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Aus der Geschichte der Seuchen und Krankheiten im Banat (Teil 10)

Edward Jenner (1749-1823), der Begründer der modernen Schutzimpfung. Quelle: Wikimedia

Emil von Behring (1854-1917), der Begründer der Blutserumtherapie bei Diphtherie: Porträt und Mausoleum bei Marburg. Quellen: Wikimedia (Porträt), Helmut Ritter (Foto Mausoleum, 2015)

Der Schriftsteller Hans Wolfram Hockl (1912-1998) ist an Kinderlähmung erkrankt. Foto: Archiv BP

Die Kinderinfektionskrankheiten im Banat

Kinderkrankheiten treten vorwiegend oder ausschließlich im Kindesalter auf. Die Infektionskrankheiten sind sehr ansteckend und hinterlassen im Fall der Genesung meistens eine lebenslange Immunität.
Aus Platzgründen können wir hier auf die Masern (Morbilli), Röteln (Rubeola), Scharlach (Scarlatina), Mumps („Ziegenpeter“), Keuchhusten (Pertussis) und Windpocken (Varizellen, im Banat auch als „Schofblodre“ bekannt) nicht näher eingehen. Ausführlicher werden nur die Pocken, die Diphtherie und die Kinderlähmung behandelt.

Die Pocken (Blattern)

Die Blattern hatten in Europa im 18. Jahrhundert die größte Verbreitung und ihre Prognose war schlecht. Die Pocken (lat. „Variola“ = „fleckig“) waren eine schwere akute Virusinfektion, der Erreger stammt aus der Gattung Orthopoxvirus. Die Symptome der Krankheit sind hohes Fieber und Pustelausschlag, der bleibende Narben hinterlässt (Pockennarbengesicht). Außerdem können die Blattern schreckliche Schäden hinterlassen, wie Erblindung, Taubheit und Lähmungen.

Die Blattern waren keine ausschließliche Kinderkrankheit, denn es erkrankten auch Erwachsene an ihnen. Wie heißt es doch: „Mit den Pocken verhält es sich wie mit der Liebe: Je später sie kommen, umso schlimmer ist es.“

Kaiser Joseph I. starb 1711 im 33. Lebensjahr an den Pocken. Maria Theresia erkrankte 1767 noch mit 50 Jahren an Variola. Auch Ludwig XV. von Frankreich wurde 1774 ein Opfer der Blattern. Viele Persönlichkeiten haben in ihrer Kindheit die Pocken durchgemacht, wie Haydn, Mozart, Beethoven und Goethe. Letzterer schildert die Erkrankung in seiner Autobiografie „Dichtung und Wahrheit“.

Nicht selten spielten die Pocken auch eine entscheidende Rolle im Verlauf von Geschichtsereignissen. So „verdankte“ August der Starke (1670-1733) dem Pockentod seines älteren Bruders, dass er Kurfürst von Sachsen und später König von Polen wurde. Nach Königin Annas Tod 1714, deren Sohn und direkter Erbe an den Pocken starb, kam das kurfürstlich-hannoversche Haus auf den englischen Thron.

In Asien und Afrika war eine Immunisierung gegen Pocken seit Jahrhunderten bekannt: die „Variolation“ (Inokulation). Von einer ähnlichen Behandlungsmethode der Rumänen im östlichen Banater Bergland berichtet Griselini.

Der englische Landarzt Edward Jenner (1749-1823) hat festgestellt, dass die alte bäuerliche Spruchweisheit: „Wer die Kuhpocken gehabt hat, kann die Menschenpocken nicht bekommen“, stimmt. Im Mai 1796 impfte er einen Achtjährigen mit dem Eiter von der Hand einer Kuhmagd, die sich beim Melken mit Kuhpocken infiziert hatte. Sechs Wochen später impfte Jenner das Kind mit Eiter von einem Pockenkranken. Der Knabe blieb gesund.

Diese neue Form der Impfung mit Kuhpockenlymphe wird als „Vakzination“ (von lat. „vacca“ = Kuh) bezeichnet. Jenners Vakzination war eine Sensation und er gilt als der Begründer der modernen Schutzimpfung. Er wurde jedoch von vielen angefeindet und überall erzählte man sich damals Gräuelgeschichten über die schrecklichen Folgen der neuen Impfmethode. Kein Geringerer als Immanuel Kant äußerte die Befürchtung, dass durch Jenners Kuhpocken „den Menschen eine Art Brutalität eingeimpft“ werden könne. Das erinnert an die heutigen Impfgegner, die sich wider alle Vernunft und mit den abstrusesten Argumenten gegen eine schützende und lebensrettende Impfpflicht stellen.

In Temeswar wurde die erste Kuhpockenimpfung im Jahre 1801 durchgeführt. Große Teile der Bevölkerung lehnten jedoch noch Jahrzehnte danach die Impfung aus Unwissenheit und Aberglauben ab. Johann Nepomuk Preyer schreibt in seiner „Monographie der königlichen Freistadt Temesvár“ (1853): „Die Schutzpocken-Impfung wurde in der Stadt an 74, in der Vorstadt Fabrik an 241, in den Vorstädten Josephstadt und Maierhöfen an 195 […] Kindern vorgenommen. Der Erfolg der Impfung war befriedigend, und nur elf Fälle kamen vor, in welchen die Impfung versagte.“

Die Pocken suchten das Banat häufig heim. An den Pocken starben 1767 in Sanktmartin 18 Personen, 1774 waren es 10. Eine Pockenepidemie herrschte 1794/95 in Kubin, Sankthubert, Charleville und Soltur. Im Zeitraum 1793-1800 waren in Tschakowa von insgesamt 162 Todesfällen 43 den Pocken zuzuschreiben. In Moritzfeld sollen die Pocken 1801 58, 1804 45, 1807 31 und 1854 46 Todesopfer gefordert haben. Unter den in Triebswetter festgestellten Sterbeursachen zwischen dem 22. Oktober 1826 und Ende 1835 (757 Todesfälle) entfielen 56 auf die Blattern.

Obzwar die meisten Opfer der Pocken Kinder waren, erlagen auch Erwachsene der Krankheit. So starb in Neubeschenowa im Cholerajahr 1873 Lehrer Anton Grawath an den im Ort gleichzeitig aufgetretenen Blattern.

Die letzten Pockenerkrankungen wurden in Somalia registriert, wo es 1977 zu einer Epidemie kam. Im Jahre 1980 erklärte die Weltgesundheitsorganisation die Welt für pockenfrei. Seitdem gelten die Pocken, als einzige Infektionskrankheit, als ausgerottet.

An „Halsweh“ gestorben – Die Diphtherie (Bräune)

Die Diphtherie ist eine akute, äußerst ansteckende bakterielle Infektionskrankheit. Die Übertragung erfolgt meist durch Tröpfcheninfektion. Die Krankheit flackerte besonders in den Wintermonaten auf infolge des engen Zusammenlebens in geschlossenen Räumen. Auslöser ist das 1884 von Friedrich Löffler (1852-1915) entdeckte Corynebacterium diphtheriae. Die Bakterien siedeln sich auf den Schleimhäuten der Atmungswege an.

Der französische Arzt Pierre Bretonneau (1778-1862) gab der Krankheit 1826 den Namen „Diphtheritis“ (vom griech. Wort „Diphthera“ = Häutchen) und er erkannte ihren kontagiösen Charakter. Sein Schüler Armand Trousseau (1801-1867) hat die Bezeichnung Diphtheritis in Diphtherie abgewandelt. Alte deutsche Bezeichnungen für die Diphtherie waren Bräune, Halsbräune, Rachenbräune usw. Sie wurde auch noch als „Würgeengel der Kinder“ bezeichnet. Es gibt zwei bedeutende Formen der Diphtherie: die Rachendiphtherie (die Kehlkopfdiphtherie wird auch noch Krupp genannt) und die weniger bekannte Hautdiphtherie.

Emil von Behring (1854-1917) wies mit seinem japanischen Mitarbeiter Shibasaburō Kitasato (1853-1931) 1890 das Diphtherietoxin nach und schuf damit die Voraussetzung für die Heilserumtherapie. 1894 kam das Diphtherieserum von Behring und Paul Ehrlich (1854-1915) in den Handel. Das Medikament wirkt nicht direkt gegen das Bakterium, sondern gegen das Gift, das Toxin, das es produziert. Überall wurde Behring als der „Retter der Kinder“ gefeiert. Der erste Nobelpreis für Medizin 1901 ging nicht an Robert Koch, sondern an seinen Schüler Behring.

Die erste dokumentierte Diphtherie-Großepidemie in Europa ist die während der Religionskriege zwischen den Katholiken und Hugenotten (16. Jahrhundert) in Frankreich. In Deutschland trat die Diphtherie erstmals epidemisch Ende der 1750er-Jahre in Berlin auf. Obwohl eine Kinderkrankheit, befiel die Diphtherie auch Erwachsene mit besonderer Vehemenz. So starb 1875 der Komponist Georges Bizet im Alter von 37 Jahren an der Krankheit.

Die Volksmedizin empfahl gegen Halsweh Gurgeln mit Kamillentee oder Salzwasser sowie Auspinseln mit Petroleum. „Etwas geheimnisvoll mutet das Verschlucken von in Schmalzkuchen gebackenen Holunderblüten oder von geweihten Palmkätzchen zur Heilung von Halsweh an“, heißt es im Heimatbuch der Gemeinden Neu- und Groß-Sankt-Peter von Peter Tasch und Franz Lux (1980).
Anton Peter Petri schreibt in seinem Buch „Heilwesen im Banat“ (1988): „Die Diphtherie ist unter den Todesursachen des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum vertreten. Wir dürfen jedoch nicht annehmen, dass in dieser Zeit keine Diphtherieepidemien bzw. -erkrankungen vorgekommen sind. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass auch hier ein Großteil unter anderen Diagnosen eingeordnet wurde. So könnten die Todesursachen ‚Halsweh‘, ‚Angina‘, ‚Geschwulst im Halse‘, ‚Halsentzündung‘, manchmal auch ‚Bräune‘ und ‚Tussis‘ für diese schwere Infektionskrankheit stehen. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts grassierte diese Epidemie ständig und raffte viele Kinder dahin. Nicht selten kam es vor, dass ein Kind auf den Friedhof gebracht wurde, während sein Brüderchen oder Schwesterchen daheim den Geist aufgab.“

Im Gespräch mit Walther Konschitzky (1969) sagte die 92-jährige Maria Michels aus Sanktandres: „Wie ich noch kleen war, sin meim Pat in Zeit vun nein Täch drei Kiner am Halsweh gstorb. Un mir ware derhem elf Kiner bei die Eltre, un mei Vater hat nor e halwe Grund ghat, noh hat mei Pat mich for Kind anghol“ (Dem Alter die Ehr, 1982, S. 285).

Katharina Wingeron, geb. Schwertfeuer, aus Gertianosch wusste in diesem Zusammenhang folgendes zu berichten: „Mei Eltre han siewe Kiner ghat, un alli sin se gstorb bis uf mich un mei Bruder, am ‚dicke Hals‘ sin se gstorb. Friehjer, wann die Kiner dicki Häls kriet han, sin se gstorb, bei uns zwai Kiner in acht Täch! Un do is noch e Mann in dr Gass, dem sin zwai Buwe in eener Wuch gstorb, aach am dicke Hals“ (Dem Alter die Ehr, 1982, S. 173-174).

Laut Petri wütete die Diphtherie 1876 und 1878/79 in vielen unserer Gemeinden. Im Jahre 1875 starben 202 Kinder in Triebswetter und 1876 in Ostern 99 Kinder an Diphtherie. 1877 gab es in Sanktandres 103 und 1878 noch einmal 56 Diphtherietote. Die Diphtherie ist mit 239 Fällen die fünfthäufigste Sterbeursache in Sanktandres zwischen 1852 und 1910 (Matthias Weber / Anton Peter Petri: Heimatbuch Sanktandres, 1981).

In Kleinbetschkerek starben 1878 140 Kinder am „dicken Hals“, d. h. sie erstickten vor den Augen der Eltern. Die Trauer in manchen Familien war unermesslich. So zum Beispiel mussten Paul Franz und seine Gattin Katharina zusehen, wie ihnen binnen 14 Tagen vier Kinder starben (Johann Rech / Mathias Reuter: Heimatbuch, 1972).

Die Diphtherie wütete in Grabatz in manchen Jahren ganz furchtbar, so 1877 und 1882. Manche Eltern verloren viele ihrer Kinder innerhalb weniger Tage. Zwischen 1877 und 1882 fielen dieser Seuche etwa 250 Kinder zum Opfer. Schwer traf es damals die Familien Josef Metschang und Michael Schütt (Alfred Ivanov: Grabatz).

Jakob Hübner gibt in seiner „Monographie der Großgemeinde Sankt-anna“ (1985) die Zahl der Diphtherietoten 1887 mit 254 an. Mit 136 Todesopfern (5,2 Prozent) rangiert die Diphtherie (mit Angina) an siebter Stelle bei den Todesursachen in Saderlach zwischen 1787 und 1936 (Johannes Künzig: Saderlach 1737-1937, 1987).

Die „Dettaer Zeitung“ vom 2. Februar 1896 bringt folgende Nachricht: „Einen schweren Verlust hat der hiesige Bürger Herr Mathias Strobl und dessen Gattin erlitten; ihre zwei Töchterchen, die dreijährige Irma und die erst acht Monate alte Julcsa sind an Diphtheritis am 28. Jänner gestorben.“ Viele Familien haben das Schicksal der Eheleute Strobl geteilt. Es gibt wohl nichts Schlimmeres, als  dem eigenen Kind beim Erstickungstod zusehen zu müssen, ohne helfen zu können.

Im Gespräch mit Walther Konschitzky sagte Nikolaus Klos aus Bogarosch: „Mir ware elf Gschwister, drei sin gstorb, selmols war die bees Krankheit, sowie Halsweh war des. Im 1896, wie ich uf die Welt sin kumm, sin drei Brieder gstorb, in sechs Wuche ware se alli drei weg. Selmols sin viel, viel Kiner gstorb“ (Dem Alter die Ehr, Neuer Weg).

Laut Wilhelm Merschdorf gab es in Tschakowa 1892, 1893, 1894 und 1915 Diphtherieepidemien. 1894 starben in der ersten Jahreshälfte von den 216 an Diphtherie erkrankten Kindern 131 (also über 60 Prozent). Noch 1936 brach in Wolfsberg im Banater Bergland eine Epidemie von Diphtherie und Scharlach aus; vom November 1936 bis März 1937 starben insgesamt 35 Kinder im Alter bis zu zehn Jahren.

Die Kinderlähmung (Poliomyelitis)

Die Kinderlähmung ist eine akute Infektionskrankheit der grauen Rückenmarksubstanz, seltener des Gehirns mit (irreparablen) Lähmungen. In rund 95 Prozent der Fälle verläuft die Infektion asymptomatisch, also ohne Krankheitsanzeichen. Die Erreger der Kinderlähmung sind drei Stämme des Poliovirus. Betrifft die Lähmung Hals und Brust, also die Atemmuskulatur, besteht die Gefahr des Erstickens.

Der deutsche Orthopäde Jakob von Heine (1800-1879) gab der Krankheit den Namen „Spinale Kinderlähmung“ und Adolf Kußmaul (1822-1902) schlug 1874 erstmals den Namen Poliomyelitis vor. 1890 erkannte der schwedische Arzt Karl Oskar Medin (1847-1927) den epidemischen Charakter der Poliomyelitis. Bis Ende des 19. Jahrhunderts zählt Polio zu den seltenen Erkrankungen, erst im 20. Jahrhundert trat sie in Form von Epidemien auf der ganzen Welt auf. Eine typische Deformation ist ein dünneres Bein mit Klumpfuß.

Der 1912 in Lenauheim geborene Schriftsteller Hans Wolfram Hockl erkrankte nach dem Krieg in einem Lager der US-Army in Österreich an spinaler Kinderlähmung. Hockl thematisiert die Erkrankung in seinem Roman „Schloss Cumberland“.

Im Friedhof von Engelsbrunn fand ich den Grabstein des Lehrers Anton Steingasser (1939-1979). Man berichtete mir, dass Steingasser keine einzige Stunde an der Schule unterrichtet hat, da er nach Beendigung seines Studiums an Kinderlähmung erkrankte.

Jonas E. Salk (1914-1995) gelang 1954 die Herstellung eines wirksamen Impfstoffes gegen Poliomyelitis. Albert Sabin (1906-1993) entwickelte die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung gemeinsam mit russischen Forschern in der Sowjetunion.