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Aus der Geschichte der Seuchen und Krankheiten im Banat (Teil 8)

Das in den 1960er Jahren abgetragene Cholerakreuz kündete vom großen Sterben in Hatzfeld im Jahr 1873. Foto: Archiv der HOG Hatzfeld

Mit dieser Beitragsreihe nehmen wir Sie, die Leserinnen und Leser der „Banater Post“, mit auf eine historische Reise, bei der wir die Geschichte der Seuchen im Banat in einer Zusammenschau beleuchten und in die europäische Geschichte einbinden. Seit vielen Jahrzehnten ist die Kulturgeschichte des Banats unser gemeinsames Interessensgebiet. Zum seit jeher existenziellen Thema Seuchen haben wir in vielen Fachbüchern und Heimatbüchern recherchiert.

In einigen Heimatbüchern werden die Seuchen ausführlich behandelt, in anderen ist die Quellenlage spärlich, vor allem weil die Sterbematrikeln, eine Hauptquelle für Forscher, unterschiedlich gewissenhaft in den jeweiligen Pfarreien geführt wurden oder schwer zugänglich sind. Unserem Beitrag können bestimmt noch interessante ortsspezifische Ausprägungen des Seuchenverlaufes im Banat hinzugefügt werden. Einen exemplarischen Bericht veröffentlichten Anton Schenk und Walter Tonţa unter dem Titel „Das asiatische Ungeheuer“. Die Choleraepidemie von 1873 forderte 672 Todesopfer in Hatzfeld in der Ausgabe 18/2011 des Heimatblattes Hatzfeld. Der nachfolgend in einer gekürzten Version abgedruckte Beitrag dokumentiert akribisch die Geschehnisse dieses Schicksalsjahres und zeigt die Bedeutung für die Erinnerungskultur der Nachfahren in einer sehr eindrücklichen Weise auf. Spannend und aktuell ist das Thema allemal. 

Helga und Helmut Ritter

Angst und Schrecken in der Bevölkerung

Das friedliche Leben der Heidegemeinde Hatzfeld wurde im Jahr 1873 durch ein katastrophales Ereignis gestört, das alle bisherigen Schicksalsschläge bei weitem übertraf. In jenem Jahr, welches als das schwärzeste in die Geschichte des Ortes eingegangen ist, raste die Cholera Furcht verbreitend und Verderben bringend durch die Gemeinde und dezimierte die Bevölkerung. Wie schon im Cholerajahr 1831 bemächtigte sich eine bedrückende, trostlose Atmosphäre erneut der Einwohnerschaft. Hinsichtlich der Ursachen, der Übertragung und der Behandlung der Krankheit tappte man noch immer im Dunkeln. Trotz des redlichen Bemühens der Behörden konnte der explosionsartigen Verbreitung der Krankheit kein Einhalt geboten werden und der Schulmedizin stand noch immer kein wirksames Mittel zu deren Behandlung bereit.

Wie weit die Meinungen hinsichtlich der Seuche auseinander gingen, wie verworren die Bevölkerung damals war und mit welcher Skepsis sie die behördlicherseits angeordneten Maßnahmen sowie die empfohlenen Behandlungsmethoden betrachtete, widerspiegeln verschiedene Aufzeichnungen aus dem Jahr 1873. Die „Temesvarer Zeitung“ beispielsweise meldet am 6. Juli 1873 das Umgreifen der Epidemie auch im Temescher Komitat, verweist aber auf „die tröstliche Erscheinung, daß die Krankheit ihre Opfer fast nur in solchen Klassen der Bevölkerung sucht, die keine vernünftige Diät befolgen und in Bezug auf Wohnung, Kleidung und Nahrung jene Vorsicht außer Acht lassen, welche anständige Menschen selbst in seuchefreien Zeiten zu beobachten pflegen“ (zitiert nach Erich Lammert: Banater Volksmedizin und Krankheitsaberglaube. In: Schwäbischer Jahreslauf. Hrsg. von Hans Gehl. Temeswar 1978, S. 186-221, hier S. 216).

Die Regierung ernannte Cholerakommissare, die durch Absperrungen die Verbreitung der Seuche zu verhindern suchten. In den betroffenen Gemeinden wurden Cholerakommissionen ins Leben gerufen und zur Isolierung der Erkrankten Cholerahäuser und -spitäler eingerichtet. In den Gassen und Gehöften sollte starker, durch die Verbrennung von Strohdünger entstandener Rauch eine Eindämmung der heimtückischen Krankheit ebenfalls verhindern. Außerdem wurde auch auf die Bedeutung von sauberem Wasser und entsprechender Kost hingewiesen.

In Hatzfeld wütete die Cholera von Mitte Juli bis Anfang September 1873. Die ersten Choleratoten sind am 19. Juli verzeichnet. Der Ausbruch der Seuche versetzte die Bevölkerung in Angst und Schrecken. „Viele Bürger versuchten vor der Seuche in gesunde Dörfer zu flüchten, wie die schwer bedrängten Hatzfelder, die aber von den Einwohnern von Perjamosch am Dorfrand mit Mistgabeln vertrieben wurden, wie die Temesvarer Zeitung 1873 zu berichten weiß“, schreibt Erich Lammert.

672 Choleratote binnen fünfzig Tagen

Vor Ort suchte man mit aller Kraft nach Mitteln und Wegen, um die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen. „Die Ärzte unserer Gemeinde (…) haben zur Unterdrückung der Krankheit alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel angewendet und waren unermüdlich in ihrem erhabenen Berufe. Eine große Cholerakommission wurde ins Leben gerufen, in welche aus jedem Viertel der Gemeinde ein Vertrauensmann gewählt wurde, ein Cholera-Spital wurde errichtet, wohin die Kranken gebracht und gepflegt wurden, um die weitere Ansteckung zu verhüten; aber alles ohne Erfolg: die Sterbefälle mehrten sich von Tag zu Tag, ja ihre Zahl stieg an einem Tage bis auf 39 (…), so daß in manchen Häusern keine lebende Seele zurückblieb“, schreibt Karl Kraushaar (geb. 1858 in Hatzfeld, gest. 1938 in Budapest) in einem 1927 in der „Hatzfelder Zeitung“ erschienenen zweiteiligen Beitrag mit dem Titel „Unser Nachbar (Ein Lebensbild)“. Auf Antrag des damaligen Richters habe man sogar den Hatzfelder Chirurgen Hans Bachus, „welcher zu dieser Zeit als gewesener Leibarzt des ermordeten Fürsten Michael Obrenovic in Belgrad lebte“, zur Hilfeleistung telegrafisch in seinen Heimatort berufen. Dieser sei schon nach einigen Tagen in Hatzfeld erschienen. „Nachdem alle ärztlichen Anordnungen gewissenhaft eingehalten wurden“, so Kraushaar, „war schon nach 10-12 Tagen eine Besserung bemerkbar, welche mit Gottes Hilfe auch bald zum Stillstand der Krankheit führte“.

Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird ersichtlich, wenn man sich die Zahl der zwischen dem 19. Juli und 6. September 1873 verzeichneten Choleratoten – gemessen an der Gesamtzahl der Sterbefälle in dieser Zeit – vor Augen führt und die Sterberate des Cholerajahres 1873 mit jener der unmittelbar vorangegangen beziehungsweise nachfolgenden Jahre vergleicht. (Auf Grundlage der Eintragungen im Sterbematrikelbuch der Hatzfelder Pfarrei hat Johann Rothen bereits 1939 eine „Cholera-Statistik“ für das Jahr 1873 erstellt. Diese Daten wurden von Johann Hepp übernommen, der 1971 in der Zeitung „Der Donauschwabe“ den Artikel „Hatzfeld im Jahre 1873“ veröffentlichte, wie auch von Karl-Hans Gross im Heimatbuch Hatzfeld. Später hat Anton Peter Petri die Sterbematrikel nochmals durchforstet und die Daten in Tabellenform in seinem Werk „Beiträge zur Geschichte des Heilwesens im Banat“ publiziert.)

 

Tag

Sterbe-fälle

Davon an Cho-lera

 

Tag

Sterbe-fälle

Davon an Cho-lera

19.07.

4

3

 

14.08.

  29

25

20.07.

1

-

 

15.08.

  29

28

21.07.

6

    4

 

16.08.

  22

21

22.07.

3

    -

 

17.08.

  25

21

23.07.

7

    6

 

18.08.

  30

25

24.07.

3

    3

 

19.08.

  30

24

25.07.

5

    4

 

20.08.

  29

23

26.07.

7

    5

 

21.08.

  39

28

27.07.

5

    5

 

22.08.

  33

28

28.07.

4

    3

 

23.08.

  26

   20

29.07.

5

    5

 

24.08.

  19

   12

30.07.

    6

    4

 

25.08.

  24

   18

31.07.

  12

  11

 

26.08.

  21

   18

19.-31.07.

  68

  53

 

27.08.

  13

     8

01.08.

  14

  14

 

28.08.

  26

   18

02.08.

  11

  11

 

29.08.

  13

     6

03.08.

  16

  14

 

30.08.

    5

     4

04.08.

  21

  19

 

31.08.

    4

     3

05.08.

  29

  29

 

01.-31.08.

729

 608

06.08.

  15

  15

 

01.09.

    9

     4

07.08.

  25

  20

 

02.09.

    5

     1

08.08.

  24

  20

 

03.09.

    3

     1

09.08.

  31

  27

 

04.09.

    3

     2

10.08.

  29

  25

 

05.09.

    3

     1

11.08.

  37

  32

 

06.09.

    4

     2

12.08.

  33

  26

 

01.-06.09.

  27

   11

13.08.

  27

  26

 

Gesamt

824

 672

 


Vom 19. Juli bis 6. September 1873, also binnen 50 Tagen, wurden insgesamt 824 Todesfälle registriert, wovon 672 auf die Cholera zurückzuführen sind. Hatzfeld verzeichnete die höchste Zahl an Choleratoten unter allen Banater Ortschaften. Bezogen auf das gesamte Jahr 1873, als bei einer Bevölkerungszahl von 7910 Einwohnern 1067 Sterbefälle zu verzeichnen waren, betrug die Mortalitätsrate 13,5 Prozent. Der Anteil der an der Cholera Verstorbenen an der Gesamtzahl der Todesfälle lag bei 63 Prozent. Allein im August 1873 wurden mit der unglaublichen Zahl von 729 Toten fast so viele Sterbefälle registriert wie in den drei darauf folgenden Jahren zusammengenommen (1874: 262; 1875: 241; 1876: 241; insgesamt 744).

 

Jahr

Geburten

Sterbefälle

Geburten-/ Sterbeüber-schuss

Anmerkungen

1831

239

  337

–   98

Cholerajahr

1836

255

  351

–   96

Cholerajahr

1849

330

  398

–   68

Cholerajahr

1871

401

  470

–   69

Seuchenjahr

1872

403

  315

+   88

 

1873

349

1067

– 718

Cholerajahr

1874

409

  262

+ 147

 

1875

417

  241

+ 176

 

1876

429

  241

+ 188

 

1877

393

  241

+ 152

 

1878

404

  429

–   25

Seuchenjahr

1879

458

  312

+ 146

 

1880

415

  244

+ 171

 


Der Sterbeüberschuss betrug im Jahr 1873 bei 349 Geburten und 1067 Todesfällen 718. Die natürliche Bevölkerungsentwicklung, also die Differenz aus Geburten und Sterbefällen, stellt sich für die drei Cholerajahre 1831, 1836 und 1849 sowie für das Jahrzehnt 1871-1880 folgendermaßen dar:
Zwar war die natürliche Bevölkerungsentwicklung in sämtlichen Seuchenjahren negativ, doch erreichte sie im Jahr 1873 den absoluten Tiefpunkt in der gesamten Ortsgeschichte. Man kann sich nur schwer ausmalen, welches unermessliche Leid über die Hatzfelder Bevölkerung hereingebrochen ist, zumal so gut wie jede Familie Tote zu beklagen hatte und die Angst, selbst Opfer der Seuche werden, allgegenwärtig war.

Georg Straki, der barmherzige Samariter

Wie es mit der Beerdigung der vielen Toten vonstattenging, beschreibt Karl Kraushaar in dem bereits erwähnten Artikel „Unser Nachbar“: „Von einer regelrechten Bestattung konnte schon keine Rede mehr sein, da die zur Seelsorge beordneten Priester kaum hinreichend waren, den Kranken die letzte Tröstung zu spenden, und so kam es, daß die Verstorbenen in die Särge gebettet, ohne Glockengeläute auf gewöhnlichen Leiterwagen vor die Friedhofskapelle geführt und frühmorgens und spät nachmittags von den Priestern eingesegnet und dann über strenge Verfügung der Behörde von den für diesen Zweck bestellten Totengräbern in das Grab gesenkt wurden. Hier wurden die Särge mit gelöschtem Kalk überschüttet und erst dann mit Erde bedeckt. Leidtragende oder Angehörige sah man nur selten, da sie teils selbst von der Krankheit befallen waren oder hielt auch die Furcht vor Ansteckung sie zurück.“ Angesichts der vielen Bestattungen musste der Hatzfelder Friedhof sogar erweitert werden. Das neue Friedhofsareal wurde am 14. August 1873 von Pfarrer Jakob Nußbaum geweiht. Nachdem die Cholera am 6. September die letzten Todesopfer gefordert hatte, wurde auch die Friedhofskapelle, die während der Epidemie zur Unterbringung der Toten diente, am 5. Oktober 1873 neu geweiht.

Weder Priester noch Angehörige begleiteten die Verstorbenen zum Grabe. Allein der greise Georg Straki, in Hatzfeld unter dem Spitznamen „Malere Jergel“ bekannt, gab ihnen das letzte Geleit. An ihn, den „edlen Menschenfreund im Bauernrock“, erinnerte Jahrzehnte später Karl Kraushaar, der Straki noch kannte und in dessen  Nachbarschaft gewohnt hatte, in einem beeindruckenden Lebensbild. Der Würdigungsartikel, 1927 sowohl in der von Kraushaar im Auftrag des Wiener Schwabenvereins herausgegeben Zeitschrift „Unsere Heimat“ als auch in der „Hatzfelder Zeitung“ publiziert, ist in zweierlei Hinsicht relevant: Zum einen liefert er interessante Einzelheiten über das Cholerajahr 1873 in Hatzfeld und zum anderen rückt er mit Georg Straki einen Menschen ins Blickfeld, der sich zeitlebens – aus seinem tiefen Glauben heraus – in den Dienst der Allgemeinheit stellte. Bäuerlicher Herkunft, betrieb er eine kleine Landwirtschaft und hatte ein geordnetes Hauswesen. Was ihn zu einer bekannten und geachteten Person machte, war die über Jahrzehnte aus innerer Überzeugung und Nächstenliebe von ihm wahrgenommene Aufgabe des Vorbeters. Als solcher war er immer präsent – bei jedem Begräbnis, bei jeder Andacht, bei jeder Prozession, bei jeder Wallfahrt.

So kann es wohl kein Wunder nehmen, dass Georg Straki auch während der Cholerakatastrophe des Jahres 1873, „unbekümmert um Ansteckungsgefahr und unbekümmert um seine Wirtschaft“, tagtäglich seiner selbstgestellten Aufgabe nachkam. Karl Kraushaar weiß darüber folgendes zu berichten: „Am Friedhofstore steht seit vielen Tagen vom frühen Morgen bis spät am Abend unmittelbar an den dort aufgespeicherten Särgen, in welchen die an Cholera Verstorbenen gebettet sind, entblößten Hauptes ein alter Mann, mit einem großen Gebetbuche in beiden Händen, – er begleitet von hier die Särge der Reihe nach, wie der Totengräber das Grab für den einen oder den anderen hergerichtet hatte, zur letzten Ruhestätte; auf dem Wege dahin sang er das Lied ‚Gottes Engel Schutz geleite dich, daß auf dieser Reis’, du dem Lazar gleich, kommest in das Himmelreich‘. Am Grabe angelangt, betete er einige Vaterunser, besprengte das Grab mit Weihwasser, warf drei Hände voll Erde auf den Sarg und kehrte dann wieder zu den beim Friedhofstor noch zurückgebliebenen Särgen zurück, wo er den Dienst eines Samariters verrichtete, solange noch ein unbeerdigter Sarg da stand. Dieser alte Mann war ein Helfer der Armen und Notleidenden; es war der alte Vorbeter Georg Straki (…).“

Der Cholera-Wagen im Friedhofsschuppen

Anton Schenk erinnert sich: Mein Urgroßvater mütterlicherseits, Peter Allar (1839-1915), wurde im Ort „Dicke Phitt“ genannt. Er wohnte im Friedhofshaus und als Totengräber unterlagen ihm die Friedhofspflege und die Bestattungen. Im Schuppen neben dem Haus standen prunkvolle Leichenwagen. Schlicht und einfach hingegen sah der alte Leiterwagen aus, der hinten im Hof des Anwesens stand. Und doch war es ein ganz besonderer Wagen. Dessen Geschichte erfuhr ich von meinem Großvater, als ich mich nach diesem so seltsamen Wagen erkundigte.

„Was es mit diesem Wagen auf sich hat, kann ich dir genau sagen“, begann der Großvater. „Damit hat mein Vater, der ja Totengräber war, so manchen Toten im Jahre 1873 zum Friedhof gebracht. In jenem Jahr war nämlich in Hatzfeld die Cholera ausgebrochen. Täglich sind Leute daran gestorben, es gab viele Tote, an manchen Tagen sogar zwischen zwanzig und dreißig. Groß war die Angst vor einer Ansteckung, und jeder befürchtete, als nächster an die Reihe zu kommen. Aber mein Vater wollte in dieser großen Not helfen und spannte täglich sein Pferd vor den Wagen, mit dem er einen Sarg nach dem anderen zum Friedhof transportierte. Vor der Kapelle wurden die Toten eingesegnet, wonach die Totengräber die Särge zu den ausgehobenen Gräbern brachten.“

Danach erzählte der Großvater eine Begebenheit, die seinem Vater sehr nahe gegangen ist: „Ganze Familien sind damals ausgestorben. Eine Frau hatte ihren Mann und ihre Kinder bis auf eines verloren; es war zwei Wochen alt. Keiner traute sich mehr in das Haus zu gehen und so waren Frau und Kind alleine ihrem Schicksal überlassen. Eines Tages, als mein Vater mit dem Leichenwagen durch den Ort fuhr, kam er auch an dem besagten Haus vorbei. Als er beim Fenster hineinschaute, sah er die Frau tot im Bett liegen. Das kleine Kind suchte noch die Brust der Mutter. Es war ein herzzerreißender Anblick, den mein Vater sein ganzes Leben lang nicht vergessen konnte.“

Soweit die Schilderung meines Großvaters. Auch ein Leichenwagen hat seine eigene Geschichte, dachte ich mir. Eine Geschichte, die von der größten Heimsuchung erzählt, die Hatzfeld je widerfahren ist.

Das Cholerakreuz: in Stein und Reim

Am südwestlichen Rand von Hatzfeld, an jener Stelle, wo die Cholera-baracken standen, wurde zum Gedenken an die Toten des Jahres 1873 ein Wegkreuz errichtet, das bei den Hatzfeldern als Cholerakreuz bekannt war. Wann und von wem es errichtet wurde, ist nicht genau bekannt. Karl-Hans Gross, der die Hatzfelder Wegkreuze im Heimatbuch akribisch dokumentiert hat, konnte von Gewährsleuten in Erfahrung bringen, dass in der am Cholerakreuz angebrachten Marmortafel der Name Peter Mausz und die Jahreszahl 1924 eingemeißelt gewesen sein soll.

Das Cholerakreuz kündete in seiner schlichten Form vom großen Sterben im Jahre 1873. Das etwa 2,80 Meter hohe Denkmal bestand aus einem quaderförmigen, hochgezogenen Ziegelbau, auf dem sich ein großes gusseisernes Kreuz erhob. An der Vorderseite des Mauerwerks war eine weiße Marmortafel eingelegt. Noch Anfang der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts war das Cholerakreuz – neben anderen Zeugnissen der Vergangenheit – amtlich als historisches Denkmal deklariert worden. Doch die Gemeinde tat nichts, um das Denkmal zu erhalten. Nachdem zunächst das gusseiserne Kreuz verschwunden war, wurde dann in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre auch der Ziegelbau umgerissen. Das Cholerakreuz ging so für immer verloren. In den Versen unseres Heimatdichters Peter Jung bleibt es dennoch weiterhin bestehen – als literarisches Denkmal.

Das Cholerakreuz
                                von Peter Jung

Es gibt von düstern Zeiten Kunde,
von unsrer Heimat größter Not,
von ihrer tiefsten Herzenswunde
und ihrer Kinder frühem Tod.

Es spricht zu mir in einer Weise,
die mich erschüttert bis ins Mark;
von einer weiten, dunklen Reise
in einem rohen Brettersarg.

Von Blüten, die ein Hagel knickte,
zerpflückte und zu Boden schlug,
den über uns das Schicksal schickte,
als hätten wir nicht Leids genug.