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Todesschüsse an der Grenze - eine tragische Heimkehr jährt sich

Helfer in der Not: Pfarrer Josef Petla (1912-1998), gebürtig aus Bakowa, langjähriger Seelsorger in Tschanad. Einsender: Pfr. Reinholdt Lovasz

Es wurden schon viele Artikel über unsere nach Russland deportierten Landsleute geschrieben, ihre Schicksale wurden erzählt, die erfahrenen Grausamkeiten und unmenschlichen Lebensumstände thematisiert. Doch eine Geschichte, die so schmerzlich und zugleich wahr ist, fand noch nicht ihren Weg in die „Banater Post“. Ein nicht unbedeutender Grund hierfür ist, dass es fast keine Zeitzeugen mehr gibt, die ihre Erlebnisse schildern können und – was noch verheerender ist – dass diese Geschichte beinahe nie übermittelt worden wäre.

Dabei geht es um das Schicksal von sieben Bakowaern: Eva Duckhorn, Maria Fischer, Maria Frombach, Maria Garandt, Michael Petla, Anna Schönherr, Katharina Richter, Georg Ringler senior sowie Georg Ringler junior. Mit Ausnahme der letzten beiden handelt es sich um Deportierte, die zur Zwangsarbeit als Reparationsleistung in die Sowjetunion verschleppt worden waren und nach Jahren der Qualen und Ausbeutung endlich aufgrund von Erkrankungen entlassen wurden. Ende Juni des Jahres 1947 kamen sie jedoch nicht in ihrer Heimat im Banat an, sondern wurden in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands (die spätere DDR) gebracht. Von dort aus konnten sie zum ersten Mal seit langem ihren Familien in Bakowa schreiben und bei dieser Gelegenheit auch vermelden, wer von den Bakowaer Landsleuten im Lager infolge der dort herrschenden widrigen Umstände umgekommen war. Georg Ringler senior und Georg Ringler junior reisten daraufhin von Bakowa aus zu den Entlassenen, um ihnen beim Rückweg zu helfen und sie zu begleiten. Ein nicht ungefährliches Vorhaben, da die Rückkehrer das Land eigentlich nicht verlassen durften.

Mit nichts außer ihren russischen Entlassungsscheinen machten sich die neun Bakowaer schließlich auf den Weg, mehr zu Fuß als mit dem Zug, da ihnen hierfür das Geld fehlte. Fast 14 Tage vergingen, bis die Geschundenen das Banat erreichten. Aufgrund ihres erbärmlichen Aussehens, abgemagert und kraftlos, wie sie nach der Zwangsarbeit waren, hatte man sie an keiner Grenze aufgehalten und entsprechend passieren lassen. So kamen sie am 30. August 1947 gegen 23 Uhr an der ungarisch-rumänischen Grenze nahe Tschanad an.

Nach Aussage der rumänischen Grenzer hätten sich die Heimkehrer geweigert, mit ihnen zu sprechen, seien ins Maisfeld geflohen und nach mehrmaligem Ermahnen schließlich erschossen worden. Die brutale Wahrheit ist jedoch eine andere: Unsere Landsleute versuchten sehr wohl mit den Grenzern zu reden. Sie zeigten ihre Entlassungspapiere, die aber keines Blickes gewürdigt wurden. Sie versprachen Geld, Gold, alles in ihrer Macht Stehende, solange sie nur heimkehren durften. Doch all das half nichts. Einer der Grenzer schlug solange mit seinem Gewehr auf die Gruppe ein, bis sich alle im Kreis aufgestellt hatten. Dann ging er herum und schoss einem nach dem anderen in den Rücken. Als er merkte, dass eine von den Frauen noch am Leben war, erschlug er sie daraufhin mit seinem Gewehr. Dann zogen die beiden Grenzer ab, um ihre Lüge dem nächsten Grenzposten zu vermelden.

Wahrscheinlich lag es an der Dunkelheit oder an dem Wahn, dem dieser Grenzer verfallen war, dass er auf eine Person nicht geschossen hatte. Anna Schönherr war vor Furcht wegen der Schüsse ohnmächtig geworden. Als sie in Abwesenheit der Grenzer zu sich kam, ging sie im Kreis herum, um herauszufinden, ob wirklich alle tot waren. Nur Maria Frombach konnte ihr antworten. Der Schuss hatte sie nur in die Achsel getroffen, doch um nicht ebenfalls dem Tod geweiht zu sein, hatte sie sich totgestellt. Mit einem Stück ihrer Kleidung verband Anna Schönherr die Wunde und gemeinsam krochen die beiden Frauen knapp drei Kilometer durch das Maisfeld, um unerkannt nach Tschanad zu gelangen. Dort vertrauten sie sich Pfarrer Josef Petla an, der ebenfalls Bakowaer Abstammung war. Ihm war der brutale Grenzer bekannt, denn er wohnte nicht weit von ihm in der Nachbarschaft. So wusste Pfarrer Petla auch, dass dieser Grenzer für jeden erschossenen Flüchtigen entlohnt wurde und noch mehr solcher Opfer im Maisfeld lagen.

Josef Petla nahm die beiden Frauen auf, ließ einen Arzt kommen, der die Wunde versorgte, stellte ihnen ortstypische Kleider seiner Mutter zur Verfügung und gab ihnen Verpflegung sowie etwas Geld für die Heimreise. Zuletzt bezahlte er einen Rumänen, der die beiden mit einem Pferdewagen zur übernächsten Bahnstation brachte, sodass sie dort den Zug nach Temeswar nehmen konnten.

Diese weitere Flucht glückte und so konnten Anna Schönherr und Maria Frombach endlich die letzten 30 Kilometer bis nach Bakowa zurücklegen. Erneut führte ihr erster Weg in die Kirche, wo sie sich dem dortigen Pfarrer anvertrauten, denn sie fürchteten, dass man nach ihnen suchen würde. Pfarrer Wendelin Lindner war es auch, der den Familien die traurige Nachricht vom Tode ihrer Angehörigen überbrachte, denn ein weiteres Mal konnten die beiden Frauen diese schmerzhafte Geschichte nicht mehr aussprechen.

Für die Familien hätten der Schock und der Schmerz größer nicht sein können. Der Schwager des Ehemanns der erschossenen Marie Fischer reiste nach Tschanad, um dort die Beerdigung der Opfer zu veranlassen. Da der Pate von Eva Duckhorn zu dieser Zeit Ortsvorsteher in Bakowa war und entsprechende Kontakte hatte, konnte nach sieben Wochen und hohen Geldzahlungen erwirkt werden, dass drei der Opfer exhumiert und auf den Bakowaer Friedhof überführt wurden.

73 Jahre später können nur noch die Schwester einer Erschossenen, die damals zwölf Jahre alt war, sowie der Sohn einer anderen, der damals nur fünf Jahre alt war, als direkte Angehörige von den Geschehnissen berichten. Die Wunden der Hinterbliebenen werden nie heilen, denn diese Erinnerungen können nicht gelöscht und nicht vergessen werden. Der Grenzer feuerte zwar nur acht Kugeln ab, doch diese trafen auch die Familien, die diese tragischen Ereignisse ihr Leben lang nicht vergessen konnten.

„Skoro damoi“ („Bald geht’s nach Hause“) hatten die Aufseher in den sowjetischen Arbeitslagern den Deportierten immer wieder gesagt. Eva Duckhorn, Maria Fischer und Katharina Richter konnten ihre letzte Ruhe in der Heimat finden – eine Gnade, die nur wenigen Deportierten zuteil wurde.