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Freikauf-Veranstaltung in Berlin zu Fragen, auf die es noch keine Antwort gibt

Referent Ernst Meinhardt und Dr. Georg Herbstritt, Moderator der Veranstaltung in der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde Berlin Foto: Richard Fasching

Über den Freikauf der Rumäniendeutschen wissen wir heute sehr viel mehr als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Wir kennen den Inhalt der sieben deutsch-rumänischen vertraulichen Vereinbarungen, durch die im Zeitraum 1968-1989 225000 Deutsche aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen durften. Wir wissen, welche Ablösebeträge die Bundesregierung für jeden einzelnen Aussiedler an Rumänien zahlte. Wir wissen, dass wir unsere Ausreise vor allem einem Mann verdanken: Dr. Heinz Günther Hüsch. Der Rechtsanwalt und CDU-Landtags- und Bundestagsabgeordnete war in all den Jahren der einzige bundesdeutsche Unterhändler. Wir wissen, dass seine Verhandlungspartner auf rumänischer Seite Offiziere des Geheimdienstes Securitate waren. Wir wissen, dass man in den 1980-er Jahren in Rumänien kaum eine Chance hatte, ausreisen zu dürfen, wenn man nicht „schmierte“.

All das wissen wir, weil es nach dem Ende des kommunistischen Regimes auf beiden Seiten – auf deutscher und auf rumänischer – erforscht wurde.  Und trotzdem gibt es immer noch Fragen, auf die wir keine Antwort haben. Das zeigte sich am 3. Mai 2018 auf einer Veranstaltung in Berlin, zu der die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde und ihr Förderverein eingeladen hatten. Der Referent Ernst Meinhardt fasste zunächst zusammen, was wir über den Freikauf Rumänien wissen. Dann ging er auf Fragen ein, die noch geklärt werden müssen. Meinhardt ist Redakteur bei der Deutschen Welle in Berlin. Mit dem Freikauf beschäftigt er sich seit anderthalb Jahrzehnten.

Eine Frage, auf die wir keine endgültige Antwort haben, lautet: Wie viel Geld ist in der Zeit zwischen 1968 und 1989 für Aussiedler „offiziell“ von Deutschland nach Rumänien geflossen? Wir kennen zwar die genauen Pro-Kopf-Beträge, auf die sich die deutsche und die rumänische Seite in den Vereinbarungen verständigt hatten. Aber diese Pro-Kopf-Beträge lassen keine Rückschlüsse auf die Gesamtsumme zu. Denn: In den Vereinbarungen der ersten zehn Jahre wurde nach „Kategorien“ gezahlt: für Schüler, Hausfrauen, Rentner weniger, für Facharbeiter deutlich mehr, für Studenten noch mehr, am meisten für Akademiker. Aus den amtlichen deutschen Statistiken geht zwar hervor, wie viele Aussiedler aus Rumänien in jedem Jahr zwischen 1968 und 1989 nach Deutschland gekommen sind. Die Statistiken schlüsseln aber nicht nach „Kategorien“ auf, sondern geben nur die Gesamtzahl an.

Auf einen genauen Betrag wollte sich der deutsche Verhandlungsführer Dr. Heinz Günther Hüsch bisher nicht festlegen. Auf einer Großveranstaltung 2014 in Berlin sagte er: „Eine Milliarde DM sind zu wenig, drei Milliarden sind zu viel.“ Der tatsächliche Betrag liege irgendwo in der Mitte. Aber wo?

Sehr viel mehr offene Fragen als bei den offiziellen deutschen Zahlungen gibt es beim Schmiergeld. Das liegt in erster Linie daran, dass weder die Banater Schwaben noch die Siebenbürger Sachsen bereit sind, über dieses Thema zu sprechen. Dass wir dennoch einiges wissen, verdanken wir in erster Linie der rumänischen Zeitung „Timişoara internaţional“. Darüber hinaus findet man vereinzelt Berichte in der Banater Erinnerungsliteratur, sprich in Ortschroniken oder Autobiographien.

Fest steht, dass das Schmiergeld-unwesen im Banat stärker ausgeprägt war als in Siebenbürgen. Woran das lag, wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, wie viel Schmiergeld insgesamt gezahlt wurde. Schätzungen reichen von 100 Millionen DM bis zu einer Milliarde DM – allein auf die 1980-er Jahre bezogen.

Nach dem, was die Zeitung „Timişoara internaţional“ bereits vor 25 Jahren herausfand, scheint das Schmiergeld an dieselbe Stelle gegangen zu sein wie die „offiziellen“ deutschen Zahlungen: an das Bukarester Innenministerium. Ioan Dan, Militärstaatsanwalt und stellvertretender Leiter der Generaldirektion der Militärgerichte Rumäniens, sagte der Zeitung 1994: „Das Geld wurde ja von Mittelsmännern (‚intermediari‘) in Empfang genommen. Sie übergaben es Miliz- oder Securitate-Offizieren. Von dort ging es nach Bukarest und von dort zur Einheit von (Securitate-)General (Aristotel) Stamatoiu. Wir waren in Bukarest, wo das Geld aus den verschiedenen Landesteilen auf das Konto des Innen-ministeriums eingezahlt wurde. Da ging es um DM-Beträge in Millionenhöhe. General Stamatoiu bestätigte uns, dass er das Geld erhalten hat. Ob das ganze Geld nach Bukarest ging oder ob ein Teil davon abgezweigt wurde und in die eigenen Taschen wanderte, kann nicht mehr geklärt werden. Darüber wurde nicht Buch geführt. In Bukarest kam Geld an, dessen Herkunft nicht aufgeschlüsselt war. Die Mittelsmänner schrieben in ihre Notizbücher, von wem sie Geld genommen hatten. Immer wenn eine bestimmte Summe zusammen war, wurde das Geld nach Bukarest geschafft. Wir haben keine Garantie, dass das ganze Geld nach Bukarest ging. Wir können aber auch nicht beweisen, dass ein Teil einbehalten wurde. General Stamatoiu hat uns das Konto genannt, auf das das Geld eingezahlt wurde.“(1)

Es sei noch hinzugefügt, dass die Zahlung von Schmiergeld – selbstverständlich – nie quittiert wurde.

Für Ernst Meinhardt ist obige Aussage des Militärstaatsanwalts Ioan Dan ein Beleg dafür, dass die Schmiergeldpraxis von der obersten Staats- und Parteiführung Rumäniens geduldet und gedeckt wurde.  Meinhardt schließt nicht aus, dass sie sogar von ihr angeordnet wurde. Denn: Der rumänischen Führung dürfte nicht entgangen sein, sagt er, wie viel Geld die Bundesrepublik der DDR für die Freilassung und Ausreise politischer Häftlinge zahlte. Es sei ein Vielfaches der 9000 DM gewesen, die Rumänien zuletzt pro Aussiedler erhielt. Warum sollte sich Rumänien durch das Schmiergeld nicht eine zusätzliche Einnahmequelle schaffen, wenn von Deutschland offenbar nicht mehr zu bekommen war?

Johann Schöpf, stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins und Organisator der Veranstaltung in Marienfelde, wies in seiner Wortmeldung darauf hin, dass die Schmiergeldpraxis schon bei den Antragsformularen begann. Sie seien sehr schwer zu bekommen gewesen. Das Ausfüllen sei kompliziert gewesen, so dass sich manch einer Hilfe holen musste, für die er natürlich bezahlen musste.

Eine oft gestellte Frage, auf die wir nach wie vor keine Antwort haben, lautet: Was ist mit dem von Deutschland gezahlten Geld und mit dem Schmiergeld geschehen, nachdem es auf Konten des Innenministeriums landete? Dr. Georg Herbstritt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Berlin und Moderator in Marienfelde, vermutet, dass es zur Rückzahlung der Auslandsschulden Rumäniens verwendet worden sein könnte. Diese These stützt der ehemalige rumänische Freikauf-Unterhändler und Securitate-Oberst Stelian Octavian Andronic in seinen Memoiren. Aufgabe der von ihm von Ende der 1970-er bis Mitte der 1980-er Jahre geleiteten „Einheit für Valuta-Sonderaktionen“ („Unitatea pentru Acţiuni Valutare Speciale / A.V.S.“) sei es gewesen, „mit geheimdienstlichen Mitteln Valuta für den Staatshaushalt zu beschaffen, um so zur Rückzahlung der Auslandsschulden beizutragen, ohne dafür die Volkswirtschaft oder den Staatshaushalt in Anspruch zu nehmen, also ohne den Export von Waren oder Dienstleistungen.“(2) Warum Andronic Mitte der 1980-er Jahre seinen Posten als Chef der „Einheit für Valuta-Sonderaktionen / A.V.S.“ verlor und durch Stamatoiu ersetzt wurde, ist unklar. Wie Andronic war auch Stamatoiu Verhandlungspartner von Dr. Hüsch. Stamatoiu war es aber nur kurze Zeit. In den Verhandlungen führte er den Decknamen „Ene“.

Eine interessante Frage stellte Dr. Helge Heidemeyer, Leiter der Abteilung Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und Vorsitzender des Fördervereins der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde: „Wie ist man unter die 10000, 11000 oder 13000 gekommen, die Jahr für Jahr aus Rumänien ausreisen durften?“ Auf diese Frage gibt es auch drei Jahrzehnte nach dem Ende des kommunistischen Regimes keine Antwort. Auch nicht auf die Publikumsfrage: „Kennen Sie jemanden, der in den 80-er Jahren ohne Bestechung ausgereist ist?“ Die Frage war sicher provokant gemeint, aber warum sollte man sie nicht stellen? Es bleibt also noch viel zu klären: für Forscher ebenso wie für Journalisten, aber auch für alle anderen, die an historischen Themen interessiert sind. Die Leser der „Banater Post“ sind herzlich eingeladen, mit ihrem Wissen die Aufarbeitung dieses Themas voranzubringen. (BP)

 

Anmerkungen

(1) Timişoara internaţional, Nr. 22 vom 29. Januar 1994, Seite 8; „Sclavia modernă: Vânzarea de etnici germani“ („Moderne Sklaverei – Der Verkauf von Volksdeutschen“)

(2) Stelian Ocatvian Andronic: „36 de ani în serviciile secrete ale României – Din respect pentru adevăr – Memorii“ („36 Jahre in den Geheimdiensten Rumäniens – Aus Respekt vor der Wahrheit – Erinnerungen“), Bukarest, 2008, Seite 209