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Banater Germanistin, Hochschullehrerin, Forscherin (2)

Rückblickende Anerkennung beglückt.

21. Juli 1991 in Nufringen Begegnung zweier Mundartforscher: Peter Kottler mit seiner einstigen Lehrerin und Kollegin Dr. Maria Pechtol. Erinnerungen aus 15 Jahren gemeinsamen Bemühens.

Inmitten von Kolleginnen und Kollegen um 1963; oben (von links): Dr. Johann Wolf, Dr. Stefan Binder, Dr. Rudolf Hollinger; Mitte: Herbert Bockel, Christina Stanciu, Eva Marschang, Elisabeth Kyri; unten: Josef Zirenner, Yvonne Lucuţa, Galina Salapina, Dr. Maria Pechtol, Dr. Maria Belizare, Franziska Itu

Einen gewichtigen Anteil an den sprachwissenschaftlichen Vorhaben des Lehrstuhls hatten von Anfang an die Erfassung und Erforschung der Banater deutschen Mundarten. Ziele waren die Erarbeitung eines Wörterbuchs und eines Sprachatlas des Banatschwäbischen, sodann eines Wörterbuchs deutscher Entlehnungen im Wortschatz des Rumänischen, überhaupt der Interferenz-
Erscheinungen unter Berücksichtigung des Ungarischen, Französischen und slawischer Sprachen. Ein unendlich weites, größtenteils unbeackertes Feld, das auf seine Erschließung zu warten schien. Der mehreren Temeswarer Volksgruppen zugehörige I. Gh. (Géza) Stoica, Dekan der Philologischen Fakultät zwischen 1958 und 1964, befasste sich selbst mit der gegenseitigen sprachlichen Beeinflussung.

Die schon erwähnten Lehrer hatten Konzepte, praktische Richtlinien bereitzustellen und vor allem Studenten für den Einsatz in den Heimatgemeinden zu gewinnen, sie durch Überzeugungsarbeit zu motivieren. Die erste Anlaufstelle war der Arbeitskreis für Mundartforschung. Dr. Maria Pechtol entwarf einen Fragebogen zur Konjugation des Verbs, der zusammen mit Peter Kottler, inzwischen Assistent am Lehrstuhl, erweitert wurde zu einer „Grammatik der deutschen Mundarten des Banats“.

Im Studienjahr 1968/69 hat Dr. Maria Pechtol eine Vorlesung über die Banater deutschen Mundarten eingeführt.

Forschungstätigkeit und Publikationen

Von vielen Interessierten gedrängt, veröffentlichte sie ihre Dissertation. Leicht gekürzt, aber durch wichtiges Bildmaterial erweitert, erschien sie unter dem Titel „Thalia in Temeswar. Die Geschichte des Temeswarer deutschen Theaters im 18. und 19. Jahrhundert“ (Bukarest: Kriterion Verlag 1972, 220 Seiten + 11 Bilder). Die „Neue Banater Zeitung“ hatte in mehreren Folgen einen Vorabdruck gebracht (1970). Im gleichen Jahr war ebenda aus Anlass von Beethovens 200. Geburtstag der Artikel „Fidelio in Temeswar“ erschienen. Abgesehen von einer späten, auszugsweisen Bearbeitung (für den Sammelband „Tausend Jahre Nachbarschaft. Deutsche in Südosteuropa“, München 1981), war für sie 1972 dieses Thema abgeschlossen, doch ihre Arbeit diente und dient (über die im Titel angegebene Begrenzung auf Temeswar hinausreichend) als wichtige Forschungsgrundlage zur Wiener Theater- und Kulturgeschichte – bezogen auf Wien und die Zentren der sogenannten „Nebenländer“ des Vielvölkerstaates Österreich.

Ihre mit Leidenschaft betriebene Erforschung der gesprochenen deutschen Sprache im Banat erfuhr damit keine bemerkbare Unterbrechung. Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre erschienen viele Beiträge von ihr (neben solchen anderer Autoren):

1. zu Fragen des Sprachgebrauchs in der Umgangssprache, zu Fehlerquellen und sprachlicher Korrektheit. – Bemerkenswert ist, dass es zu einem sich ergänzenden Ineinandergreifen der Bemühungen von Siebenbürger und Banater Kollegen gekommen war. Sie sahen sich gemeinsam in der Verantwortung, bedrohlichen Erscheinungen, wie einem Abgleiten der Muttersprache ins Klischeehafte, ins Mangelhafte, ins Altertümliche (Konservensprache!) entgegenzuwirken. Der „Neue Weg“ diente als gemeinsame Plattform.

2. Beiträge zu Banater Mundarten (veröffentlicht hauptsächlich in der „Neuen Banater Zeitung“). Dr. Hans Gehl, der ihre diesbezüglichen Leistungen am ausführlichsten gewürdigt hat, liefert eine Übersicht dieser Veröffentlichungen.

Mit Blick auf das Vorhaben „Schwäbisches Wörterbuch“ schreibt sie „Musterstücke“ für die thematische Aufarbeitung der beim Lehrstuhl vorhandenen Sammlung (NBZ, 1971-1973). Das Ergebnis der Sammeltätigkeit ist beachtlich gewesen. Das Banater Mundartarchiv war durch indivi-
duell oder in Gruppen betriebene Befragungen und Aufzeichnungen, „durch systematische Feldforschung im gesamten Banat“ angewachsen. Dr. Gehl nennt Zahlen für die karteimäßig erfassten Dialektaufnahmen: 330000 zwischen 1961 (dem Jahr der ersten Absolventen) und 2006 (fünfzig Jahre seit Bestehen der Germanistik in Temeswar). Zu Pechtols Zeit war diese Zahl zwar noch nicht erreicht, doch die Auswertung musste einsetzen.

Es waren mehrere Reihen vorbildlicher Beiträge zu Mundart und Volkskunde, die Maria Pechtol – gestützt auf diese Fülle – schrieb: Aus dem Schatz der Banater deutschen Mundarten (neun Folgen); Wort-Entlehnungen, kommentiert: Wie die Schwowe „parliere“. Französisches Wortgut in den Banater Mundarten (mit Hinweisen auf französische Siedler im 18. Jahrhundert; zwei Folgen, bereits 1970); Ungarisches Lehngut in den Banater deutschen Mundarten (zwölf Folgen); Rumänische Lehnwörter in den Banater deutschen Mundarten (sieben Folgen); weniger ergiebig die Untersuchung zum serbischen Lehngut (zwei Folgen). In weiteren Artikeln befasst sie sich mit älteren Wortformen, zum Beispiel Krankheitsbezeichnungen, Hintergründe mancher Krankheiten, Volksmedizin, einschließlich des Brauchens. Oder – im Hinblick auf den zu erstellenden Sprachatlas – verfolgt sie Verbreitung und geographische Streuung von Synonymen aus dem Grundwortschatz unserer Mundarten, zum Beispiel: Sießi Got, saurer Pat; Großmutter, Großi, Oma?; Maje oder in Visit gehn. Eine andere Reihe: Bollerloch und andere Spiele (zwei Folgen).

Mundartliche Themen wurden zu Diplomarbeiten / Examensarbeiten ausgebaut. Sofern es um Wortschatzthemen ging, waren immer auch die volks- und heimatkundlichen Aspekte herauszustreichen und zu erläutern. Anders geartet die Arbeiten, die Fragen der Lautung und Grammatik behandelten. Die Mundartarbeiten gehören – neben Literaturarbeiten, die sich mit dem kulturellen Erbe des Banater Deutschtums befassen – zu den wertvollsten der in Temeswar erstellten Abschlussarbeiten. Dr. Maria Pechtol hat (bis einschließlich 1974) 39 von insgesamt 200 Mundartarbeiten (Stand 2006) betreut.

Allerdings ist zu beklagen (der Ausdruck ist bewusst gesetzt), dass das Unterrichtsministerium dem Lehrstuhl in all den Jahrzehnten keinen hauptamtlich eingesetzten Mundartforscher zugebilligt hat, und das zum Teil leidenschaftlich angegangene Projekt nur „nebenbei“, d. h. neben der Vollzeitbeschäftigung und den vielerlei anfallenden Aufgaben betrieben werden konnte. Angesichts des nahezu vierzig Jahre hindurch vorhanden gewesenen großen Potentials an einsatzfreudigen Lehrern, an Mundart sprechenden Studenten und größtenteils noch kompakt bestehender deutscher Dorfgemeinschaften sind diese durchaus schwierigen Forschungsbedingungen als schwerwiegendes und nun – da diese Gemeinschaften so nicht mehr bestehen – nicht mehr korrigierbares Versäumnis einzustufen. Peter Kottler (gestorben im Juli 2013) hat gerade noch das Erscheinen des ersten Wörterbuch-Bandes erlebt. Drei junge Kräfte standen ihm zur Seite: Dr. Alwine Ivănescu,
Dr. Mihaela Şandor und Dr. Gabriela Şandor; sie bemühen sich, ebenfalls „nebenbei“, um die Fertigstellung des zweiten Bandes.

In Tübingen hat indes Dr. Hans Gehl am Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde ein Archiv und Forschungszentrum für donauschwäbische Dialektologie und Volkskunde aufbauen können und hat mit der ihm eigenen Energie, Arbeitsdisziplin und mit Weitblick die Aufarbeitung vorangetrieben (zwischen 1987 und 2004). Die Vorhaben in Temeswar werden voraussichtlich Torso bleiben.

Der Vollständigkeit halber seien diejenigen Lehrkräfte genannt, die Dr. Gehl „der Pionierzeit“ zurechnet, also noch Kolleginnen und Kollegen von Dr. Pechtol gewesen sind, bisher nicht genannt wurden, weil sie sich mehr mit der älteren und neuen Literatur dieses Landstrichs befassten: Dr. Hans Weresch, Josef Zirenner, Dr. Rudolf Hollinger, Eva Marschang, Franziska Itu, Karl Streit, Dr. Herbert Bockel, Radegunde Täuber, Dr. Walter Engel. Eine ergänzungsbedürftige Auflistung, will man die späteren Jahrzehnte miteinbeziehen.

Von den Mundartforschern der Temeswarer Uni, Lehrern, Studenten, Absolventen, ist als bleibendes Verdienst ein Ansporn ausgegangen, wie er in dem Ausmaß nicht vorauszusehen war, denn viele fühlten sich zum Mitmachen angesprochen, zum Sammeln und Veröffentlichen angeeifert, auch solche, die im Alltag verschiedensten Berufen nachgingen. Im Banat war eine erstaunliche Bewegung ins Rollen gekommen, an deren Zustandekommen Dr. Pechtol bedeutenden Anteil hatte. Vor allem die Lehrer in unseren Gemeinden hatten sich eingereiht und viele ihrer Schüler.

Nicht zu übersehen ist die Flut neuer Mundartgedichte und die große Beliebtheit der NBZ-Sonderseite „Die Pipatsch“; Chefredakteur Nikolaus Berwanger war selbst auch Mundartdichter. Manche Sparten waren so ergiebig, dass sie in Buchform herausgebracht wurden. Etwas später erstreckte sich das Interesse etlicher Leser auch auf das Gebiet von Literatur; spannend gestalteten sich insbesondere die Stellungnahmen zu moderner Lyrik. Neues trat auf, forderte und bekam Beachtung. Einige dieser jungen Dichter wurden später zur „Aktionsgruppe“ erklärt. Inmitten dieser erfreulichen Bewegung war Maria Pechtol demnach eine von vielen, aber eine der Ersten.

Berufsethos und Persönlichkeitsbild

Während dieser Rückbesinnung auf ihr Leben und ihr nachhaltiges Wirken trat unwillkürlich sie selbst wieder in Erscheinung: Sie war ungemein fleißig und ordentlich, Anteil nehmend, zuweilen mit spitzer Zunge, aber ohne zu beleidigen, weil Humor zu ihrem Umgang mit Menschen gehörte; wohltuend locker, hilfsbereit und bescheiden, gewissenhaft, politisch zurückhaltend; sie war praktisch veranlagt, gern mit dem Fahrrad oder ihrem Moped unterwegs. Ihr fehlendes politisches Engagement kostete sie jedenfalls den Aufstieg auf der Karriereleiter. Sie ging als Lektor in Rente.

Sie lebte vor, was sie von ihren Schülern und Studenten an Leistung einforderte, an Haltung erwartete.

Die Aussiedlung und die Zeit danach

Ihre Aussiedlung zusammen mit Ehemann Erwin Pechtol erfolgte 1978, herausgekauft von der Familie ihrer einstigen Jugendfreundin aus Mastort, auch Leidendgenossin während der Russlandjahre. Bei ihnen, in Herrenberg, fanden sie und ihr Mann ihr neues Zuhause. Auch wenn sie sich von den landsmannschaftlich organisierten Kulturtagungen fernhielt, fand ihre aktive Natur genug zu tun, nicht zuletzt im Garten, sie war eine gute Hausfrau, hatte Freude am Backen und hielt genügend Kontakte zu einstigen Weggefährten lebendig; zudem hatte sie einen lebensfrohen Mann an ihrer Seite. Sie empfanden sich nicht als einsam.

Nach dem Tod ihres Mannes (19. September 1912 – 27. Oktober 1988) fand sie – alten Neigungen und Überzeugungen folgend – in wiederholter klösterlicher Einkehr seelisches Gleichgewicht und inneren Frieden. Nach einigen Jahren entschloss sie sich zum Umzug in das Stuttgarter Alten- und Pflegeheim „Haus Martinus“, in der Trägerschaft des Caritas-Verbandes, Olgastraße 93a. Dort wohnte sie ab dem 15. Januar 1997 bis zu ihrem Tod am 25. Juli 2003. Beigesetzt wurde sie auf dem Herrenberger Waldfriedhof. Einige ihrer einstigen Freunde, Kollegen und Studenten nahmen hier Abschied von ihr.

Literatur (Auswahl)

Anton Peter Petri: Biographisches Lexikon des Banater Deutschtums.  Marquartstein 1992; [Horst Fassel, nicht gez.] Maria Pechtol 75. In: Banatica. Beiträge zur deutschen Kultur (Freiburg i. Br.), 10. Jg. (1993), Heft 4, S. 54 f.; Hans Gehl: Maria Pechtols Tätigkeit als Hochschullehrkraft. In: Zeitschrift der Germanisten Rumäniens (Bukarest), 8. Jg. (1999), Heft 15-16, S. 332-337 (mit Verzeichnis der von Maria Pechtol betreuten Diplomarbeiten von Germanistik-Absolventen); Derselbe: Fünfzig Jahre Temeswarer Germanistiklehrstuhl und Hochschullehrer der Pionierzeit. Hrsg. von Dieter Michelbach. Temeswar 2006, S. 65-69; Derselbe: Vorzüglicher Mensch und tüchtige Hochschullehrerin [Nachruf]. In: Banater Post (München), 48. Jg. (2003), Nr. 16 vom 20. August, S. 7; überarbeitete Varianten in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter (München), 52. Jg. (2003), Heft 3, S. 245-249; Mathias Egler u. a.: Der Absolventenjahrgang 1954 der Deutschen Pädagogischen Lehrerbildungsanstalt Temeschburg. Karlsruhe 2006, S. 74-75. – Darin sind an mehreren Stellen dankbare Erinnerungen an ihren Unterricht und ihre Persönlichkeit anzutreffen.  

Die eingangs erwähnten, hier erstmals ausgewerteten Quellen, hat mir Maria Pechtol bei ihrem Umzug ins Seniorenheim übergeben. Die nach und nach ergänzte Schütz-Pechtol-Dokumentation befindet sich größtenteils seit 2011 in Sindelfingen, im Haus der Donauschwaben, weniges in Ulm, im Donauschwäbischen Zentralmuseum.

Anmerkungen

Berichtigung zu Teil 1: Die zweite Ehefrau von Dr. Josef Schütz hieß nicht Katharina, sondern Magdalena.

Reicher bebildert erscheint die Maria Pechtol gewidmete Würdigung im Banater Kalender 2019.