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Auf den Spuren der Heimkehrer in Frankfurt an der Oder

Josef Gabriel der Jüngere starb 1947 in Franfkurt an der Oder. In einer kleinen Gedenkfeier an seiner Grabstelle erinnerte Nikolaus Rennon an das Schicksal des Dichters und an sein Werk. Fotos: Nikolaus Rennon

Die Reisegruppe am Mahnmal für den Frieden vor der Hornkaserne (oben) und am Denkmal für die Opfer der beiden Weltkriege auf dem Hauptfriedhof (unten), wo ein Kranz niedergelegt wurde.

Ein schlichter Gedenkstein erinnert an das Heimkehrerlager Gronenfelde.

Im Jahre 2015 erinnern viele Veranstaltungen an die Deportation der Deutschen aus Südosteuropa zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion vor siebzig Jahren. Es ist von 35000 bis 38000 verschleppten Frauen und Männern aus den Reihen der Banater Deutschen auszugehen. In der südöstlichen Ukraine, im Donezgebiet, aber auch jenseits des Urals, bis zum Kaukasus und zum nördlichen Eismeer, mussten sie in Kohlengruben, in der Schwerindustrie, auf Baustellen, beim Transport und auch beim Holzschlag Schwerstarbeit leisten. Geschunden durch harte Akkordarbeit bei absolut unzureichender Ernährung und bitterem Hunger, bei sibirischer Kälte und fehlendem Arbeitsschutz, Schikanen und Misshandlungen ausgesetzt, geplagt von Läusen und Wanzen und bedrückt von quälendem Heimweh, sind viele Deportierte an Körper und Seele erkrankt. Besonders in den ersten zwei Jahren der Deportation war die Sterberate erschreckend hoch.

Viele ehemalige Deportierte haben ihren Leidensweg niedergeschrieben oder bei verschiedenen Veranstaltungen mündlich darüber berichtet. So auch Anna Herrmann, die in einer Kohlengrube in Donez in einem nur 70 Zentimeter hohen Schacht gebückt oder kriechend Normarbeit leisten musste. Bei Nichterfüllung der vorgegebenen Leistung wurde die Brotration reduziert – eine unmenschliche Maßnahme angesichts des ständigen Hungers, unter dem die Zwangsarbeiter zu leiden hatten. Mit nassen Kleidern, die im Winter am Leib anfroren, musste sie nach Schichtende drei Kilometer bis zum Lager zurücklegen. Worte würden nicht ausreichen, um das zu beschreiben, was sie erleiden und durchstehen musste, gibt Anna Herrmann zu bedenken.

Da die Schwerkranken keine Arbeitsleistung mehr erbringen konnten, empfahl Lawrenti Berija, der Volkskommissar für Innere Angelegenheiten der UdSSR, Diktator Stalin, diese Menschen zu entlassen, zumal sie keinen Nutzen mehr brachten und nur Kosten verursachten. Stalin stimmte zu, und so wurden ab Herbst 1945 Transporte mit Invaliden und Schwerkranken zusammengestellt und in die Heimat befördert. Sofern sie die Reise überlebten, erreichten die Rumäniendeutschen die Heimat über Marmaroschsiget oder Jassy. Doch ab 1946 verweigerte Rumänien auf Veranlassung von Innenminister Teohari Georgescu die Aufnahme der Heimkehrer. Die aus der Deportation entlassenen Deutschen aus Rumänien wurden fortan in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands abgeschoben.

Hier war Frankfurt an der Oder unmittelbar nach Kriegsende zu einem gigantischen Umschlagplatz für Millionen Menschen geworden. Hier wurden ab Mai 1945 von den Sowjets Kriegsgefangene und Internierte gesammelt, die Transporte zusammengestellt und nach Osten weitergeleitet. In Frankfurt gesammelt und von hier weitergeleitet wurden auch ehemalige sowjetische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Gleichzeitig kamen ab Juni 1946 aus dem Osten hunderttausende Menschen an, anfangs meist in einem katastrophalen Gesundheitszustand, denn erstes Kriterium für eine Frühentlassung der Kriegsgefangenen, Internierten und zur Arbeit deportierten Zivilisten war für die Sowjets die völlige Arbeitsunfähigkeit. In noch größerer Zahl trafen in der alten brandenburgischen Regierungshauptstadt Millionen Vertriebene und Umgesiedelte aus den deutschen Ostgebieten und Polen ein.

Während die einen mit unbekanntem Ziel nach Osten wegfuhren, wurde Frankfurt für die anderen zum Symbol für das Ende der Gefangenschaft und Zwangsarbeit und das Tor zur Freiheit. Für viele tausende Heimkehrer war es aber auch „End-Tor“ ihres Lebens. Um dieser vielen Toten, darunter mehrere hundert Banater Schwaben, zu gedenken, hat das Hilfswerk der Banater Schwaben am 11. und 12. April eine Gedenkfahrt nach Frankfurt an der Oder organisiert. Die Reisegruppe zählte zwanzig Teilnehmer. Auf der Hinfahrt besichtigte die Gruppe die Stadt Dresden mit ihren architektonischen und künstlerischen Sehenswürdigkeiten. Durch den malerischen Spreewald ging es dann weiter nach Frankfurt an der Oder. Auch dort gab es am zweiten Tag zunächst eine Stadtrundfahrt mit Führung, bevor sich die Gruppe auf die Spuren der Heimkehrer begab.

Als erstes wurde der Verladebahnhof Schubert-Straße besichtigt, wo die Mehrzahl der in Frankfurt eintreffenden Transporte entladen wurde. Für die kranken und elendig aussehenden Heimkehrer hatte man außerhalb der Stadt Entladerampen gebaut, um sie nicht am Personenbahnhof durchschleusen zu müssen. Von hier  erreichten sie nach einem Fußmarsch von etwa drei Kilometern das Kriegsgefangenenlager 69 in der ehemaligen Hornkaserne. Das Lager wurde von sowjetischen Soldaten streng bewacht und war von hohem Stacheldraht umgeben. Hier wurden die Heimkehrer entlaust und gebadet und einer gesundheitlichen Untersuchung unterzogen. Schwerkranke kamen in Krankenhäuser der Umgebung. Auf der Reise oder im Lager Verstorbene wurden auf dem Nuhnenfeld hinter dem Lager beerdigt, manche auch auf dem Hauptfriedhof der Stadt. Die Heimkehrer wurden registriert, ihre Entlassungspapiere wurden nochmals geprüft, wonach sie ihre „Spravka“, ihren Entlassungsschein, erhielten. Manche, zum Beispiel frühere SS-Angehörige, wurden aber auch wieder in die Sowjetunion abgeschoben.

In der Hornkaserne, heute Polizeipräsidium, haben beherzte Menschen eine Dauerausstellung mit dem Titel „Willkommen in der Heimat“ eingerichtet, die die Situation der Stadt zur damaligen Zeit darstellt und den Weg der Heimkehrer anhand vielfältiger originaler Exponate, Ton- und Videoinstallationen dokumentiert. Ausgestellt sind viele Fotos, Schriftstücke, Landkarten und Gegenstände, beispielsweise eine „Bufaika“ oder aus Konservendosen oder Blechstücken gefertigtes Ess-besteck. Beeindruckend ist der kleine Holzkoffer der 16-jährigen Eva-Maria Stege, mit einem spartanischen Inventar und einem Blatt Papier mit der Aufschrift „Skoro domoi“ (Bald nach Hause). Eva-Marias Hoffnung sollte sich jedoch nicht mehr erfüllen, sie starb im Lager.

Neben der Ausstellung erinnert ein vom Heimkehrerverband gestiftetes und 1998 vor der Hornkaserne errichtetes Mahnmal für den Frieden an die Rückkehr von fast zwei Millionen deutschen Kriegsgefangenen und Zivilinternierten über Frankfurt an der Oder. Auf einer Edelstahlstele steht unter anderem: „Wir Heimkehrer mahnen! Völker entsagt dem Hass – versöhnt Euch! Dient dem Frieden in Freiheit – baut Brücken zueinander!“

Aus der Hornkaserne kamen die Heimkehrer nach einigen Tagen in das sechs Kilometer entfernte Heimkehrerlager Gronenfelde, das unter deutscher Verwaltung stand. Hier wurde eine erneute Registrierung vorgenommen und der weitere Transport organisiert. Die in der Westzone Beheimateten wurden über die Zonengrenze Richtung Friedland entlassen, die in der Sowjetzone Wohnenden entließ man in ihre Heimat. Die Heimatlosen – Internierte, Vertriebene, Flüchtlinge – kamen in eines der über 50 Lager in der Sowjetzone. Von den 22 hölzernen Baracken, davon 15 für die Unterbringung der Heimkehrer, die 1946 das Lager Gronenfelde bildeten, ist heute nichts mehr zu sehen. Allein ein Denkmal auf dem einstigen Lagergelände erinnert an das Schicksal der Heimkehrer. Auch die anderen Lager um Frankfurt sind verschwunden, die um die Lager entstandenen Friedhöfe wurden aufgehoben. Die dort Beerdigten wurden zwischen 1958 und 1975 exhumiert und in einem großen Gemeinschaftsgrab auf dem Hauptfriedhof beigesetzt.

So führte denn auch der Weg der Besuchergruppe am Ende zu diesem Friedhof. Über 12000 verstorbene Heimkehrer sind hier in mehreren Gemeinschaftsgräbern und einer Vielzahl von Einzelgräbern beigesetzt. Die größte Grabstelle mit 7610 Grablegungen befindet sich auf und um einen Hügel, auf dem eine Stele an die Toten der beiden Weltkriege erinnert. Vor diesem Denkmal hat sich die Gruppe zu einer kurzen Gedenkfeier versammelt. Es kann davon ausgegangen werden, dass bis zu 10000 der Unseren über Frankfurt in die Freiheit kamen. Wie viele dort gestorben sind, ist nicht bekannt, es sind mehrere Hundert.

Der bekannte Schauspieler Ottmar Strasser (1905-2004), auch er vom Schicksal der Deportation zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion betroffen, fragt in einem Gedicht: „Wo ruhen sie, nach langem Darben, / die in Russlands Lagern starben / und in fremder Erde liegen, / weil Stacheldraht nicht leicht zu biegen?“ Sie sind verscharrt bei Stalino, Jenakievo, Slaviansk und vielen anderen Orten in der heutigen Ukraine und in Russland, sie liegen bei Jassy, auf dem Armenfriedhof in Marmaroschsiget und Hunderte auch in Frankfurt unter dem großen Hügel. Ihrer und aller durch die Russlandverschleppung zu Tode Gekommenen gedachte der Ehrenvorsitzende des Hilfswerks der Banater Schwaben, Peter Krier, in seiner Ansprache. Es folgte eine Kranzniederlegung im Namen aller Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen. Barbara Wagner, die die Gebete sprach, erinnerte daran, dass sie damals, als ihre beiden Eltern verschleppt wurden, ein dreijähriges Kind war. Sie habe ihre Eltern nicht gekannt, als diese zu Hause ankamen, nachdem sie durch die Lager in Frankfurt geschleust worden waren und den weiten Weg nach Rumänien angetreten hatten.

Unter diesem großen Grabhügel ist auch unser Heimatdichter Josef Gabriel der Jüngere beigesetzt. Schwerkrank wurde er im Winter 1946 aus der Deportation entlassen und starb kaum vierzigjährig am
15. Januar 1947 in Frankfurt an der Oder, fern von seiner Familie, von seiner Banater Heimat und seinen Landsleuten, deren Landschaft und Leben er in seinen Gedichten sprachkünstlerisch gestaltet hat. Josef Gabriel d.J. wurde zunächst auf dem Nuhnenfriedhof beigesetzt, später wurden seine Gebeine in das große Gemeinschaftsgrab verlegt. Über ihn, sein Schicksaal und sein Werk sprach der Vorsitzende des Hilfswerks der Banater Schwaben, Nikolaus Rennon. Auch sein Vater kam über das Lager Gronenfelde in die Freiheit. Zum Abschluss der Feierstunde trug Brigitte Rennon zwei Gedichte von Josef Gabriel d.J. vor, unter anderem seine „Banater Elegie“, und legte ein Blumengebinde an seiner Grabstelle nieder.