Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V.

Ein Dokument der Versöhnung

Vor dem Stuttgarter Schloss (im Bild) wurde vor 60Jahren die Charta der deutschen Heimatvertriebenen feierlich verkündet.

60 Jahre "Charta der deutschen Heimatvertriebenen"

"Verständigung statt Vertreibung, Versöhnung statt Vergeltung. Im Angesicht der Verheerungen von Krieg, Flucht und Vertreibung wurde von den deutschen Heimatvertriebenen und Flüchtlingen am 6. August 1950 vor den Ruinen des Neuen Schlosses die Charta der Deutschen Heimatvertriebenen feierlich verkündet. Aus ihrer leidvollen Erfahrung soll künftigen Generationen ein geeintes Europa, weltweite Verständigung und ein international anerkanntes Menschen- und Heimatrecht erwachsen".

Diese Zeilen zieren eine in die Schlossallee in Stuttgart eingelassene Bronzegedenktafel anlässlich der 50-Jahrfeier der Charta der deutschen Heimatvertriebenen vor zehn Jahren. In diesem Sommer steht wieder ein Jubiläum an. Es jährt sich zum 60. Mal die Verabschiedung jedes Dokuments, dass bestimmend war für die deutsche Nachkriegsgeschichte.

Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen wurde am 5. August 1950 in Stuttgart-Bad Cannstatt von 30 Vertretern der deutschen Heimatvertriebenen unterzeichnet und am folgenden Tag vor dem Stuttgarter Schloss und im ganzen Bundesgebiet verkündet. Dieses Schriftstück gilt fortan als höchste Leitlinie der von den deutschen Heimatvertriebenen  verfolgte Politik. Die Kernaussage   dieser noch unter dem unmittelbaren Eindruck von Krieg, Zerstörung, Verfolgung, Flucht und Vertreibung formulierten Resolution enthält einen klaren Aufruf zum Verzicht auf Rache und Gewalt.     Gleichzeitig ist die Charta ein  unmissverständliches Bekenntnis zur Verständigung zwischen den Staaten und Völkern. Die Charta stellt die Vertriebenen in die vordersten Reihe jener, die  sich für einen Wiederaufbau Deutschlands und Europas nach dem erlittenen Krieg einsetzen, ohne jedoch das Recht auf Heimat, als einem Grundrecht der Menschheit, aus dem Blick zu verlieren. Eine Besonderheit ist die verkündete Vision von einem geeinigten Europa: "Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können". Mit dieser Aussage ist die Charta weit ihrer Zeit voraus und bestätigt die realistische Einschätzung der nach dem Krieg sich ergebenden Chancen. Die Europäischen Union ist längst  Wirklichkeit geworden und bestätigt einmal mehr die Richtigkeit der von den Vertriebenen bereits 1950 proklamierten Anliegen.

Ein weiteres Erfordernis der Charta ist das Recht aller Bürger, Vertriebene und Nichtvertriebene, auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz und die gerechte Verteilung der Lasten des letzten Krieges auf das ganze deutsche Volk.  Auch diesbezüglich hat sich die Charta  als wichtige Richtschnur für spätere gesetzliche Regelungen erwiesen. Die erfolgreich angewandten Lastenausgleichsgesetze wie auch die Bestimmungen zur Aufnahme und Eingliederung der Aussiedler und Spätaussiedler in den zurückliegenden  Jahrzehnten. Das 60-jährige Jubiläum der Charta der deutschen Heimatvertriebenen wird auch ein zentrales Thema der diesjährigen Veranstaltungen zum Tag der Heimat sein. Die Auftaktveranstaltung findet am 11. September 2010 im Internationalen Congress Centrum in Berlin statt. Festredner wird der Ministerpräsident des Freistaates Bayern Horst Seehofer sein.

Der vollen Wortlaut der Charta der deutschen Vertriebenen:

Charta der deutschen Heimatvertriebenen

Im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen, im Bewusstsein ihrer Zugehörigkeit zum christlich-abendländischen Kulturkreis, im Bewusstsein ihres deutschen Volkstums und in der Erkenntnis der gemeinsamen Aufgabe aller europäischen Völker, haben die erwählten Vertreter von Millionen Heimatvertriebenen nach reiflicher Überlegung und nach Prüfung ihres Gewissens beschlossen, dem deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit gegenüber eine feierliche Erklärung abzugeben, die die Pflichten und Rechte festlegt, welche die deutschen Heimatvertriebenen als ihr Grundgesetz und als unumgängliche Voraussetzung für die Herbeiführung eines freien und geeinten Europas ansehen.

1. Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluss ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.

2. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.

3. Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas.

Wir haben unsere Heimat verloren. Heimatlose sind Fremdlinge auf dieser Erde. Gott hat die Menschen in ihre Heimat hineingestellt. Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat trennen, bedeutet, ihn im Geiste töten.

Wir haben dieses Schicksal erlitten und erlebt. Daher fühlen wir uns berufen zu verlangen, dass das Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht wird. So lange dieses Recht für uns nicht verwirklicht ist, wollen wir aber nicht zur Untätigkeit verurteilt beiseite stehen, sondern in neuen, geläuterten Formen verständnisvollen und brüderlichen Zusammenlebens mit allen Gliedern unseres Volkes schaffen und wirken.

Darum fordern und verlangen wir heute wie gestern:

1. Gleiches Recht als Staatsbürger nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch in der Wirklichkeit des Alltags.

2. Gerechte und sinnvolle Verteilung der Lasten des letzten Krieges auf das ganze deutsche Volk und eine ehrliche Durchführung dieses Grundsatzes.

3. Sinnvollen Einbau aller Berufsgruppen der Heimatvertriebenen in das Leben des deutschen Volkes.

4. Tätige Einschaltung der deutschen Heimatvertriebenen in den Wiederaufbau Europas.

Die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden. Die Völker sollen handeln, wie es ihren christlichen Pflichten und ihrem Gewissen entspricht. Die Völker müssen erkennen, dass das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen wie aller Flüchtlinge, ein Weltproblem ist, dessen Lösung höchste sittliche Verantwortung und Verpflichtung zu gewaltiger Leistung fordert.

Wir rufen Völker und Menschen auf, die guten Willens sind, Hand anzulegen ans Werk, damit aus Schuld, Unglück, Leid, Armut und Elend für uns alle der Weg in eine bessere Zukunft gefunden wird.

Stuttgart, den 5. August 1950