere Loren an und lenkte das Pferd samt Anhang bis nach oben zur „Borusska“. An dieser Plattform wurde die Kohle weiter nach oben gehoben und ausgekippt, wonach die leeren Loren von mir wieder mit dem Pferd zurückgeführt wurden.

Zusammen mit mir arbeiteten im Schacht auch Frauen aus Bakowa. Da fallen mir die Namen zweier Schwestern ein, die Eva und die Susi. Der Familienname, vermutlich Duckhorn, ist mir heute nicht mehr so klar in Erinnerung, aber ich weiß, dass die Eva dort umgekommen ist. Die Susi konnte wenigstens in ihr Heimatdorf zurückkehren. Auch an eine Maria aus Bakowa kann ich mich erinnern. Sie arbeitete mit mir unten im Schacht 9 und zwar auch als „Zugpferd“ vor den Loren. Ob sie heute wohl noch lebt? Denn damals starben ganz viele Frauen, nicht nur an Hunger und Unterernährung, sondern auch an Typhus oder Prügel. So wurde einmal eine Frau nach einem Fluchtversuch fast totgeprügelt. Man weckte uns mitten in der Nacht, jagte uns hinaus in die eisige Kälte, wo wir zusehen mussten, wie man die junge Frau blutig und halb totschlug. Das geschah wahrscheinlich zu unserer Abschreckung. Eine andere junge Frau und deren Vater, denen die Flucht aus unserem Lager gelungen war, wurden an der Grenze gefangengenommen und gnadenlos erschossen.

Die schwere Arbeit in der Grube mussten wir Tag für Tag verrichten, auch samstags und sonntags, acht Stunden lang. Wenn wir mal einen freien Tag hatten, dann nutzten wir diesen, um unsere Wäsche zu waschen oder uns zu entlausen.

Briefe oder Nachrichten von zuhause erhielten wir nur ganz spärlich. Dann lasen wir den Brief allen vor und sprachen lange darüber. Aber das Zuhause war so weit weg, dass wir schon gar nicht mehr wussten, wie sich das anfühlte. Ab und zu schrieben wir auch nach Hause, aber wir wussten nie, ob diese Post dort auch ankam. Außerdem konnten wir kaum was Gutes berichten, so dass wir es lieber sein ließen.
Kontakt zur russischen Bevölkerung aus der Umgebung des Arbeitslagers hatten wir kaum. Und wenn, dann nur auf dem „Basar“ oder zu den Sprengerinnen Froska und Vera. Die waren nie böse uns gegenüber. Im Gegensatz zu den „Natschalniks“ – das waren unsere Aufseher –, die sehr streng waren und dafür zu sorgen hatten, dass wir unsere Arbeit fleißig verrichteten und unsere Pflicht erfüllten.

Natürlich kam es auch zu vielen Unfällen in der Kohlengrube, die oft tragisch endeten. Auch ich hatte so einen Unfall, der mich für lange Zeit ans Krankenbett fesselte. Als wir eines Tages die Kohle nach der Sprengung wegschaufelten, hörte ich vor lauter Krach nicht, dass die Decke ins Rutschen kam. Sie brach über mir herab, und nur mit viel Glück konnte ich aus dem Kohlehaufen befreit werden. Hände, Bein und Nase waren gebrochen. Ich wusste lange Zeit nichts von mir. Man brachte mich ins Krankenhaus nach Krasnodar und erst nach längerer Zeit wieder zurück ins Lager, wo mich die Lagerärztin, so gut es eben ging, wieder zusammenflickte. Auch heute noch sind Spuren von blauem Kohlenstaub auf meinem Nasenrücken, auf meinen beiden Armen und am Schienbein sichtbar. Dicke blaue Streifen. Und riechen kann ich seither auch nicht mehr.

Nach dem schrecklichen Grubenunglück war ein Arbeitseinsatz in der Grube für mich nicht mehr möglich. Ich konnte mich nur noch mit Krücken fortbewegen. Ein halber Krüppel. Da ich zu nichts mehr nutze war und nur noch im Sitzen halbwegs „arbeiten“ konnte, half ich zuletzt in der Näherei und im Sanitätsraum des Lagers aus.

Man behielt mich nur noch kurze Zeit im Lager. Damit ich nicht auf sowjetischem Boden verrecke, schickte man mich mit einem Krankentransport heim. Am 11. Oktober 1948 begann für mich die mehr als drei Wochen dauernde beschwerliche, aber dennoch hoffnungsfrohe Rückreise in mein Banater Heimatdorf Eichenthal. Der Albtraum „Romanka“ hatte für mich ein Ende.

Auf der Heimreise stahl man mir zu allem Pech auch noch alle Unterlagen, sogar meine Krücken, so dass ich mich daheim um einen völligen Neustart bemühen musste. Zum Glück war meine Mutter Hebamme und päppelte mich nach und nach wieder auf, sodass ich langsam wieder am normalen Dorfleben teilnehmen konnte. Für mein erstes richtiges Kirchweihfest, das kurz bevorstand – in Eichenthal fällt es immer auf Martini (11. November), 1948 wurde es am darauffolgenden Sonntag, dem 14. November, gefeiert –, konnte ich mir noch schnell aus einem alten Kleid meiner älteren Schwester ein eigenes Festkleid schneidern. Ich trug es ganz stolz zum Fest.

Zu allerletzt möchte ich noch an Weihnachten in Romanka erinnern. Wir hatten eigentlich nie Zeit oder Lust, etwas zu feiern, weder Geburtstage noch Namenstage, noch Kindergeburten – die es dort auch gab –, aber zu Weihnachten gab es trotzdem immer eine kleine Feier, die uns an Zuhause erinnern sollte und unsere Zuversicht an eine gesunde und baldige Rückkehr stärkte. Wir hatten nämlich nach und nach unseren Glauben daran völlig verloren.

Zu Weihnachten wurde im kleinen Gang unseres Lagers von der Arbeitsgruppe, die gerade Schichtende hatte, ein Christbaum mit einigen wenigen farbigen Kleinigkeiten geschmückt. Und dann standen wir ringsherum, beteten, sangen Weihnachtslieder und dachten ganz stark an Zuhause. Es war großartig, dass unsere Aufseher dies zuließen. Also war die Menschlichkeit auch an jenem Ort des Schreckens noch nicht ganz verschwunden.

Viele kehrten nicht mehr von dort zurück, ganz wenige, so wie ich, nur als kranke Menschen, aber die meisten kamen erst 1949 aus der sowjetischen Verbannung zurück in die Heimat, wo sie noch viele Jahre brauchten, um das Ganze zu verarbeiten, zu verdrängen oder – im seltenen Fällen – zu vergessen.

Ich könnte noch viel mehr über diese Zeit erzählen, aber die Erinnerungen schmerzen immer noch. Jetzt, im hohen Alter, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass ein Krieg oder ein „Romanka“ nie wieder vorkommen.