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Auf den Spuren der Donauschwaben (Teil 1)

Der Dom zu Pécs (Fünfkirchen) Quelle: pecsiegyhazmegye.hu

Das Ungarndeutsche Bildungszentrum in Baja Foto: Halrun Reinholz

Das Weindorf Villánykövesd (Gowisch) Foto: Halrun Reinholz

Was soll das denn sein: „Donauschwaben“, hat so mancher von uns sich gefragt, als er nach der Auswanderung dieser Gruppe zugeordnet wurde. Die Donauschwaben, haben wir gelernt, sind mehr als nur die Banater Schwaben. Und: „Donauschwaben“ ist nur ein Sammelbegriff, der entstanden ist, um diesen verschiedenen Gruppen von Deutschen einen Namen zu geben. Die waren nach dem Zerfall der Habsburger Monarchie vor 100 Jahren zu Minderheitengruppen in den Nachfolgeländern geworden. Und in dieser Zeit haben sie sich sehr unterschiedlich entwickelt, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Südosteuropa (IKGS) an der Universität München hat sich in diesem Sommer mit einer Studienreise auf Spurensuche nach Ungarn, Serbien und Rumänien begeben.

Die „Donauschwaben“ wurden im Laufe eines Jahrhunderts aus verschiedenen Regionen angesiedelt, auch unter wechselnden Bedingungen – mal vom Staat organisiert, mal von privaten Grundherren gerufen. Und obwohl gewisse Gemeinsamkeiten entstanden, waren sie nie eine einheitliche Gruppe. Und doch gab es über rund zwei Jahrhunderte eine ähnliche Entwicklung unter den „Donauschwaben“ im Banat, der Batschka, der Baranya oder dem Sathmarer Land. Durch die Aufteilung des Gebietes auf verschiedene Staaten vor 100 Jahren änderten sich die Grundbedingungen signifikant. Besonders der Zweite Weltkrieg und seine Folgen brachten große Umbrüche für die in diesen Regionen lebenden „Schwaben“. Das Zusammengehörigkeitsgefühl untereinander ging mit den Generationen verloren, man empfand sich nicht mehr als Einheit. Der Zweite Weltkrieg brachte Flucht, Vertreibung, Deportation, sogar gezielte Ermordung der Donauschwaben. Und den Kommunismus. Hinter dem Eisernen Vorhang war selbst in Bruderländern kein Kontakt unter Deutschen erwünscht. Begegnungen wurden erst nach 1989 wieder aufgenommen, oft kam die Initiative, die „Donauschwaben-Reste“ zusammenzusetzen, von Verbandsvertretern aus Deutschland oder Österreich. Auch bei diesen Verbänden zeigt sich die Zersplitterung: Banater Schwaben (aus Rumänien), Donauschwaben (aus Jugoslawien), Deutsche aus Ungarn, Sathmarer Schwaben, Berglanddeutsche führen jeweils ein
Eigenleben. Höchste Zeit also, einmal einen Blick auf das Ganze zu werfen.

Neben dem IKGS waren noch der Verband der deutschen altösterreichischen Landsmannschaften in Österreich, das Deutsche Kulturforum östliches Europa in Potsdam und die ÖCV-Bildungsakademie Veranstalter der Studienreise. Entsprechend bunt gemischt war die Reisegruppe: von Innsbruck bis Flensburg, von Graz bis Potsdam, mit mehr oder weniger oder überhaupt keinem donauschwäbischen Hintergrund, aber mit großer Lust, etwas über diese seltsamen „Schwaben“ zu erfahren. Auch die Altersgruppen waren breit gefächert – vom 21-jährigen Studenten bis zur 86-Jährigen aus der Erlebnisgeneration. „Teamleiter“ der Reise waren IKGS-Direktor Dr. Florian Kührer-Wielach und Traian Almăşan, Reisefachmann aus Klausenburg, der organisatorisch für den reibungslosen Ablauf sorgte.

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Pécs, auch als Fünfkirchen bekannt, ist die Hauptstadt der Baranya, auch Branau genannt. Ihre Verstrickung mit dem Osmanischen Reich ist noch heute symbolhaft sichtbar bei der zur Kirche umgebauten Moschee. Doch auch der gigantische viertürmige Dom hat Symbolkraft als Bollwerk des Abendlandes. Stadtführer János zeigte auf seinem Rundgang mit der Gruppe Spuren bürgerlicher Üppigkeit und die einstige Prosperität einer Handwerks- und Handelsstadt, wo früher selbstverständlich auch deutsch gesprochen wurde. Heute liegt sie grenznah am Rand, die Region gilt als strukturschwach. Die Bevölkerung ist im Rückgang begriffen, Mangel an Arbeitsplätzen lockt die Jugend in die Hauptstadt oder ins Ausland. Die Stadt versucht, sich durch den Ausbau der Universität als Wissenschaftszentrum zu etablieren. Ausländische Studenten, der Medizin zum Beispiel, sollen angelockt werden. Der subjektive Eindruck vom Stadtleben ist jedenfalls positiv: Stets belebte Cafés in der Fußgängerzone, viele junge Leute, obwohl die Studenten Ferien hatten.

Wir besuchten das Valeria Koch Bildungszentrum, eine deutsche „Nationalitätenschule“, die etwa 1200 Schüler jährlich in bilingualem Unterricht vom Kindergarten bis zum Abitur führt. Zielgruppe sind die Angehörigen der deutschen „Nationalität“, die in Ungarn heute als Minderheit offiziell anerkannt ist. Das war nicht immer so, wie wir beim späteren Besuch im Lenau-Haus erfuhren. Für die Donauschwaben in Ungarn änderte sich nach 1918 zunächst am wenigsten. Wie zuvor schon waren sie einer heftigen Magyarisierung ausgesetzt. Wer aufsteigen wollte, musste Ungar werden – in Sprache, Gehabe oder sogar durch Namensänderung. Der „Schwabe“ galt als „Bauerntölpel“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Deutschen zu Sündenböcken für die neuen kommunistischen Machthaber. Etliche wurden vertrieben, viele zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Die Verbliebenen oder Zurückgekehrten bemühten sich, ihre deutsche Herkunft nicht an die große Glocke zu hängen, sie erzogen ihre Kinder zu Ungarn. Die Kádár-Ära nach 1956 brachte eine Verbesserung der Minderheitenrechte, doch erst ab 1980 erhielten die Schulkinder offiziell zweisprachigen Unterricht. Inzwischen war und ist aber die Muttersprache der jungen Donauschwaben längst ungarisch. Nur auf dem Land wird gelegentlich noch Dialekt gesprochen und verstanden. Die Zweitsprache Deutsch ist mittlerweile aber salonfähig geworden und auch aus Gründen der Berufsplanung im EU-Kontext begehrt. Dennoch sieht sich die Schule nicht nur als Vehikel zum Erlernen der deutschen Sprache, sondern auch als Wahrer des regionalen Erbes, wie Direktorin Ibolya Englender-Hoch betonte. Projekte zur regionalen Volkskunde und Geschichte haben einen hohen Stellenwert im Unterricht. So haben Schüler beispielsweise Interviews mit ihren Großeltern und anderen Zeitzeugen gemacht, um deren Lebenserinnerungen zu dokumentieren.

Unser Besuch in dem ehemals donauschwäbischen Dorf Feket zeigte die Realität auf dem Land: Am
Wochenende hat das ehemals nur von Donauschwaben bewohnte Dorf 200 Einwohner, wochentags 120, zur Kirchweih kommen jedoch 2000, die mittlerweile überall verstreut leben. Das Dorf hat heute noch keine Kanalisation oder sonstige Infrastruktur und der Pfarrer kommt aus Véménd alle vier Wochen vorbei. Zum Glück hat sich Tibor mit Frau und vier Kindern in Feket niedergelassen. Er ist kein Donauschwabe und auch kein Pfarrer, aber sowas wie ein Diakon und er hält jeden Sonntag einen Wortgottesdienst für die Dorfbewohner. In einem Siedlerhaus ist ein Dorfmuseum eingerichtet, wo man sich ein Bild davon machen kann, wie es hier einmal ausgesehen hat. Die Einwohner von Feket stammen aus der Gegend von Fulda und einige Dorfbewohner sprechen noch den fränkischen Dialekt, auch die nette Frau, die uns durchs Haus führte. Sie zeigte uns die Trachtenröcke in den Schränken. Die Unterröcke für die Kirchweihtracht werden von Zeit zu Zeit gestärkt und neu in Falten gelegt. Die Tochter des Bürgermeisters sprach deutsch mit uns, sie kennt den Dialekt der Großeltern und lässt sich in Budapest zur Grundschullehrerin ausbilden. Ob sie zurück in die Region kommen wird? Eher nicht, glaubt sie. Das ist auch das Problem des Valeria Koch Schulzentrums: Es fehlen Fachlehrer für den zweisprachigen Unterricht. Für das große Einzugsgebiet der früheren Schwäbischen Türkei hat das Schulzentrum eine wichtige Funktion, es bietet auch ein Schülerwohnheim und ein pädagogisches Zentrum für Lehrerbildung. Austausche und Projekte mit Deutschland und Österreich erhöhen die Motivation für den Deutschunterricht. Dennoch lockt die Hauptstadt Budapest viele Lehrer weg, auch dort gibt es Nationalitätenschulen und dazu eine bessere Infrastruktur. Und so mancher Absolvent der deutschen Nationalitätenschule geht zum Studieren ins Ausland und kommt nicht wieder.

„Die Demografie ist gegen uns“, resümiert Zsolt Vitály vom Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Universität Pécs. Hier gibt es seit 2007 auch einen Stiftungslehrstuhl für deutsche Geschichte Südosteuropas. Anfangs auch in deutscher Sprache, aber das Sprachniveau der Studenten ist nicht hoch genug. Noch wird der Lehrstuhl von der Regierung finanziert, aber nach der Pensionierung von Prof. Gerhard Seewann ist es ungewiss, was daraus wird. Vitály sieht auch bei der derzeitigen Regierung nicht viel Engagement für minderheitenbezogene Projekte. Und das, obwohl Ungarn 13 Minderheiten offiziell anerkannt hat und für die deutsche Emmerich Ritter aus Wudersch (Budaörs) mit Stimmrecht im Parlament vertreten ist.

Die Donauschwaben aus Pécs und der Region werden von der „deutschen Selbstverwaltung“ vertreten, ihr Vorsitzender in Pécs ist János Flódung. Objekt für die Aktivitäten der Minderheit ist das Lenauhaus, das in einem ehemaligen Klostergebäude entstand und 1990 eingeweiht wurde. Ein Haus der Begegnung für Chortreffen, Tanzproben, Lesungen, Vorträge, das aber auch als Treffpunkt für junge Leute genutzt wird. Gefördert wird es von der ungarischen Regierung, der deutschen Bundesregierung oder über Projekte und Spenden. Doch die ungarische Landesregierung bläst derzeit wieder ins nationalistische Horn, das macht Zsolt Vitály misstrauisch. Neben den Universitäten werden von staatlicher Seite bereits „alternative Institute“ gefördert, die den Wissenschaftlern bei guten Bedingungen nahelegen, die Geschichte des 19. Jahrhunderts, in dem sich so manche Ungarn in der Opferrolle sehen, neu zu schreiben.

Die donauschwäbische Gastfreundschaft und Kochkunst konnten wir auf dem Weingut Blum in Gowisch (Villánykövesd) genießen, das in einer bekannten Weinregion liegt. Winzer Blum spricht seinen fränkischen Dialekt noch, er führte uns mit lockeren Sprüchen durch den mehrstöckigen Weinkeller. Davor hatte er mit seinem Sohn bereits ein Spanferkel für uns gegrillt, dazu gab es von der Hausfrau selbst eingemachtes „Saures“ und danach noch hausgemachten Strudel.

Der nächste Tag führte uns endlich an die Donau, um unserem Reisethema gerecht zu werden. Sie trennt die Baranya von der Batschka, ein weiteres Gebiet der Donauschwaben, das sich zwischen Donau und Theiß über Ungarn und Serbien erstreckt. Baja, auch Frankenstadt genannt, ist wie Pécs ein wichtiges Zentrum der Ungarndeutschen. Auch hier besuchten wir das Schulzentrum, ein zweisprachiges Gymnasium mit einer sogenannten „Spezialabteilung“, wo man auch von Lehrern aus Deutschland unterrichtet wird und das deutsche Abitur erwerben kann. Alfred Manz, der Leiter der Fachschaft Deutsch, gab einige Erläuterungen zur Geschichte der Ungarndeutschen, die nach 1945 ihre fränkische Mischmundart praktisch nicht mehr sprachen. In Baja sind heute von knapp 40000 Einwohnern noch rund vier Prozent Deutsche, doch nur wenige von ihnen haben sich aktiv als solche registrieren lassen. Das deutschsprachige Gymnasium gibt es immerhin schon seit 1956. Auch kulturelle
Aktivitäten wie Schwabenbälle, Chor und den „Lenau.Klub“ schon seit 1980. Nach der Wende entstand der „Batschkadeutsche Kulturverein“ und auch die Deutsche Selbstverwaltung zur Kulturpflege. Es gibt eine Zeitung und eine deutschsprachige Radiosendung. Wie in Pécs sieht sich das Schulzentrum von Baja als Hüter der regionalen Identität.  Außer Ungarndeutschen und Ungarn besuchen zum Erlernen der deutschen Sprache allerdings auch serbische Schüler von jenseits der nahegelegenen Grenze den Unterricht an der Schule. Ein wichtiges Schulprojekt ist derzeit der Nachbau einer Ulmer Schachtel in Originalgröße (21x5 Meter), das als Denkmal, als Touristenattraktion, aber auch als Lernort dienen soll. Manz stellt sich einen Lehrpfad für Schüler mit interaktiven Aufgaben vor. Auch in Baja leidet man unter dem Mangel an Fachlehrern mit deutschen Sprachkenntnissen. Obwohl es vor Ort eine Bachelorausbildung für Lehrer gibt, können dort nur wenige Kreditpunkte auf Deutsch erworben werden. Nur an der Eötvös-József-Hochschule in Baja wird die Nationalitätenausbildung für Lehrer angeboten, was jedoch für die Studenten einen zusätzlichen Aufwand bedeutet. Unterstützung kommt von Partnerschulen wie der Pädagogischen Hochschule (PH) Baden bei Wien, die derzeit die Module Mathe und Sport anbietet, oder der PH Ludwigsburg bei Stuttgart.

Da Baja an der Donau liegt, probierten wir die heimische Fischsuppe, eigentlich eine vollwertige Mahlzeit. Die Stadtrundfahrt mit einer Touristenbahn und deutscher Führung zeigte leider, dass nicht alle in Baja das deutschsprachige Gymnasium besuchen oder dass das Tourismusbüro sein Personal nicht an der richtigen Quelle holt. Die Deutschkenntnisse der Führerin waren nämlich so schlecht, dass sie fertige Texte nicht einmal ablesen, geschweige denn ein freies Gespräch führen konnte. Adelheid Menzel vom Schulzentrum schämte sich fremd und ergänzte die Erläuterungen in verständlicher Sprache. Nach einer belebenden Schnapsverkostung in einer noch „jungen“ Brennerei wurden wir aus Baja entlassen, um die Grenze nach Serbien zu überqueren.