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UTA und das achte Weltwunder! (Teil 1)

Die Feyenoord-Spieler feiern nach dem Gewinn des Europapokals der Landesmeister ihren Trainer Ernst Happel. Foto: imago/VI Images

Brosovszky (3. v. r.) und Pozsonyi schauen zu, wie Torhüter Gornea mit einer Glanzparade in Rotterdam den Ball um den Pfosten dreht. Foto: Eric Koch

Eintrittskarte fürs Hinspiel in Rotterdam

Die großen Erfolge von UTA / 50 Jahre seit der Riesensensation gegen Feyenoord Rotterdam

Die Zeit vergeht, der Wind verweht. Sie eilt mit Siebenmeilenstiefeln davon und lässt sich nicht einfangen. Kaum zu glauben, dass seit der Riesensensation von UTA gegen Feyenoord Rotterdam schon so viel Zeit vergangen ist. 50 Jahre werden es am 30. September sein. Ein Mittwoch, wie damals. Unglaublich, aber wahr! Die Zeit ist wie im Flug vergangen. Als wäre es gestern gewesen. Wie schade, dass man die Zeit nicht zurückdrehen oder es nicht wenigstens so machen kann, wie die griechische Schlagersängerin Vicky Leandros im Jahre 1969 sang: „Halt die Welt an, stopp die Zeiger der Uhren.“
Weil das alles nicht möglich ist, versuchen wir es wenigstens in Gedanken. Und blenden zurück.....

Arad, 30. September 1970, ein Mittwoch.

Die Sonne schickt ihre goldenen Strahlen hinunter auf die Stadt an der Marosch. Kein Wölkchen trübt den tiefblauen Himmel. Eine sanfte Brise sorgt für wohltuende Abkühlung. Die Luft ist würzig und riecht nach Frühherbst. Ein Altweibersommertag wie aus dem Bilderbuch. Der Wettergott meint es wirklich gut mit den Menschen.

Es scheint, als sei ganz Arad auf den Beinen. Aus allen Ecken und Enden strömen die Menschen zur Calea Aurel Vlaicu. Jung und Alt, Groß und Klein, Männer und Frauen – alle kennen nur ein heißersehntes Ziel: das kleine, aber feine UTA-Stadion. Viele Leute tragen Stühle mit sich.
Jeder will in die Arena reinkommen und einen der begehrten Plätze ergattern. Obwohl das putzige Stadion nur 12000 Plätze fasst. Der Andrang ist so groß, weil die berühmte holländische Mannschaft von Feyenoord Rotterdam ihre Visite in der ersten Runde des Europapokals der Landesmeister angesagt hat. Und weil nach dem 1:1-Hinspielergebnis eine Sensation in der klaren, belebenden und frischen Arader Luft liegt.

Die Menschen tragen nicht nur Stühle mit sich, sondern auch die Hoffnung im Herzen, dass David UTA vielleicht die Sensation gegen Goliath Feyenoord schaffen wird. Die Vorzeichen stehen alles andere als schlecht.

Rotterdam, genau zwei Wochen vorher, am 16. September, ebenfalls ein Mittwoch.

Die weltberühmte Mannschaft von Feyenoord Rotterdam empfängt den Nobody UT Arad. Im Stadion De Kuip (auf Deutsch: Die Wanne) sind 57796 Zuschauer. Viele haben das Spiel bereits abgehakt, bevor es überhaupt begonnen hat. Denn: Was sollen diese unbekannten Kicker aus Rumänien eigentlich den großen Holländern schon anhaben können? UTA-Verteidiger Gábor Bíró erinnert sich: „Als die Niederländer unsere altmodische Sportausrüstung sahen, hatten sie nur ein müdes Lächeln übrig und uns aus Mitleid einen Satz neue Hosen und Stutzen sowie Schuhe geschenkt. Damit haben wir das Hinspiel bestritten. Nur die quergestreiften Trikots waren unsere.“

Offenbar fühlen sich die Arader in den neuen Sachen pudelwohl. Denn: Sie erwischen einen Start wie aus dem Bilderbuch. Schon nach wenigen Minuten rappelt es im Kasten der Gastgeber. Torjäger Otto Dembrovsky wird von Rinus Israël in Strafraumnähe gefoult. Der spanische Schiedsrichter Gaspar Pintado Viu pfeift Freistoß. 14. Spielminute: Mircea Axente legt sich den Ball halbrechts unweit des Strafraumes zurecht. Dann tritt er an und flankt die Lederkugel leicht angeschnitten vors Tor. Dort steht Stürmer Florian Dumitrescu unbewacht – und goldrichtig! Er wirft sich in die Flugbahn des Balls und wuchtet ihn aus etwa sechs Metern mit dem Kopf halbhoch über Schlussmann Eddy Treijtel hinweg ins Tor – 0:1! Ein Treffer, der Gold wert ist – wie sich später noch herausstellen sollte. Die Zuschauer trauen ihren Augen nicht. Denn „Bubulina“, so der Spitzname von Florian Dumitrescu, war der kleinste Spieler von UTA. Und ausgerechnet der macht gegen Feyenoords Abwehrriesen ein Kopfballtor. Nicht zu glauben! UTA glänzt im Flutlicht.

Aber: Die Freude der Arader sollte nicht lange anhalten. Nur zehn Minuten später gelingt Nationalspieler Wim Jansen mit einem fulminanten Weitschuss der Ausgleich, bei dem UTA-Torhüter Gheorghe Gornea alles andere als gut aussieht. Dabei sollte es bleiben. Endstand 1:1 – die Holländer sind in ihrer „Wanne“ baden gegangen. Kein Wunder, denn Hochmut kommt vor dem Fall. Dazu UTA-Kapitän Mircea Petescu: „Nicht nur dass die Rotterdamer uns von oben herab betrachtet haben. Nein, noch schlimmer. Sie hielten sich für die Allergrößten, für die wir nur irgendein obskurer Landesmeister aus Osteuropa waren.“ Und Flavius Domide ergänzte: „Wir sind in einem kleinen Flieger nach Rotterdam geflogen, in dem nur unsere Mannschaft Platz hatte. Zu unserem Training fanden sich etwa 50 Zuschauer ein. Die haben uns gar nicht mal beachtet.“

Trainer Happel siegessicher

Zurück nach Arad.

Die Chancen von UTA fürs Rückspiel stehen also nicht schlecht, um es vorsichtig auszudrücken. Das glauben auch die vielen Zuschauer, die zum Stadion strömen.

Was sie damals nicht wissen konnten: Nach dem Hinspiel hat der weltkannte Sportausrüster Adidas den Aradern einen Satz neuer Trikots fürs Rückspiel geschenkt. Doch wie es in Rumänien so üblich war, stand UTA am Ende mit leeren Händen da. Denn die Trikots landeten statt bei UTA bei der rumänischen Nationalmannschaft. „Uns blieben nur die leeren Taschen“, erinnerte sich Otto Dembrovsky.
So muss UTA wieder auf die altmodischen rot-weiß gestreiften Trikots zurückgreifen, was aber nicht sonderlich stört.

Dafür stört eine Aussage von Feyenoord-Trainer Ernst Happel umso mehr – und spornt die UTA-Spieler zusätzlich an. Der Österreicher antwortet 48 Stunden vor dem Spiel, gleich nach der Ankunft auf dem Arader Flughafen, auf die Frage eines rumänischen Reporters nach dem Ausgang des Spieles siegessicher: „Wenn wir ausscheiden sollten, wäre das wie das achte Weltwunder. Schließlich sind wir die Besten Europas.“ Diese Worte von Happel sollten ihm später noch gewaltig um die Ohren fliegen. Dennoch wiegen sie umso mehr, weil er als ein wortkarger Mensch bekannt war, weshalb man ihm den Spitznamen „Der Schweiger“ verpasste. Der berühmt-berüchtigte BILD-Kolumnist und ehemalige Meistertrainer Max Merkel, ebenfalls ein Österreicher, hat seinen Landsmann Happel deshalb als „Beethoven in der Endphase“ bezeichnet.

Natürlich stimmt, was Happel über seine Mannschaft sagt. Doch der Ton macht die Musik. Deshalb kommt die überhebliche und arrogante Art des Trainers bei den Aradern gar nicht gut an. Klar, ist Feyenoord Rotterdam die beste Klubmannschaft Europas. Am 6. Mai 1970 gewannen die Holländer in Mailand den Europapokal der Landesmeister mit 2:1 nach Verlängerung gegen Celtic Glasgow. Mit Ernst Happel als Trainer. Es war sein erster großer internationaler Erfolg, dem noch viele weitere folgen sollten. Als nächstes der Weltpokal. Nur drei Wochen vor dem Rückspiel in Arad gegen UTA hatte Feyenoord auch diesen gewonnen – mit 1:0 gegen Club Estudiantes de La Plata (Hinspiel 2:2), dem Gewinner der Copa Libertadores, wie der Südamerikapokal genannt wurde, aus der Hauptstadt der argentinischen Provinz Buenos Aires. Wie erst jetzt bekannt wurde, saß an jenem 9. September 1970 auch UTA-Trainer Nicolae Coco Dumitrescu unter den 60000 Zuschauern im Rotterdamer Stadion und machte sich eifrig jede Menge Notizen über Feyenoord. Später sollte sich herausstellen, dass diese von großem Nutzen waren.

Das Desaster von Warschau

Amtierender Europacupsieger, frischgebackener Weltpokalgewinner – eigentlich kann da selbst nach einem Unentschieden im Hinspiel nichts mehr schiefgehen, denken sich die siegessicheren Holländer. Ganz anderer Meinung sind die Arader. Was einen konkreten Grund hat. UTA musste nämlich eine Scharte auswetzen, die fast verhindert hätte, dass es überhaupt zu den Spielen gegen Feyenoord gekommen wäre. Fast auf den Tag genau ein Jahr vor dem Rückspiel gegen Rotterdam blamierte sich UTA ebenfalls in der ersten Runde des Europapokals der Landesmeister in Warschau gegen die Lokalmannschaft Legia bis auf die Knochen. Nach 50 Minuten stand es 0:0. Eine Minute später brach das Unglück wie ein Orkan über UTA herein. Bis zur 85. Minute kassierten die Arader sage und schreibe acht Tore. Wohlgemerkt: acht Tore in 35 Minuten! Alle vier Minuten eines. Nicht zu fassen. UTA verlor am Ende mit 0:8 – und flog in hohem Bogen aus dem Wettbewerb. „Vor Scham trauten wir uns nicht mal mehr auf die Straße. Wir fühlten uns stigmatisiert, mieden jeden Kontakt mit Zuschauern, Fans und Publikum. Die Leute wollten Erklärungen für diese Schande. Aber was für Erklärungen kann man nach einer 0:8-Niederlage eigentlich noch geben?“, klagte Cheftrainer Coco Dumitrescu.

Die Erklärungen dafür hätte er durchaus geben können. Aber sie waren damals verboten. Denn: Im Kommunismus durfte die Wahrheit sehr oft nicht ans Licht kommen. Der damalige UTA-Spieler Josef Leretter erzählte mir viele Jahre später: „Wir haben uns durch eine Dummheit unseres Mannschaftsarztes bis auf die Knochen blamiert. In der Halbzeitpause mischte er uns mit Einverständnis unseres Vorstandes ein Aufputschmittel in den Tee, um unsere Leistungsfähigkeit zu steigern. Aber als gelernter Radiologe hatte er den angeblichen Zaubertrunk völlig falsch gemixt. Wir standen auf dem Spielfeld wie unter Drogeneinfluss, sahen alles in einem überirdischen Licht. So hatte unser Gegner leichtes Spiel und haute uns die Bude voll, während wir glückselig über den Rasen zu schweben schienen. Auf der Heimfahrt vom Spiel hatten wir starke Kopfschmerzen.“

Der Rumänische Fußball-Verband war so erbost über diese internationale Blamage, dass er den Spielern von UTA für ein Jahr die Aufwandsentschädigung strich und den Verein für zwei Jahre aus allen Europapokalwettbewerben verbannen wollte. Aber die Arader machten dem Verband einen dicken Strich durch die Rechnung. „Uns blieb gar nichts anderes übrig, als nach vorne zu blicken und die unglückliche Episode Legia Warschau vergessen zu lassen“, meinte Coco Dumitrescu. Was den Aradern tatsächlich gelingen sollte. Sie gewannen 1970 zum zweiten Mal in Folge die rumänische Meisterschaft (separater Bericht folgt) und dem Verband blieb gar nichts anderes übrig, als UTA für den neuen Europapokalwettbewerb einzuschreiben, in dessen erster Runde Feyenoord Rotterdam der Gegner war. Auf keinen Fall wollte UTA wieder so eine Schmach erleiden wie ein Jahr zuvor in Warschau. „Vor Angst haben wir uns gegen Feyenoord total mobilisiert“, sagte Florian Dumitrescu, der Schütze des „Goldenen Tores“ aus dem Hinspiel.