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Immer noch ein schwieriger Begriff: Heimat

Dr. Hellmuth Karasek (Foto: wikipedia.de)

Der Plenarsaal im Maximilianeum platzte aus allen Nähten. Die Veranstaltung musste sogar in einen weiteren Raum übertragen werden, so viele Gäste waren am 25. April nach München gekommen, darunter viele Vorsitzende von Vertriebenenverbänden und Landsmannschaften. Zum Teil war dies sicher dem ebenso interessanten wie berühmten Gast geschuldet, den die CSU-Fraktion zu ihrem Empfang für Vertriebene und Aussiedler eingeladen hatte: dem Literaturkritiker und Journalisten Professor Dr. Hellmuth Karasek, selbst Vertriebener aus Brünn (Tschechien). Seitens der Landsmannschaft der Banater Schwaben nahmen am Empfang der Bundesvorsitzende Peter-Dietmar Leber, die Mitglieder des Landesvorstandes Bayern, Bernhard Fackelmann und Gerhard Kappler, sowie die Vorsitzende des Kreisverbandes Erlangen, Barbara Hehn, teil. Begrüßt wurden die zahlreichen Gäste von Christa Matschl, in der CSU-Fraktion die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Vertriebenenpolitik. Sie erläuterte das Motto des Empfangs, „Unsere Heimat“: Seine Heimat zu verlieren bedeute, ein Stück seiner Identität zu verlieren. Dies stellte sie aber nicht nur in den Zusammenhang der Situation der Vertriebenen und Aussiedler, sondern übertrug dies auch auf das moderne Leben. Viele „Berufsnomaden“, so Matschl, würden heute nur noch das Empfinden von Heimat auf Zeit kennen. Echte Heimatgefühle zu entwickeln, brauche aber Zeit, und diese Zeit hätten viele Menschen heute nicht mehr. Sie zitierte aus dem aktuellen deutschen Bestseller „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von Eugen Ruge: „Ich habe mein Leben lang nicht das Gefühl gehabt, dazuzugehören.“ In diesem Zusammenhang lobte Georg Schmid, Vorsitzender der CSU-Fraktion, in seinem Grußwort die Bereitschaft der Aussiedler, „in Bayern tiefe Wurzeln zu schlagen“. Heute sei es wichtig, der jungen Generation, die Vertreibung oder Aussiedlung selbst nicht miterlebt habe, davon zu erzählen.

Von den Stolpersteinen bei einer solchen Wissensvermittlung berichtete Professor Dr. Hellmuth Karasek auf seine unnachahmliche Art: leichtfüßig und amüsant, aber dennoch mit Tiefgang. Ein Weitergeben durch Erzählen sei schwierig: „Da rollen die Kinder mit den Augen und sagen: ,Erzähl mal was Anderes, Alter!’“ Moderatorin Katja Voigt bestätigte diesen Eindruck: Auch sie habe sich als Kind in die Küche verzogen, wenn ihre Großmutter von der Vertreibung berichtet habe. Situationen, die man nicht selbst erlebt habe, könne man sich eben nicht vor-stellen, so Karasek. Der Journalist und Literaturkritiker hat sich dennoch an eine Schilderung seiner eigenen Vertreibungserlebnisse gewagt und sie in dem Buch „Auf der Flucht“ festgehalten. Auf die Frage der Moderatorin, warum er dieses Buch erst mit siebzig geschrieben habe, entgegnete Karasek, das Alter sei eine Rückbesinnung auf die Heimat. Er sei froh, dass es jetzt ein Europa gebe, in dem man zu Besuch in seine Heimat fahren könne. „Es ist ein gutes Zeichen, dass die Menschen weiter sind als die große Politik.“ Er nannte Heimatmuseen, die es in Tschechien inzwischen gebe, oder einen Bürgermeisterkandidaten seiner Heimatstadt Brünn, der das Unrecht der Vertreibung thematisiert habe.

Über seine persönlichen Erlebnisse auf der Flucht, die er als Zehnjähriger erlebt hatte, wollte Hellmuth Karasek nicht sprechen; er verwies auf die Vertriebenen im Allgemeinen, zum Beispiel die Tatsache, dass die Flüchtlinge trotz des Heimatverlustes nicht zurückkehren wollten, „weil ihnen klar war, dass sie mit ihrer Freiheit dafür würden bezahlen müssen“. Erst wenn aus Heimatgefühlen keine kriegerischen Auseinandersetzungen mehr entstehen, sei eine Region befriedet, so Karasek. Das sei aber auch heute in Europa noch nicht der Fall, mahnte er und erinnerte an den Zerfall Jugoslawiens. Auch wenn Karaseks eigener Heimatbegriff bruchstückhaft geblieben ist – sich unter anderem aus dem Wunsch, in einer Mundart beheimatet zu sein, und der Vorliebe für schwäbischen Kartoffelsalat zusammensetzt – blickt er optimistisch in die Zukunft, auch was die Aufarbeitung der Vertreibung anbelangt: „In Deutschland war dieses Thema lange Zeit nur unbequem. Aber ich glaube, dass die Verdrängung vorbei ist.“