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Die Freiheit nicht verspielen - Die Predigt zur Pfingstmesse beim Heimattag

Pfarrer Karl Zirmer Foto: Karin Bohnenschuh

Der festliche Pfingstgottesdienst zum Heimattag 2024 in der Donauhalle Foto: Cornel Simionescu-Gruber

Musikalische Begleitung des Gottesdienstes: Dietmar Giel, Melitta Giel, Irmgard Holzinger-Fröhr, Isolde Reitz, Bertwin Mumper sowie Holger Giel am Keyboard

Seit 50 Jahren findet der Heimattag der Banater Schwaben an Pfingsten in  Ulm statt. Und ebenfalls zu einer festen Tradition gehört, dass bei einem solchen Heimattag am Pfingstsonntag ein Festgottesdienst gefeiert wird. Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Wir feiern, dass Gott uns Kraft schickt, Mut macht und uns auf unserem Weg durch die Zeit zur Seite steht. Deshalb wird der Heilige Geist auch Mutmacher-Geist genannt. Genau den brauchen wir in einer Zeit, in der der Kirche in der Gesellschaft ein eisiger Wind entgegenweht.
An den Heiligen Geist glauben, bedeutet, nicht nur mit den eigenen Kräften und Fähigkeiten rechnen. Gott hat mehr Möglichkeiten als uns in unserem grauen Alltag bewusst ist. Weil Gott größer ist, kann auch Neues, Unerwartetes, Unvorhergesehenes geschehen.
Wenn ich einen Blick in die Vergangenheit werfe, fühle ich mich in dieser Überzeugung bestärkt. In den 80ger Jahre herrschte bei uns eine weitgehende Lähmung, Resignation und Perspektivlosigkeit. Mit einer Revolution in Osteuropa, die die Supermacht Sowjetunion und die kommunistischen Regime in den osteuropäischen Ländern zum Einsturz bringen werden, rechnete damals niemand. Gewiss, viele Faktoren haben beigetragen. Es ist Aufgabe der Historiker, das Zusammenspiel dieser Faktoren zu erforschen und zu beschreiben. Ich möchte jetzt nur ein Detail nennen aus dem denkwürdigen Jahr 1989, das vor allem für diejenigen interessant ist, die die Ceausescu-Diktatur erlebt haben: Wie Sie wissen, ist Ceausescu am 22.Dezember 1989 gestürzt, nur 6 Tage nachdem der Aufstand gegen sein Regime in Temeswar begonnen hat. Ich erinnere mich noch daran, wie Menschen auf der Straße vor Freude mit Tränen in den Augen einander umarmten und ausriefen: „Dumnezeu e cu noi – Gott ist mit uns!“ Was mir erst später aufgefallen ist: In der katholischen Liturgie ist für den 22. Dezember als Tagesevangelium das „Magnifikat“ vorgesehen. Und so lesen wir in allen katholischen Gottesdiensten jedes Jahr ausgerechnet am 22. Dezember das Evangelium, in dem es heißt: „Er (d.h. Gott) stürzt die Mächtigen vom Thron“. Für mich ist der 22. Dezember 1989 einer jener Glücksmomente im Leben, in denen wir deutlich spüren konnten: Hier hatte Gott seine Hand im Spiel. Es ist für uns Menschen wichtig, solche Erfahrungen nicht zu vergessen. Die Deutschen dürfen ihren 9. November 1989, an dem die Berliner Mauer gefallen ist, auch niemals vergessen!
Mich bestärken diese Ereignisse in der Überzeugung, es gibt in unserem Leben und in unserer Welt mehr Möglichkeiten als wir denken. Und die Kräfte des Guten lassen sich auf Dauer nicht unterdrücken.    
Eine wichtige Botschaft von Pfingsten lautet: „Du bist begabt! Dein Leben ist dir gegeben als ein großes Geschenk – mit den Talenten, den „Gnadengaben“, griechisch: „Charismen“, die du mitbekommen hast.“ Pfingsten ist die Ermutigung: „Entdecke und traue deinen Begabungen. Lass dich nicht von dem irritieren, was du alles nicht kannst. Suche nach den Charismen, die dir gegeben sind – und setze sie ein.  
Die ersten Jünger Jesu, die am Pfingsttag aufbrachen, engagierten sich ganz für die „Sache Jesu“. Manche ließen ihre Familien zurück. Andere unternahmen unglaublich strapaziöse Reisen. Wieder andere teilten ihren Besitz mit den notleidenden Brüdern und Schwestern. Jeder und jede setzte die eigenen Fähigkeiten ein im Dienst an den anderen. Dabei spürten sie, dass sie nicht nur mit ihrer einfachen menschlichen Kraft am Werk waren, sondern dass sie letztlich den „langen Atem“ des Gottesgeistes in sich trugen.
Erfreulicherweise gibt es auch in unserer Zeit Menschen, die ihre Gaben und Fähigkeiten für eine gute Sache und für andere Menschen einsetzen. Auch heute gibt es viele Menschen und Organisationen, die mit Begeisterung und Engagement verschiedene Aufgaben wahrnehmen. Es sind Menschen, die sich engagieren:  in der Politik, in der Kirche, in Vereinen, die sich einsetzen für die Bewahrung der Schöpfung, für Menschen in Not, für Frieden und Gerechtigkeit. Auch ein Fest wie dieser Heimattag und die vielen HOG-Treffen können nur durchgeführt werden, wenn viele Frauen und Männer, Jugendliche und Erwachsene sich engagieren und anpacken.  
Mit dem Stichwort „Sich engagieren“ sind wir beim Motto dieses Heimattages angelangt: „Mitwirken bewahrt Gemeinschaft“. Das ist ein sehr gutes Motto. Denn unser Mitwirken ist gefragt, nicht nur bei der Banater Landsmannschaft. Das gilt für jede Gemeinschaft, für die Glaubensgemeinschaft der Kirche, das gilt auch in der Politik.
Bald feiern wir das 75jährige Jubiläum unseres Grundgesetzes, das seit 1949 das Zusammenleben in der Bundesrepublik Deutschland regelt. Demokratie funktioniert nicht automatisch. 75 Jahre Grundgesetz sind 75 Jahre Leben in Freiheit. Wir dürfen diese Freiheit nicht verspielen.
Das ist ja die Errungenschaft der Demokratie: Man wird nicht nur einfach von „denen da oben“ regiert, sondern man hat die Möglichkeit, mitzureden und mitzubestimmen, von wem und wie man regiert wird. Der „Ohne-mich-Standpunkt“, der sich in unserer Gesellschaft ausbreitet, ist keine christliche Haltung.  In der Demokratie kann man sich aus dem Geschehen gar nicht ganz heraushalten. Auch Nichtwähler beeinflussen den Ausgang der Wahlen. Doch sie handeln nicht mehr selbst und ihr passives Verhalten führt oft zu Ergebnissen, die sie gar nicht wollen. Gehen Sie also wählen! Und wählen Sie eine Partei, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht.
Warum das Mitwirken für unsere Landsmannschaft wichtig ist? Ich antworte mit dem Hinweis auf das Stichwort „bewahren“:  Bewahren hat viel mit Tradition und auch mit Heimat zu tun. Heimat ist mehr als Folklore, mehr als nur Erinnerung an unsere Kindheit und Jugendzeit. Heimat ist ein Stück unseres Lebens. Darum ist es richtig und wichtig und sinnvoll, immer wieder solche Feste wie das heutige zu organisieren. Wir wollen dabei nicht nur Erinnerungen an alte Zeiten austauschen, wir wollen uns auch auf das besinnen, was wertvoll ist von dem, was wir aus unserer alten Heimat mitgebracht haben. Wir wollen diese Werte nicht nur bewahren, wir wollen sie auch als kostbares Erbe unserer Ahnen weitergeben an künftige Generationen. Und deshalb ist es wichtig, dass auch unsere Kinder und Jugendlichen, die hier in Deutschland geboren sind, die Heimat ihrer Eltern und Großeltern kennen und schätzen lernen. Die Zeit, die wir drüben verbracht haben, war – selbst, wenn sie schwer war – keine vergeudetet Zeit. Wir haben einen reichen Schatz an Erfahrungen gesammelt.  Erfahrungen, die sehr wertvoll sind, Erfahrungen, die uns eine große Hilfe sein können, um uns in den Verhältnissen hier in Deutschland zurechtzufinden.
Menschen, die nach Deutschland kommen und hier bleiben möchten, sollen sich integrieren. Aber Integration ist nicht Anpassung um jeden Preis. Das, was wir als gut und wertvoll erlebt haben, das wollen wir auch bewahren und in die Gesellschaft einbringen. Zu den Werten, die wir bewahren und weitergeben wollen, gehört auch den Sinn für Gemeinschaft, für das Gemeinwohl.
Wir leben in einer Gesellschaft, die von einem extremen Individualismus geprägt ist. Viele denken nur noch an ihre eigenen Interessen und Vorstellungen, wollen sich nicht längerfristig binden oder gar Aufgaben für die Gemeinschaft übernehmen. Nicht nur die Kirchen, auch die Parteien, Verbände und Vereine leiden unter Mitgliederschwund und haben Probleme, Menschen zu finden, die sich ehrenamtlich engagieren.  
Die Menschen aber, die den Mut haben, sich einzusetzen für eine gute Sache, für die Belange der Gemeinschaft, machen die Erfahrung: Solche Arbeit trägt auch einen Lohn in sich. Ein gutes Gefühl entsteht, wenn eine Sache gelingt, wenn Arbeit Früchte trägt, wenn unser Bemühen zum Erfolg führt. Ich wünsche uns diesen Mut, die Kraft, die wir brauchen, um die Aufgaben zu erfüllen, die sich uns stellen, und mit den Herausforderungen fertig zu werden, die das Leben in einer immer komplizierter werdenden Welt mit sich bringt.  
Ich komme zum Schluss und nehme noch einmal Bezug auf den Heiligen Geist: Mit dem Heiligen Geist ist es wie mit dem elektrischen Strom. Damit unsere Geräte funktionieren, müssen sie angeschlossen werden an das Stromnetz. Sonst geht nichts. Das ungeheure Potential des Heiligen Geistes ist uns zugesagt. Wir müssen aber immer wieder den Anschluss an diese Kraftquelle suchen und die Verbindung herstellen. Dann kann der Heilige Geist auch heute noch wahre Wunder wirken.        A m e n.