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Die Wegensteins - Orgelbauer über drei Generationen

Zeugnis für einen Orgelbauergehilfen, ausgestellt von Leopold Wegenstein am 3. Mai 1903 in Temeswar. Einsender: Josef Wegenstein

Wegenstein – der Name dürfte vielen Banater Schwaben ein Begriff sein, steht er doch für die bedeutendste Orgelbauwerkstatt des Banats. Von der einstigen Größe der Firma künden heute nur noch die Orgeln in vielen Kirchen dieser Region, aber auch weit darüber hinaus. Die meisten Firmendokumente sind vermutlich für immer verloren gegangen. Von den wenigen erhaltenen hat uns Josef Wegenstein aus Weikersheim, Mitglied der Landsmannschaft der Banater Schwaben eines in Kopie zur Verfügung gestellt: ein in Temeswar am 3. Mai 1903 von seinem Großvater Carl Leopold Wegenstein, dem Firmengründer, ausgestelltes Zeugnis.

Josef Wegenstein ist mittlerweile 93 Jahre alt und war – in dritter Generation – der letzte dieser berühmten Familie entstammende Orgelbauer. Am 20. August 1923 in Temeswar geboren, machte er von 1938 bis 1942 eine Orgelbaulehre in der Familienfirma, die damals von seinem Onkel Richard Wegenstein geleitet wurde. Danach kam er nach Deutschland, um sich weiterzubilden, geriet jedoch schon bald in den Strudel des Zweiten Weltkriegs, den er „gut überstanden“ hat. Nach Kriegsende kam er in englische Gefangenschaft, aus der er 1947 entlassen wurde.

Nach mehreren Stationen in Norddeutschland war Josef Wegenstein ab 1952 in der renommierten Orgelfabrik Laukhuff in Weikersheim beschäftigt, die 1823 von Martin Andreas Laukhuff gegründet worden war. Hier arbeitete auch Hans Barthmes, ein aus Siebenbürgen stammender Orgelbaumeister, der das Orgelhandwerk in Temeswar bei Wegensteins Großvater und seinem Onkel erlernt hatte. Wegenstein arbeitete in den verschiedenen Abteilungen der Orgelfabrik, erwarb 1963 den Meisterbrief, wurde Leiter der Abteilung für Kleinorgeln und Positive und wechselte später ins technische Büro, wo er für die Ausbildung der Lehrlinge zuständig war. Auch nachdem er in Rente gegangen ist, half er noch in der Werkstatt mit. Bis heute werden seine Dienste als Klavierstimmer gerne und oft in Anspruch genommen. 2013 erhielt er seinen Goldenen Meisterbrief und im selben Jahr ehrte ihn die im Weikersheimer Schloss ansässige Jeunesses Musicales Deutschland, deren Flügel und Klaviere er stimmt, für sechs Jahrzehnte verlässliche Kooperation.

Doch wie gelangte das hier abgebildete Zeugnis eines Johann Važansky in den Besitz von Josef Wegenstein? Zu den Umständen weiß dieser folgendes zu berichten: „Als ich im August 1952 berufsmäßig nach Weikersheim kam, zu der Firma Aug. Laukhuff, hat sich herumgesprochen, dass hier ein Wegenstein arbeitet. Eines Tages war an der Pforte ein Umschlag für mich hinterlegt worden. Ich staunte nicht schlecht: Darin befand sich ein Zeugnis von 1903, das mein Großvater ausgestellt hatte. Bei ihm haben viele das Orgelbauerhandwerk erlernt (…).“ Darunter eben auch „Johann Važansky aus Rohatci (vermutlich handelt es sich um die in Südmähren gelegene Ortschaft Rohatec, dt. Rohatetsch, heute Tschechien; Anm. d. Verf.) gebürtig, 26 Jahre alt“, der als Orgelbauergehilfe bei Leopold Wegenstein vom 5. Mai 1902 bis 3. Mai 1903 gearbeitet hat. Firmeninhaber „Wegenstein Lipót, orgona-készítő“ (Orgel-Hersteller) bescheinigt ihm, „sich während dieser Zeit durch Fleiß und Geschicklichkeit ausgezeichnet“ zu haben, so dass er ihn „jedermann bestens anempfehlen“ könne.

Aufschlussreich ist auch der grafisch aufwändig gestaltete Briefkopf der Vorlage. Da diese aus der österreichisch-ungarischen Zeit stammt, ist die Firmenbezeichnung ungarisch: „Wegenstein C. L. Első délmagyarországi orgonaépitő-műintézet. Gőzerőre berendezve“ (Erste südungarische Orgelbau-Anstalt. Mit Dampfkraft betrieben). Links ist die Anstalt in der Temeswarer Elisabethstadt abgebildet: das Wohnhaus der Familie, an der Ecke der Orgelsaal, dahinter die Werkstatt. Verzeichnet sind auch die beiden bedeutsamen Auszeichnungen, mit denen die Produkte der Firma bedacht worden waren: die Große Millenniums-Medaille bei der Ausstellung in Budapest 1896 und das Große Ehrendiplom bei der Gewerbe- und Wirtschaftsausstellung 1901 in Makó.

Carl Leopold Wegenstein kam am 16. April 1858 in Kleinhadersdorf (Niederösterreich) zur Welt und erlernte den Beruf eines Orgelbauers in Wien. Nach seinen Lehr- und Gesellenjahren bei Firmen in Deutschland (unter anderen auch bei Laukhuff in Weikersheim) und Paris, kam er 1881 nach Temeswar und fand Arbeit bei dem Orgel- und Harmoniumbauer Josef Hromadka, dessen Tochter Maria er einige Jahre später ehelichte. 1888 eröffnete er seine eigene Werkstatt im Hause seines Schwiegervaters in der Josefstadt, um dann, nachdem diese sich als zu klein erwies, eine größere, modernere in der Elisabethstadt zu errichten. Hier arbeitete er zunächst unter Einsatz von Dampf-, später von elektrischen Maschinen. Die Orgelbauanstalt erarbeitete sich schnell einen guten Ruf. Die Auftragslage verzeichnete eine kräftige Steigerung, die Geschäfte prosperierten. Seine erste große Orgel baute Wegenstein für die Innerstädtische Pfarrkirche in Temeswar. Diese sei „durch ihre musikalisch und technische Konstruktion ein Unikum“, schrieb die „Temesvarer Zeitung“ nach der öffentlichen Orgelprobe am 3. März 1896. Es ist jenes Instrument, das bei der Millenniums-Ausstellung in Budapest die Große Medaille erhielt. Weitere große Wegenstein-Orgeln stehen in der Temeswarer Innerstädtischen Synagoge, in der Wallfahrtskirche Maria-Radna, der St. Josephs-Kathedrale in Bukarest, der Millenniumskirche in der Temeswarer Fabrikstadt sowie im Dom zu Temeswar.

Die drei Söhne des Firmengründers (Carl Leopold Wegenstein hatte vier Söhne und eine Tochter, der drittgeborene Sohn Alois starb 16-jährig 1912) traten beruflich in die Fußstapfen des Vaters, in dessen Werkstatt sie das Orgelbauhandwerk erlernten. Nachdem er den Meisterbrief erworben hatte, trat der älteste Sohn Richard (Jahrgang 1886) in die väterliche Firma ein, die ab nun unter dem Namen „Wegenstein Lipót és fia“ (Leopold Wegenstein und Sohn) firmierte. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm er die Betriebsführung, unterstützt von seinen Brüdern Josef (geb. 1894) und Viktor (geb. 1901). Der geänderte Firmenname („Leopold Wegenstein und Söhne“) widerspiegelte die neue Konstellation. Josef Wegenstein, der Vater unserer Gewährsperson, starb bereits 1930 an Lungentuberkulose, die er sich im Ersten Weltkrieg zugezogen hatte. Sieben Jahre später verstarb auch der Firmenpatriarch. Die Orgelbauwerkstatt seiner beiden Onkel war für Josef Wegenstein von klein auf wie ein zweites Zuhause. So verwundert es nicht, dass er dort auch die Orgelbauausbildung absolvierte.

Die von Carl Leopold Wegenstein begründete Werkstätte bestand bis zu ihrer Enteignung durch das kommunistische Regime aufgrund des Verstaatlichungsgesetzes von 1948. Viktor Wegenstein starb 1964, sein älterer Bruder Richard folgte ihm sechs Jahre später in den Tod. Während ihres Bestehens sollen angeblich mehr als 400 Orgeln die Werkstätte von Carl Leopold Wegenstein und dessen Söhnen verlassen haben. Laut Bischof Martin Roos stehen 67 davon auf dem Gebiet der heutigen Diözese Temeswar, weitere zwanzig dürften auf dem Territorium der beiden Schwesterdiözesen von Szeged-Csanád und Großbetschkerek stehen. Die anderen gut 300 Orgeln sind über den Restteil Rumäniens sowie in der Slowakei, in Serbien und Ungarn verstreut.

Die Firma Wegenstein war die modernste Orgelbauwerkstatt des Banats, ihr Begründer Carl Leopold Wegenstein war, wie der Musikwissenschaftler Dr. Franz Metz schreibt, „der letzte bedeutende Orgelbauer dieses Landstriches“. Mit dem Verschwinden der Firma 1948 endete eine lange Tradition des Banater Orgelbaus. Josef Wegenstein führte gewissermaßen diese Tradition noch jahrzehntelang in Deutschland fort.