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Im Sinne von mehreren Völkern

Dr. Swantje Volkmann

Aus der Ansprache von Dr. Swantje Volkmann am Auswandererdenkmal in Ulm

„Die Donau ist der einzige wahrhaft europäische Fluss, protestantisch an seinem Ursprung, dann katholisch, schließlich orthodox; in ihm spiegeln sich römische Ruinen wie byzantinische Kuppeln, Kathedralen wie Synagogen, barocke wie auch osmanische Pracht“, schrieb Claudio Magris in seinem berühmten Roman zu jenem Fluss, an dem wir heute stehen.

Wir wollen uns heute an eine Gruppe erinnern, die vor fast dreihundert Jahren hier an den Ufern der Donau stand und auf die Abreise in ein neues Leben wartete. Ein Leben, das leichter und erträglicher sein sollte als jenes, das sie hier zurücklassen würden. Dies jedenfalls hatten die Werbekommissare versprochen, die die Familien aufforderten, ins „Ungarland“ zu ziehen, „wo es ihnen weder an frischem Wasser noch an Fruchtbarkeit der Erden ermangeln soll“. Und sie zogen. Zu Tausenden verließen die Familien ihre Heimat und gingen in die Fremde. Viele ließen sich im Banat nieder. Ein Landstrich und ein Begriff, der bis vor kurzem weitgehend nicht nur aus dem Gedächtnis, sondern auch aus dem Sprachgebrauch Westeuropas verschwunden war.

Das war im 18. Jahrhundert anders. In Auswandererliedern und in Anwerbungsverheißungen wurde das Land gepriesen und zog viele Auswanderer an. So hieß es auch: „Wer jetzo zieht ins Ungarland, dem blüht die goldne Zeit.“ Und blühte sie tatsächlich? Zunächst wohl noch nicht. Denn Auswanderer schrieben in ihren Briefen nach Hause nicht immer Verheißungsvolles, sie schrieben von Fieber und Krankheit, dass sogar viele Leute, die ins Banat gezogen sind, gestorben sind. Von den Ahnen meines Onkels Jakob Laub, die 1764 aus Bliesen im Saarland nach Perjamosch im Banat auswanderten, überlebte von den vier im Banat geborenen Kindern keines. Und auch in den folgenden Jahren bleibt die Statistik erschreckend. Die meisten Kinder überlebten ihr erstes Lebensjahr nicht.

Dass die Banater Schwaben dennoch Fuß fassten, ja sogar einen grundlegenden Beitrag zur Kultur des Donauraumes leisteten, grenzt an ein Wunder. Vielleicht entsprang dieses Wunder aber auch der ganz besonderen Charakteristik des Landes. Ein Land von unglaublicher Schönheit und Vielfalt; ein Land mit Menschen, deren mosaikähnliche Ethnizität schon wieder Einheitlichkeit definiert, so vielfältig sind ihre Geschichte und ihre Kultur. Und der Himmel Pannoniens stimmte versöhnlich; er vereinte wohl nicht, ließ aber die verschiedensten Ethnien friedlich zusammenleben. Und so wurde im Lauf der Zeit das Banat Heimat für Rumänen, Serben, Ungarn, Roma und für die Banater Schwaben.

Und heute – an diesem Wochenende – treffen sich die Nachfahren dieser Auswanderer wieder in Ulm. Sie spazieren durch das bezaubernde Fischerviertel mit seinen engen und behaglichen Gassen, auf der Uferpromenade der Donau und vorbei an alten Häusern und den Glyzinien, die sich in der Blau spiegeln, die in aller Stille in den großen Fluss mündet. Und vielleicht fragen sie sich, ob ihre Vorfahren hier auch langgegangen sind, was sie bewegte und was sie erlebten. Übrigens berichteten Auswanderer, dass ihr fünftägiger Aufenthalt in Ulm, als sie auf das Ordinarischiff warteten, sehr teuer gewesen sei. Das Brot um einen Kreuzer sei nicht größer als ein Hühnerei gewesen und eine Maß Wein habe acht Schillinge gekostet. Vielleicht spazieren die heutigen Besucher auch an jenem Haus vorbei, auf dem sich das 1717 vom Zunftmeister Johann Matthäus Scheiffele gemalte Bild von Griechisch-Weißenburg befindet, die damalige Bezeichnung für Belgrad. Und wieder können wir uns historische Ereignisse vergegenwärtigen.

Von Ulm aus sind zahllose Militärtransporte abgefahren, um gegen die Türken zu kämpfen und die Pannonische Tiefebene für die Habsburger Monarchie zu erobern. An den gleichen Stellen sind in diesen Jahren aber auch die ersten Ulmer Schachteln abgefahren, die die Auswanderer in ihre neue Heimat brachten. Schon in zwei Jahren begehen wir daher in der Stadt und in Gemeinschaft mit zahlreichen Institutionen den 300. Jahrestag der Erstauswanderung nach Ostmittel- und Südosteuropa. Das Banat wurde die neue Heimat; eine Heimat, die mehr als einmal den Stürmen der Zeit ausgesetzt sein sollte und die – fast wie in einer Miniaturansicht Europas – alle historischen Ereignisse erlebt, überlebt und schließlich verinnerlicht hat. Die besondere Charakteristik, die Faszination der Region Banat geht auch davon aus, dass Menschen aus diesem Gebiet in der Lage sind, „im Sinne von mehreren Völkern zu denken“, wie vor einigen Jahren Robert Reiter alias Franz Liebhard formulierte. Diese besondere Charakteristik der Region und seiner Menschen haben nicht nur das Banat geprägt und zu einem besonderen Ort im Donauraum gestaltet, sondern diese Besonderheiten haben die Banater Schwaben auch in die Bundesrepublik Deutschland mitgebracht. Sie haben in diesem Land ihren Platz gefunden, ohne aber ihr Gruppenbewusstsein und die Identität ihrer Herkunft zu verlieren. Dazu gehört, dass wir in diesem Jahr den 60. Jahrestag der Gründung der Landsmannschaft der Banater Schwaben begehen. Wichtiger scheint mir aber, dass der Kontakt in das Banat nie abgerissen ist.

Die Banater Schwaben gehören zu den frühesten Brückenbauern Europas; ein Europa, das nicht nur Westeuropa im Blick hat, sondern das auch die osteuropäischen Staaten als selbstverständlichen Bestandteil des Abendlandes ein-schließt. Auf den Leistungen der Banater Schwaben, die Brückenbauer und Türöffner waren, können wir heute aufbauen. Der Donauraum wird in Zukunft eine bedeutende Rolle in der Europäischen Union spielen. Wie wir ihn mitgestalten, welche Entscheidungen im Raum und in den Regionen getroffen werden, wird in gewisser Weise unser aller Zukunft beeinflussen.

So wie Ulm bereits vor dreihundert Jahren das Tor zur Freiheit für Tausende Menschen war, wurde Ulm in diesem Jahr der Ausgangspunkt für die Donaustrategie der Europäischen Union, die im Februar auf den Weg gebracht wurde. Neben wirtschaftlicher und struktureller Vernetzung sieht die Strategie vor, den Wohlstand der Menschen im Donauraum positiv zu beeinflussen und ein friedliches und menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Träume und Ziele, die bereits die Auswanderer des 18. Jahrhunderts veranlassten, donauabwärts zu ziehen. Bei diesem großen Vorhaben sind die Erfahrungen und das Wissen der Banater Schwaben von unschätzbarer Bedeutung. Ihre Kenntnisse als Brückenbauer und als Menschen, die im interethnischen Kontext gelebt haben, können Beispiel für unser zukünftiges Miteinander sein, wie es die Völker des Donauraumes seit Jahrhunderten vorleben. Und so gedenken wir in dieser Stunde nicht nur jener, die uns vorangegangen sind und uns ein Erbe hinterließen, das wir verpflichtet sind zu bewahren, sondern wir denken auch an die Zukunft und die gestalterischen Möglichkeiten, die uns dieser Fluss bietet.