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Zukunftsperspektiven der Heimatortsgemeinschaften

In Ulm diskutierten (von links) Rüdiger Hess, Helene Eichinger, Marianne Röhrig, Prof. Dr. Reinhard Johler, Joschi Ament, Richard Jäger und Michael Klaus über die Zukunft der Heimatortsgemeinschaften.

Vom 18. Oktober 2012 bis zum 3. Februar 2013 zeigte das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm die Ausstellung „Heimatsachen. Donauschwäbische Grüße zum baden-württembergischen Geburtstag“, zu der auch ein umfangreicher Begleitband erschienen ist. Ausstellung und Katalog waren das Ergebnis eines Projekts von elf Studierenden der Empirischen Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen, das in enger Kooperation mit dem Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft Tübingen, dem Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen und dem Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm durchgeführt wurde. Zielobjekt des Studienprojekts war die donauschwäbische Welt der Gegenwart, untersucht und dargestellt am Beispiel der rund hundert am Projekt beteiligten Heimatortsgemeinschaften.

Als Begleitveranstaltung zu der Ausstellung fand am 13. Januar in Ulm eine Podiumsdiskussion statt zum Thema „Zwischen Zuversicht und Pessimismus. Wie sieht die Zukunft der Heimatortsgemeinschaften aus?“. Mit Prof. Dr. Reinhard Johler (Direktor des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft und zugleich Leiter des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen) diskutierten die HOG-Vorsitzenden Joschi Ament (Kulturkreis Elek), Helene Eichinger (HOG Jahrmarkt), Rüdiger Hess (Apatiner Gemeinschaft), Richard Jäger (HOG Neupanat), Michael Klaus (HOG Mercydorf) und Marianne Röhrig (HOG Oberwischau).

Wie Prof. Johler – neben Josef Wolf und Christian Glass Koordinator des Projekts – eingangs betonte, setzte sich das Studienprojekt, dessen Fokus auf die Heimatortsgemeinschaften gerichtet war, erstmals mit einer Organisationsform und einem sozialen Phänomen auseinander, denen die Forschung bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Im Projektverlauf habe sich den Studierenden unter anderem die Frage nach der Zukunft der Heimatortsgemeinschaften ebenso gestellt wie den interviewten HOG-Vorsitzenden. Dies gehe zum Teil auch aus den Beiträgen des Ausstellungskatalogs hervor. Ziel des Podiumsgesprächs sei es, so Prof. Johler, die Frage nach den Zukunftsperspektiven der Heimatortsgemeinschaften zu vertiefen und mit den Diskutanten auszuloten, was zum einen zuversichtlich stimme und was zum anderen Anlass zur Skepsis gebe.

Die Gesprächsteilnehmer hatten die Möglichkeit, ihre Heimatortsgemeinschaft vorzustellen und darzulegen, welche Zukunftsaussichten sie ihrem Verein einräumen. Die einzelnen Stellung-nahmen ergaben kein einheitliches Bild; zu unterschiedlich sind bei Ungarn- und Jugoslawiendeutschen, bei Banater und Sathmarer Schwaben der Zeitpunkt der Flucht, Vertreibung oder Aussiedlung und die dadurch bedingte Bestehensdauer ihrer Heimatortsgemeinschaften. Was sie aber verbindet, ist das Bemühen, auch weiterhin auf die Gemeinschaftspflege ausgerichtete Aktivitäten zu organisieren und anzubieten. Und dies trotz aller Schwierigkeiten, mit denen alle Heimatortsgemeinschaften in unterschiedlichem Maße konfrontiert sind: Schrumpfende Mitgliederzahlen und zurückgehende Teilnehmerzahlen bei Veranstaltungen infolge des Aussterbens der Erlebnisgeneration und mangelnden Interesses der Nachkommen, die kaum noch einen Bezug zum Herkunftsort ihrer Eltern oder Großeltern haben. 

Heimatortsgemeinschaften wie die auf dem Podium vertretenen, die weiterhin mit viel Energie und mitunter auch mit Fantasie am Werke sind und konkrete Pläne für die nächsten Jahre haben, widerspiegeln jedoch nicht das ganze Spektrum der donauschwäbischen Welt der Gegenwart. Denn zu berücksichtigen gilt auch – und das ist vor allem bei dem Vertreter der Donauschwaben aus dem ehemaligen Jugoslawien angeklungen –, dass etliche Heimatortsgemeinschaften ihre Aktivitäten bereits eingestellt haben oder planen, dies in naher Zukunft zu tun. Es gibt also auch die pessimistische Position, wonach das baldige und unumkehrbare Ende dieser landsmannschaftlichen Organisationsform abzusehen ist. Dass es nicht dazu kommen muss, beweist das Beispiel jener schon kurz nach Flucht und Vertreibung gegründeten Heimatortsgemeinschaften, denen es gelungen ist, den Übergang von der Erlebnisgeneration zur Bekenntnisgeneration zu vollziehen. Angesichts der gewandelten Verhältnisse dürfe man sich nicht ausschließlich an Mitglieder- und Teilnehmerzahlen orientieren, gaben die Vertreter der HOG Oberwischau und des Kulturkreises Elek zu bedenken; es gelte vielmehr, wie es Joschi Ament ausgedrückt hat, „mit denen, die wir haben, und den Möglichkeiten, die uns geboten sind, weiterzumachen“. 

Die Diskussionsteilnehmer haben aufgrund ihrer Erfahrungen verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, die ihrer Meinung nach dazu geeignet sind, die Heimatortsgemeinschaften auch in Zukunft zu erhalten. Beispielsweise könne man bei traditionellen Veranstaltungen (Heimattreffen, Kirch-weihfeste, Wallfahrten usw.) ansetzen; es gelte aber, den Rahmen und das Programmangebot zu überdenken. Tracht, Blasmusik und Mundart seien zwar wichtig, sollten aber nicht immer an vorderster Stelle stehen. Will man die jüngere Generation erreichen, müsse man mitunter eingefahrene Wege verlassen und nach neuen Möglichkeiten und Formen der Begegnung suchen, die den Zahn der Zeit treffen. Allgemein wurde die Bedeutung der neuen Medien und insbesondere des Internets als Mittel der Information und Kommunikation unterstrichen. Die Webpräsenzen der Heimatortsgemeinschaften erfreuten sich laut Aussage der HOG-Vertreter regen Interesses und eröffneten den Zugang gerade zur jüngeren Generation. Darüber hinaus könne man durch die Öffnung der Vereine, verstärkte Zusammenarbeit mit anderen ähnlichen Vereinigungen, breitere Außenwirkung und effizientere Öffentlichkeitsarbeit zukunftsfähige Konzepte entwickeln. Ein weiterer in die Diskussion eingebrachter Aspekt betraf die Mittler- und Vermittlerrolle der Heimatortsgemeinschaften. Viele pflegen einen regen Kontakt und kulturellen Austausch mit dem Herkunftsort oder der Herkunftsregion und erfüllen dadurch eine wichtige, wenn auch oft unterschätzte gesellschaftliche Funktion. 

Wie den Stellungnahmen der Gesprächsteilnehmer zu entnehmen war, gibt es keine eindeutige Antwort darauf, wie sich die Zukunft der Heimatortsgemeinschaften sichern lässt und wie lange diese noch Bestand haben werden, zumal – und das räumten alle Diskutanten ein – die Einbindung der jüngeren Generation und die Sicherung der Generationenfolge nur punktuell gelinge. Die Banater HOG-Vorsitzenden vertraten die Meinung, dass sich neue, nicht an den Herkunftsort gebundene Gemeinschaften eher auf Kreisebene bilden werden, denen sie eine längere Lebensdauer voraussagten als den Heimatortsgemeinschaften. Das Beispiel der Kreisverbände mit aktiven Kinder- und Jugendgruppen beweise, so ihr Argument,  dass auf dieser Ebene die Generationenfolge eher zu sichern sei.

Die abschließende Diskussionsrunde war der Bewertung des Projekts „Heimatsachen“ gewidmet. Die Einschätzung der HOG-Vertreter ist durchwegs positiv ausgefallen. Anerkennend äußerten sie sich zur Arbeit der Studiengruppe und der Projektpartner, denen es mit der Ausstellung und dem Begleitkatalog gelungen sei, die donauschwäbische Welt von heute in der Öffentlichkeit darzustellen. Das Projekt sei für alle Beteiligten ein Gewinn gewesen, vor allem aber für die Heimatortsgemeinschaften, deren Wirken zum ersten Mal im Fokus der Wissenschaft stand. Ihre jahrzehntelange Arbeit und ihre Rolle als „Integrations- und Vermittlungsagenturen“ (Mathias Beer) hätten endlich die Wertschätzung erfahren, die sie verdienen, so die HOG-Vorsitzenden. Darüber hinaus habe das gesamtdonauschwäbische Projekt den Heimatortsgemeinschaften aus den einzelnen ehemaligen donauschwäbischen Siedlungsgebieten die Möglichkeit eröffnet, über den Rand hinauszuschauen. Die Diskussionsteilnehmer befürworteten die Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen den landsmannschaftlichen Organisationen und den mit der donau-schwäbischen Geschichte und Kultur befassten wissenschaftlichen Einrichtungen.