zur Druckansicht

Das Recht als Waffe gegen die „Feinde des Regimes“

Strafkarteikarte von Andreas Brach, Vorderseite. Quelle: www.iiccr.ro

Strafkarteikarte von Andreas Brach, Rückseite. Quelle: www.iiccr.ro

Entlassungsschein von Andreas Brach und Magda Brach. Einsenderin: Gerda Sieber-Brach

Anmerkungen zum Fall des wegen „Aufwiegelung gegen die gesellschaftliche Odnung“ verurteilten Ehepaares Brach

Mindestens 180000 Menschen wurden während der kommunistischen Herrschaft in Rumänien unter Anwendung des Artikels 209 Strafgesetzbuch (StGB) verurteilt. Zu diesem Ergebnis kommt das zum Memorial Sighet gehörige Internationale Zentrum für Studien über den Kommunismus in seinem Projekt „Zählung der zwangsinternierten Bevölkerung“. Ein Drittel der politischen Urteile nach 1948 wurden aufgrund des Artikels 209 gefällt, der mit geradezu diabolischer Mehrdeutigkeit die „Aufwiegelung gegen die Gesellschaftsordnung“ („uneltire contra ordinii sociale“) definierte. Artikel 209 sei das „schwarze Loch“ der kommunistischen Justiz gewesen, heißt es auf der Internetseite des Memorial Sighet. Er erwies sich als probates Instrument zur Bekämpfung der tatsächlichen und vermeintlichen
Regimegegner, dessen sich die im Dienste der roten Justiz stehenden Ermittler, Staatsanwälte und Richter mit besonderer Vorliebe bedienten.

Ab 1948, als das kommunistische Strafgesetzbuch in Kraft trat, wurde der Artikel 209 mehrfach im Sinne einer Verschärfung verändert. Es kamen neue Straftatbestände hinzu und 1957 wurden die ursprünglich als Vergehen inkriminierten Delikte als Verbrechen eingestuft, was eine Anhebung des Strafmaßes zur Folge hatte. In einer in der Zeitschrift „Arhivele Totalitarismului“, Nr. 1-2/1994 erschienenen Studie zur Kollektivierungsstrategie des kommunistischen Regimes hat Octavian Roske die Verlaufsgeschichte des Artikels 209 in der Zeitspanne 1948-1960 aufgezeigt.  

Auch Andreas und Magda Brach wurden aufgrund des Artikels 209 verurteilt, wie aus den Urteilen und den Strafkarteikarten hervorgeht. Letztere, im Rumänischen „fişe matricole penale“ genannt, wurden bei der Verhaftung angelegt und aktuell gehalten. Sie „begleiteten“ die Häftlinge durch die ganze Haftzeit und wanderten bei der Verlegung in ein anderes Gefängnis oder Arbeitslager mit.

Laut Strafkarteikarte wurde Andreas Brach am 25. Mai 1961 aufgrund des von der Militäreinheit 0323 Temeswar (dahinter verbirgt sich die Banater Regionaldirektion der Securitate) erlassenen Haftbefehls gefangen gesetzt. Als Grund wird „Vaterlandsverrat“ („trădare de patrie“) und als Rechtsgrundlage Artikel 194 StGB angegeben. Brach wurde in die Kategorie „C.R“, das heißt als „Konterrevolutionär“ eingestuft. Wegen des gleichen Delikts wurde drei Wochen später, am 12. Juni 1961, auch seine Gattin Magda verhaftet.

Gerda Sieber-Brach zufolge sei das Gericht dem Plädoyer des rumänischen Rechtsanwalts Bâcă gefolgt und habe die beiden Angeklagten nicht wegen Landesverrats (nach Artikel 194 StGB), sondern wegen Aufwiegelung gegen die Gesellschaftsordnung (nach Artikel 209 StGB) verurteilt. Auf Landesverrat standen erheblich höhere Haftstrafen bis zum Todesurteil.

Die Anschuldigungen gegen das Ehepaar Brach

Doch wegen welcher Delikte wurden Andreas und Magda Brach strafrechtlich belangt? Das vom Militärgericht Temeswar am 4. Januar 1962 in öffentlicher Sitzung gefällte Urteil liefert die Antwort darauf.

Bei Andreas Brach heißt es: „Der Beklagte hat in den Jahren 1957-1961 fünf Briefe verfasst und an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in der Schweiz verschickt, in denen er die gesellschaftliche und staatliche Ordnung der Rumänischen Volksrepublik hinsichtlich des Lebensstandards der Bevölkerung und der Lage der deutschen Bevölkerung in der Rumänischen Volksrepublik verleumdet und verunglimpft hat. Diese Tat hat er in organisierter Weise begangen, dabei geholfen hat ihm seine Frau Magdalena Margit Brach.

In der gleichen Zeitspanne hat der Beklagte an seiner Arbeitsstelle im Bäderunternehmen Busiasch gegenüber einigen Angestellten den Lebensstandard in unserem Land verunglimpft und jenen in der Bundesrepublik Deutschland verherrlicht, die Idee der Zwangsläufigkeit eines neuen Krieges zwischen den beiden Lagern vertreten, aus dem das kapitalistische Lager als Sieger hervor-gehen werde, und die Raketen- und Luftfahrttechnik der Sowjetunion verschmäht.“

Wesentlich kürzer fällt die Darlegung der Faktenlage im Falle von Magda Brach aus: „Die Beklagte hat in den Jahren 1957-1961 auf Drängen ihres Mannes Andreas Brach vier von ihm diktierte Briefe mit verleumderischem und verunglimpfendem Inhalt an die Adresse des volksdemokratischen Regimes der Rumänischen Volksrepublik geschrieben, die anschließend an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz mit Sitz in Genf verschickt wurden.“

Das Urteil: mehrjährige Haftstrafen

Andreas Brach wurde zu acht Jahren Umerziehungshaft („închisoare corecţională“) und drei Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte („interdicţie corecţională“) wegen Aufwiegelung gegen die gesellschaftliche Ordnung durch Agitation aufgrund des Artikels 209, Punkt 2, Buchstabe c StGB sowie zu acht Jahren Umerziehungshaft und drei Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte wegen Aufwiegelung gegen die gesellschaftliche Ordnung durch Agitation aufgrund des Artikels 209, Punkt 2, Buchstabe a StGB verurteilt.

Artikel 209 sah unter Punkt 2 vor, dass mit Umerziehungshaft von drei bis zehn Jahren und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte für drei bis fünf Jahre bestraft werden: „a) die Tat, Propaganda und Agitation zu betreiben oder jedwede Aktion zu unternehmen, die eine Änderung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung oder der demokratischen Regierungsform verfolgt oder aus der sich eine Gefahr für die Sicherheit des Staates ergibt; b) […]; c) die Tat der öffentlichen Verleumdung, Schmähung und Verunglimpfung der Gesellschafts- und Staatsordnung, der staatlichen Institutionen und Gemeinschaftsorganisationen, wenn diese entweder von einer einzigen Person in organisierter Weise oder von zwei oder mehreren Personen, die sich zusammengetan haben, begangen wird“.
Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte  erfolgte aufgrund der Artikel 58 („degradare civică“) und 59 StGB („interdicţie corecţională“) und bezog sich auf den Verlust des Rechts, ein öffentliches Amt zu bekleiden, wählen und gewählt zu werden, zum Geschworenen ernannt zu werden oder als Vormund (außer für die eigenen Kinder) zu fungieren.

Aufgrund des Artikels 101 StGB, der das Zusammenfallen mehrerer Straftaten regelte, wurde Andreas Brach zu ingesamt acht Jahren Umerziehungshaft und sechs Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Zudem wurde er seines gesamten persönlichen Vermögens verlustig erklärt.

Magda Brach wurde wegen Komplizenschaft (Artikel 121 und 123 StGB) bei der Verübung der in Artikel 209, Punkt 2, Buchstabe c StGB vorgesehenen Straftat zu fünf Jahren Umerziehungshaft und aufgrund der Artikel 58 und 59 StGB zu drei Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Auch ihr persönliches Vermögen wurde zur Gänze beschlagnahmt.

Die beiden Verurteilten haben gegen das Urteil Revision eingelegt, die jedoch vom Militärgericht Klausenburg am 8. Februar 1962 abgelehnt wurde, sodass das vom Militärgericht Temeswar verhängte Urteil endgültig blieb.

Das Recht zu arbeiten und das Recht zu sterben

Aus der Strafkarteikarte geht hervor, dass Andreas Brach seine Strafe in Salcia „abbüßte“. Aus der Haftanstalt Temeswar wurde er im Juli 1962 über die Zwischenstationen Jilava, Galatz und Ostrov dorthin verlegt. Salcia war – wie im „Lexikon der Strafanstalten im kommunistischen Rumänien (1945-1967)“ [Dicţiona-rul penitenciarelor din România comunistă (1945-1967), Iaşi: Polirom, 2008] nachzulesen ist – eines von zahlreichen Arbeitslagern auf der Großen Brăila-Insel (Insula Mare a Brăilei). Da der Boden auf der 60 Kilometer langen und 20 Kilometer breiten, von zwei Donauarmen umschlossenen Insel besonders fruchtbar, aber durch immer wiederkehrende Überschwemmungen nur bedingt für eine intensive Landwirtschaft nutzbar war, beschloss der kommunistische Staat, zwecks Gewinnung neuen Ackerlandes die Insel einzudeichen und zu entwässern. Die großangelegten Umgestaltungsarbeiten wurden von Häftlingen durchgeführt, wodurch einerseits kostenlose Arbeitskräfte zur Verfügung standen und andererseits das von der offiziellen Propaganda deklarierte Ziel der Umerziehung durch Arbeit erreicht werden sollte. Die rauen klimatischen Bedingungen, die sowohl im Sommer als auch vor allem im Winter herrschten, die schwere und ununterbrochene Arbeit, das Fehlen jedweder technischen Ausstattung (der Boden wurde mit der Spitzhacke oder dem Spaten aufgebrochen und mit Schubkarren transportiert), die karge Ernährung sowie der Mangel an Hygiene haben diese Arbeitskolonien in Exterminierungslager verwandelt, in denen die politischen Häftlinge an der Subsistenzgrenze lebten und arbeiteten. Überliefert ist die Aussage eines Kommandanten, der die Häftlinge bei ihrer Ankunft gewarnt habe, in „seinem“ Lager hätten sie nur zweierlei Rechte: das Recht zu arbeiten und das Recht zu sterben [vgl. Lucia Hossu Longin: Memorialul durerii. O istorie care nu se învaţă la şcoală (Memorial des Schmerzes. Eine Geschichte, die man nicht in der Schule lernt), Bucureşti: Humanitas, 2007, S. 234]. Viele Häftlinge haben in der Tat unter diesen schwierigen Bedingungen nicht überlebt. Die zu Tode Gekommenen wurden in einem Massengrab verscharrt, an dessen Stelle das rumänisch-orthodoxe Erzbistum der Unteren Donau im Jahr 2017 ein Gedenkkreuz errichten ließ.

Die Kälte ging durch Mark und Bein

Am anderen Ende des Landes, im Gefängnis von Großwardein (Oradea) verbüsste Magda Brach ihre Haftstrafe. Aus ihrer Strafkarteikarte geht hervor, dass sie Mitte Juni 1962 von Temeswar nach Arad und von dort viereinhalb Monate später nach Großwardein verlegt wurde. Das dortige Gefängnis zählt zu den ältesten Haftanstalten auf dem Gebiet Rumäniens und war zu kommunistischen Zeiten eines der berüchtigsten. Inhaftiert waren in Großwardein in der ersten Hälfte der 1960er Jahre um die 1000 Gefangene, sowohl Straf- als auch politische Gefangene. Von den sieben Sektionen des Gefängnisses war eine den Frauen vorbehalten. Die 3 mal 3 Meter großen Zellen, in denen die politischen Gefangenenen meist einzeln untergebracht waren, befanden sich in einem desolaten Zustand. Die stärksten Feinde der Häftlinge waren der quälende Hunger, die durch Mark und Bein gehende Kälte und die in den Zellen herrschende Feuchtigkeit. Obwohl sie nicht zu Arbeiten eingesetzt waren, führte die Unterernährung mit der Zeit zu Entkräftung und Krankheiten.  

Das Ehepaar Brach kam aufgrund des Dekrets Nr. 310 vom 16. Juni 1964 frei, wodurch 3467 politische Gefangene begnadigt wurden. Magda Brach wurde am 23. Juni 1964 aus der Haftanstalt Großwardein entlassen, drei Tage später wurde Andreas Brach in Freiheit gesetzt. Drei Jahre ihres Lebens hatte man ihnen geraubt, weil sie sich in ihrem Bemühen um die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz gewandt hatten. Magda Brach hatte knapp zwei Drittel ihrer Strafe abgesessen, bei ihrem Ehegatten waren es gut ein Drittel. Die Begnadigungsmaßnahme hat ihnen womöglich das Leben gerettet.