Mit „Summa cum laude“ (lat. mit höchstem Lob) wurde Claudiu Călins Dissertation „Die Römisch-katholische Diözese Temeswar während der Zeit von Bischof Dr. h.c. Augustin Pacha (1930-1954)“ bewertet. Am 5. November dieses Jahres verteidigte der als Diözesanarchivar in Temeswar tätige Historiker seine Doktorarbeit am Klausenburger Geschichtsinstitut „George Bariţiu“ der Rumänischen Akademie vor einer fünfköpfigen Promotionskommission unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Ioan Bolovan, Prorektor der „Babeş-Bolyai“-Universität und Direktor des Instituts für Geschichte „George Bariţiu“. Der Kommission gehörten neben dem Doktorvater Dr. Stelian Mândruț, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte „George Bariţiu“ (ein gebürtiger Temeswarer), noch Prof. Dr. Rudolf Gräf, Prorektor der „Babeş-Bolyai“-Universität, Prof. Dr. József Marton von der Fakultät für Römisch-Katholische Theologie Klausenburg/Karlsburg sowie Dr. Attila Varga, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte „George Bariţiu“, an.
Der 38-jährige frischgebackene Doktor der Geschichte stammt aus Ferdinandsberg, wo er die Schule besuchte und das Abitur ablegte. Von 2000 bis 2004 studierte er Geschichte und Germanistik an der Temeswarer West-Universität. Sein Interesse an der Geschichte des Bistums Tschanad/Temeswar entdeckte der angehende Historiker bereits während seiner Studienzeit. Für seine Bachelorarbeit „Die Geschichte der Römisch-katholischen Kirche im Banat im 18. Jahrhundert (1750-1798)“ forschte er unter Anleitung des damaligen Archivars Dr. Franz von Klimstein im Diözesanarchiv. „Franz von Klimstein war bei der Verteidigung meiner Bachelorarbeit dabei. Seine Exzellenz Bischof Martin Roos und der damalige Generalvikar László Böcskei hatten meine Arbeit gelesen und mir gute Tipps gegeben“, sagte Claudiu Călin in einem im August dieses Jahres in der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ (ADZ) erschienenen Interview. Irgendwann sei auch die Frage gefallen, ob er nicht am Archiv tätig sein wolle. Er habe natürlich zugesagt und die Stelle am 1. September 2004 angetreten. Die ersten drei Jahre arbeitete er an der Seite von Franz von Klimstein – für den jungen Archivar ein Glücksfall, denn er konnte von dem versierten Regensburger Archivar sehr viel lernen. Die fach-lichen und praktischen Kenntnisse, die er sich damals aneignete, waren seinem beruflichen Fortkommen von großem Nutzen. Mittlerweile ist Claudiu Călin seit 14 Jahren am Temeswarer Bistumsarchiv tätig, das er wie seine eigene Hosentasche kennt.
Im Jahr 2004 nahm Călin ein Masterstudium im Bereich „Kultur und Management im europäischen Raum“ auf, das er zwei Jahre später mit einer Arbeit über die Geschichte des Bistums Tschanad zur Zeit des Bischofs Franz Anton Engl Graf von Wagrain (1750-1777) abschloss. Im Zuge seines Doktoratsstudiums, zu dem er im Jahr 2008 zugelassen wurde, entfaltete der Historiker eine rege wissenschaftliche Tätigkeit. Teilergeb-nisse seiner Forschungen, die er bei Tagungen, Konferenzen und Symposien vorlegte, wurden in Sammelbänden, Fachperiodika, Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht.
Neben seiner Vortrags- und Publikationstätigkeit war Claudiu Călin in die Organisation von Tagungen und Ausstellungen involviert. Als Mitorganisator verantwortete er das Symposium „Das Werk des hl. Gerhard von Tschanad in kulturellem und biografischem Kontext“ (2013, 2014), er brachte sich in die Gestaltung der Dauerausstellung zur Geschichte der Wallfahrt, der Basilika und des Franziskanerklosters in Maria Radna sowie der Ausstellung zum 280. Jahrestag der Grundsteinlegung des Doms zu Temeswar (2016) ein und kuratierte die große Jubiläumsausstellung „Temeswar 1716. Die Anfänge einer europäischen Stadt“, die aus Anlass des 300. Jahrestags der Befreiung Temeswars von der osmanischen Herrschaft durch die kaiserliche Armee unter Prinz Eugen von Savoyen 2016 in der Theresienbastion und anschließend in den Räumen des Diözesanmuseums gezeigt wurde. Die von der Landsmannschaft der Banater Schwaben erarbeitete deutsche Fassung dieser Ausstellung wurde von Claudiu Călin beim diesjährigen Heimattag in Ulm vorgestellt.
Claudiu Călin nimmt im Bischöflichen Ordinariat neben der Betreuung des Archivs noch weitere Aufgaben wahr: Er ist Kustos des Diözesanmuseums, übernimmt Führungen durch das Museum und die Kathedrale zum heiligen Georg, unterstützt die Öffentlichkeitsarbeit des Bistums und versorgt die Online-, Print- und Funkmedien mit Nachrichten und Berichten aus der römisch-katholischen Diözese Temeswar. Zu den Nutznießern dieses Informationsangebots zählen auch die Landsmannschaft der Banater Schwaben sowie die Redaktion der „Banater Post“. In den letzten Jahren war der passionierte Historiker immer wieder in unserer Verbandszeitung mit Beiträgen zur Geschichte unserer Heimatdiözese und der katholischen Gotteshäuser in Temeswar vertreten. Für seine Mitarbeit sind wir ihm sehr dankbar.
Die in rumänischer Sprache verfasste Promotionsschrift umfasst 375 Seiten und gliedert sich in sieben Kapitel. Im Einführungskapitel wird zunächst die wissenschaftliche, aber auch die persönliche Motivation des Verfassers erläutert, sich der Persönlichkeit und dem Wirken von Bischof Pacha wie auch ausgewählten Aspekten zur Geschichte der Diözese Temeswar in der Zeit seines Episkopats zu widmen. Breiteren Raum nimmt sodann die Darstellung des Forschungsstands ein, die einen
systematischen Überblick über die Sekundärliteratur zum behandelten Thema bietet, sowie des historischen, geografischen und institutionellen Rahmens, innerhalb dessen sich die wechselvolle Geschichte der Diözese Tschanad/Temeswar abspielte. Der Verfasser weist als nächstes auf den interdisziplinären Ansatz seiner Arbeit hin, die sich zwar in erster Linie als geschichtliche beziehungsweise kirchengeschichtliche Abhandlung versteht, jedoch auch andere Wissensbereiche mit einbezieht. Abschließend wird das Quellenfundament beschrieben, auf das sich die Doktorarbeit stützt. Neben der Auswertung der einschlägigen Literatur hat Claudiu Călin eine Vielzahl archivalischer Quellen herangezogen, was eine der Stärken seines wissenschaftlichen Unterfangens ausmacht. Als guter Kenner der Bestände des Temeswarer Diözesanarchivs konnte er sozusagen aus dem Vollen schöpfen, doch berücksichtigt wurden auch andere Archivbestände.
„Augustin Pacha im Kontext der Geschichte seiner Diözese“ betitelt sich das zweite Kapitel der Arbeit. Dabei skizziert Călin zunächst die Entwicklung der Diözese Tschanad von deren Gründung im Jahr 1030 bis zu ihrer Dreiteilung nach dem Ersten Weltkrieg, um anschließend die Biografie von Augustin Pacha (1870-1954) ausführlich nachzuzeichnen. Die folgenden Unterkapitel behandeln die Geschichte der
römisch-katholischen Kirche in dem Rumänien zugefallenen Teil des Banats von der 1923 erfolgten Einrichtung der Apostolischen Administratur Temeswar über deren Erhebung zum Bistum im Jahr 1930 bis zu der von den kommunistischen Machthabern 1948 verfügten Auflösung der Diözese. Im Mittelpunkt der Darstellung dieses politisch turbulenten Vierteljahrhunderts steht das segensreiche Wirken des Apostolischen Administrators und späteren Bischofs Augustin Pacha. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer gerafften Darstellung der schwierigen Lage der katholischen Kirche im Banat in der Zeit des Kommunismus.
Im drittel Kapitel – mit knapp 140 Seiten das umfangreichste – geht es um „Einige Aspekte aus dem Leben der Diözese Temeswar in der Zeitspanne 1930-1948“. Eine ausführliche Beschreibung erfährt die Tätigkeit der im Banat angesiedelten Ordensgemeinschaften in der Zeit des Episkopats von Augustin Pacha. Zunächst geht der Autor auf das fruchtbare Wirken der Frauenorden (Notre Dame-Schwestern, Franziskanerinnen, Vinzentinerinnen, Sozialschwestern und Benediktinerinnen von der hl. Lioba) ein, um dann die breit gefächerte Tätigkeit der Männerorden (Franziskaner, Minoriten, Barmherzige Brüder, Piaristen und Salvatorianer) zu würdigen. Ein weiteres Unterkapitel ist dem Priester-seminar in Temeswar gewidmet, einer Einrichtung, der Bischof Pacha besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Der Autor setzt sich außerdem mit der Tätigkeit des von Josef Nischbach 1932 gegründeten Bonifatiusvereins auseinander, der sich zum Ziel setzte, die religiös-kulturelle Betreuung der deutschen Katholiken in jenen Banater Siedlungen sicherzustellen, in denen diese als ethnisch-konfessionelle Gruppe in der Minderheit waren. Nachdem die Beziehungen des Bistums zur Griechisch-Katholischen Diözese Lugosch und zu den anderen Glaubensgemeinschaften im Banat beleuchtet werden, untersucht der Autor die Haltung von Bischof Pacha zum Nationalsozialismus. Seine Ausführungen beziehen sich vornehmlich auf die folgenschwere Audienz des Kirchenoberhaupts beim Reichskanzler Adolf Hitler im Februar 1934 sowie auf den Brief, den Pacha am 31. Dezember 1940 an Hitler gerichtet hat. Anlass des Schreibens war ein auf Veranlassung der Volksgruppenführung am Weihnachtsabend in allen deutschen Zeitungen Rumäniens veröffentlichter Leitartikel, der für „Unruhe und Befremden“ gesorgt und die Weihnachtsstimmung außerordentlich getrübt hatte. Die „von unserer Volksführung ausgehende Herabsetzung des Christentums und Anpreisung [der] als Weihnachtsersatz gedachten Sonnwendfeier“ verletze das religiöse Gefühl nicht nur seiner Gläubigen und Volksgenossen, „sondern auch Ihrer unter uns weilenden Soldaten“, ließ der Temeswarer Bischof den Führer wissen.
Gegenstand des vierten Kapitels sind die Jahre 1950-1954, die sich als schwerwiegendste Zeit in der Geschichte der Diözese Temeswar und der gesamten Katholischen Kirche in Rumänien erwiesen. Im Mittelpunkt der Darlegungen steht der stalinistische Schauprozess gegen Bischof Pacha. Ausgehend von dem mutigen, im Juni 1950 verkündeten Hirtenbrief des Banater Kirchenoberhaupts erläutert der Autor die politisch-ideologischen Voraussetzungen und Hintergründe des Prozesses und der Festnahme des achtzigjährigen Bischofs im Juli 1950. Dass es sich bei dem sogenannten „Prozess einer Gruppe von Spionen, Verrätern und Verschwörern im Dienste des Vatikans und des italienischen Spionagezentrums“ um eine vom rumänischen Geheimdienst Securitate inszenierte, sich auf konstruierte Anschuldigungen, erpresste Geständnisse und Zeugenaussagen stützende juristische Farce handelte, war augenscheinlich. Anhand des im CNSAS-Archiv in Bukarest verwahrten umfangreichen Aktenbestandes rekonstruiert der Autor den Ablauf des Prozesses, der im September 1951 vor einem Bukarester Militärgericht stattfand und zur Verurteilung der zehn Angeklagten zu schweren Gefängnisstrafen führte. Das Strafmaß für Bischof Pacha lautete 18 Jahre schweren Kerkers. Seine Haftzeit verbrachte er im berüchtigten Gefängnis Sighet. Aus Angst, dass der Bischof zu einem Märtyrer werden könnte, wurde er am 31. Mai 1954 begnadigt. Wenige Monate später, am 4. November 1954, starb er in Temeswar.
Im fünften Kapitel werden die Forschungsergebnisse und wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst. Die beiden letzten Kapitel enthalten ein umfangreiches Literaturverzeichnis beziehungsweise einen Bild- und Dokumentenanhang.
Gemessen an der fast 990-jährigen Existenz des Bistums Tschanad/Temeswar stellt das knapp drei Jahrzehnte umfassende Episkopat von Bischof Pacha zwar nur eine kurze, aber umso wichtigere Zeitspanne dar. Die tiefgreifenden territorialen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen im Gefolge der beiden Weltkriege, die Kirchenfeindlichkeit des Nationalsozialismus, dem sich die sogenannte Erneuerungsbewegung, später die Deutsche Volksgruppe in Rumänien verpflichtet fühlten, die Verfolgung und Diskriminierung der katholischen Kirche durch das atheistisch-kommunistische Regime stellten die katholische Kirche im Banat und ihren Oberhirten vor große Herausforderungen. Im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen und in Wahrnehmung des pastoralen Auftrags der Kirche versuchten Bischof Pacha und sein Klerus, die vielfältigen Herausforderungen – so gut es eben unter schwierigen Bedingungen möglich war, zu meistern.
Es ist das Verdienst von Claudiu Călin, in seiner Dissertation wesentliche Facetten des kirchlich-religiösen Lebens in der Diözese Temeswar in der Zeit von 1923/1930 bis 1954 – wobei der zeitliche Rahmen wesentlich weiter gesteckt ist – auf solider Quellenbasis beleuchtet und die Gestalt des Bischofs Augustin Pacha ins rechte Licht gerückt zu haben. Sein Fazit: Das von der kommunistischen Propaganda und Geschichtsschreibung und zum Teil auch noch in Publikationen der Nachwendezeit vermittelte Bild dieses Bischofs entspricht in keiner Weise der historischen Wahrheit. Im Gegenteil: Er war ein besonders populärer und menschennaher Bischof, der sich großer Wertschätzung seitens der katholischen Gemeinschaft im Banat und auch darüber hinaus erfreute. Pacha, der „Schwabenbischof“, verstand sich als Hirte seines Volkes, das er durch unruhiges Fahrwasser geleitete. Er besitze „einen wohlverdienten Platz unter den Bischöfen unseres Bistums und unter den Persönlichkeiten des Banats“, so Călin gegenüber der ADZ.
Angesichts der Relevanz des Themas und der leuchtenden Gestalt des von den Banater Schwaben nach wie vor hoch verehrten Bischofs Augustin Pacha würden sich eine Übersetzung der Arbeit ins Deutsche und ine Veröffentlichung in Buchform anbieten.