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Bibliothekswesen und Leibniz: zwei Pole einer Leidenschaft

Prof. Dr. Wilhelm Totok (1921-2017) Quelle: http://wilhelm.totok.de

Zum Ableben des langjährigen Direktors der Niedersächsischen Landesbibliothek, Prof. Dr. Wilhelm Totok - Obwohl schon im 95. Lebensjahr, hatte Prof. Dr. Wilhelm Totok, langjähriger Direktor der Niedersächsischen Landesbibliothek (heute Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek) und renommierter Leibniz-Forscher,  noch im vergangenen Jahr an der Wiedereröffnung seiner alten Wirkungsstätte nach dreijähriger Umbauzeit wie auch an der Eröffnungsfeier des 10. Internationalen Leibniz-Kongresses teilgenommen. Dass er bis ins hohe Alter regen Anteil nahm an der Weiterentwicklung von Leibniz-Bibliothek und Leibniz-Forschung hängt wohl damit zusammen, dass dies die beiden Pole seiner Leidenschaft waren, denen eine lebenslange Passion als Bibliothekar, Wissenschaftsorganisator und Forschender galt.

Am 2. Mai 2017 ist Prof. Dr. Wilhelm Totok in Hannover verstorben. Mit ihm verliere die Stadt Hannover „einen ihrer großen Gelehrten“, das Bibliothekswesen wie auch die internationale Leibniz-Forschung „einen ihrer hervorragendsten Vertreter und leidenschaftlichsten Befürworter“, schrieb die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ beziehungsweise die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek.

Wilhelm Totok wurde am 12. September 1921 in Großsanktnikolaus als ältester Sohn des Kaufmanns Andreas Totok und dessen Ehefrau Luisa, geb. Loch, geboren, wuchs aber in der Gemeinde Großkomlosch auf.  Hier eignete er sich neben dem Deutschen von der Mutter und dem Ungarischen vom Vater auch das Rumänische an. Nach dem Abitur am Deutschen Realgymnasium in Temeswar und dem damals üblichen „Völkischen Dienstjahr“ nahm er 1941 das Studium an der Universität Marburg/Lahn auf. Hier, später in Wien und dann wieder in Marburg widmete er sich den Fächern Germanistik, klassische Philologie, Geschichte und Philosophie. Seine starke Neigung zur Philosophie bestimmte schließlich auch die Wahl des Promotionsthemas: „Das Problem der Theodizee in der Gedankenlyrik der Aufklärung“. Nach Staatsexamen und Promotion (1948) absolvierte er eine Ausbildung für den höheren wissenschaftlichen Bibliotheksdienst (1951) und arbeitete zunächst an der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main, ab 1957 an der Universitätsbibliothek Marburg.

Mit einem Schlag in der Bibliothekswelt bekannt geworden ist Wilhelm Totok durch das zusammen mit Rolf Weitzel verfasste „Handbuch der bibliographischen Nachschlagewerke“. Es erschien 1954 in erster Auflage und erfuhr bis Mitte der 1980er Jahre weitere fünf Auflagen. Für mehrere Generationen angehender Bibliothekare war der „Totok“ – so der weit verbreitete Kurzbegriff für dieses Kompendium – eine Art Katechismus. Das Handbuch war im deutschen Sprachraum über Jahrzehnte das umfangreichste und weitaus bekannteste Lehrbuch dieser Art.

1962 übernahm Dr. Wilhelm Totok die Leitung der Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover. An der neuen Aufgabe reizte ihn besonders der hier in der Bibliothek ruhende Leibniz-Nachlass. Die Beschäftigung mit Hannovers Universalgenie wurde Totok zur Lebensaufgabe. Unermüdlich arbeitete er daran, den Nachlass, der heute in Teilen zum UNESCO-Weltdokumentenerbe zählt, wissenschaftlich zu
erschließen und der Leibniz-Forschung einen institutionellen Rahmen zu geben. Seiner Initiative ist die Schaffung eines Leibniz-Archivs zur Edition „Sämtlicher Schriften und Briefe“ (Akademie-Ausgabe) des Universalgelehrten (1962) sowie die Einrichtung der Leibniz-Forschungsbibliothek (1964) zur vollständigen Sammlung und dokumentarischen Erfassung der gesamten Leibniz-Literatur – beide an der Niedersächsischen Landesbibliothek angesiedelt – zu verdanken. Totok war zudem Gründungsmitglied der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft (1966) mit Sitz in Hannover und fast vier Jahrzehnte lang deren Geschäftsführer. Aufgrund seiner besonderen Verdienste um die Entwicklung der Gesellschaft wurde er 2002 zum Ehrenmitglied gewählt. Totok rief die internationalen Leibniz-Kongresse ins Leben und war zudem ab 1969 bis zu seinem Tode Herausgeber der Fachzeitschrift „Studia Leibnitiana“.

Mit Weitsicht und Tatkraft hat Totok die Niedersächsische Landesbibliothek – eine über 300 Jahre alte, traditionsreiche Institution – grundlegend reformiert, um sie den modernen Erfordernissen anzupassen und ihren Aufgabenbereich angemessen zu erweitern. Unter seiner Ägide entstand der Bibliotheksneubau an der Waterloostraße, der 1976 bezogen werden konnte. Durch die von Totok eingeleiteten Maßnahmen stieg die Niedersächsische Landes-bibliothek zu einer der größten Regionalbibliotheken Deutschlands mit vielfältigem Aufgabenspektrum im Land und gegenüber der Universität Hannover auf. Während dieser Zeit übernahm Totok eine nebenamtliche Lehrtätigkeit als Professor an der Fachhochschule Hannover (Fachbereich Bibliothekswesen, Information und Dokumentation).

Wilhelm Totok war auch für das deutsche Bibliothekswesen insgesamt vielfältig tätig und hat dessen Entwicklung wesentlich mitgeprägt. Er stand in den 1970er Jahren dem Verein Deutscher Bibliothekare sowie dem Deutschen Bibliotheksverband vor und galt als einer der „Väter“ des 1978 gegründeten Deutschen Bibliotheksinstituts mit Sitz in Berlin. An der Publikation der „Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie“ war er von 1965 bis 1986 als Mitherausgeber beteiligt. Durch seine Verbandstätigkeit wie auch durch seine Fachveröffentlichungen galt Totok während seiner Dienstzeit als einer der prominentesten deutschen Bibliothekare und als international renommierter Vertreter dieses Berufsstandes.

Als Autor und Herausgeber bibliothekswissenschaftlicher, bibliographischer und philosophischer Standardwerke erlangte Totok Anerkennung weit über Hannover und Deutschland hinaus. Internationalen Ruf erwarb er sich insbesondere mit seinem monumentalen, auf sechs Bände angelegten „Handbuch der Geschichte der Philosophie“ (1964-1990), das die Literatur zu den großen philosophischen Autoren umfassend verzeichnet.

Für sein vielfältiges und verdienstvolles Wirken im Dienst des Bibliothekswesens und der Wissenschaft wurde Prof. Dr. Wilhelm Totok mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande und dem Verdienstkreuz 1. Klasse des Niedersächsischen Verdienstordens ausgezeichnet. Anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand im Jahr 1986 wurde ihm zu Ehren die Festschrift „Bibliotheken im Dienste der Wissenschaft“ herausgegeben.