„Heimatsachen. Donauschwäbische Grüße zum baden-württembergischen Geburtstag“ nennt sich die am 18. November im Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm eröffnete Ausstellung, die zugleich Ende und Höhepunkt eines ungewöhnlichen Studienprojekts markiert. Eine Tübinger Studierendengruppe der Empirischen Kulturwissenschaft hatte den 60. Geburtstag des Landes Baden-Württemberg in diesem Jahr zum Anlass genommen, im Rahmen eines dreisemestrigen Projekts die „donauschwäbische Welt“ der Gegenwart zu erforschen, so wie sich diese in den Heimatortsgemeinschaften und ähnlichen Vereinigungen darstellt und die
Ergebnisse des Projekts in einer Ausstellung sowie einem Begleitkatalog zu präsentieren. Die donau-schwäbischen Heimatortsgemeinschaften wurden gebeten, dem Land Baden-Württemberg ein symbolisches Geschenk zum
Geburtstag zu überreichen. Die Resonanz war überwältigend: Knapp hundert Heimatortsgemeinschaften und Vereine sind der Bitte der Projektgruppe nachgekommen. Über 500 Objekte häuften sich zu einem richtigen Geschenkeberg. Etwa 200 davon werden in der Ausstellung gezeigt. In dem über 500-seitigen und reich bebilderten Ausstellungskatalog wird detailliert auf die einzelnen Geschenke und ihren Hintergrund eingegangen. Zudem werden die Geschenkgeber – also die Heimatortsgemeinschaften – ausführlich dargestellt. Mehrere wissenschaftliche Aufsätze geben darüber hinaus einen Überblick über donauschwäbisches Leben in Baden-Württemberg.
Mit dem Studienprojekt und der durch das Land Baden-Württemberg geförderten Ausstellung „Heimatsachen“ wurde gewissermaßen Neuland betreten. Zum einen handelt es sich um die erste studentische Ausstellung zu einem Heimatvertriebenen-Thema, zum anderen ist es die erste Ausstellung, die sich der Darstellung der Heimatortsgemeinschaften widmet. Und zum dritten ist das von Reinhard Johler, Josef Wolf und Christian Glass gemeinsam geleitete Studienvorhaben ein Kooperationsprojekt dreier wissenschaftlicher Einrichtungen: des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen und des Donauschwäbischen Zentralmuseums (DZM) Ulm.
Angesichts der Einzigartigkeit des Projekts und der Vielzahl der Geschenkgeber war das Publikums- und Medieninteresse bei der Ausstellungseröffnung überwältigend. Etwa 270 Gäste hatten sich angemeldet, so dass die Feier in
das nahegelegene Kulturzentrum „Roxy“ verlegt werden musste. Einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Projekts leisteten neben dem Bundesverband der Landsmannschaft der Banater Schwaben über vierzig Banater Heimatortsgemeinschaften, die ihr Patenland Baden-Württemberg mit einem Geburtstagsgeschenk bedacht haben. Auf Ausstellung und Katalog gespannt, waren viele HOG-Vorsitzende der Einladung der Veranstalter zur Ausstellungseröffnung gefolgt. Die Landsmannschaft der Banater Schwaben war durch ihren Bundesvorsitzenden Peter-Dietmar Leber und die Vorstandsmitglieder Richard Jäger, Walter Keller und Josef Koch vertreten.
Musikalisch umrahmt wurde die Feier vom Blechbläserquintett „Five Brass“ Karlsruhe, dem mit Siegfried Jung (Tuba), Helmut Kassner (Trompete) und Franz
Tröster (Trompete) auch drei Banater Musiker angehören.
Der Leiter des Donauschwäbischen Zentralmuseums, Christian Glass, begrüßte als Ehrengäste Ministerial-direktor Dr. Herbert O. Zinell und Referatsleiterin Dr. Sibylle Müller vom Innenministerium Baden-Württemberg, den Ersten Bürgermeister der Stadt Ulm, Gunter Czisch, die anwesenden Mitglieder des Ulmer Gemeinderats, die Bundesvorsitzenden der Landsmannschaften der Banater Schwaben, der Donauschwaben und der Sathmarer Schwaben sowie den Vorsitzenden des BdV-Kreisverbandes Ulm/Alb-Donau, Joachim Wendt. Sein Gruß galt ebenso den Vorsitzenden der Heimatortsgemeinschaften und Vereine, die der Öffentlichkeit durch ihre Geschenke Einblicke in die donauschwäbische Lebenswelt gewährt haben.
Wie der Museumsleiter betonte, seien die Donauschwaben und ihre Welt den
Studierenden vor einem Jahr noch fremd gewesen. Über einen Prozess der Ent-Fremdung sei ihnen die schrittweise Annäherung an die Donauschwaben gelungen. Die zuhauf eingegangenen Objekte führten sie auf eine Entdeckungsreise in eine weitgehend unbekannte Dingwelt. Indem sie durch intensive Beschäftigung ein Wissen über die Objekte und deren Geschichte entwickelten, hätte sich auch die Perspektive auf die Geschenke verändert. Aus
diesem Wissen heraus habe die Projektgruppe ein den räumlichen Realitäten des DZM angepasstes Ausstellungskonzept entwickelt, das einen modernen und zugleich interessanten Blick auf die Exponate gibt. Das Besondere an
diesen Stücken sei die Tatsache, dass sie mit persönlichen, oft auch leidvollen Erinnerungen und Geschichten verknüpft sind. Laut Christian Glass sei das Projekt „Heimatsachen“ ein Gewinn für alle Beteiligten: für das Land Baden-Württemberg, das der Öffentlichkeit mit dieser Ausstellung ein wichtiges Kapitel der Landesgeschichte präsentieren kann, für die Heimatortsgemeinschaften, deren Arbeit erstmals in aller Ausführlichkeit dokumentiert wird, für die Studierenden, denen das Projekt ein exzellentes Lernfeld bot, für die beteiligten Institute, die vielfältige Kooperationserfahrungen sammeln konnten, und nicht zuletzt für das DZM, dessen Sammlung mit über 500 Objekten bereichert wird.
Bürgermeister Gunter Czisch wies in seinem Grußwort darauf hin, dass die Begriffe Heimat und Donau in Ulm in den letzten zwei Jahrzehnten eine besondere Bedeutung erlangt haben. Davon zeuge unter anderem auch das
Jubiläumsjahr „Aufbruch von Ulm entlang der Donau 1712–2012“. Die vielen Veranstaltungen hätten im Kern die Vergangenheit bewusst werden lassen, aber gleichzeitig auch die Gegenwart und die gemeinsame Zukunft in einem
geeinten Europa ins Blickfeld gerückt. Das Wort „Heimat“ sei kein altmodischer Begriff, sondern aktueller denn je. Dies zeige auch die Ausstellung „Heimatsachen“ mit ihren bemerkenswerten Geschenken, denen eine hohe
Symbolkraft innewohnt.
Studierende der Universität Tübingen hätten die hervorragende Idee verwirklicht, dem Land ein besonderes Geschenk zum 60. Jubiläum zu machen. Doch nur mit Hilfe und dank der Mitarbeit der vielen donauschwäbischen Heimatortsgemeinschaften und Vereine habe das Projekt gelingen können. Dies zeige die Verbundenheit der Donauschwaben mit ihrer neuen Heimat Baden-Württemberg auf eindrucksvolle Weise. Das sagte Ministerialdirektor Dr. Herbert O. Zinell in Vertretung des Innenministers des Landes Baden-Württemberg, Reinhold Gall. Über 500 Geburtstagsgeschenke seien zusammengekommen. Es seien Heimatsachen im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich Erinnerungsstücke aus der alten Heimat in Ungarn, Rumänien, Kroatien oder Serbien. „Die charakteristischen Geschenke geben Auskunft über die Heimatortsgemeinschaften und ihre Mitglieder. Sie geben der Heimat ein Gesicht und dokumentieren ebenso die donauschwäbische Gegenwart. Herzlichen Dank für die vielen Gesten der Verbundenheit mit dem Land Baden-Württemberg und die Glückwünsche zum Geburtstag“, so Zinell. Die einzigartige Sammlungsaktion werde nun mit der Ausstellung der symbolischen Geschenke im Donauschwäbischen Zentralmuseum öffentlich gemacht.
Prof. Dr. Reinhard Johler, Direktor des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft und Leiter des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen, erinnerte an die lange Tradition volkskundlicher donauschwäbischer Forschungen am Ludwig-Uhland-Institut. In diese Tradition reihe sich auch das Studienprojekt „Heimatsachen“ ein, das die Heimatortsgemeinschaften – laut Johler die Basis donauschwäbischen Lebens – erstmals ins Blickfeld der Forschung rückt. Das Thema sei nicht nur vergangenheitsbezogen, sondern durchaus auch zukunftsrelevant. Deshalb sei es wichtig, dass sich junge Menschen damit beschäftigen und sich der „donau-
schwäbischen Welt“ mit ihrem ganz eigenen Blick – einem „jungen Blick“ eben – annähern. Das Studienprojekt sei, so Johler weiter, eine Herausforderung
sowohl für die Studierenden als auch für die Heimatortsgemeinschaften gewesen; die einen wie die anderen hätten nicht gewusst, worauf sie sich einlassen. Ihr „Ja“ zum Projekt habe erst die Realisierung der Ausstellung und des Begleitkatalogs ermöglicht. Dafür dankte der Institutsleiter den
Mitgliedern der Projektgruppe (Melanie Bitzer, Sabine Brem, Michaela Buckel, Cihangir Erol, Fabian Everding, Aikaterini Filippidou, Helen Mayer, Michaela Oslislo, Franziska Richter, Máté Toth und Franziska Veit) wie auch den Heimatortsgemeinschaften und ihren Vorsitzenden. Das Ergebnis dieses Studienprojekts könne sich mit einem umfangreichen Forschungs- und Dokumentationsprozess, einer großen Ausstellung, einem ausführlichen Katalog und einer Homepage (www.heimat-sachen.de) durchaus sehen lassen, so Professor Johler abschließend.
Im Namen der Projektgruppe stellten Franziska Veit und Franziska Richter die Realisierungsphasen des Projekts und die Ausstellungskonzeption vor. Während des einjährigen Projekts habe man sich der zunächst fremden „donauschwäbischen Welt“ mit einer eigenständigen Perspektive kulturwissenschaftlich angenähert. Dabei habe ein Prozess der Ent-Fremdung im Sinne eines Näherkommens stattgefunden. Die anfängliche Fremdheit, so Veit, sei kein Nachteil gewesen, denn so konnten die Studierenden unvoreingenommen auf das ihnen bisher Unbekannte zugehen. Aufgrund ihrer eigenen Biografien, bestimmter Interessensgebiete, auch aufgrund ihrer Herkunft entwickelten sie einen eigenen Zugang zur Lebenswelt der
Donauschwaben. „Wir waren zu keinem Zeitpunkt bloß als passive Sammler von Geschenken, Informationen und Aussagen unterwegs. Stets war unsere Perspektive, unser junger Blick maßgebend“, betonte Veit. Die Verbindung unterschiedlicher Zugänge – Kontaktaufnahme per Post und Telefon, Teilnahme an Veranstaltungen der donauschwäbischen Landsmannschaften, Interviews mit den Vorsitzenden der Heimatortsgemeinschaften – habe sich als sehr ertragreich erwiesen und die schrittweise Erschließung der „donauschwäbischen Welt“ ermöglicht.
Bezüglich der Ausstellungskonzeption entschied sich die Projektgruppe, wie Franziska Richter betonte, für die thematische Gliederung der Geschenkesammlung. In einem einleitenden Raum werden den Besuchern zunächst die Eckpfeiler des Projekts unter der Überschrift „Schenker und Beschenkte“ erläutert. Daran schließt sich eine durchgehende Präsentationsachse mit Objektträgern an, die auf die Vielfalt der Geschenke verweist. An diese Achse gekoppelt sind insgesamt sechs Themeninseln, die beispielhaft den analytischen Zugriff auf die Objektgruppen erläutern: Heimat und Modelle, Einheit und Vielfalt, Orte und Erinnerung, Kontakte und
Beziehungen, Integration und Identität, Treffen und Traditionen. 360 Europaletten bilden das Grundgerüst der Ausstellung. Die Paletten sind die tragenden Elemente, sie stehen zugleich für Bewegung, Transport und Migration von Waren. Die Geschenke – die Hauptakteure der „Heimatsachen“ – werden auf in cyanblau lackierten Präsentationsflächen gezeigt.
Die Ausstellung im Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm wird bis 13. Januar 2013 gezeigt und kann dienstags bis sonntags jeweils zwischen 11 und 17 Uhr besichtigt werden. Führungen, die immer von zwei Studierenden gemeinsam durchgeführt werden, gibt es jeweils um 14 Uhr an folgenden Sonntagen: 25. November 2012, 9. Dezember 2012 und 13. Januar 2013.