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Das Super-Mikroskop: schärfer geht es nicht

Erfinder am Werk: Nobelpreisträger Stefan Hell (von links) mit seinen Kollegen Francisco Balzarotti, Yvan Eilers und Klaus Gwosch am Super- mikroskop. Foto: Irene Böttcher-Gajewski / MPI Göttingen

So mancher Forscher hätte sich nach dem Nobelpreis zurückgelehnt. Nicht aber Stefan Hell, Direktor des Göttinger Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie. Zwei Jahre nach seiner Auszeichnung mit dem Nobelpreis, den er zusammen mit den US-Forschern Eric Betzig und William Moerner für die Entwicklung der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie bekommen hat, ist Professor Hell mit seinem Team ein historischer Durchbruch gelungen.

In einem Interview mit dem Handelsblatt antwortete Hell auf die Frage, was ihn antreibe, wo er doch schließlich bereits den Nobelpreis und zahlreiche andere Auszeichnungen erhalten habe: „Schon sehr früh hatte ich die Vorstellung, mit der Auflösung bis an die Molekülgröße heranzuzoomen. Die Fachwelt hat das nicht unbedingt ernstgenommen, schließlich galt seit 1873 die Beugungsgrenze von Ernst Abbe. Dass man die überwinden kann, habe ich gezeigt. Die amerikanischen Kollegen haben nachgezogen – auf ähnliche, aber etwas andere Art.

Damit waren wir noch nicht an der ultimativen Schärfe, also der Molekülgröße. Ich wollte aber weitermachen, bis es tatsächlich funktioniert.“ Und dieses Bemühen war nun von Erfolg gekrönt. Im vergangenen Dezember hat das Team um Professor Stefan Hell seine Ergebnisse in der renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht. „Mit meinem neuen Verfahren, MINFLUX genannt, kann man jetzt bis zu hundertmal schärfer sehen. Wir kommen damit an die ultimative Grenze, die man mit einem Fluoreszenz-Lichtmikroskop erreichen kann: die Größe eines Moleküls. Das ist ein fundamentaler Schritt“, so Hell gegenüber dem Handelsblatt.

1873 hatte der Physiker Ernst Abbe die Beugungsgrenze formuliert, wonach die Auflösung von Lichtmikroskopen auf die halbe Wellenlänge des Lichts begrenzt ist, also rund 200 Nanometer oder 0,0000002 Meter. Zum Vergleich: ein menschliches Haar hat einen Durchmesser von ungefähr 0,06 Millimeter, ist also 300 Mal so dick. Hell zeigte als Erster mit der von ihm 1994 erdachten und fünf Jahre später experimentell umgesetzten STED-Mikroskopie, dass sich diese Grenze überwinden lässt. STED und das ein paar Jahre später von Eric Betzig entwickelte PALM/STORM-Verfahren erreichen in der Praxis eine Trennschärfe von etwa 20 bis 30 Nanometern – rund zehn Mal besser als das Abbe-Limit.

Hell hatte die Idee, die Stärken beider Techniken in einem neuen Konzept zu verbinden. Sowohl STED als auch PALM/STORM trennen benachbarte fluoreszierende Moleküle, indem sie diese nacheinander an- und ausschalten und so sequenziell zum Leuchten bringen. Die beiden Methoden unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt: Die STED-Mikroskopie setzt einen Donut-förmigen Laserstrahl ein, um das Leuchten der Moleküle an genau festgelegten Koordinaten in der Probe zu unterdrücken. Das hat den Vorteil, dass sich die Position des gerade leuchtenden Moleküls genau bestimmen lässt. Der Nachteil ist aber, dass der Laserstrahl nicht zulässt, einzelne Moleküle gezielt anzusteuern. Das aber schafft das PALM/STORM-Mikroskop. Der Nachteil dieses Verfahrens ist, dass es die genaue Position der Moleküle nicht ermitteln kann.

Mit dem neu entwickelten MINFLUX-Mikroskop (von englisch MINimal emission FLUXes, minimale Emissionsflüsse) lassen sich erstmals Moleküle trennen, die nur Nanometer voneinander entfernt sind. Dieses Mikroskop ist mehr als 100 Mal schärfer als herkömmliche Lichtmikroskope und übertrifft selbst die von Hell bzw. Betzig/Moerner entwickelten ultrahochauflösenden Fluoreszenzmikroskope um das bis zu Zwanzigfache. Mit MINFLUX werden Auflösungen von einem Nanometer erreicht, das ist der Durchmesser einzelner Moleküle. Dieser Durchbruch eröffnet Wissenschaftlern grundlegend neue Möglichkeiten zu erforschen, wie Leben auf molekularer Ebene abläuft. „Ich bin überzeugt, dass MINFLUX-Mikroskope das Zeug dazu haben, eines der grundlegendsten Werkzeuge der Zellbiologie zu werden. Mit diesem Verfahren wird es in Zukunft möglich sein, Zellen molekular zu kartographieren und schnelle Vorgänge in ihrem Inneren in Echtzeit sichtbar zu machen. Das könnte unser Wissen über die molekularen Abläufe in lebenden Zellen revolutionieren“, erklärte Stefan Hell.

Die Kombination von STED und PALM/STORM bietet einen weiteren großen Vorteil: MINFLUX ist im Vergleich sehr viel schneller. Nun ist es möglich, die Bewegung von Molekülen in einer Zelle mit einer 100 Mal besseren zeitlichen Auflösung zu verfolgen. Den Forschern gelang es beispielsweise, die Bewegung von Molekülen in einem lebenden Escherichia coli-Bakterium in bisher unerreichter Zeitauflösung zu „filmen“. Durch diese Verbesserung lassen sich zukünftig selbst extrem schnelle Abläufe in lebenden Zellen untersuchen. Und die Forscher sind überzeugt, dass bei der Geschwindigkeit die Möglichkeiten von MINFLUX noch längst nicht ausgereizt sind.

„MINFLUX zeigt wirklich auf, dass die Überwindung der Beugungsgrenze ein wirklich radikaler Schritt in der Geschichte der Mikroskopie war und dieser Schritt wird in den Lebenswissenschaften weitreichende Folgen haben. Speziell MINFLUX wird als das derzeit schärfste Fluoreszenzmikroskopieverfahren eine sehr große Rolle spielen“, erklärte Hell gegenüber dem Internetportal „Welt der Physik“. Das MINFLUX-Mikroskop eröffnet der Wissenschaft ganz neue Wege. Das Leben auf molekularer Ebene kann weiter erforscht werden und selbst Vorgänge, die sich im Bereich von Millisekunden abspielen, lassen sich beobachten. Das eröffnet neue Möglichkeiten, Krankheiten zu erkennen sowie Therapien und Medikamente zu entwickeln.