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Audienz im Vatikan: Einsatz für die Bărăgan-Deportierten (1)

Behausung einer Banater Familie im Baragan (Fundata). Foto: Archiv BP

In der Gemeinde Much nahe Köln wurde vor kurzem eine Straße nach dem Banater Fritz Wilhelm benannt. Quelle: www.much-heute.de

Dreimal Wilhelm, Vater und Söhne − drei Vorbilder für Verantwortungs- und Gemeinschaftsbewusstsein

Über die Ehrung, die dem älteren der beiden Söhne, Fritz Wilhelm, durch seine Wahlheimatgemeinde Much im Rhein-Sieg-Kreis (nahe Köln) vor Kurzem zuteil geworden ist, hat Peter Krier in der Nr. 4 der „Banater Post“ berichtet. Er war als Vertreter der Landsmannschaft bei der Feierlichkeit anwesend, als deren Höhepunkt die Enthüllung des neuen, nach ihm benannten Straßenschildes herausragt.

Die Presse des näheren Umfeldes widerspiegelt die hohe Wertschätzung, die dem jetzt 93- jährigen Altbürgermeister und Ehrenbürger der Gemeinde Much entgegengebracht wird, so der „Kölner Stadtanzeiger“, das Siegburger „Extra-Blatt“ und selbstverständlich das Lokalblatt „Much heute“. Aus der Laudatio des derzeitigen Bürgermeisters Norbert Büscher greife ich die Synthese auf, mit der er die „besondere Lebensleistung“ des Gefeierten umreißt: Er sei ein „souveräner Bürgermeister der Extraklasse“ gewesen, ein „Glücksfall für Much“. Peter Krier hat dargelegt, welches im Einzelnen die Bereiche waren, in denen Fritz Wilhelm die Entwicklung angekurbelt und gefördert hat. Weiter zurückliegende hohe Auszeichnungen sind Marksteine auf einem langen, konsequent gegangenen Weg: die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1974) und die Ehrenbürgerschaft der Gemeinde Much (1995). Manche der Zeilen werfen ein Licht auf menschlich achtbare Züge seines Wesens: „nichts war ihm zu viel; er war immer ein Gesprächspartner, der gerecht und ausgleichend unterstützte“ – ob als „Direx“ in der Realschule oder als Bürgermeister.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Ich erinnere an die Redensart „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ und gehe damit über zur Lebensgeschichte des Vaters, Jakob Wilhelm (geboren am 2. Dezember 1898 in Alexanderhausen, gestorben am 2. Mai 1977 in Much). Petris „Biographisches Lexikon des Banater Deutschtums“ gibt Auskunft; die „Banater Post“ Nr. 9 vom 15. September 1977 bringt den Nachdruck eines von Hans Diplich im „Gerhardsboten“ veröffentlichten Nachrufs und Nikolaus Engelmann schrieb mir, auf Anfrage, über ihn (Brief vom 27. August 2001). Weiter unten wird von Jakob Wilhelm als treibender Kraft in Angelegenheit der in den Băragan Deportierten die Rede sein. Er war Lehrer, wie seine beiden Söhne – Fritz und Walter.

Walter Wilhelm (geboren am 29. Januar 1926 in Alexanderhausen) wird einige Male in den drei Folgen über die „völkischen“ Schulen in Temeswar genannt („Banater Post“, Nr. 23-24 von 2015, Nr. 1 und 2 von 2016). Er gehörte zum letzten Absolventenjahrgang 1943/44 der „völkischen“ Jungen-Lehrerbildungsanstalt und erlangte seine Lehramtsbefähigung zeitgleich mit Gabriele Wiesenmayer (geborene Haivas) und Margarethe Grawisch (geborene Kratochwill). Der Vater kam 1917, kurz nach dem Absolvieren in Szeged, zum Fronteinsatz und wurde an der Italienfront schwer verwundet. Lehrer war er in Billed, Josefsdorf und Ostern. Seine Frau Elisabeth Fritz kam aus Gottlob. Von hier an folge ich den Ausführungen Engelmanns; die Hinzufügungen nach Petri stehen in eckigen Klammern. „Jakob Wilhelm quittierte [1939] den Schuldienst, übersiedelte mit der Familie nach Temeswar und wurde einer der engsten Mitarbeiter von Peter Anton beim Auf- und Ausbau der ‚Agraria‛- Genossenschaft [Prokurist, 1941-1944 Direktor dieser Institution]. – Herbst 1944 Flucht in den Westen. Er landete mit einem Teil seiner Familie (die Söhne waren an der Front) in Thalheim bei Salzburg und wurde Mitarbeiter im Christlichen Hilfswerk, der späteren Flüchtlingsseelsorge. Nach Deutschland übersiedelt [1947], trat er wieder in den Schuldienst ein [war Lehrer in Fürstenstein im Bayrischen Wald], nahm Verbindung zu Hans Diplich auf und schaltete sich in die Arbeiten der Kirchlichen Hilfsstelle in München ein. Er war Gründungsmitglied des St. Gerhardswerks. Sofort nachdem er sich in Nordrhein-Westfalen niedergelassen hatte [Lehrer in Langendorf bei Zülpich], nahm er die Zusammenarbeit mit Prälat Haltmayer und dem Gerhardswerk wieder auf und war lange Zeit Verfasser der Leitartikel im ‚Gerhardsboten‛. Gezeichnet waren die Beiträge mit jwl.“ [Nach seiner Pensionierung 1965 war er in den Jahren 1971-1972 Schriftleiter der „Banater Post“.] In diesem Brief Engelmanns findet sich eine Passage, die Familienforscher neugierig machen und zum Suchen anregen dürfte: „Wir Engelmänner sind durch unsere Großmutter, die aus Ostern stammte, verwandt. Es waren recht enge familiäre Beziehungen zwischen Warjasch und Ostern“.

Zurück zu Walter Wilhelm. Kurz nach der Befähigungsprüfung folgte er der Einberufung. Die Musterung war schon ein Jahr davor erfolgt, im April 1943. Das Kriegsende erlebte er im Kessel von Halbe südöstlich von Berlin/Brandenburg. „Der Ort Halbe am Spreewald wurde zum Symbol apokalyptischer Kämpfe“, schreibt Sven Felix Kellerhoff in einem in der „Welt“ veröffentlichten Beitrag zum Kriegsende 1945. Im Kessel von Halbe opferte Hitler seine letzten Divisionen der entkräfteten 9. und 12. Armee. Die unternommenen Durchbruchversuche mit dem Ziel, der russischen Gefangenschaft zu entgehen, waren verlustreich: 30000 deutsche Soldaten starben im Kessel, dazu geschätzte 10000 Zivilisten, darunter viele Flüchtlinge. Hohe Verluste gab es auch auf russischer Seite. Mit Walter Wilhelm im Kessel, nur in einer anderen Einheit, waren seine zwei Schulkameraden Hans Schäfer und Balthasar Zierhuth. Die drei gehörten zu den etwa 120000 deutschen Soldaten, die nach den Kämpfen in sowjetische Gefangenschaft gerieten. Er (sie) hatte(n) Glück: Ihm klingt es heute noch im Ohr: „Rumanski paschli damoj!“ – Russischerseits wohl ein Irrtum, für ihn und manchen anderen bedeutete es die Entlassung. Die Heimreise war keineswegs ungefährlich. Zierhuth kam dabei in Prag ums Leben.

Familientrennung infolge des Krieges

Bei seiner Rückkehr ins Banat Ende September 1945 traf Walter Wilhelm seine Angehörigen nicht mehr an, sie waren geflüchtet. Es folgten Monate im Versteck, zuerst in Gottlob, dann in Warjasch bei der Familie Pfeifauf, zweimal kurzfristige Inhaftierung im Temeswarer innerstädtischen Kloster, das zur Haftanstalt umfunktioniert worden war. Doch er konnte mit Glück schon im Herbst 1946 wieder im erlernten Beruf Fuß fassen, und zwar in Ostern, wo die konfessionelle Schule – dank der Bemühungen von Pfarrer Peter Wehner – wieder eröffnet wurde. Aus Ostern kam auch seine Frau Elisabeth Bosch. Sie gehörte zu den ersten Absolventen des nach der Schulreform neu gegründeten „Deutschen Lyzeums“, war  Klassenkollegin von Magdalene Barthelme, Richard Blassmann, Walter Chef, Erwin Lessl, Roland Minges, Anna Metzenrath, Erich Pfaff, Gerlinde Scherter, Richard Taubert, Ricarda Terschak, Charlotte Varga, Peter Wiener und vielen anderen. (Heimgekehrt war auch Hans Schäfer, später – bis zu seiner Aussiedlung nach Deutschland – Lehrer in Triebswetter. Von den ehemaligen Klassenkameraden hatten den Kriegseinsatz nicht überlebt: Balthasar Zierhuth, Andreas Tritthaler und Adalbert Vollmann.)

1951 wurde das junge Ehepaar in den Bărăgan deportiert. Walter Wilhelm gelang es als einem der ersten, eine Nachricht über dieses große Unrecht seinem Vater zukommen zu lassen. Im September kam Sohn Bruno zur Welt. Die Siedlung hatte zwei Namen: Stăncuţa Nouă und Schei, ihre Bewohner waren meist Deutsche aus Ostern, Bogarosch, Wiseschdia, Alexanderhausen. Während der Bărăgan-Jahre wurde er noch zum rumänischen Militärdienst verpflichtet, er kam nach Bukarest zu einem Baubataillon.

Bărăgan-Deportation: informieren im Westen

Im Westen wird man in Angelegenheit der Bărăgan-Deportation aktiv. Den Anstoß dazu gibt Jakob Wilhelm und bleibt immer eine treibende Kraft in dieser Angelegenheit, die sich auch die damals noch junge Landsmannschaft als wichtiges Anliegen zu Eigen gemacht hat. Hans Diplich schreibt in seiner „Erinnerung an Jakob Wilhelm“ nach ein paar einleitenden Sätzen, in denen er die näheren Umstände der Deportation umreißt, folgendes: „Die Leute aus dem Banat lebten im Baragan anfänglich unter freiem Himmel und in Erdhöhlen. Sie waren – wie die Begleitumstände es nicht anders erwarten ließen – in großer Bedrängnis, und wir im Westen fühlten uns verpflichtet, ihnen hilfreich beizustehen. Nach einer Eingabe an den Deutschen Bundestag in Bonn, worin der völkerrechtliche Aspekt der gewaltsam Deportierten aufgezeigt wurde, waren wir gesonnen, Wege und Mittel zu erkunden, die geeignet schienen, aus unserer schwachen Position heraus den Banater Landsleuten im Baragan zu helfen. Die Landsmannschaft war entschlossen, in der neutralen Schweiz die notwendige Unterstützung zu suchen. In jenen Tagen und Wochen war Jakob Wilhelm der Mann, in dessen uneigennützigem Herzen der Entschluss reifte, in seinem Namen alle erreichbaren internationalen, staatlichen und kirchlichen Gremien und Personen in Genf und Bern aufzusuchen und, im Hinblick auf Hilfe, sie mit dem Problem […] bekanntzumachen. Der Erfolg seiner Reise (zwischen dem 13. und 19.8.1951) ließ sich freilich nicht gleich an den Fingern abzählen. Aber es folgte sehr bald nach Wilhelms Vorsprachen eine Paket-Sendeaktion nach Rumänien, und das Problem der Familienzusammenführung wurde damals allgemeines Gesprächsthema, das nun [1977] schon über 25 Jahre mit wechselndem Erfolg in der Öffentlichkeit seine Wirkung tut.“ Zu den „Paketsendungen“, vor allem durch das Rote Kreuz, fügt Walter Wilhelm hinzu: Es handelte sich um zwei Waggons vor allem mit Zelten. Diese kamen zwar bis an die rumänische Grenze, doch sie wurden von der Regierung zurückgewiesen.