Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V.

Historisches, erlebtes und aktuelles Temeswar

Fred Zawadzkis „Wasserturm“ auf dem Umschlag des Temeschburger Heimatblattes 2014 steht emblematisch für einen Ort der Vergänglichkeit und der ständigen Aktualisierung. So wie sich das Spiegelbild in der Bega wiegt, so schwankt auch die Wirklichkeit des Betrachters, der sich zu einer Neuordnung des Bildinhalts ermutigt fühlt.

Der Herausgeber und Vorstandsvorsitzende der Temeswarer HOG skizziert den Rahmen mit einem Editorial über kulturelle und soziale Leistungen, die sich in ihrer Vielfalt vernetzen. Die Tätigkeiten des Vereins folgen dem Wort Anton Valentins über die „realen menschlichen Werte, die sich in ihrer Bewährung zeigen“.

Die Struktur und ansprechende Aufmachung des 100 Seiten umfassenden Blattes weckt die Lust zum Blättern und die Neugierde auf ein breites Themenangebot über das historische, das erlebte und das hoch aktuelle Temeswar. Die von Ernst Meinhardt umrissene Geschichte und Politik des Traditionsvereins „Poli“ beispielsweise überrascht und bewegt gewiss jeden Fußballfreund.

Die Temeswarer Lebensart hat ihre historischen Wurzeln in dem strategischen Südosteuropa-Konzept des Prinzen Eugen von Savoyen, das Dr. Hans Dama darlegt. Die Siegessäule soll dem Beitrag von Dan Cărămidariu zufolge nach langer kontroverser Diskussion vom Heldenfriedhof auf den Lahovary-Platz versetzt werden. Wird das gesamte Denkmal rekonstruiert? Wird die Austria-Statue, die sich laut Richard Weber (siehe Temeschburger Heimatblatt 2006) im Banater Museum befindet und zu dieser Säule gehört, ebenfalls am
Lahovary zu sehen sein? Es ist eine tragikomische Figur, ohne Hand und Kopf, die so manchen Hitzkopf beschwichtigen könnte...

Ein weiteres Zeugnis der „donauschwäbischen Besiedlungspolitik“ ist die Landschaftsarchitektur Wilhelm Mühles, dessen Wirken von Clara-Liselotte Basica vorgestellt wird. Der beliebte Rosengarten, noch vor dem Ersten Weltkrieg angelegt, schlug trotz wechselvoller Geschichte bleibende Wurzeln.

Im Gedenkjahr an den Ersten Weltkrieg untersucht der Herausgeber, wie die Banater Bevölkerung auf ihr Selbstbestimmungsrecht im Herzen pochte. Recherche und Neuentdeckungen spiegeln Schicksale einer wechselvollen Geschichte, stets ist der Bezug zur Gegenwart erkennbar.

Ich schrieb nieder bzw. ab, was ich von und über meine Großväter wusste, die beide am Ersten Weltkrieg teilgenommen haben. Zudem stellte ich Otto Alscher in den Bezugsrahmen zu aktuellen Ausstellungen in Wien. „Mit dem Tier im Bewussten [s]eines Lebens“ rettete Gogan, der Protagonist in Alschers publizistischem Erfolg „Gogan und das Tier“, seine Utopie. Nach diesem Prinzip behauptet Alscher seine originelle und pazifistische Position. Die Tiere zeigen Maß und Besonnenheit, der Bär, der „über den Menschen“ steht, kann den Krieg nicht begreifen.

Zwar wurde die Idee eines autonomen Banats in den Umbruchsjahren der Nachkriegszeit nicht verwirklicht, doch eine eigenständige Kultur, die sich zum Beispiel in sprach-lichen Interferenzen ausdrückt, hat sich hier weiter entwickelt. Dr. Hans Gehl fasst seine Studien über ein Zusammenleben aus sprachwissenschaftlicher Sicht zusammen. Die literarischen Zeugnisse der Umgangssprache wurden mit dem Einzug des „Josefstädter Franzi“ in die berühmte Zeitschrift „Die Fackel“ literatur- und salonfähig.

Eva Marschang erinnert an die Anfangsjahre der Temeswarer Germanistik. Ihre Literaturvorlesungen zeugen von dem Sieg der geistigen Beweglichkeit über die kommunistische Rhetorik und Manipulation. „Innerlich bewegt“ hat uns einst
Lenores „Lebensanspruch“. Das, was die Professorin in ihrer eigenen Ausbildung vermisste, das hat sie so vermittelt, dass es bis heute frisch im Gedächtnis geblieben ist. Ihre Arbeit sowie der Applaus ihrer Studenten zeugen „von einer nicht eben erfolgreichen Gehirnwäsche“. Jetzt, in der Freiheit, sollte Kitsch gegen Kultur ausgetauscht werden. Einseitige, folkloristische Tanzdarbietungen verstärken laut Dr. Franz Marschangs Schilderung „Von Banater Beuteschwaben“ heutige pauschale Vorstellungen.

Die HOG gedenkt Prof. Dr. Otto Franz Aczel und des Schauspielers Julius Vollmer, der zu den Gründungsvätern des Deutschen Staatstheaters Temeswar gehörte. Johnny Weissmüller, in Freidorf geboren, wurde in Hollywood in der Tarzan-Rolle zur Legende. Er war zudem ein weltberühmter Schwimmer. Fred Zawadzki dokumentiert seine olympische Laufbahn – eine potentielle Quelle für zukünftige Biografen.

Aktuelles Kunstgeschehen recherchiert Ines Reeb-Gische. Diesmal berichtet sie über den Temeswarer Literaturkreis „Die Stafette“, ein beachtliches Forum für Jung und Alt, für Mutter- und Nichtmuttersprachler. Die Verfasserin unterhält sich mit der heutigen Leiterin, Henrike Brădiceanu-Persem, über Prinzipien, Ziele und Aktivitäten des Kreises. Kontaktpflege und Motivation, die Leitideen der Gründerin, langjährigen Vorsitzenden und derzeitigen Ehrenvorsitzenden der „Stafette“, Dr. Annemarie Podlipny-Hehn, bestimmen bis heute das Wirken dieser Vereinigung deutschsprachig schreibender (zumeist rumänischer) Autoren.

Das „Lyrische Eck“ spannt einen Bogen von Nikolaus Berwanger bis in die heutige Zeit, zu dem neuen „Stafette-Repräsentanten“ Benjamin Burghardt. Abgedruckt werden auch literarische Gehversuche junger Talente, die mit dem vom Verein der Freunde der Lenauschule gestifteten Elsa-Lucia-Kappler-Preis ausgezeichnet worden sind.

Zum „Erlebten Temeswar“ kommt vielen Lesern die Ära und Aura Erich Pfaffs in den Sinn, aber auch das soziale Engagement ganz allgemein. Dr. Alfred W. Zawadzki, im bürgerlichen Beruf Zahnarzt, initiiert Spenden von zahnärztlichem Material und Geräten sowie Medikamentensendungen in Zusammenarbeit mit Almuth Ziegler. Doch auch stillere Orte, an denen man vielleicht oft achtlos vorbeiging, gewinnen in diesem Blatt eine Aura. Warme und bewegte Klangfarben sprechen aus den Bildern und Gedichten Hans Bickings, der in dieser Ausgabe zu seinem 88. Geburtstag gewürdigt wird.

So mancher Leser des Heimatblattes hat unter Anweisung von Brigitte Ina Kuchar (Zawadzki) ein leckeres und „feines“ Gericht zubereitet. Christl Kuchar gratuliert ihr zum 80. Geburtstag. Der Herausgeber des Blattes schließt den thematischen Rahmen mit einer „koloristischen Tonleiter“, die sich anhand vieler Eindrücke als kollektive Wahrnehmung zusammenfügt.

Im Laufe des Jahres sorgt Roswitha Ziegler für die Präsenz der HOG
Temeschburg-Temeswar im Netz. Unter www.hog-tm.de sind auch die gesammelten Heimatblätter erhältlich (Preis: 20 Euro für Nicht-Mitglieder und 15 für Mitglieder) sowie „Books on demand“ mit Bezug zu der Stadt, die ihren multi-kulturellen Charme präsentiert und pflegt.