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Temeswar: Dominic Fritz geht neue Wege

Dominic Fritz wurde am 27. September mit einem Stimmenanteil von 53,25 Prozent zum Bürgermeister der Stadt Temeswar gewählt. Quelle: www.mediafax.ro

Schon wieder Temeswar. Am Sonntag, dem 27. September, wählten die Bürger der Stadt einen jungen Mann zum Bürgermeister, der 2003 als 19-jähriger Abiturient aus Görwihl im Hotzenwald zum ersten Mal in der Stadt eintraf, um sich für ein soziales Projekt zu engagieren. Er sprach kein Wort Rumänisch, aber er war voller Ideale. So setzte er sich hin und büffelte Vokabeln, eine Lehrerin aus Sanktandres gab ihm Nachhilfe. Sein weiterer Lebensweg führte ihn wieder weit weg von der Stadt, zum Studium nach Konstanz, nach Paris und nach Großbritannien, wo er Politik und Verwaltungswissenschaften studierte. Beruf-liche Erfahrung sammelte er als Büroleiter des Alt-Bundespräsidenten Horst Köhler, eine Station, die ihm sicherlich auch in Deutschland weitere Perspektiven geboten hätte, allein die Stadt im Banat ließ ihn nicht los.

In einem Interview für die Banater Post, welches Ernst Meinhardt im vergangenen Jahr in Temeswar mit ihm geführt hatte, schilderte er, wie er sich hier zum ersten Mal so richtig als Europäer gefühlt hat, dass er seit seinem ersten Aufenthalt regelmäßig mehrmals im Jahr in Temeswar gewesen sei und seit 2015 eine Wohnung in der Stadt habe. Seine Anwesenheit war stets mit einem Engagement für soziale und kulturelle Projekte verbunden.

Das größte Projekt haben ihm die Temeswarer am 27. September übertragen. Mit großem Vorsprung und einem bedeutenden Vertrauensvorschuss ausgestattet, setzte der junge Schwarzwälder sich gegen Amtsinhaber Nicolae Robu durch und wird in den nächsten vier Jahren die Geschicke der Stadt mitbestimmen. Mitbestimmen deshalb, weil Fritz noch am Wahlabend von seinen jubelnden Anhängern und denen, die ihn nicht gewählt hatten, auf dem Opernplatz in Temeswar ihr Engagement als Bürger dieser Stadt einforderte. „Bringen sie sich ein, der Bürgermeister kann nichts allein lösen“, lautete sinngemäß sein Appell an die Bürger der Stadt, ausgerufen von drei eiligst hingestellten Paletten, über facebook in die ganze Welt verbreitet.

Man kann, ja man muss in diesem Zusammenhang schon von einem Phänomen Temeswar sprechen. Dominic Fritz ist deutscher Staatsbürger, eine andere Staatsangehörigkeit besitzt er nicht. Das EU-Recht ermöglicht es jedem Bürger der Europäischen Union, in einem anderen Mitgliedstaat für ein öffentliches Amt zu kandidieren. Im ersten Anlauf in einer Stadt mit mehr als 300000 Einwohnern als 37-jähriger Kandidat ohne kommunalpolitische Erfahrung gleich gegen den Amtsinhaber einen solchen Sieg einzufahren, ist einzigartig. Es hat mit der allgemeinen politischen Situation im Land zu tun, in dem sich die USR, für die Dominic Fritz kandidierte, anschickt, die politische Landkarte Rumäniens neu zu definieren. Es ist die Partei, die sich bewusst von den anderen Parteien absetzen will, indem sie Entscheidungsabläufe transparent macht. Sie ist in den Universitätsstädten stark, ihre Mitglieder sind jung und gut ausgebildet, sie sind mobil, offen, gut vernetzt und der europäischen Idee zugewandt. In dieser Konstellation setzte sich auch Dominic Fritz in einer internen Abstimmung als Kandidat durch.
Darüber hinaus hat er einen klugen Wahlkampf geführt. Er ist in die Stadtviertel gegangen, hat den Kontakt zu den Bürgern gesucht, hat zugehört. In dieser Zeit machte der Amtsinhaber, der seinen Gegenkandidaten in der Öffentlichkeit nie beim Namen nannte, einen Fehler nach dem anderen. Ein Prestigeprojekt nach dem anderen wurde angekündigt, oft blieb es dabei. Andere Vorhaben, wie die Sanierung der Lenau-Schule oder der Gedenkstätte der Revolution von 1989, zogen sich über Jahre hin. Hingegen wurden fragwürdige Vorhaben über facebook angekündigt und im Alleingang durchgezogen, am Schluss auch die nationalistische Karte gezogen. Das wollten die Temeswarer nicht mehr.

In Görlitz, im Freistaat Sachsen, heißt der Bürgermeister Octavian Ursu, er stammt aus Bukarest. In Temeswar heißt der Bürgermeister nun Dominic Fritz, er stammt aus Görwihl in Deutschland. Beide Wahlentscheidungen sind Ausdruck eines neuen europäischen Lebensgefühls, eine Generation nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa. In Temeswar hat es dies schon mal gegeben, es war nie ganz verschwunden, bis heute nicht. Viele Völker haben die Geschichte der Stadt geprägt und dieser ging es stets dann besonders gut, als sie einvernehmlich miteinander leben konnten. Es gab auch die Zeiten des Neben- oder Gegeneinanders, sozial oder national bestimmt, sie waren nicht gut für die Bürger und damit auch nicht für die Stadt.

Für die Banater Schwaben hat das Ergebnis der Wahl in Temeswar doch auch eine tiefere Bedeutung. Denn hier wurde ein Kandidat gewählt, der aus einer Region stammt, aus der unsere Vorfahren im 18. Jahrhundert auf den Weg ins Banat aufgebrochen sind. Dominic Fritz kennt ihre Geschichte, denn er hat mit seinen Eltern das ehemalige Alemannendorf Saderlach im Banat besucht und damals noch zwei deutsche Bewohnerinnen angetroffen, mit denen er sich in der gemeinsamen Mundart unterhalten konnte. Seine Lehrerin im Schwarzwald, die ihm deutsche Grammatik beibrachte, war eine ausgesiedelte Banater Schwäbin aus Sanktandres. Eine deutsch-rumänische Lehrerin aus dem gleichen Ort, die noch seine Deutschlehrerin kannte, brachte ihm in Temeswar nun die rumänische Grammatik, Geschichte und Literatur nahe. Nachzulesen ist das alles auf der Internetseite der HOG Sanktandres. Man hätte die Geschichte nicht schöner erfinden können. Anknüpfen kann man an sie.
Dominic Fritz hat mit seiner Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters der Stadt Temeswar Mut bewiesen. Noch mehr Mut haben aber die Bürger der Stadt bewiesen, die ihn gewählt haben. Sie haben es verdient, dass er belohnt wird.