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Aus der Blütezeit des alten Bistums Tschanad

Bischof Johann Csernoch (geb. 1852 in Skalitz/Slowakei, gest. 1927 in Gran)

Bischof Alexander Dessewffy (geb. 1834 in Pressburg, gest. 1907 in Budapest)

Bischof Julius Glattfelder (geb. 1874 in Budapest, gest. 1943 in Szegedin). Fotos: Diözese Temeswar

Bischof Martin Roos legt fünften Band der Diözesangeschichte für die Zeitspanne 1890-1914 vor - Das vom Temeswarer Diözesanbischof Dr. h.c. Martin Roos vor Jahren in Angriff genommene editorische Großprojekt „Erbe und Auftrag. Momente aus der Vergangenheit der Diözese Csanád und ihrer Nachfolgebistümer“ ist weiter gediehen und verzeichnet mit dem im vergangenen Herbst erschienenen neuen Band einen wichtigen Schritt in Richtung Abschluss des ersten Teils des Gesamtwerkes. Unter dem Titel „Die alte Diözese Csanád. Zwischen Grundlegung und Aufteilung 1030-1923“ beleuchtet dieser Teil die ersten 900 Jahre des Bistums von dessen Gründung durch Bischof Gerhard bis zu seiner Aufteilung infolge des Friedensschlusses von Trianon.

Der nun vorgelegte fünfte Band des Gesamtwerkes ist der zweite der Zeit vom Absolutismus bis zur Aufteilung (1851-1923) gewidmete Teilband und umfasst die letzten 25 Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1890-1914). Es ist die Zeit, in der die Entwicklung der Tschanader Diözese ihren Höhepunkt erreicht. Die letzten gemeinsamen Zahlen von 1916 weisen bei einer Gesamtbevölkerung von 2214970 Seelen 913712 römisch-katholische Gläubige aus. Mit 41,25 Prozent bildeten die Katholiken lateinischen Ritus die zweitgrößte Konfession nach den Orthodoxen (48,75 Prozent). Die Diözese umfasste 247 Pfarreien und Kuratien, 138 Kaplaneien und 1067 Filialen, in denen 240 Pfarrer und Kurate sowie 83 Kapläne wirkten. Auf ihrem Gebiet standen 313 Kirchen und 291 Kapellen.

Der vorliegende Band behandelt die Zeit der Bischöfe Alexander Dessewffy (1890-1907) und Johann Csernoch (1908-1911) sowie die ersten Jahre des Bischofs Julius Glattfelder (1911-1914). Entsprechend dem Konzept des Gesamtwerks, wonach dem gesammelten Bildmaterial jeweils ein Text als Kommentar dazu gegenübergestellt ist, umfasst der Bild- und Textteil 368 Seiten, davon 163 Bildseiten: historische und zeitgenössische Fotos, Reproduktionen von Dokumenten, Buchumschlägen, Gemälden, Skizzen usw. Das Konzept kommt dem Leser sehr entgegen: Durch das Zusammenspiel von Bild und Text werden Auge und Geist gleichermaßen angesprochen, die erläuternden Texte sind kurz und allgemein verständlich, was aber nicht heißt, dass sie der Wissenschaftlichkeit entbehren. Im Gegenteil: Die Informationen sind durch Quellen belegt, weiterführende Literaturangaben ermöglichen eine vertiefende Beschäftigung mit Einzelheiten und Teilaspekten des jeweiligen Themas. Die insgesamt 4361 Anmerkungen, mit denen die Textbeiträge versehen sind und die rund 230 Seiten des Bandes einnehmen, zeugen von einem Höchstmaß an Akribie und Sachlichkeit. Zusammen mit dem Bildnachweis und einem dreifachen Register (Personen-, Orts- und Sachnamen) schließen die Anmerkungen den Band ab.

Auf dem Gipfel: Die Zeit des Bischofs Dessewffy

„Auf dem Gipfel“ ist das erste, der Zeit des Bischofs Dessewffy gewidmete Kapitel betitelt. 1834 in Pressburg geboren und bis zu seiner Berufung zum Bischof von Tschanad  1890 Domherr zu Kaschau, hatte Dessewffys Familie durchaus Verbindungen zum Banat. Sein Vater war Obernotar und später Vizegespan des Komitats Temesch, seine Mutter war die Tochter des ehemaligen Temeswarer Stadtrichters Ignaz Koppauer. Alexander selber verbrachte seine Kindheit in dem Banater Ort Buchberg.

Höhepunkte in seinem bischöflichen Wirken waren die beiden großen Diözesanwallfahrten nach Rom anlässlich des Bischofsjubiläums Papst Leos XIII. (1893) bzw. Pius X. (1904), die Wallfahrt des Bistums nach Venedig zu den Reliquien des hl. Gerhard im Jahr 1900, die von dem Budapester Maler Gyula Túry in einem großangelegten Gemälde verewigt wurde, sowie der Besuch von Kaiser-König Franz Joseph in Temeswar im September 1891, der als Gast des Bischofs Dessewffy in dessen Residenz abstieg. Ein weiteres wichtiges Ereignis mit landesweiter Resonanz war die Zweihundertjahrfeier von Maria Radna (Oktober 1895), aus welchem Anlass der neue prunkvolle Altar aus Carrara-Marmor geweiht und das Gnadenbild in einer Festprozession – wie auf einer kolorierten, 1996 in der Klosterbibliothek wieder aufgefundenen Handzeichnung dargestellt – auf seinen neuen Platz über dem Hochaltar übertragen wurde.

Weitere Höhepunkte in Dessewffys Episkopat waren die Konsekrationen der großen Pfarrkirchen von Winga, Detta und Temeswar-Fabrikstadt (Millenniumskirche), die ihresgleichen im Bistum suchen und bis heute zu dessen Glanzstücken zählen. Der Autor beschreibt die monumentalen Sakralbauten – die 1890-1892 erbaute Pfarrkirche zu Winga beispielsweise, womit die dortigen Bulgaren „einmal mehr ihren Wohlstand und ihre Hochherzigkeit“ zeigten, „überragt wie eine Krone die gesamte Gegend, weithin sichtbar“ – und hebt die Einheitlichkeit und Qualität der Innenausstattung hervor. Maßgeblich dazu beigetragen haben Südtiroler Holzschnitzer und Altarbauer aus Sankt Ulrich im Grödner Tal. Erwähnt werden auch die vorzüglichen, in der Temeswarer Werkstätte von Carl Leopold Wegenstein gebauten Orgeln der Innerstädter Pfarrkirche (1896 in Budapest prämiiert), der Millenniumskirche und des Doms zu Temeswar, letztere eine Schenkung von Dessewffy anlässlich seines 15-jährigen Bischofsjubiläums.

Breiten Raum widmet der Autor den aus dem Diözesanklerus hervorgegangenen Persönlichkeiten, die im kirchlichen, theologischen wie im öffentlichen Leben Ungarns eine herausragende Rolle spielten, so die Sektionsräte im königlich-ungarischen Kultusministerium Ferdinand Wolafka (später Propst und Pfarrer in Debrezin), Leopold Árpád Várady (später Bischof von Raab und Erzbischof von Kalotscha) sowie Johannes Ivánkovich (später Bischof von Rosenau) oder Johannes Kiss, eine Kapazität auf dem Gebiet der theologischen Wissenschaft, Dekan der Theologischen Fakultät und schließlich Rektor der Universität Budapest. Lorenz Schlauch, in Neuarad geboren, Bischof von Großwardein seit 1887 und davor Bischof von Sathmar, war der erste Geistliche aus dem Banat, der 1893 zum Kardinal erhoben wurde.

Porträtiert werden auch andere Priesterpersönlichkeiten, die sich durch ihre ungewöhnliche Seelsorgetätigkeit oder ihr Engagement in anderen Bereichen verdient gemacht haben. Johannes Nepomuk Engels aus Deutsch-Zerne begründete in seiner Geburtsgemeinde den Landwirtschaftlichen Verein sowie einen Leichenverein und brachte die Kreuzschwestern hierher, zudem machte er sich als Dante-Übersetzer im ungarischen Sprachraum einen Namen. Der wohl beste Priester-Journalist, den das Bistum je hervorbrachte, war der spätere Domprobst und Generalvikar Franz Blaskovics. Von 1886 bis 1893 Schriftleiter des Landboten, kaufte er 1893 das Wochenblatt Der Freimütige, das zu einem der führenden Blätter Südungarns werden sollte. Ehrendomherr Ludwig Kuhn, Dechant-Pfarrer von Großsanktnikolaus, war einer der Wortführer der Autonomiebewegung und auch ein engagierter Erforscher der Banater Vogelwelt. Als einer, der bei seinen Recherchen auf Archivquellen angewiesen ist, weiß Bischof Roos die Akribie und den Eifer des langjährigen Diözesanarchivars Karl Kasics zu schätzen, dem ein erstes grundlegendes Ordnen des gesamten Materials zu verdanken ist.

Gebührende Würdigung erfährt auch das segensreiche Wirken der Schulschwestern, deren Zahl vor dem Ersten Weltkrieg bei 468 lag, sowie ihrer ersten Provinzoberin, Schwester Maria Abundantia Litschgi. Mit der 1893-1895 erbauten Klosterkirche krönte sie ihr Lebenswerk. Damit vollendete sie nicht nur den imposanten Schulkomplex in der Temeswarer Josefstadt, sondern gab den Notre-Dame-Schwestern auch ihr geistliches Zentrum, „die Kraftquelle aller Sendung und allen Einsatzes“. In einem anderen Bereich, der Krankenbetreuung, waren die Franziskanerinnen im Einsatz, die sich ab 1904 im Bistum niederließen und hier fünf Niederlassungen mit insgesamt 80 Schwestern gründeten.

Nach einem ersten Schlaganfall im Jahr 1902 war Bischof Dessewffy für den Rest seines Lebens in seinem pastoralen Wirken ernsthaft behindert. In Begleitung seines Sekretärs Augustin Pacha weilte er meist fern von seinem Bistum an verschiedenen Kur- und Badeorten des In- und Auslands, um Linderung, wenn auch nicht Heilung zu finden. Schließlich ernannte Pius X. Weihbischof Josef Németh 1905 zum Apostolischen Administrator der Diözese, der die Geschäfte des Bistums bis zum Tode Dessewffys am 4. Dezember 1907 bzw. bis zum Amtsantritt von dessen Nachfolger weiterführte.

Mehr als nur ein Zwischenspiel: Die Zeit des Bischofs Csernoch

Die kurze, doch prägnante Zeit, die Bischof Csernoch in Temeswar verbracht hat, war „Mehr als nur ein Zwischenspiel“ – so die Überschrift des zweiten Kapitels. Csernoch, der Domherr und Kathedralpriester in Gran war und sich als Sprecher der Katholischen Volkspartei im ungarischen Abgeordnetenhaus einen Namen gemacht hatte, „brachte nach den kränkelnden und alternden Bischöfen Bonnaz und Dessewffy frischen Wind in die Diözese“, so Roos. Er pflegte einen spartanischen Lebens- und Arbeitsstil und verlangte von seinen Mitarbeitern eiserne Disziplin und pünktliche, sachgerechte Arbeit, wobei er „auch mal gewaltig dazwischenfunken“ konnte. Seinen hohen Anforderungen scheint nur Augustin Pacha, den er als Sekretär übernommen und beibehalten hatte, entsprochen zu haben, schreibt Roos.

Bischof Csernoch ließ zunächst Exerzitien für seine Priester halten und hatte mit den Firmungen, die in den letzten Jahren im gesamten Bistum ausgefallen waren, alle Hände voll zu tun. Die Finanzverwaltung wurde von Grund auf neu strukturiert und die Stiftungskasse 1910 ins Leben gerufen. In seine Zeit fällt der einzige landesweite Katholikenkongress, den man in der Diözese – 1909 in Szegedin – gehalten hat. Die Piaristen zu Temeswar erhielten in diesen Jahren ihren neuen, nach den Plänen des Temeswarer Stadtarchitekten László Székely erbauten Gebäudekomplex mit Obergymnasium, Ordenshaus und Kirche, während die Schulschwestern in den Fabriker Weingärten das Marienheim errichteten.

In diesem zweiten Kapitel geht der Autor unter anderem auf die Gründung des Vereins für das katholische Ungarn als Gegengewicht zu den liberal-antikirchlichen Strömungen der damaligen Zeit ein (die Gründung von Ortsgruppen wird am Beispiel von Pfarrer Johannes Wegling in Orzydorf dargestellt), ebenso auf das Wirken der Vinzentinerinnen, die sich der Armen und Kranken sowie der Erziehung der Jugendlichen annahmen. Erwähnung findet auch die 1872 in Temeswar gegründete Glockengießerei Novotny, die 1909 ihre 3000. Glocke herstellte, oder das „Christkatholische Erbauungsbuch in Gebeten und Gesängen“ (Arad 1910) von Pfarrer Michael Seitz und Kantor- und Direktorlehrer Johann Weber, beide in Schöndorf tätig. Es handelt sich um das umfangreichste Gebet- und Gesangbuch, das im Bistum je erschienen ist.

Der Autor porträtiert auch in diesem Kapitel einige Persönlichkeiten, so den Orzydorfer Dechant-Pfarrer Josef Csintalan (die hier veröffentlichte Beschreibung von Dr. Johannes Dengl ist ein einmaliges Zeit- und Charakterbild), Alexander Kováts, „einer der fähigsten Professoren, die das Temeswarer Priesterseminar je hatte“, Christoph Galler, „ein Naturtalent von Pädagoge“, der 26 Jahre der Katholischen Lehrerpräparandie in Szegedin vorstand, oder die große Wohltäterin Mileva Herzogin von San Marco-Nákó.

Im März 1911 wurde Johann Csernoch zum Erzbischof von Kalotscha ernannt, drei Jahre später erfolgten seine Ernennung zum Erzbischof von Gran und Primas von Ungarn sowie seine Erhebung zum Kardinal.

Ruhe vor dem Sturm: Die Zeit des Bischofs Glattfelder

Das dritte Kapitel steht unter der Überschrift „Ruhe vor dem Sturm. Aus der Zeit des Bischofs Glattfelder 1911-1914“. Der neue Oberhirte der Tschanader Diözese, bisher Direktor des Ofner Sankt-Emerich-Kollegs und Professor für Homiletik und kirchliche Rhetorik an der Budapester Universität und mit kaum 37 Jahren der Jüngste im ungarischen Bischofskollegium, war für Temeswar der richtige Mann und die beste Wahl. Der Autor zitiert den damaligen Temeswarer Bürgermeister Karl Telbisz mit den Worten: „Mit dem neuen Bischof haben wir das große Los gezogen.“ Allein schon durch seine stattliche männliche Erscheinung und sein jugendliches Alter habe er im Sturm die Herzen seiner Gläubigen erobert, zudem „sprach er ein gutes Deutsch und ein gepflegtes Ungarisch“.

Die ersten Amtsjahre Glattfelders bedeuteten einen neuen Aufbruch im Bistum: Der Bischof unternahm Firmungen und Visitationen und griff selber in die Erziehung der zukünftigen Priester ein, indem er Vorlesungen übernahm, es entstanden Jugendvereine, ein neues Priesterseminar wurde in einer Rekordzeit von einem knappen Jahr aus dem Boden gestampft. Die Pläne dazu hatte der aus Temeswar stammende und an der Budapester Hochschule für Bauwesen lehrende Architekt Ernst Foerk erstellt. Das am 5. November 1914 geweihte neue Seminar war „eine Glanzleistung und ein Schmuckstück der Stadt“. Es hatte fünf Ebenen und barg zwei Sehenswürdigkeiten von besonderem Rang: den Festsaal und die große Kapelle der Alumnen. Beide werden von Bischof Roos beschrieben. Im Jahr 1912 wurde der Bau der Elisabethstädter Pfarrkirche in Angriff genommen, der jedoch infolge der Kriegsereignisse erst 1919 zu Ende geführt und geweiht werden konnte.

In diesem Kapitel geht der Autor auf das Wirken weiterer Ordensgemeinschaften ein. Vorgestellt werden die seit 1885 in der Diözese tätigen Ingenbohler Kreuz-Schwestern, die neben Schulen und Krankenhäusern auch Kinderheime betreuten und über sieben Häuser verfügten, sowie die Salvatorianerpatres. Seit 1898 in der Diözese, engagierten sie sich vor allem in der Jugendseelsorge in der Mehala. Der Leser macht außerdem Bekanntschaft mit einigen verdienstvollen Priesterpersönlichkeiten, wie dem volksnahen Seelsorger und Volksschriftsteller Wilhelm Brevis, dem Wegbereiter der modernen Jugendseelsorge im Bistum, Wilhelm Dewald (er gründete Jugendvereine und errichtete Jugendheime an seinen Wirkungsstätten Neuarad, Marienfeld und Kleinbetschkerek und wurde damit zum Vorbild einer intensiven, systematischen Jugendseelsorge im Bistum), oder dem Organisten, langjährigen Domkapellmeister und leidenschaftlichen Musikwissenschaftler Desiderius Járosy.

Als Kirchenhistoriker leistet Bischof Martin Roos einen unschätzbaren Beitrag zur Aufarbeitung und Vermittlung der 900-jährigen Geschichte der alten Diözese Tschanad. Die bisher erschienenen fünf Bände mit einem Gesamtumfang von knapp 3400 Seiten vereinen solides, quellengestütztes Wissen in komprimierter und anschaulich dargebotener Form.    

Der Band kann beim Verlag Edition Musik Südost München (Tel./Fax 089 / 45011762) bestellt werden.