zur Druckansicht

UTA und das achte Weltwunder! (Teil 2)

Im alten UTA-Stadion fand das Rückspiel gegen Feyenoord statt. Foto: Peter Titsch

Programmheft fürs Rückspiel

Mit vereinten Kräften zuhause gegen ein holländisches Duo (von links): Florian Dumitrescu, Leretter (Nr. 4) und Calinin. Foto: Eric Koch

Die großen Erfolge von UTA / 50 Jahre seit der Riesensensation gegen Feyenoord Rotterdam

Arad im Ausnahmezustand

Das Auswärtsergebnis von Rotterdam macht den Zuschauern Hoffnung. Bereits eine Woche vor dem Rückspiel befindet sich Arad im Ausnahmezustand. Die ganze Stadt vibriert und pulsiert in freudiger Erwartung des Rückspiels. Egal ob beim Bäcker, am Arbeitsplatz, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften oder auf den Straßen – überall ist die Partie gegen Feyenoord tagelang Gesprächsthema Nummer eins. Klar, dass so viele Menschen Richtung Stadion strömen. Alle wollen das große Spiel sehen! Unter ihnen befindet sich Anton Bleiziffer aus Sanktanna, ein glühender UTA-Fan, wie übrigens viele Banater Schwaben. „Oft sind wir mit den Fahrrädern die 22 Kilometer aus Sanktanna zu den UTA-Spielen gefahren, manchmal hat die LPG uns einen Lastkraftwagen zur Verfügung gestellt, der uns zum Stadion brachte“, erzählt Toni. „Mit dem Ergebnis aus dem Hinspiel war ich hochzufrieden und froh, dass UTA nicht verloren hat.“

Als sie im Stadion ankommen, ist fast kein Durchkommen mehr. Überall Menschen. Vor den Kassen. Auf den Wohnblocks in der Nähe. Auf den Dächern der umliegenden Häuser. Auf den Bäumen neben dem Stadion.

Die Eintrittskarten gehen weg wie warme Semmeln. Ein Stehplatz kostet 39 Lei, ein Sitzplatz 49 Lei. Erschwingliche Preise. Die Menschen reißen sich buchstäblich um die Tickets. Josef Leib hat keines mehr bekommen. Obwohl er ganz in der Nähe des Stadions in der sogenannten UTA-Kolonie wohnt. Dieses Viertel hat der Baron Franz von Neumann für die Arbeiter seiner Textil-fabrik erbauen lassen. Der Baron war es auch, der als Zeitvertreib für seine Arbeiter am 18. April 1945 die Fußballmannschaft UTA gegründet hat. „Von unserer Wohnung bis zur Haupttribüne waren es nur ganze sechs Meter“, erinnert sich der Sanktmartiner Leib. „Es herrschte ein Mordslärm im Stadion.“ Besser dran als Josef Leib ist sein Schwiegervater Ludwig Schwarz. Der bekannte Autor und Journalist arbeitet bei der „Neuen Banater Zeitung“ in Temeswar und gelangt mit seinem Presseausweis ins Stadion.

Damit dort je mehr Menschen das Spiel sehen können, lässt der Verein 2000 Stühle aufstellen. Sie werden aus dem Kino genommen, das sich in der nahen UTA-Fabrik befindet. „Das Kino wurde komplett leergeräumt“, erzählt Mittelfeldregisseur Flavius Domide. Menschen, Menschen, Menschen, überall Menschen. Sogar hinter den Toren drängen sie sich. Weil die urige Pressetribüne viel zu klein ist für den großen Andrang der Sportjournalisten, werden improvisierte Pressetische auf der Leichtathletikbahn in Nähe des Spielertunnels aufgestellt. An diesen Pressetischen hat sich die Crème de la Crème des rumänischen Sportjournalismus versammelt: Aurel C. Neagu, Chefredakteur der Zeitschrift „Fotbal“,
Ioan Chirilă und Eftimie Ionescu von der Fachzeitung „Sportul“, Mircea M. Ionescu, der damals noch für die Zeitung „Munca“ schreibt und ein Jahr später zu „Sportul“ wechseln sollte, wo er insgesamt 15 Jahre blieb. Ebenfalls am Pressetisch sitzt Hans Frank, Sportjournalist der deutschsprachigen Zentralzeitung „Neuer Weg“ aus Bukarest.

Nea Vanea, wie Chirilă genannt wurde, war ein glühender UTA-Fan genauso wie Eftimie Ionescu, den
alle nur Nea Mache nannten. Beide habe ich 15 Jahre später als aufstrebender Sportjournalist in der Bukarester Redaktion von „Sportul“ kennen- und schätzengelernt. Chirilă war es übrigens, der UTA den Namen „alte Dame“ verpasste, weil der Verein bis zum ersten A-Liga-Abstieg 1979 insgesamt 33 Jahre lang ununterbrochen dem Oberhaus angehört hat und somit dienstälteste Mannschaft war. Auch Mircea M. Ionescu ist UTA-Fan. Und ich liege nicht falsch, wenn ich davon ausgehe, dass es auch Hans Frank war, ein Banater Schwabe aus Perjamosch.

Als die holländischen Spieler zum Aufwärmen auf den sattgrünen Rasen laufen, der zu den besten in ganz Rumänien gehört, wundern sie sich über die kleinen Ausmaße des Stadions. Denn von daheim sind sie ganz andere Dimensionen gewöhnt. Mihai Flore, der kurz vorm Feyenoordspiel Vorsitzender von UTA geworden ist, lässt sich prompt eine Notlüge einfallen: „Das ist nur unser Stadion zum Trainieren“, sagt der Funktionär, der später legendär werden sollte. „Unser großes Stadion wird gerade renoviert.“ Wer’s glaubt, wird selig. Die Rotterdamer glauben ihm aufs Wort.

Aber nicht nur in Arad wollen so viele Menschen das Spiel sehen, sondern im ganzen Land. Das hat einen besonderen Grund. Sowohl der gastgebende Verein UTA als auch das Rumänische Staatsfernsehen unternehmen große Anstrengungen, damit die Fernsehübertragung des Spiels zustande kommen kann. Und es klappt tatsächlich. Kommentiert wird die Begegnung vom damals schon berühmten Cristian Ţopescu und im Radio von Nicolae Soare, ebenfalls ein gestandener Reporter.

Da die Partie in den frühen Nachmittagsstunden ausgetragen wird, gibt es noch ein Problem. Viele Berufstätige drohen das große Spiel zu verpassen. Aber auch dafür findet sich schließlich eine Lösung, wie Peter-Dietmar Leber, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben, erklärt: „Ich erinnere mich daran, dass bei uns in Großsanktnikolaus einige Firmen die Arbeiter früher heimgehen ließen, damit sie die Partie am TV verfolgen konnten.“ So ähnlich dürfte es auch in
anderen Ortschaften gewesen sein. Ich dagegen muss als Zwölfjähriger zuhause in Großjetscha zu meinem großen Leidwesen in die Röhre gucken, weil sich meine Eltern aus finanziellen Gründen keinen Fernseher leisten können. Erst zwei Jahre später, als ich in der 8. Klasse war, bekamen wir einen. Fürs Spiel gegen Feyenoord war das aber viel zu spät. Dennoch denke ich gerne an jene magischen Momente zurück, die für mich zum Mythos wurden. Sie entfachten meine Leidenschaft für UTA. Eine Leidenschaft, aus der später Liebe wurde. Eine Liebe fürs ganze Leben...

Kampf auf Biegen und Brechen

Doch zurück zum Spiel. Schon lange vor Beginn hätte nicht mal mehr eine Stecknadel einen Platz im Stadion gefunden. Fünf Stunden vor Anpfiff ist das Stadion rappelvoll! Es platzt aus allen Nähten: 22000 Zuschauer sind anwesend, um 10000 mehr als es eigentlich fasst. Über der Haupttribüne prangen die üblichen Schriftzüge „Es lebe die Rumänische Kommunistische Partei“ und „Es
lebe die Sozialistische Republik Rumänien“. Unter den dichtgedrängten Zuschauern irgendwo im Stehplatzbereich befindet sich Toni Bleiziffer. „Ich habe mir wie immer zuerst Sonnenblumenkerne gekauft. Dann konnte es losgehen.“

Und wie es losging! Da es im UTA-Stadion kein Flutlicht gibt (erst 2008 wurde die Flutlichtanlage installiert) und eine Verlängerung nach dem Hinspielergebnis nicht ausgeschlossen werden kann, pfeift der bundesdeutsche FIFA-Schiedsrichter Ferdinand Biwersi aus dem saarländischen Bliesransbach das Spiel bereits um 15.15 Uhr an. Wegen des großen Andrangs um eine Viertelstunde später als ursprünglich geplant. Assistiert wird er an den Linien von seinen Landsleuten Peter Klause und Walter Engel.

UTA spielt mit: 1 Gornea - 2 Bíró, 5 Pozsonyi, 4 Leretter, 3 Broszovszky - 7 Petescu (Kapitän), 6 Calinin (65., 12 Sima), 10 Domide, 8 Axente - 9 O. Dembrovsky, 11 Fl. Dumitrescu.

Feyenoord spielt mit: 1 Treijtel - 4 Romeijn (63., 12 Boskamp), 2 Israël (Kapitän), 5 Van Duivenbode (63., 13 Van Daele), 3 Laseroms - 6 Hasil, 10 Van Hanegem - 7 Jansen - 11 Wery, 8 Kindvall, 9 Moulijn.

Von Anfang an nimmt Feyenoord das Heft in die Hand. Ein Angriff nach dem anderen rollt aufs Arader Tor. Doch meistens prallen sie an UTAs Betonabwehr ab – angeführt von den routinierten Leretter und Pozsony. Wenn sie mal einen Ball durchlassen, ist Gornea zur Stelle. Gornea, Gornea und nochmals Gornea. Immer wieder Gornea. Der Torhüter scheint tausend Hände zu haben. Er macht das Spiel seines Lebens. Schließlich hatte er aus dem Hinspiel ja noch was gutzumachen, als er den Ausgleich mit verschuldete. Das spornt ihn zusätzlich an. Mit tollen Reflexen und Glanzparaden bringt Gornea, der „Fliegende Holländer“, die Holländer schier zum Verzweifeln. Aber UTA lässt sich nicht nur zurückfallen und den Gegner kommen. Weit gefehlt! Die Arader halten über weite Strecken mutig mit – angefeuert von den heißblütigen Zuschauern. Gerard Meyer, 50 Jahre lang als Masseur bei Feyenoord tätig, ist völlig verblüfft: „So etwas habe ich bis dahin nicht erlebt. Ich werde niemals vergessen, wie die Zuschauer die ganze Zeit über schrien. An allen Ecken und Enden hörte man UTA, UTA, UTA.“ Das verleiht den Rot-Weißen Flügeln. Ohnehin verfügen sie über eine Elf, in der die Mischung stimmt. Kapitän Petescu im Rückblick: „Wir hatten eine taktisch ausgeglichene Mannschaft.

Neben den Oldtimern Leretter und Pozsonyi wuchsen die Jungen wie Domide, Brosovszky und Axente über sich hinaus. Letzterer machte das Spiel seines Lebens.“ Flavius Domide meinte: „Wir waren wie Brüder. Das hat uns stark gemacht.“

Schiedsrichter Biwersi pfeift so, wie er auch außerhalb des Spielfeldes seinem Beruf als Kriminalbeamter nachgeht: sauber, korrekt, fair. Er benachteiligt keine Mannschaft und bevorteilt auch keine. Eine tadellose Leistung, Hut ab!

Um ein Haar wäre UTA durch den eingewechselten Sima kurz vor Schluss sogar noch der Siegtreffer gelungen. Doch er vergibt die Riesenchance!

Kurz nach 17 Uhr pfeift Biwersi ab. 0:0! Alle Dämme brechen. Der Jubel kennt keine Grenzen. Trotz der Nullnummer reicht es für die Riesensensation. Denn das Auswärtstor von Florian Dumitrescu zählt doppelt. Diese Regel ist brandneu. Sie wurde in jenem Jahr eingeführt. Und UTA profitiert auf Anhieb davon. Glück hat halt nur der Tüchtige...

Auf dem Rasen finden unbeschreibliche Szenen statt. Torhüter Gornea vollführt einen akrobatischen Luftsprung, die Spieler fallen sich vor Freude in die Arme, herzen sich, befinden sich im Siegestaumel. Auch die Zuschauer sind überglücklich. Natürlich auch Anton Bleiziffer, der jetzt in Freiburg lebt. „Das Weiterkommen von UTA hat mir gut getan. Denn damals hatten sie eine ausgezeichnete Mannschaft. Besonders gut hat mir Domide gefallen. Er war mein Lieblingsspieler“, erinnert sich Toni.

Viele Fans rennen auf den Rasen, umarmen die Spieler. UTA, ach was ganz Arad schwebt im siebten Fußballhimmel. Natürlich auch unser Landsmann Josef Leretter aus Ferdinandsberg, der seine Abwehr glänzend zusammengehalten hat. Der im Stadion anwesende Ludwig Schwarz setzte ihm am 11. Oktober 1970 in der NBZ-Beilage „Pipatsch“ sogar ein Denkmal in banatschwäbischer Mundart: „Josef Leretter e Gradulation / Sei Mannschaft sorcht for e Sensation. / De holländisch Käs der is verschmolz / Die UTA is aus gutem Holz.“

Leretter kommt auch heute noch ins Schwärmen, wenn er von diesem Husarenstreich erzählt: „Der Schiedsrichter hatte zwar abgepfiffen. Doch wir wussten immer noch nicht so recht, was mit uns geschehen war. Erst als wir den unbeschreiblichen Jubel unserer Anhänger miterlebten, die uns nach dem Spiel auf dem Rasen umarmten, auf die Schultern nahmen, in die Luft warfen und uns vor Freude fast erdrückten, begriffen wir endlich, dass wir es tatsächlich geschafft und Feyenoord rausgeschmissen haben.“

Von Leretter gibt es eine nette Anekdote aus diesem legendären Spiel. Obwohl er mit seinen damals 37 Jahren der älteste von allen Spielern auf dem Platz war, gehörte er wie schon im Hinspiel zu den besten. Kein Wunder, dass die Holländer ein Auge auf ihn geworfen hatten und ihn verpflichten wollten. Als erstes erkundigten sich die niederländischen Funktionäre nach seinem Alter. Als sie erfuhren, dass er schon 37 ist, wollten sie es einfach nicht glauben. 37 und noch so gut! Letztendlich verhinderte sein für einen Fußballer vorgerücktes Alter, dass er bei Feyenoord landete. Es wäre die Krönung einer glanzvollen Karriere gewesen!