2.2. Der Wanderweg von Kulturpflanzen
Viele unserer alten Kulturpflanzen kommen aus dem alten Amerika, doch ihr Wanderweg ist nicht immer gleich. Mehrere Bezeichnungen für dieselbe Pflanze weisen gewöhnlich auf zwei getrennte Einfuhrwege hin.
2.2.1 Kukuruz, der Mais
Feldforscher in Ostmitteleuropa wissen, dass Gewährsleute glauben sich entschuldigen zu müssen, wenn sie die volkstümlichen Bezeichnungen Frucht und Kukuruz verwenden und dann gleich hinzufügen: Das ist der Weizen beziehungsweise der Mais.
Der Mais wanderte bekanntlich um die halbe Erde, bis er in Süd- und Südosteuropa zu einer der meist angebauten Kulturpflanzen wurde, einen wichtigen Platz in der Ernährung einnahm und durch seine Verwendung als Futtermittel für Mastvieh vielen landwirtschaftlichen Betrieben Aufschwung und Wohlstand brachte. Der bis heute erhaltene sprachliche Wandel in den Bezeichnungen für den Mais und seine Teile dokumentiert seinen ausgedehnten Wanderweg.
Im Bereich der donauschwäbischen Dialekte und in den benachbarten Sprachen und Dialekten erscheint der Mais nur als KUKURUZ. Diese Bezeichnung ist ein türkisch-slawisches Wort, dessen Verbreitungsgebiet westwärts bis Österreich und Ostmitteldeutschland reicht. Laut Duden wird das aus serb. kukuruc entlehnte Wort Kukuruz für 'Mais', landschaftlich, besonders österreichisch, verwendet. Die ältere Bezeichnung mahis für 'Mais' aus Haiti kommt vom indianischen Namen der Pflanze, mahiz, das über span. maiz mit der Sache nach Deutschland gelangte, nachdem der Mais zunächst als Welschkorn und Türkisch Korn bezeichnet worden war. Diese Namen, ähnlich ung. török búza 'türkischer Weizen', deuten den Wanderweg der alten Kulturpflanze an, die in Europa zuerst 1525 in Andalusien angebaut wurde. Von Spanien kam der Mais über Italien in die Türkei und von hier in die Balkanländer und zurück nach Mitteleuropa. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde in Siebenbürgen Mais angebaut und während der österreichischen Eroberung des Banats ist in den Akten von Kukuruz die Rede.
Für die Herkunftserklärung der Bezeichnung Kukuruz bietet sich italienisch reg. kukuruku, kukurugú (in Stenico, Norditalien) an, das nach dem Sprachatlas Italiens und der Südschweiz die Bedeutung pigna (dell'abete) 'Tannenzapfen' hat. Auch rumänisch regional (in Nordrumänien und in der Westukraine) heißt cucuruz 'kegelförmiger Zapfen der Koniferen'. Im nordrumänischen Gebiet Marmarosch heißt auch der Weintraubenkamm cucuruz de strugure. Das Bild eines samenbesetzten Tannenzapfens wurde also metaphorisch auf den Mais übertragen. Vgl. auch die Bedeutungsübertragung vom Samenstand der Koniferen auf den Maiskolben in Kugrutzzapfe 'Maiskolben'. Beleg: „Mir honn Zapfe gsagt dezu, un heut noch, Kugrutzzapfe“. [Jood, Südungarn]
Die donauschwäbischen Ansiedler lernten den Maisanbau erst im Banat, in der Schwäbischen Türkei beziehungsweise der Batschka kennen. Die Banater Wortform Kukruz mit Schwund des Vokals in der zweiten Silbe lässt auf eine Übernahme des Wortes über die Verwaltungssprache aus der österr. Verkehrssprache schließen. Es handelt sich um ein slawisches Wanderwort: serbokr. kukúruz, kokóruz, bulg. kukurúz, russ. kukuryza, tschech. kukurice, poln. kukurydza usw., aber auch rum. dial. cucuruz und ung. kukorica, das über serbische Vermittlung auf ursprünglich türkisches kokoroz zurückgeführt wird und somit den angedeuteten Wanderweg der Maispflanze bestätigt.
Der Mais ist im Leben und in den Bräuchen der Donauschwaben fest verwurzelt. Der Banater Mundartschriftsteller Hans Wolfram Hockl widmete der wichtigen Feldfrucht und dem damit zusammenhängenden Arbeitszyklus im Banat ein eigenes Gedicht: Kukruz! Kukruz!
Heiße Täach em Kukruzbreche / un die Nacht em Laab dann steche ... / Scheint die Sunn, noh muß mr schaffe, / reent's, noh muß mr Kukruz raffe, / Kukruz liesche, oweds spoot, / Kukruz breche, wann's kaum groot; ... / Kukruz feehre, Kukruz truckle, / Kukruz traan uff krumme Buckle, ... / Kukruz owwe, Kukruz unne, / Kukruz vierunzwanzich Stunne, / Kukruz hin un Kukruz her - / wa' norr uff de Welt ke Kukruz wär!
In den donauschwäbischen Siedlungsgebieten wurden vor allem drei Maissorten angebaut: 1. Zea mays indurata (auch Altmodische genannt), mit kürzeren, außen glasigen Körnern. Sie ist weniger produktiv als neuere Sorten. 2. Zea mays indentata (dentiformis), mit länglichen, eingekerbten Körnern. Die ertragreiche Maissorte herrscht heute in Europa und in den USA vor und ist nach ihrem Herkunftsgebiet auch als Amerikanischer Kukuruz bekannt. 3. Zea mays everta, varietās microsperma, hat kleine, glasige und spitze Körner, die für Popkorn verwendet werden. Die erstgenannte Maissorte, indurata, gehört zu jenen, die zuerst nach Europa gebracht wurden und auch ins Banat und in die Batschka gelangten.
Wie Kukuruz ist auch LIESCH ein Wort, das ein neues Ding benennen musste und dafür ein bereits vorhandenes Wort mit einer ähnlichen Bedeutung verwendete. Die Wortbedeutungen sind: 1. Hüllblätter des Maiskolbens; 2. Schilfblätter, Binsen zum Abdichten der Weinfässer. Zum Vergleich die Bedeutungen des Wortes im Pfälzischen Wörterbuch: Liesch n, Liescht n, m: 1. 'Name verschiedener Sumpf-, Ufer- und Wasserpflanzen mit grasartigen Blättern, wie Riedgras, Rohrkolben, Binsen, Schilf, Schwertlilie, Liesch', Pl. Liesche, Lieschte, 2. 'aus den Halmen von Liesch geschnittene Streifen zum Abdichten von Fässern, Komp. Fassliesch', 3. 'feuchtes Wiesenland'.
Die Etymologie des Substantivs enthält vielfältige Zusammenhänge. Es gibt ein Liesch n. 'Riedgras' (seit dem 10. Jahrhundert), aus mhd. liesche f., schon ahd. lisca, lesc f. 'Farn'. Das Wort ist wohl entlehnt aus mittellateinisch lisca f., 'Riedgras', dessen Herkunft aber nicht klar ist. Vielleicht ist die Entlehnung in umgekehrter Richtung verlaufen, wie auch bei anderen romanischen Wörtern dieser Sippe vermutet wird. Ein weiterer Hinweis steht im Duden-Wörterbuch (Bd. 4): Liesch n. oder m., Liesche f., Pl. Lieschen ist die volkstümliche Bezeichnung für verschiedene schilfähnliche Pflanzen: Teichbinse, Gelbe Schwertlilie, Kalmus, Riedgräser, Wasserschwaden; dagegen hat Lieschen Pl. die Bedeutung 'Hüllblätter des Maiskolbens'.
Es ist anzunehmen, dass Liesch von den deutschen Ansiedlern aus den Herkunftsgebieten mit der ersten Bedeutung 'Binsen, Riedgras, im Wasser wachsende Seggenarten (Carex L.), schilfförmige Pflanzen' mitgebracht und in den Siedlungsgebieten um die zweite Bedeutung 'Hüllblätter des Maiskolbens' bereichert wurde. Zur Bedeutungsübertragung merkt Johann Wolf an, dass Lieschgras eine Grasgattung mit rohrkolbenähnlicher Rispe ist, während die Blätter dieser Pflanze einige Ähnlichkeiten mit den Hüllblättern des Maiskolbens haben. Übereinstimmung besteht in der praktischen Verwendung: Sowohl die einen als auch die anderen Blätter gebraucht man zum Abdichten der Weinfässer.
Zwischen den Blättern der Segge und den Maiskolbenblättern besteht demnach eine gewisse Ähnlichkeit der Form, aber mehr noch der Funktion. Die Forscherin Emilija Grubačić sieht in der Bezeichnung Liesch „eine durch Form und Funktion hervorgerufene Metapher, eine Übertragung des Namens der Segge, des Riedgrases, wie er in hessischen, saarländischen und anderen Mundarten der alten Heimat bezeugt ist, auf die neue Kulturpflanze“. Die erste Wortbedeutung ist noch im Banat bezeugt: In Warjasch bezeichnete man mit Liesche nicht nur die Hüllblätter des Maiskolbens, sondern noch heute eine Seggenart, die zum Binden der Maisstengelbündel und zum Dichten der Weinfässer verwendet wurde. Für Riedgras verwendete man auch das Wort Schowar (von rum. şovar). Lieschblume werden in Hatzfeld und anderen Orten auch die Gladiolen genannt. Bemerkenswert ist auch, dass sowohl serb. šaš, šaša als auch der ung. Name sás 'Riedgras' auf die Maisstaude übertragen wurde.
Hambar, Gore, Tschardak
Nach der Ernte ist die trockene, luftige Lagerung der Maiskolben wichtig, damit sie nicht schimmeln oder faulen. Dazu dienen Maisspeicher, die in Südosteuropa eine besondere Bauart entwickelt haben und auch verschieden benannt werden. Das erste Stichwort, HAMBAR, hat je nach seiner Bauart und seinem Verwendungszweck zwei Bedeutungen entwickelt: 1. überdachter Bretter- oder Rutenbau, manchmal mit Schlafmöglichkeit davor, zum Aufbewahren von Weizen oder Bohnen; 2. hoher, überdachter Maisspeicher aus Latten auf Steinfundament, oft über einem Schweinestall errichtet. Diese Bedeutungen sind aus den Belegen ersichtlich: „Oft is er Täch lang net mol derhem un hat liewer irgendwu in eener Kammer, in eem Stall oder in eem Kukruzhambar gschlof, als wie in seim Haus.“ (Ludwig Schwarz: De Kaule Baschtl). „Friher war de Hambar mit Ladde (Latte) gmacht, schmal un hoch, dass die Luft dorichgeht. Un unnedran war immer de Schoppe (Schuppen), de Maschinnschoppe for die Wejer (Wagen) derdrunnert (darunter) schiewe. Un die letschti Zeit ware die Hambare groß, unsre war 27 Medder lang un siwwe oder acht Medder hoch. Dort is 24 Waggon Kolwekukuruz drufgang.“ [Ostern]
Die Etymologie des Substantivs geht auf türkisch ambar 'Lagerschuppen, Kornspeicher, Lagerraum eines Schiffes' zurück, das über bulg. chambar, serbokr. und rum. ambar, hambar, ung. reg. hambár 'Getreidespeicher' verbreitet wurde. Das Wort gelangte in die österreichische Beamtensprache und über diese in die Banater Dialekte mit der Bedeutung 'Maisspeicher aus Rutengeflecht bzw. Latten'. Manchmal wird im Kompositum Kukruzhambar auf die Bestimmung dieses Lagerraums im Unterschied zu anderen Getreidespeichern hingewiesen.
Ein Synonym zu Hambar ist GORE, in der Batschka mit der Bedeutung 'gedeckter Maisspeicher aus Latten im Hinterhof'. Das Substantiv ist eine Entlehnung von ung. góré 'Maisscheune'. Der Gore wurde zur Platzersparnis oft über dem Saustall errichtet. Zur guten Durchlüftung des Kolbenmaises besteht er aus Latten. Gleichfalls sinnverwandt, doch mit abweichendem Bedeutungsgehalt ist der TSCHARDAK, ein überdachter Bretter- oder Rutenbau, manchmal mit Schlafmöglichkeit davor, zum Aufbewahren von Weizen oder Bohnen. Beleg: „De Tschardak war von Holz gebaut un mit Latte zugschlage, dass viel die Luft durchgange is. Un dann is der Kukrutz mit Kolwe neikumme. [Apatin] Als Wanderwort gelangte das Substantiv von türk. çardak 'Laubengang, Pergola' über bulg., serbokr. und albanisch ciardak, rum. cerdac 'Veranda' in die Banater Dialekte.
Das Wort Palm(e)
Das Stichwort PALM(E) weist gleichfalls einen ethnologisch komplexen Bedeutungsgehalt auf, der sich durch die Gegenüberstellung der Banater Wortbedeutungen und jener in den südwestdeutschen Herkunftsgebieten verdeutlicht. Im Mittelhochdeutschen hatte das Substantiv beide Genera: palme, balme m. und f., palm, balm m. Die erste Bedeutung 'Palme' (palma), nur kirchensprachlich belegt, ist von der Sache her nicht allgemein bekannt. Als Ersatz der orientalischen Palme dienen bei der Palmensegnung die Zweige der Salweide. Die Bezeichnung Palm wird zunächst auf den knospenden Weidenzweig, [Palm]zweig übertragen, dann auch auf die Blütenkätzchen [Palm]kätzlein, auf den Weidenbaum und auf die Palmzweige für die Palmweihe, den [Palm]puschen. (Österreichisches Wörterbuch) Salweidensträucher wurden in unseren Siedlungsgebieten gerne am Hofrand, entlang von Zäunen gepflanzt, um für den Palmsonntag Zweige mit Kätzchen für den Busch schneiden und zur Kirche tragen zu können. Dazu ein Beleg aus Bogarosch: „Do war e große Hof vun Palm ingsaamt un e Rewespalier. Un der Palm is mit der Rewescher gstutzt ginn un war wie e Zaun.“
Die donauschwäbische Grundbedeutung ist 'Salweidenzweige' , Salix caprea, mit Blütenkätzchen, die als Bestandteil des Palmbüschels am Palmsonntag kirchlich geweiht und das ganze Jahr zum Schutz gegen Blitzschlag, Krankheit und Missernten im Haus aufbewahrt werden. Diese Bedeutung geht auf Bräuche aus den Herkunftsgebieten zurück, die in den mittel- und oberdeutschen Wörterbüchern festgehalten werden:
Bayerisches Wörterbuch: Palm m: 3. 'Büschel von Zweigen der Palmweide, Stechpalme, der Mistel', welcher am Palmsonntag in der Kirche geweiht wird und als Haussegen dient.
Österreichisches Wörterbuch: Palme, Palm f, m., 1. 'Palme', 2. 'Weidenzweig' (zur Palmenweihe), auch 'Palmbuschen', m.
Rheinisches Wörterbuch: Palm, 1.a 'Buchsbaum' (Buxus sempervirens), b. Pl. 'Blütenkätzchenzweige der Salweide'.
Pfälzisches Wörterbuch: Palm, Palmen: 1. 'der Palmenstrauß, der in katholischen Kirchen geweiht wird. Er enthält: Buchszweige, Palmkätzchen, Stechlaub, Thujazweige, Rosmarin, Wacholder, dürres Eichenlaub, Haselnusskätzchen u.a. (Wortformen: Palme, Pälme)', 2.a 'Buchs', b. 'Stechpalme' (Ilex aquifolium).
Badisches Wörterbuch: Palme: 1. phalm w., 2. volkstümlich ist die Form balm für den am Palmsonntag geweihten Zweig. Die Buben bringen balm (Strauß) zur Kirche; der andere Strauß am 15. August kann Mädlepalmen heißen.
Schwäbisches Wörterbuch: Palm(en): 2. palm, balm, barm, m., der am Palmsonntag (nach der Erzählung Matthias 21, Lukas 11) übliche Palmzweig bzw. sein Ersatz, in der Kirche geweiht und als segensreich aufbewahrt. Der Palmen wird aus verschiedenen Zweigen gemacht, vor allem aus Zweigen der Salweide; 2.a. 'Zweige der Salweide' mit Blütenkätzchen', b. 'Stechpalme'; 3. 'Pflanzen, die zur Herstellung des Palms dienen'.
Dieser Pflanze kommt eine große Bedeutung im Volksglauben zu. In der Pfalz und auch in unseren Siedlungsgebieten glaubte man: „Der geweihte Palm schützt das Gebäude, in welchem er aufbewahrt wird, vor Feuer, besonders vor Blitzschlag. Der Palm bewahrt Mensch und Tier vor Krankheit und Behexung, wenn er am Kruzifix, hinter dem Spiegel, im Hausgang, im Stall über der Tür oder unter dem Dach angebracht wird. Er verhilft dem Kranken zur Gesundheit, wenn sein Lager mit dem Palmwisch mit Weihwasser besprengt wird. Werden am Palmsonntage die geweihten Palmen in die Weizen- und Kornäcker gesteckt, so wird die Ernte gesegnet.“ (Pfälzisches Wörterbuch) Ähnliche Anschauungen wurden von schwäbischen Aussiedlern mitgenommen: „Der Palm schützt gegen Wetterschlag, Krankheit, Verhexung, wird gegen die letztere auch gerne im Stall angebracht. Der Palm bleibt im Garten. Erst wenn es donnert; kommt er ins Haus.“ (Schwäbisches Wörterbuch)