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Das Einrichtungsprojekt des Grafen Mercy (Teil 1)

Claudius Florimund Graf Mercy, Ölbild eines unbekannten Malers, Heeresgeschichtliches Museum Wien

Vor 300 Jahren wurden die Weichen für die Erschließung des Banats und die Ansiedlung gestell.

Im Herbst 1717 ließ der kommandierende General des neu eroberten, zwischen Donau, Theiß Marosch und den Ausläufern der Donau liegenden Gebiets Claudius Florimund Graf von Mercy (1766-1734) ein präzise formuliertes „Unvorgreiffliches Einrichtungsprojekt in dem Banat Temeswar für das Jahr 1718“ ausarbeiten. Die beiden archivalisch überlieferten Exemplare sind weder unterfertigt, noch datiert, auch ist ihr ursprünglicher Aktenkontext nicht eindeutig zu bestimmen. Das Schriftstück, dessen Endredaktion am 23. November 1717 vorgenommen wurde, enthält jedoch Anhaltspunkte zum Zeitpunkt der Schlussredaktion: Seine Inhalte wurden vor der Abreise Mercys nach Neupalanka (Banatska Palanka) an der Donau in der Session der provisorischen Landesverwaltung vom 22. November 1717 „vorgelesen“ und von der Kanzlei im Auftrag von Mercys Stellvertreter, Festungskommandant Franz Paul Graf von Wallis (1677-1737), schriftlich festgehalten. Aus einem Schreiben des am 23. November 1717 in Temeswar eingetroffenen Kameraleinrichtungskommissars Johann Alexander von Kallanek an die kaiserliche Hofkammer vom 9. Dezember 1717 geht hervor, dass er drei Tage zuvor das Projekt vom Stadtkommandanten Wallis erhalten habe. Der kommandierende General fertigte es in mindestens zwei Exemplaren an und ließ eine Ausfertigung durch einen Kurier im Voraus nach Wien schicken. Zur Abfassung und Einsendung des „Einrichtungsprojekts“ scheint Mercy von den zentralen Hofstellen weder aufgefordert worden zu sein, noch ist eine Rücksprache ersichtlich.

Der Entwurf war weder lang- noch mittelfristig ausgerichtet, schon der Titel beschränkt ihn auf das am 1. November begonnene Militär- und Haushaltsjahr. Die kurze und präzise formulierte Ausarbeitung enthält mehrere Anlagen, die den erreichten Organisationsstand des eroberten Gebiets veranschaulichen und Zeugnis über die Tätigkeit des kommandierenden Generals und der ihm untergebenen Beamten ablegen. Von der Form und ihren Inhalten her ist das „Einrichtungsprojekt“ eine Denkschrift oder ein Memorandum. Der in amtlicher Form gehaltene und an den Hofkriegsrat gerichtete Bericht legt die Angelegenheiten dar, denen sich die beiden vom Kaiser bestellten Einrichtungskommissäre im angebrochenen Militärjahr zuwenden sollten. Seine Inhalte hatten jedoch weitreichende Folgen. Sie steckten den Rahmen des Verwaltungshandelns zumindest mittelfristig ab.

Inhalte des „Einrichtungsprojektes“

Das „Einrichtungsprojekt“ enthält Vorstellungen über die militärische  Sicherung des neu eroberten Gebiets, seine Organisation und die Gestaltung der Wirtschaft. Die Denkschrift weist eine unverkennbare militärische Schwerpunktsetzung auf. Trotz der Eroberung Belgrads am 24. August 1717 konnte der kaiserlichen Armee noch ein weiterer Feldzug bevorstehen, da der Friede mit dem Osmanischen Reich noch nicht abgeschlossen war. Mehrere Punkte beziehen sich auf die Truppenversorgung, die in die Zuständigkeit von drei vom kommandierenden General ernannte Landkommissaren mit dem Sitz in Temeswar, Lippa (Lipova) und Denta fiel. Angesichts des fortdauernden Krieges hatten diese gemeinsam mit den Distriktsprovisoren auch für die Instandsetzung der Straßen und Brücken wie auch für die Bereitstellung des Fuhrparks Sorge zu tragen. Zudem hatten sie die Klagen der Untertanen (Landes Gravamina) zusammenzufassen. Angesichts des sozialen Sprengstoffs, den die Einquartierungen mit sich brachten, wandte sich Mercy ausführlich den Maßnahmen zur Einquartierung der Truppen während des Winters und ganz allgemein der Verpflegung zu. Durch die Anlage von Magazinen sollte das Land von übermäßigen militärischen Lasten verschont werden.

Die in Temeswar und in anderen befestigten Orten anstehenden Fortifikationsarbeiten erforderten die Anlegung von Kalk- und Ziegelöfen in der Provinz. Für die Herstellung von Baumaterialien wie Pfosten, Latten und Brettern war auch die Errichtung von Sägemühlen erforderlich. Mehrere „verständige Handwerksleuthe“ wurden dafür ins Banat hinabgesandt.

Die Denkschrift geht auch auf die Einrichtung des Postwesens ein. Vorgesehen war die Erweiterung der Poststraßen nach dem Vorbild der Poststraße Belgrad-Temeswar-Arad über das Dreißigstamt am Eisernen Tor Siebenbürgens bei Marga nach Siebenbürgen wie auch von Karansebesch (Caransebeş) nach Orschowa (Orşova), nach Lippa (Lipova) und zur Theißmündung nach Titel. Vordringlich erschien dem kommandierenden General die Einrichtung von Gasthäusern in den Post- und Pferdewechselstationen (Cambiaturen). Für die Benutzung von Straßen, die nicht der Postbeförderung dienten, wurde die Erhebung von Gebühren erwogen.

Im Bereich der Verwaltung und der Einhebung der kriegsrelevanten Steuern bildeten die für das kommende Frühjahr geplante Durchführung der Landeskonskription und die Neuordnung der Einquartierungen die Prioritäten. Die Erhebung der kriegsmittelrelevanten direkten Steuern fiel in die Kompetenz der Kameralverwaltung. Distriktsprovisoren waren gemeinsam mit den „Ortsknesen“ oder „Stuhlrichtern“ für den Einzug der Kontribution wie auch sämtlicher Regaleinahmen wie dem staatlichen Salz-, Bier- und Branntweinmonopol, den Pachteinnahmen aus Getreide- und Sägemühlen, aus der Holzschlägerung, der Fischerei und aus den Zolltaxen zuständig. Über all diese Einnahmen hatten sie „ein ordentliches Protocoll“ zu führen. Zudem hatten sie den Bevölkerungsstand aufzuzeichnen, der wegen den kriegsbedingten Fluchtbewegungen unstabil war. Eine noch vor Beginn des Feldzugs 1717 durchgeführte Konskription ergab vor dem Hintergrund der gewaltigen Flüchtlingsbewegung 663 bewohnte Dörfer mit 21.289 Häusern. Zur Rückführung der zahlreichen Flüchtlinge aus den benachbarten süd- und ostungarischen wie südwestsiebenbürgischen Komitaten bedurfte es kaiserlicher Verordnungen an die Distriktsbehörden.

Nach den direkten Steuern nahm das „Einrichtungsprojekt“ auf die Regalien und indirekten Steuern Bezug, wobei ausführlich der Salzverschließ und die Einnahmen aus dem staatlichen Salzmonopol behandelt wurden. Nebst dem Salzverschleiß war das Bier- und Branntweinmonopol eine wichtige Einnahmequelle. Mercy blieb diesbezüglich nicht untätig. Am 4. November 1717 schloss er mit den aus Mähren stammenden jüdischen Brüdern Jakob und Abraham Köppisch (Kepisch) einen Pachtvertrag ab, der die Errichtung von Brau- und Branntweinhäusern in mehreren städtischen und ländlichen Orten vorsah. Ein zehn Tage später von Mercy und dem Stadtkommandanten Wallis erlassenes Mandatsschreiben stellte die Privaterzeugung von Bier und Zwetschgenschnaps (Raki) unter Strafe und brachte den Untertanen die geltenden Maximalpreise zur Kenntnis.

Bei der auszuschreibenden Verpachtung der Mühlen empfahl Mercy die Dorfgemeinden zu bevorzugen. Ausführlich behandelte der Einrichtungsentwurf den Binnenhandel. Er sollte von der Abhaltung von Jahr- und Wochenmärkten profitieren, deren Genehmigung der Landesverwaltung vorbehalten war. Zur Steigerung der Kameraleinnahmen sollte auch die Neuordnung des Zollwesens durch Einführung einer Mautordnung beitragen.

Das „Einrichtungsprojekt“ widmete sich auch den Wäldern und der Nutzung der Gewässer. Das Holzfällen sollte geordnet und Wiederaufforstungen durchgeführt werden. Zu den Ressourcen des Landes zählte auch der Fischfang. Die fischreichen Gewässer waren den Dörfern zu überlassen. Hohe Einkünfte wurden vom Hausenfang an der Donau erwartet.

Lediglich ein einziger Punkt bezog sich auf die Landwirtschaft. Mercy schlug die Umstellung der Getreidekulturen vor: Getreide, vor allem Gerste und Hafer, sollten anstelle des landesüblichen Mais („Kukuruz“ oder „Türkischer waizen“) treten, der nur mehr für den Eigenbedarf angebaut werden sollte.

Im Zusammenhang mit dem Bergbau verweist die Denkschrift auf die ethnische Vielfalt des Landes. Die Zigeuner sollten „ihrer zerstreüung und lebens arth halber“ nicht zur Kontribution herangezogen und im Lande toleriert werden. Zur Wiederaufnahme des Erzabbaues wurde die Herabsendung von erbländischen oder siebenbürgischen Fachleuten angeregt.

Die Festungsstadt Temeswar

Auf der Agenda des „Einrichtungsprojekts“ standen auch bevölkerungspolitische Maßnahmen. Dabei handelte es sich nicht nur um die Rückführung der geflüchteten Bevölkerung, sondern auch um die Aufnahme von Einwanderern. Ein Patententwurf sicherte diesen die Befreiung von der Kontribution für zwei Jahre zu. Die Kontrolle der Migration oblag den für die Einquartierungen zuständigen Distriktsprovisoren, die beauftragt wurden, Einwohnerlisten zu führen.

Einen besonderen Stellenwert nahm im „Einrichtungsprojekt“ die Stadt und Festung Temeswar ein, die den dort „sich niderlassenden Bürgerschaft und handwerksleuthen“ vorbehalten war. Die Denkschrift enthält genaue Empfehlungen zur künftigen Rechtslage und Organisation der Stadt. Die mit einem Stadtrichter als Primas (Erster unter Gleichen), zwei Ratsverwandten und einem Stadtschreiber versehene Stadtgemeinde sollte in den Genuss einer bescheidenen Selbstverwaltung kommen. Die Bürger der Stadt waren in einem Bürgerbuch zu erfassen. Dabei war das Bürgerrecht auf deutsche Einwohner katholischen Glaubens beschränkt. Um Händler und Handwerker zur Ansiedlung zu bewegen, wurden Zuwanderern „nebst denen gewöhnlichen Privilegien, und Immunitäten ad normam anderwärtiger Stätte“ sechs steuerfreie Jahre in Aussicht gestellt. Diese sollten nicht nur eine Hausparzelle in der Stadt, sondern zur Subsistenzsicherung auch Äcker und Wiesen außerhalb der Zirkumvallationslinie erhalten. Erwartet wurde, dass bereits anwesende Einwohner und Zuwanderer „in Ruhe und guter Ordnung leben.“

Als Beschwerdeinstanz war eine Kommission vorgesehen, der Mercy selbst vorstand. Weitere Stadtrechte wurden nicht angeführt, ihre Festlegung und Verleihung war dem kaiserlichen Landesherrn vorbehalten. In Zivilsachen wurde die Einführung einer an anderen Festungsstätten ausgerichteten Policey-Ordnung empfohlen. 

Die Wiener Zentralstellen empfahlen die Bestellung des Magistrats durch die Landesadministration, wobei die Bürgerschaft in die „schuldige Pflicht“ zu nehmen sei, beizutragen, „damit lauther Teutsche und Cathol[ische] Bürger“ angenommen werden. Zwecks vermehrter „Populierung“ sollten die Zuwanderer sechs steuerfreie Jahren erhalten, „nebst denen gewöhnlichen Imunitäten, Freyheitn und Privilegien, wie es in anderen derley Stätten gewöhnlich“. Angesiedelt werden sollten Handwerker und vor allem für die Fortifikationsarbeiten erforderliche Maurer, deren Beschäftigung bei den Befestigungsarbeiten mit hohen Kosten verbunden war. Die eingewanderten Handwerker waren aller Orten aufzunehmen und den eingesessenen und anderen Handwerkszünften gleich zu stellen. Im Stadtbezirk war zwischen Garnison und Stadt zu unterscheiden. Trotz getrennter Jurisdiktion sollten Nachteile der Garnison durch die Stadt verhindert werden. Die Richtlinien ihres gegenseitigen Verhältnisses waren in einem „Systemale“, d.h. in einer auf das Organisationssystem bezogenen Normsetzung festzuhalten.

Fortsetzung folgt