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Als das Boot voll war

Ein Koffer, viel Mut und etwas Zuversicht: Mit maximal 70 Kilogramm Gepäck als Summe der Arbeit von Generationen mussten die Banater Schwaben ihre Heimat verlassen. Hier bei der Ankunft in Nürnberg. Foto: Archiv BP

Die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges führten dazu, dass nach Kriegsende Tausende rumäniendeutsche Familien getrennt waren. Viele Flüchtlinge, entlassene Kriegsgefangene und aus der Russlanddeportation Entlassene waren im Westen des europäischen Kontinents geblieben, der nun durch den „Eisernen Vorhang“ getrennt war. Ehepaare waren getrennt, Kinder sehnten sich nach ihren Eltern und Eltern wollten zu ihren Kindern.

Familienzusammenführung: zentrale Aufgabe

Die Zusammenführung der getrennten Familien war schon bei Gründung der Landsmannschaft im Jahr 1950 eine zentrale Aufgabe, der sie sich von Anfang an gestellt hat. So wendeten sich Vertreter der Landsmannschaft hilfesuchend an das Deutsche Rote Kreuz, an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf und an den Deutschen Bundestag. Zunächst erfolglos. Während 1951 insgesamt 1031 Personen – viele von ihnen waren Kinder unter 18 Jahren – ausreisen durften, erhielten in den Folgejahren nur vereinzelte Personen die Ausreisegenehmigung gegen hohe Geldsummen.

Den rumäniendeutschen Landsmannschaften ist es jedoch 1958 gelungen, über das Auswärtige Amt die Familienzusammenführung an ein Handelsabkommen mit Rumänien zu knüpfen, über das damals auf Regierungsebene verhandelt wurde. Als Verhandlungsgrundlage war seitens des Auswärtigen Amtes eine monatliche Mindestzahl von 500 bis 600 Personen vorgesehen. Die rumänische Seite sicherte mündlich eine wesentliche Steigerung der Familienzusammenführung zu, hielt dieses Versprechen jedoch nicht ein. Daraufhin wurde deutscherseits auf Drängen der Landsmannschaften ein Handelsstopp gegen Rumänien verhängt, der monatelang anhielt. Mit dessen Aufhebung kam es 1960 zu ersten Abmachungen über Kopfgeldzahlungen zwischen Beauftragten der beiden Regierungen.

Während der Kanzlerschaft von Ludwig Erhard (1963-1966) konnten Landsmannschaftsvertreter der Bundesregierung eine umfassende Denkschrift übergeben, in der die Situation und die Zukunftsperspektiven der Deutschen in Rumänien dokumentiert waren. Auf Drängen der Landsmannschaften fand 1964 eine interministerielle Konferenz im Auswärtigen Amt in Bonn unter dem Vorsitz des damaligen Staatssekretärs und späteren Bundespräsidenten Karl Carstens statt, bei der die Vertreter der beiden Landsmannschaften, Peter Ludwig und Erhard Plesch, darlegen konnten, dass nicht nur der Drang zur Familienzusammenführung bestehe, sondern die große Mehrheit der Deutschen in Rumänien keine Zukunftschancen sehe und ausreisen möchte. Mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien Ende Januar 1967 wurde deutscherseits mit Dr. Heinz Günther Hüsch ein Regierungsbeauftragter  bestellt, der mit den rumänischen Vertretern geheime Verhandlungen über den Freikauf der Deutschen aus Rumänien führte und die Verträge abschloss. So wurden in den Jahren 1969 bis 1989 rund 225000 Deutsche aus Rumänien für ca. eine Milliarde Euro freigekauft.

Als dann das Volk im Dezember 1989 den Tyrannen stürzte und seine Freiheit erlangte, stimmten die Menschen mit den Füßen ab. Es kam zum Exodus der Deutschen aus Rumänien. Allein 1990, im ersten Jahr der Freiheit, verließen 111150 Deutsche Rumänien.

Da sich mit dem Fall der Grenzen die Aussiedlung auch aus den anderen vormals kommunistischen Ländern intensivierte und infolgedessen die Aussiedlerzahlen hochschnellten – 1990 waren es 397000 Personen –, sah sich die Bundesregierung veranlasst, diesen Zustrom zu drosseln. Als im ersten Halbjahr 1990 etwa 200000 Aussiedler angekommen waren, wurde ab 1. Juli ein Aufnahmestopp verhängt. Die Aussiedlungswilligen mussten ab nun ihre Aufnahme in der Heimat beantragen und dort abwarten, bis ihnen der Aufnahmebescheid zuging.

Schon im zentralen Aufnahmelager in Nürnberg Aufgenommene wurden in ihre Heimat abgeschoben. Durch den beherzten Einsatz von Dr. Ernst Christian, der sich mit dem damaligen Bundesvorsitzenden Jakob Laub direkt an Bundeskanzler Helmut Kohl wandte, durften etwa 30 der von Abschiebung bedrohten Deutschen aus Rumänien nach einem Rechtsverfahren über eine Härteklausel hier bleiben. Diese Härteregelung wurde dann auch gesetzlich festgeschrieben.

Das Tor nach Deutschland wird praktisch geschlossen

Quasi über Nacht war ein Wandel eingetreten. Noch Anfang 1989 war die Bundesregierung bereit, Millionen DM für den Freikauf der Deutschen aus Rumänien zu zahlen, nun, nach dem Fall der Mauer und der Grenzen sollte das Tor geschlossen werden. Eigentlich hatte es schon 1989 Forderungen der politischen Opposition gegeben, den Zuzug von Aussiedlern einzuschränken, zu „kontingentieren“. Prominente Politiker der damaligen Oppositionsparteien scheuten sich nicht, von „berechtigten Abwehrreaktionen“ der einheimischen Bevölkerung zu sprechen. Die Landsmannschaften reagierten darauf mit  einem Schreiben an Bundeskanzler Kohl, das auch der Präsidentin des Deutschen Bundestages, Rita Süssmuth sowie den Ministern Hans-Dietrich Genscher (Äußeres), Norbert Blüm (Arbeit und Soziales) und Friedrich Zimmermann (Inneres) zuging. Darin beklagten sie sich über die Aussagen von Politikern und Medien in Bezug auf die geforderte Kontingentierung. Die angebliche notwendige Einschränkung oder Kontingentierung gäbe es für die Deutschen in Rumänien schon längst, hieß es in dem Schreiben. In äußerst mühsamen Verhandlungen sei Bukarest eine Jahresquote von 12000 Aussiedlern abgerungen worden, die nun in Frage gestellt sei. Es sei zu beklagen, dass Politiker diesen Sachverhalt nicht erwähnten. Über Rundfunksendungen würden die Landsleute in Rumänien erfahren, dass Aussiedler in der Bundesrepublik ein großes Problem geworden wären, dass es keine Unterkünfte und keine Arbeitsplätze mehr gäbe, dass die Renten in Frage gestellt seien. Mit anderen Worten: Eine Willkommenspolitik gab es nicht mehr, man betrieb eine Abschreckungspolitik.

Obwohl die Rechtslage der Aussiedler aus Rumänien entsprechend Paragraph 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) sich nicht geändert hatte und die Politiker bei großen landsmannschaftlichen Veranstaltungen immer wieder versicherten, das Tor bleibe offen, wurde der Paragraph 94 dieses Gesetzes über die Familienzusammenführung ab 1. Januar 1993 gestrichen. Schon ab 1. Juli 1990 war das sogenannte D1-Verfahren, über das im Laufe von drei Jahrzehnten 2,7 Millionen Aussiedler aus den kommunistischen Diktaturen in die westliche Freiheit gelangt waren, durch das Aufnahmebescheid-Verfahren abgelöst worden. War bei der Familienzusammenführung jahrzehntelang die Ausreisegenehmigung durch die rumänischen Behörden (der braune Reisepass) das größte Problem, so wurde nun der Aufnahmebescheid für die Einreise nach Deutschland die große Hürde, die bald eine nur schwer überwindbare Mauer werden sollte.

Zuzugs- und Leistungseinschränkungen

Das Gesetz zur Regelung des Aufnahmeverfahrens für Aussiedler (AAG) vom 28. Juni 1990 schrieb vor, dass der Aufnahmeantrag im Heimatland zu stellen sei. Das Antragsformular hatte über 50 Seiten, die Erfassung der Abstammungsdaten ging bis zu den Großeltern zurück, Jugendliche über 16 Jahre mussten einen eigenen Antrag stellen. Ausschlaggebend für die Erteilung des Aufnahmebescheids war der Nachweis oder die Glaubhaftmachung anhaltender Benachteiligungen als Deutsche. Dies erwies sich aber für unsere Landsleute nun, nach der politischen Wende in Rumänien, als sehr schwierig, zumal die Antragsprüfer sich an den rechtlichen und nicht an den tatsächlichen Verhältnissen orientierten. Für die Aussiedler aus den GUS-Ländern galten andere Vorgaben.

Die Aufnahmeanträge wurden vom Bundesverwaltungsamt einer intensiven Prüfung, einschließlich Zeugenbefragung unterzogen und im Falle eines positiven Bescheids einem Bundesland zugestellt. Für die Verteilung der Aussiedler waren nämlich Länderquoten festgelegt worden, eine freie Wahl des Bundeslandes oder gar des Ortes war nicht mehr möglich. In seinem Buch „Deutsche Aussiedler. Kriegsfolgeschicksal im Osten“ (Nürnberg 1993) wertet Ernst Christian dies als Verstoß gegen Art. 11 des Grundgesetzes (Freizügigkeit) und weist darauf hin, dass die radikale Änderung des BVFG die Streichung oder Änderung weiterer 18 Gesetze zur Folge hatte. Das Bundesverwaltungsamt erteilte pro Jahr nur mehr so viele Aufnahmebescheide, als Aussiedler im Durchschnitt der Jahre 1991 und 1992 zugezogen waren. Damit hatte eine Kontingentierung stattgefunden, die bei unter 200000 Aussiedlern pro Jahr lag. Da das Bundesverwaltungsamt viele Monate zur Prüfung der Anträge benötigte, war auch damit eine weitere Steuerung gegeben. Christian meint, dass diese Restriktionen bei den Verhandlungen des „Asyl-Kompromisses“ zwischen der damaligen Regierung Kohl und der Opposition am 6. Dezember 1992 zustande gekommen waren. „Während ab nun Asylanten und Scheinasylanten ungehindert hier zuziehen durften, wurde für deutsche Volkszugehörige, im Gegensatz zu den Beteuerungen mancher Politiker, das Tor geschlossen“, so Christian. Selbst Anträge, die schon seit Monaten dem BVA vorlagen, seien nach dem neuen Recht bewertet worden.

Am 1. Januar 1993 trat das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG) in Kraft mit der Folge, dass für unsere Landsleute die Aufnahme als Aussiedler kaum noch möglich war. Durch das Gesetz wurde der Vertriebenenstatus nach § 1 Abs. 2 BVFG dahingehend geändert, dass nach dem 1. Januar 1993 Eintreffende Spätaussiedler sind. Davor Aufgenommene sind Aussiedler, sie gelten als Vertriebene und haben die gleichen Rechte wie die hier bis 1950 aufgenommenen Vertriebenen. Mit dem Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes wurde der Vertriebenenstatus nicht mehr anerkannt.

Man hatte jedoch schon vorher einige Leistungen reduziert oder gestrichen, andere wurden mit der Einführung des neuen Gesetzes gestrichen, darunter die nach dem Lastenausgleichsgesetz gewährten Leistungen: Hauptentschädigung, Hausratsentschädigung, Einrichtungsdarlehen, Rückführungskosten, Ausbildungsdarlehen, Wohnungsbaudarlehen, Aufbaudarlehen. Auch das Häftlingshilfegesetz und das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz wurden abgeschlossen. Besonders hart war der Einschnitt in das  Fremdrentenrecht, das radikal geändert wurde. Die Leistungen wurden massiv nach unten gedrückt, fast halbiert, so dass viele unserer älteren Landsleute Sozialhilfeempfänger geworden sind. Wo dies nicht gegeben ist, leben sie unter der Armutsgrenze. Auch der Begriff Familienzusammenführung wurde gestrichen. Mit einem Federstrich wurden die Kriegsfolgen „bereinigt“.

Aussiedler sind Leistungsträger geworden

Die Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler haben sich hier dennoch gut eingegliedert, kaum jemand ist unstet geworden. Dank guter Sprachkenntnisse und guter Ausbildung, vor allem aber dank Fleiß, Sparsamkeit und Ordnungssinn – Tugenden, die über Generationen eingeübt worden waren – hat jeder seinen Weg gefunden. Es ist nicht bekannt, dass Aussiedler oder Spätaussiedler demonstriert oder gar randaliert hätten, wenn man sie in alte Kasernen mit Betonfußböden einquartiert hat, wenn in einer Dreizimmerwohnung drei Familien untergebracht wurden oder wenn in einem Zimmer sechs bis acht Männer wohnen mussten. Sie haben jede Arbeit angenommen, die ihnen angeboten wurde, haben sich weitergebildet, zum Teil neue Berufe erlernt, sind mit der Zeit gegangen und hier angekommen. Sie leben nicht auf Kosten anderer, sondern sind Leistungsträger in diesem Land geworden.

Nach dem Einzug in ein Übergangswohnheim waren die Aussiedler und Spätaussiedler sich selbst überlassen, sie mussten sehen, wie sie weiter kamen. Mit etwas Stolz darf darauf hingewiesen werden, dass unsere Landmannschaft erfolgreich Eingliederungshilfe geleistet hat. 150 Eingliederungsberater und -helfer waren in einem großen Helfernetz tätig. Sie nahmen an Seminaren und Fortbildungen teil und waren kundig in Eingliederungsfragen. In der Zentralen Aufnahmestelle in Nürnberg hatte die Landsmannschaft ein laufend besetztes Beratungsbüro. Auch in den Landesaufnahmestellen Langen, Rastatt, Osthofen fanden regelmäßig Beratungen statt, in fast allen Kreisverbänden gab es mehrere Aussiedlerberater und in der Bundesgeschäftsstelle der Landsmannschaft in München hielt Hans Huniar regelmäßig Sprechstunden. Die „Banater Post“, die alle Neuangekommene ein halbes Jahr kostenlos erhielten, brachte in jeder Ausgabe eine von Hans Huniar redigierte Spalte mit Rat und Hilfe für Aussiedler. Die Landsmannschaft gab zwei von Hans Huniar redigierte Broschüren zu Eingliederungsfragen (Bundesvertriebenen- und Lastenausgleichsgesetz, gesetzliche Rentenversicherung und Fremdrentenrecht) heraus. Alle Beratungen, viele Tausende Übersetzungen und unzählige Hilfestellungen wurden ehrenamtlich und kostenfrei geleistet, aus Solidarität mit den später nach Deutschland gekommenen Landsleuten.