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Zum Tod von Jakob Ferch: Die Saderlacher in die „Ur-Heimat“ geführt

Jakob Ferch (1932 - 2025) Foto: privat

Wir verabschieden uns im Namen der Saderlacher Gemeinschaft von einem liebenswerten, edlen Menschen, dessen Wirken und Streben für unsere Geschichte in der neuen Heimat von großer Bedeutung war. Jakob Ferch wird für seine Tatkraft unvergessen bleiben. Er stammte aus Guttenbrunn, doch seine Ehe mit Hilde Frey aus Saderlach machte ihn zum Mitglied unserer Gemeinschaft, auch wenn der Lebensmittelpunkt der Familie zeitweise in der Dobrudscha lag.

Jakob Ferch wurde am 19. April 1932 als Sohn einer großbäuerlichen Guttenbrunner Familie geboren. Nach der Grundschule im Dorf setzte er im Herbst 1943 seine Schulzeit an der „Banatia“ in Temeswar fort. Kriegsbedingt wurde der Schulbetrieb im Spätsommer 1944 eingestellt. Da die Fortsetzung der gymnasialen Ausbildung nur noch an einer rumänischen Schule möglich war, musste der 13-jährige Jakob mit lediglich rudimentären Sprachkenntnissen dem Unterricht in rumänischer Sprache folgen. Ab Herbst 1945 kam er ans Gymnasium in Neuarad, um dann ans Loga-Lyzeum  in Temeswar zu wechseln. Er träumte davon, Tierarzt zu werden und so folgte als nächster Schritt die Technisch-Veterinäre Mittelschule in Temeswar. Danach wurde er jedoch zum „Zweijährigen Militärdienst mit der Schaufel“ eingezogen – eine gezielte kommunistische Aktion, um die „verwöhnten Kulaken-Kinder“ (betroffen waren vor allem Deutsche) zur „tätigen Arbeit“ zu erziehen. Im Sommer 1954 konnte er sich endlich in Bukarest an der Hochschule für Veterinärmedizin bewerben. Trotz bestandener Aufnahmeprüfung verweigerte man ihm den Studienplatz. Unbeirrt suchte der inzwischen 22-Jährige einen Ausweg und meldete sich zur Aufnahmeprüfung für Agronomie, Fachrichtung Agrarökonomie an. Hier erhielt er trotz seiner aus sozialistischer Sicht „ungesunden Herkunft“ als Kind eines Großbauern („Chiabur“) einen Studienplatz.

Seine Herkunft sollte ihn jedoch bald wieder vor Herausforderungen stellen: Nach einer anonymen Anzeige wurde er im Zuge der landesweiten sozialistischen Säuberungs-Aktionen von 1958 als sogenanntes „ungesundes Element“ exmatrikuliert. Bis zum Zentralkomitee der Partei führte den 25-jährigen Studenten der nahezu aussichtslose Kampf um die Neuzulassung zum Studium. Dass er ab Herbst 1958 zunächst provisorisch wieder zugelassen wurde und die Vorlesungen erneut besuchen durfte, verdankte er dieser Hartnäckigkeit , aber auch der Tatsache, dass in jenen turbulenten Zeiten auch verständnisvolle Menschen an den Machthebeln saßen, die ihn hinter verschlossenen Türen ermutigten und unterstützten.

Sein Staatspraktikum absolvierte er bei der LPG in Cuza Vodă bei Medgidia in der Dobrudscha. Nach erfolgreicher Staatsprüfung im Jahr 1960 entschied er sich, auch seine berufliche Laufbahn dort, fern der Heimat, aufzunehmen, obwohl er einem landwirtschaftlichen Staatsbetrieb im Kreis Temesch (IAS) zugeteilt worden war. Aufgrund seiner schlechten Erfahrungen war er sich sicher, dass er sich im Banat als Kind eines ehemaligen Großbauern keine Zukunft würde aufbauen können.Zu

den Tätigkeiten des frischgebackenen LPG-Agraringenieurs in leitender Funktion gehörten Ackerbau, Saatgutvermehrung, Gemüse- und Obstanbau sowie Weinbau mit eigener Kellerwirtschaft und Rebveredelung. Der Obst- und Weinbau, die Kellerwirtschaft und die Saatgutvermehrung wurden erst in seiner Wirkungszeit aufgebaut. Ihm unterstanden die Brigaden für Pflanzen-, Gemüse-, Obst- und Weinbau, sowie die für Milchkühe, Rinder und Kälber, Schafe und Kleintiere, Seidenraupen und Bienen. Beruflich konnte er sich auf vielfältige Weise einbringen, er fasste in dem Dorf richtig Fuß und die Menschen dort wuchsen ihm ans Herz. Nach der Heirat und Familiengründung mit Hilde im Jahr 1967 und der Geburt der beiden Kinder Heidi (1967) und Norbert (1971) folgte auch privat eine beglückende Zeit – für Jakob ein erfülltes Dasein nach Jahren der Entbehrungen und Ängste. Nun konnte er endlich nach Herzenslust gestalten, dabei entdeckte er auch seine Liebe zu den Schnittblumen: Narzissen und Tulpen, Gladiolen, Lilien und Chrysanthemen begleiteten ihn bis ins hohe Alter. So erfüllend seine unmittelbaren Aufgaben waren, so anstrengend und zunehmend aufreibend wurde seine Tätigkeit in der Funktion eines Chefingenieurs vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse. Es gab immer wieder Bestrebungen, ihn wegen der fehlenden Parteizugehörigkeit – die kam für ihn und seine Familie nicht in Frage – seines leitenden Postens zu entheben. Der Druck nahm ständig zu. Die Ferchs nutzten 1978 die selten gewährte Möglichkeit, als ganze Familie in den Westen zu verreisen, und blieben in der Bundesrepublik. In Singen schafften sie sich ein neues Zuhause.

Der Neuanfang im Westen war für den Agrarökonomen Jakob und die Gymnasiallehrerein Hilde beruflich nicht leicht. Erst 1980 fand Jakob eine Anstellung als Sachgebietsleiter beim Landwirtschaftsamt Bad Säckingen. Die Tätigkeit in Bad Säckingen und ab 1988 in Waldshut-Tiengen führte Jakob auch in den Hotzenwald. Es ging um die Steigerung der Wirtschaftlichkeit, die Extensivierung und neue Förderprogramme für die Landwirtschaft. Jakobs soziale und offene Umgangsart und sein Fokus auf die bäuerlichen Familienbetriebe prägten seine Tätigkeit und machten ihn in der Gegend bekannt und beliebt.

Für die Saderlacher Gemeinschaft war es ein seltener Glücksfall, dass Jakob Ferch ausgerechnet im Südschwarzwald beruflich Fuß fasste. Viele Saderlacher lebten inzwischen in Deutschland und träumten von der Schwarzwälder Heimat ihrer Ahnen. 1987 trafen sich 450 Saderlacher in Schluchsee zur 250-Jahr-Feier Saderlachs. Wir stellten dabei fest, dass das Alemannisch dort nicht so war, wie man es in Saderlach sprach. Da lockte uns Jakob Ferch in den Hotzenwald, den er inzwischen gut kannte. Dort wird ein Alemannisch gesprochen, das unserem Saderlacherischen sehr nahe kommt. Mit Jakob Ferch hatten wir unseren eigenen Ansprechpartner im Hotzenwald – also in der Region, aus der unsere Vorfahren dereinst ins Banat ausgewandert waren. Er führte uns von Ort zu Ort, kannte hier die richtigen Leute. Beim „Adler“ in Görwihl fiel dann die Entscheidendung: Hier gab es einen passenden  Versammlungsraum, die „Hotzenwald Halle“, und so kamen wir dort 1991 zum Heimattreffen zusammen. Es wurde eine der freudigsten und herzlichsten Begegnungen im Herzen des Schwarzwaldes. Man hat uns erwartungsfroh empfangen, und wir waren endlich dort, wo wir  hinwollten – unter den Menschen, die so sprachen wie wir, richtige Alemannen. Jakob Ferch brachte uns mit seiner unbeschreiblichen Energie in den umliegenden Dörfern unter: die Eiseles zu Eisele, die Eckerts zu Eckert, die Bruckers zu den Brucker usw. Man wohnte bei Basen und Vettern, auch wenn hunderte Jahre dazwischen lagen. Die abendlichen gemeinsamen Gesänge in den Gaststuben – damals noch voller neugieriger einheimischer Jugendlicher – führten zu einer buchstäblichen Verbrüderung in der Fremde. Die daraus entstandenen freundschaftlichen Beziehungen hatten zur Folge, dass wir Saderlacher für unser Treffen alle vier Jahre den Weg nach Görwihl finden, wo seit 30 Jahren das Saderlacher Denkmal steht.

Jakob Ferch ist am 4. Januar 2025 in Singen verstorben. Die HOG Saderlach ist ihm für seine verlässliche Wegbegleitung und seine Zuneigung zu den Saderlachern zu großem Dank verpflichtet. Jede Begegnung mit ihm war ein Geschenk des Himmels, auch wenn es mal Meinungsverschiedenheiten gab. Die Landsmannschaft der Banater Schwaben hat Jakob Ferch im Jahr 2000 beim Heimattag in Ulm den Ehrenbrief verliehen und damit seine besonderen Verdienste um die Herstellung der Verbindung der Saderlacher zu ihrer Ur-Heimat im Schwarzwald gewürdigt. Wir trauern mit Euch, liebe Angehörige. Jakob lebt in unseren Erinnerungen weiter. Er war in seiner Art einmalig, er war einer von uns. Bei seiner Beerdigung erwiesen ihm Vertreter der HOG Saderlach mit ihrem Vorsitzenden Franz Winterhalter die letzte Ehre. Wir haben einen treuen, allseitig geschätzten Mitstreiter verloren. Möge er im Frieden Gottes ruhen!