zur Druckansicht

Prof. Dr. Manfred Kittel im Dialog mit Vertretern der Banater Schwaben

Prof. Dr. Manfred Kittel

Sitzung des erweiterten Bundesvorstands der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Stuttgart

Schwerpunktthema der diesjährigen Sitzung des erweiterten Bundesvorstandes der Landsmannschaft der Banater Schwaben, die am 3. November im Haus der Heimat in Stuttgart stattfand, war die Vorstellung der Konzeption und der Arbeit der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ durch deren Direktor Prof. Dr. Manfred Kittel. Gemäß Satzung der Landsmannschaft ist der erweiterte Bundesvorstand ein beratendes Gremium, das mindestens einmal im Jahr auf Einladung des Bundesvorstandes zur Planung und Koordinierung der Arbeit sowie zum Informations- und Erfahrungsaustausch über alle Belange unserer Volksgruppe zusammentritt. Die Leitung der Sitzung oblag dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft, Peter-Dietmar Leber.

Über Aktivitäten und Veranstaltungen des laufendes Jahres, über künftige Vorhaben, aber auch über spezifische Probleme der jeweiligen Verbände und Vereine berichteten Hans Georg Mojem (Landesverband Baden-Württemberg), Adam Lulay (Donaudeutsche Landsmannschaft Rheinland-Pfalz), Simona Wersching (Landesverband Berlin / Neue Bundesländer), Johann Metzger (Hilfswerk der Banater Schwaben), Mathias Wanko (Verein der Banater Schwaben in Österreich), Günther Friedmann (Heimatverband der Banater Berglanddeutschen), Erwin Kilzheimer (Arbeitskreis Donauschwäbischer Familienforscher), Pfarrer Robert Dürbach und Peter Krier (Gerhardsforum Banater Schwaben), Hans Vastag (Sankt-Gerhards-Werk) und Prof. Dr. Franz Quint (Verein der Freunde der Lenauschule Temeswar).

Dr. Walter Engel wies auf die Notwendigkeit einer verstärkten  Zusammenarbeit und eines regeren Austausches mit den Institutionen der deutschen Minderheit im Banat hin, die trotz schwieriger Bedingungen doch Beachtliches auf kulturellem Gebiet leiste. Im Hinblick auf die immer noch beachtliche Kulturarbeit der Landsmannschaft, die jedoch mehr nach innen gerichtet sei und eine zu geringe Außenwirkung entfalte, regte der Literaturwissenschaftler zweijährliche Bundeskulturtage mit dem Ziel einer Bündelung der schriftstellerisch, künstlerisch und wissenschaftlich tätigen Kräfte an. 

Der Historiker Josef Wolf verwies auf die in Zusammenhang mit dem sechzigjährigen Jubiläum des Landes Baden-Württemberg und dem Ulmer Jubiläumsjahr „300 Jahre Aufbruch entlang der Donau“ realisierten Forschungs- und Dokumentationsprojekte mit donauschwäbischem Bezug und würdigte die Mitwirkung der Landsmannschaft der Banater Schwaben und vieler Heimatortsgemeinschaften.

Prof. Dr. Anton Sterbling, der sich schon seit Jahren bemüht, Banater Themen in die Wissenschaft einzubringen, wies auf die Habilitation von Dr. Gwénola Sebaux über Identitätsfragen der Banater Deutschen an der Universität Nantes sowie auf ein noch nicht abgeschlossenes Habilitationsverfahren an der TU Dresden hin. Er plädierte zudem für einen „ehrlichen Blick auf unsere Geschichte“, was unter anderem die Aufarbeitung der Securitate-Akten voraussetze. Zur Unterstützung von Securitate-Opfern in rechtlichen Auseinandersetzungen sei ein Solidaritätsfonds errichtet worden, teilte Sterbling mit. 

Walter Tonţa, verantwortlicher Redakteur der „Banater Post“, informierte über die Bemühungen im Zusammenhang mit der inhaltlichen und gestalterischen Aufwertung der Verbandszeitung und die Umstellung auf Desktop-Publishing, die im Laufe des ersten Halbjahres 2013 erfolgen soll.

Prof. Dr. Manfred Kittel, Direktor der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ wollte seine Ausführungen zum Thema „Das sichtbare Zeichen nimmt Gestalt an. Die Berliner Dokumentation der Vertreibungen als deutscher und europäischer Erinnerungsort“ als Impulsreferat und Grundlage eines Dialogs mit Vertretern der Banater Schwaben verstanden wissen. In Deutschland habe man es jahrzehntelang nicht geschafft, mit dem Thema Flucht und Vertreibung angemessen umzugehen. Dessen Relevanz für uns als Nation, für unser Geschichtsbewusstsein und unsere nationale Identität sei lange nicht erkannt und gewürdigt worden. Deshalb sei die Errichtung der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ein entscheidender Schritt hin zur Realisierung eines Ausstellungs-, Dokumentations- und Informationszentrums zu Flucht und Vertreibung in Berlin gewesen.

Obwohl das Thema der Dauerausstellung „Zwangsmigrationen in der deutschen und europäischen Geschichte“ sehr breit gefächert sei und in den Kontext der nationalsozialistischen Expansions-, Vernichtungs- und Lebensraumpolitik einerseits und der europäischen Vertreibungen im 20. Jahrhundert andererseits gestellt werden müsse, werde die Flucht und Vertreibung der Deutschen den Schwerpunkt bilden, betonte Prof. Dr. Kittel. Wichtig sei in Bezug auf die Vertreibungen im 20. Jahrhundert die in der Konzeption fixierte Feststellung: „Unrecht hat in der Geschichte oft zu neuem Unrecht geführt, doch schafft früheres Unrecht, auch wenn es noch so groß war, keine rechtliche oder moralische Legitimation für neues Unrecht. Das gilt auch und gerade für die Vertreibung der Deutschen im östlichen Europa nach 1945.“

Bezüglich der Widerspiegelung des Schicksals der Banater Schwaben nach 1944 in der Ausstellung merkte Prof. Dr. Kittel an, dass die Deportationen nach Russland und in den Baragan als wesentliche zeitgeschichtliche Vorgänge Berücksichtigung finden werden. Das Panoptikum der deutschen Volksgruppen im östlichen und südöstlichen Europa sei zu vielfältig, als dass man jede einzelne Gruppe vertieft darstellen könne. Regionalen Entwicklungen und Besonderheiten könne man in der Dauerausstellung nur exemplarisch Rechnung tragen, man werde jedoch in der Wechselausstellung darauf eingehen. 

Prof. Dr. Kittel informierte anschließend über die bisherige Arbeit der Stiftung (Konstituierung der Gremien, Berufung eines Direktors, Aufbau eines Mitarbeiterstabes, Übernahme der Bibliothek des ehemaligen Deutschlandhauses, Sammlung von Objekten, Veranstaltungen usw.) und den geplanten Umbau des Deutschlandhauses in Berlin, das Standort des Ausstellungs-, Dokumentations- und Informationszentrums sein wird. Es werde eine Nutzungsfläche von gut 3000 Quadratmetern zur Verfügung stehen, davon 1750 Quadratmeter für die Dauerausstellung und etwa 500 Quadratmeter für Wechselausstellungen. Die Eröffnung sei für 2016 geplant.

In der anschließenden Diskussionsrunde nahmen Prof. Dr. Anton Sterbling, Dr. Walter Engel und Josef Wolf Stellung zu der Konzeption der Stiftung und den Leitlinien für die geplante Dauerausstellung. Ausgehend von den aufgelisteten Themen und Fallstudien wurde allgemein festgestellt, dass die Nachkriegszeit hauptsächlich unter dem Aspekt der Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen betrachtet werde, Südosteuropa mit seiner Diversität und seinen Spezifika unterrepräsentiert sei und die Besonderheiten in Bezug auf die Deutschen in Rumänien – in deren Fall man, so Professor Sterbling, von einer „Spätvertreibung“ sprechen könne – keine Entsprechung in den Leitlinien fänden. Die Redner unterbreiteten eine ganze Reihe von Vorschlägen zur Darstellung spezifischer Phänomene wie die Besonderheiten der Repression in Rumänien, die Flucht über die rumänisch-jugoslawische Grenze, der Aussiedlungsprozess der deutschen Minderheit, die rumäniendeutsche Literatur, die sich als „fünfte deutsche Literatur“ etablieren konnte, die ideologische Geschichtsdeutung in den kommunistischen Staaten, die Heranziehung der nationalstaatlichen Historiographien in Bezug auf die Vertreibungsverluste usw. Es wurde vereinbart, sämtliche Vorschläge in einem Thesenpapier zusammenzufassen und der Stiftung zukommen zu lassen.

Bundesvorsitzender Leber dankte Prof. Dr. Kittel für seine Ausführungen und wertete dessen Präsenz bei der Sitzung des erweiterten Bundesvorstandes der Landsmannschaft der Banater Schwaben als den „Beginn eines fruchtbaren Dialogs“, den es fortzuführen gelte. Zum Schluss der Sitzung informierte er über einige Projekte, die vom Bundesverband der Landsmannschaft in nächster Zeit in Angriff genommen werden: Errichtung eines Gedenksteins zur Erinnerung an die Fluchtopfer in einem Banater Grenzort, Veranstaltung einer Tagung zum Thema Freikauf der Rumäniendeutschen in Nordrhein-Westfalen und die Auslobung eines Banater Kulturpreises.      W. T.

Zur Person

Manfred Kittel, geboren 1962, studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Romanistik. Nach Promotion und Tätigkeiten im Zeitungs- und Fernsehjournalismus war er ab 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München, seit 1995  auch Lehrbeauftragter für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg (apl. Professor seit 2005). Seit September 2009 ist er Direktor der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ in Berlin. Veröffentlichungen (Auswahl): „Nach Nürnberg und Tokio. Vergangenheitsbewältigung in Japan und Westdeutschland 1945 bis 1968“, München 2004; „Deutschsprachige Minderheiten 1945. Ein europäischer Vergleich“  (Mitherausgeber), München 2006; „Vertreibung der Vertriebenen? Der historische deutsche Osten in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik (1961–1982)“, München 2007;  „Bayerns fünfter Stamm. Schlesier, Ostpreußen und viele andere Vertriebenengruppen im integrationspolitischen Vergleich mit den Sudetendeutschen“, München 2010.

Info

Die Konzeption für die Arbeit der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ und die Leitlinien für die geplante Dauerausstellung  sowie weitere Informationen über die Stiftung finden Sie auf der neu gestalteten Homepage www.sfw.de.