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Aus der Geschichte der Seuchen und Krankheiten im Banat (Teil 9)

Detailaufnahme des Grabsteins von Maria Volk, Bogarosch, gestorben 1916 im Alter von drei Jahren Foto: Helmut Ritter, 2017

Denkmal für Ignaz Philipp Semmelweis, den „Retter der Mütter“, vor dem Sankt-Rochus-Krankenhaus in Budapest (ein Werk des Bildhauers Alajos Strobl, aufgestellt 1906) Quelle: https://pestbuda.hu

Kinderreichtum und Kindersterblichkeit im Banat

Nicht nur Seuchen, sondern auch medizinische Unkenntnis und soziale Not waren die Ursachen, dass die Kindersterblichkeit im Banat bis weit ins 19. Jahrhundert sehr hoch war, starben doch über 50 Prozent der Kinder in den ersten fünf Lebensjahren. Die Kinderheilkunde (Pädiatrie) war lange Zeit zu Unrecht ein Stiefkind der Medizin.

„Der vielen Kinder muntre Schar/Der Ahnen größter Reichtum war“

Der Kinderreichtum hat es in Zeiten hoher Kindersterblichkeit erst möglich gemacht, den Fortbestand der Banater Schwaben zu sichern. Familien mit zehn und mehr Kindern waren keine Seltenheit. Selbst die Landesmutter Maria Theresia (1717-1780) schenkte 16 Kindern das Leben. In Bezug auf Kinder pflegte sie zu sagen: „Man kann nicht genug davon haben.“

Eheleute, die nicht ein halbes Dutzend Kinder aufzuweisen hatten, waren „armi Leit!“, so Hans Rasimus in seiner Kathreinfelder Monografie (1982). „Unser wohre Reichtum“, heißt ein Gedicht von Hans Wolfram Hockl, und er meint damit die Kinder. Stefan Kling aus Sanktanna sagte zu Walther Konschitzky: „Mei Vater is de reichschte Mann in de Gemeinde gwest, wirklich, ka reichere is nit gwest! Awer net am Vermege – an de Kinde! Ja, 12 Gschwiste – fufzehn sei me gwest! – drei sin gstorwe, un 12 he mr alli gheirat, hen Familie ghat.“ (Dem Alter die Ehr, Neuer Weg)

Im Banat hat es früher viele kinderreiche Familien gegeben. Einige Beispiele: Johann Becker aus Nakodorf hatte mit zwei Ehefrauen 28 Kinder, Andreas Gottschall in drei Ehen insgesamt 26 Kinder, die in einem Zeitraum von 50(!) Jahren zwischen 1775 und 1825 in Grabatz geboren wurden. Im Hause des Sebastian Holz aus Großjetscha gab es 25 Kinder, Johann Remmel aus Perjamosch hatte 24 Kinder. Dr. Nikolaus Koch schreibt in der „Monographie der Gemeinde Lovrin“ (1929): „Der Gottessegen unserer Ahnen an Kindern war ausgiebig, 10 bis 20 Kinder war gar keine Seltenheit. So hatte der Urahne der Familie Wirs, genannt ‚der alte Josep‘, 22 Kinder, von denen die letzten Zwillinge waren.“
22 Kinder hatte auch Anton Stefan aus Gottlob, davon sind aber 16 bereits im Kindesalter gestorben. Andreas Eisele (Isele) aus Saderlach konnte 21 Kinder sein Eigen nennen. Die Hebamme Anna Lustig, geb. Rosenacker hatte als „Rosenackers Fraala“ einen sehr guten Ruf; sie schenkte 18 Kindern das Leben (Anton Karl / Anton Peter Petri: Heimatbuch Sanktmartin, 1981, S. 246).

Eine weitverzweigte und kinderreiche Sippe ist die Sippe Vormittag in Glogowatz. Die drei Brüder Vormittag hatten zwischen 1773 und 1820 insgesamt 45 Kinder: Philipp 18, Franz 19 und Joseph 8 (Hans Gehl: Glogowatz im Arader Komitat, 1988, S. 84-88). Die zahlenmäßig stärkste Sippe in Liebling war die Sippe Munz mit 163 Familien und 477 Kindern (Johann Möhler: Ortssippenbuch Liebling, 1979).
Viele bekannte Banater Persönlichkeiten sind in kinderreichen Familien aufgewachsen. Dr. Nikolaus Glaschy wurde 1899 als eines von 17 Kindern seiner Eltern in Segenthau geboren. Der Musiker Karl Huber erblickte 1827 als dreizehntes von 14 Kindern des Warjascher Oberlehrers Michael Huber das Licht der Welt. Domherr Michael Volk (1864-1940) entstammte einer kinderreichen Familie (15 Geschwister) aus Gertianosch. Der „Schwabenbischof“ Dr. Augustin Pacha (1870 Moritzfeld – 1954 Temeswar) war das zwölfte von 13 Kindern der Eheleute Marian und Elisabeth Pacha, geb. Halsdorfer.
Pfarrer Martin Kilczer wuchs in einer Jahrmarkter kinderreichen Familie (13 Geschwister) auf, und Konrad Kernweiß, Ordinarius der Temeswarer Diözese, hatte noch zehn Geschwister. Prälat Josef Nischbach war das neunte Kind seiner Eltern.

Besonders viele Opfer unter den Kindern forderten vor allem ernährungsbedingte Krankheiten und die verschiedenen Infektionskrankheiten wie Pocken, Diphtherie, Masern, Scharlach, Keuchhusten und Kinderlähmung.

Manfred Vasold stellt fest: „Die Todesursachen wurden im 18. Jahrhundert und noch später mit laienhaften Bezeichnungen geschildert; sehr oft ist in den Aufzeichnungen von ,convulsivischen Krankheiten‘, von ,Fraisen‘ oder ,Krämpfen‘ die Rede. Diese ,Krämpfe‘ waren zumeist auf akute Darminfektionen zurückzuführen“ (Pest, Not und andere schwere Plagen, 1991, S. 201).

Die ernährungsbedingten Erkrankungen

Die tödlichen Ernährungsstörungen bei Kindern sind auch im Banat unter verschiedenen Bezeichnungen in den Sterbematrikeln zu finden: Diarrhöe/Durchfall, Krämpfe (ung. „görcsek“), Eklampsie oder Konvulsionen (auch Fraisen oder Gichter – nicht mit Gicht zu verwechseln – genannt), usw. Die Eklampsie bei Kindern (Eclampsia infantum, convulsiones) ist eigentlich eine Krankheit des Nervensystems, welche verschiedene Ursachen haben kann, darunter auch Störungen der Verdauung. Sie äußert sich durch Krampfanfälle und findet sich am häufigsten bei Säuglingen, seltener im späten Kindesalter. Die „Fraisen“ („Fraisn, „Frasn“, im Banat auch als „Fraas“ bekannt), waren Krämpfe (Schreikrämpfe) bei Kindern. Wer kennt nicht die Redewendung: „Des Kind hat jo die Fraas.“

Anton Peter Petri hat die Sterbe-ursachen in einigen katholischen Gemeinden des Banats dokumentiert. „Die lückenhaften Daten“, so Petri, „sind den Totenbüchern der genannten Orte entnommen. Die Diagnosen stammen im günstigsten Falle von Chirurgen, nicht selten nur von den matrikelführenden Priestern, so dass sicherlich viele Irrtümer vorkommen und man die Zuordnungen mit Vorsicht betrachten muss“ (Heilwesen im Banat, 1988, S. 335). In Folge der Prozentsatz der in einigen Banater Ortschaften an Eklampsie verstorbenen Kinder: Sankthubert (1852-1854): 46,4 Prozent; Apfeldorf (1816-1828): 38,6 Prozent; Nitzkydorf (1852-1861): 26,6 Prozent; Neudorf (1852-1856): 25,7 Prozent; Triebswetter (1826-1835): 24,7 Prozent; Aradsanktmartin (1758-1779): 21,6 Prozent; Franzdorf (1830-1859): 21,2 Prozent (Heilwesen im Banat, 1988, S. 336/337).

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts haben die Sanktandreser Seelsorger in den Sterbebüchern bei vielen Verstorbenen die Todesursache eingetragen. Wenn diese „Diagnosen“ – vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet – auch nur bedingt verwendet werden können, zeigen sie doch bei 5253 Gestorbenen zwischen 1852 und 1910, dass die Eklampsie mit 1280 Opfern (rund 24 Prozent) weit an der Spitze steht (Matthias Weber / Anton Peter Petri: Heimatbuch Sanktandres, 1981, S. 384).

Die hohe Kindersterblichkeit, besonders die Säuglingssterblichkeit, ist nicht nur durch Infektionskrankheiten verursacht. Nicht selten spielen Unwissenheit und Aberglaube, aber auch oft Armut und schlechte sanitäre und hygienische Verhältnisse eine bedeutende Rolle. Auch die angeborene Kindsschwäche/Lebensuntüchtigkeit (Debilitas innata/Debilitas congenita, Asthenie) trug zur erhöhten Säuglingssterblichkeit bei.

In Triebswetter betrug die Säuglingssterblichkeit 1774 (Kinder bis zu einem Jahr) 75 Prozent und 1782 rund 56 Prozent der Todesfälle. Auch in Perjamosch war der Anteil der verstorbenen Säuglinge und Kinder bis zum 10. Lebensjahr besonders groß. Diese Altersgruppe hat im Vergleich zu allen anderen Zehnjahresgruppen bis 1921 immer die meisten Sterbefälle zu verzeichnen. In der Zeitspanne 1737-1836 entfallen in Saderlach auf die Altersstufe 0-6 Jahre rund 51 Prozent der Sterbefälle (Peter Kleemann, Sippenbuch Saderlach). In Tschakowa betrug zwischen 1854-1858 die Anzahl der Säuglinge bei insgesamt 715 Verstorbenen 342, also fast 48 Prozent (Wilhelm Merschdorf: Heimatbuch Tschakowa, 1997).

Im Heimatbuch Freidorf (1985, S. 47) heißt es bei Lotte Wilhelm: „1766, ein Jahr, in dem viele sterben. Der tragischste Fall, der mir begegnete: die Todesfälle der lothringischen Familie Teneß. Am 20. August stirbt Angela Teneßin, 40, im Laufe des Septembers der einjährige Sohn Jacobus, der Sohn Petrus, 7, die Tochter Francisca, 5, dann Nikolaus, 17, und am 3. Oktober Katharina, 19. Geblieben: der Vater Jacobi Teneß.“

In seinem Buch „Subjektive Berichte. Ein Temeswar-Lesebuch“ (1980) schreibt Franz Engelmann über den „Freydhoff“ an der Bega, der 1749 eröffnet und nach 22 Jahren, also 1771, geschlossen wurde. Bezeichnend ist die Sterbematrikel des Jahres 1770: von den 380 Sterbefällen waren 239 „von der Bürgerschaft“, davon „118 alte Leüth, 121 Kinder“. Die Sterblichkeit in jungen Jahren war also erschreckend hoch.

Anton Krämer erblickte 1822 in Ulmbach als elftes von zwölf Kindern seiner Eltern das Licht der Welt. Zehn Geschwister sind im Alter bis zu vier Jahren gestorben, nur er und Bruder Johann (Jahrgang 1813) überlebten das Kindesalter. Anton Krämer sollte 100 Jahre alt(!) werden, er starb 1922. Erwähnenswert ist, dass sein Vater in zweiter Ehe noch acht Kinder hatte, insgesamt also 20 Kinder, die aber fast alle im zarten Kindesalter gestorben sind.

„Mei Motter“, so Elisabeth Bauer aus Guttenbrunn, „hot zwelf Kin uf die Welt gebrunge, vun dene sin neune gstarwe. (…) Veel Kin sin domols gstarwe“ (Walther Konschitzky, Dem Alter die Ehr, 1982, S. 26). Josef Weiss aus Tschene bekannte: „Mei Mottr hat 15 Kiner gebor, achti sen großgezoo gen, sieweni sen gstorb zwischn ens un drei Johr“ (Dem Alter die Ehr, Neuer Weg).

Wegen der großen Säuglingssterblichkeit wurden die Kinder meist schon am Tag nach der Geburt getauft oder die Hebamme hat gleich eine Nottaufe vollzogen.

Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Kindersterblichkeit rapide gesunken. 1933 war die Säuglingssterblichkeit bei uns im Banat nur noch 12 Prozent (Heilwesen im Banat, 1988, S. 400).

Das Kindbettfieber und der „Retter der Mütter“

Das Wochenbettfieber (lat. Puerperalfieber) betraf Frauen im Kindbett. Erstaunlich niedrig war früher die Sterberate bei Wöchnerinnen. Das berüchtigte Kindbettfieber, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts epidemisch auftrat, war im 17. und 18. Jahrhundert noch sehr wenig in Erscheinung getreten.

Der ungarndeutsche Ignaz Philipp Semmelweis (geb. 1818 Ofen) entdeckte 1846 in Wien die Ursache des Kindbettfiebers und fand heraus, dass es nichts anderes als eine Wundinfektion ist. Die Sterblichkeit wurde durch regelmäßiges Händewaschen und Desinfizieren mit Chlorwasser deutlich verringert.

Semmelweis hat zeitlebens nicht erfahren, dass Bakterien und andere Keime hinter den Infektionskrankheiten stecken. Heute weiß man, dass die Verursacher des Kindbettfiebers Bakterien wie Peptostreptokokken, Staphylokokken und Escherichia coli sind. Sie können durch die große Wundfläche, die die Plazenta in der Gebärmutter hinterlässt, in den Körper eindringen.

Leider konnte sich Semmelweis mit seinen Erkenntnissen nicht durchsetzen und er wurde angefeindet. Viel zu spät veröffentlichte er erst 1861 sein Hauptwerk „Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers“, um sich in der ablehnenden Kollegenschaft noch Gehör zu verschaffen.

Erschwerend kam noch hinzu, dass Semmelweis ein schwieriger Charakter war, der sich letztlich selbst im Weg stand. Er verfiel in tiefe Depressionen und wurde im Sommer 1865 in die Nervenheilanstalt Döblin bei Wien eingeliefert, wo er am 13. August 1865, mit 47 Jahren unter nicht vollständig geklärten Umständen starb.

Auf Initiative von Dr. Nikolaus Hoffmann aus Gertianosch wurde 1924 in Lovrin die „Semmelweis-Ärztegruppe Banat“ gegründet.

Genau wie der Scharlachtod seiner beiden jüngsten Kinder im Winter 1833/34 in Erlangen den Schriftsteller Friedrich Rückert zu seinen „Kindertotenlieder“ – die ergreifendsten Trauerlieder in deutscher Sprache – inspirierte, verdankt eines der schönsten Baudenkmäler der Welt seine Entstehung dem Tod im Kindbett: das Mausoleum Taj Mahal (Tadsch Mahal) bei Agra. Der indische Großmogul Shah Jahan (Schach Dschahan) ließ dieses großartige Bauwerk für seine Lieblingsfrau errichten. Mumtaz Mahal starb 1631 im Alter von 38 Jahren während der Entbindung ihres 14. Kindes.
„Es ist erschreckend, in den alten Kirchenbüchern zu lesen, wie noch um die Mitte des 19. Jahrhundert
z. B. Jahr für Jahr viele junge Frauen am Kindbettfieber starben“, so Heinrich Freihoffer aus Kleinschemlak.

Im Gespräch mit Walther Konschitzky sagte Karl Lowasz aus Bakowa (1972): „Mei Großvater un mei Großmotter hän nein Kiner ghat! Awer die Großmotter is schun mit 42 im Kindbett gstorb, un sie un des Kind sein in derselwi Todetrugl begrab wor.“ Und Eva Witt, geb. Burian aus Kleinjetscha, wusste Folgendes zu berichten: „Ja, sechs Kiner han mei Eltre ufgezoo. Ich han nor meh zwai ghat. Die Tochter (…), mit 21 han mr se verheirat un mit 22 han mr se schun begrab. E kleene Bu hat se hinerloss mit drei Monat, im Kindbett is se gstorb.“ (Dem Alter die Ehr, 1982, S. 225, 338)

Viele Banaterinnen haben ihr junges Leben im Kindbett verloren. Im Kindbett (Matrikeleintrag ungarisch: gyermekágy) verstarb in meinem Heimatdörfchen Kleinomor bereits im ersten Jahr der Ortsgründung, am 29. Dezember 1896, nach der Entbindung von Zwillingen, die 30-jährige Magdalena Holz, geb. Keks. Auch ihre beiden Söhne Anton und Josef sind kurz danach im Januar 1897 gestorben. 1921 starb Maria Dittrich, geb. Kirchner, aus Hodon, 19-jährig im Kindbett. Sie war die Gattin des Lehrers Michael Dittrich (1895 Moritzfeld - 1989 Darmstadt). Ebenfalls 1921 starb im Kindbett nach der Geburt von Zwillingen Katharina Weinmann, geb. Kolowrat aus Königshof. Auf dem Grabstein der 1939 im Alter von 19 Jahren in Liebling verstorbenen Elisabeth Blum, geb. Hedrich, ist ein langer Spruch zu lesen, darunter auch die Zeilen: „Ich ließ mein Leben für mein Kind, das ich Euch hinterlassen…“