Ansprache des Bundesvorsitzenden Peter-Dietmar Leber beim Denkmal für die Auswanderer am Ulmer Donauschwabenufer
Wir stehen hier um den Gedenkstein am Donauschwabenufer, der an unsere Vorfahren erinnert, die unweit dieser Stelle im 18. Jahrhundert in das Banat, in eine ihnen ferne und unbekannte Gegend, in eine ungewisse Zukunft aufgebrochen sind. Sie wurde ihnen in den schönsten Farben geschildert und sie verbanden damit große Hoffnungen auf ein besseres Leben, auf mehr Rechte, auf inneren und äußeren Frieden.
Wir, die wir heute hier sind, wissen, dass wir mit ihnen in dieser damals begründeten Reihe stehen, ja, wir bekunden durch unsere Anwesenheit hier öffentlich, dass wir dazu gehören. Zu einer Gemeinschaft, die sich erst nach mehreren Generationen ihrer bewusst geworden war, dort, im fernen Banat, in einer ganz bestimmten Zeit und unter ganz bestimmten Bedingungen entstanden ist.
Sie kamen als Lothringer, Elsässer, Badener, Pfälzer und Franken – aber sie gingen, manche blieben, als Banater Schwaben. Davor hatten sie einen Landstrich geprägt, hatten aufgebaut, hatten entwickelt. Als man dabei war feste Strukturen aufzubauen, um diesen neuen Stamm mit entsprechenden Einrichtungen auszustatten, die zum Funktionieren und zur Aufrechterhaltung eines Gemeinwesens notwendig sind, folgte der von Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg und damit verbunden die schlimmen Nachkriegsereignisse, die fast alles zunichte machten. Von der Entrechtung, der Enteignung und der Deportation waren vorerst nur wir Deutsche betroffen, danach auch alle anderen jenseits des Eisernen Vorhangs, über den sich ein dunkler Schleier gelegt hatte. Eine Umwälzung aller bisherigen Werte und Normen sollte erfolgen, ein neuer Mensch nach pseudowissenschaftlichen Kriterien geschaffen werden, wirtschaftliche Abläufe geplant, dirigiert und einem einzigen bestimmten Denkmodell unterworfen werden. Die eigentliche Katastrophe des Kommunismus besteht „in der Verwüstung der Seelen, in der Zerstörung des moralischen Bewusstseins", schrieb Papst Benedikt XVI. in einem seiner Bücher, in denen er sich als scharfsinniger politischer Beobachter ausgewiesen hat.
Es spricht für uns Banater Schwaben, wenn wir feststellen können, dass sich die große Mehrheit unter uns diesem Gesellschaftsmodell nicht unterworfen hat oder nur in dem Maße, wie es zum Überleben in dieser Zeit erforderlich war. Es spricht für uns, dass die meisten von uns um unsere und unserer Kinder Zukunft willen, um ein Leben in Freiheit und Würde zu führen, den Schritt der Aussiedlung getan haben. Schwer war er letztlich schon, wer gibt schon gerne seine Heimat auf? Und was das alles so letztlich bedeutet hatte, in der endgültigen, unumkehrbaren Konsequenz, das wurde uns erst im Laufe der Jahre so richtig bewusst.
Was führt uns heute zusammen? Was wollen wir kundtun, was wollen wir weitergeben? Warum ist eine junge Generation da, aus Deutschland, aus dem Banat in Rumänien? Warum freuen wir uns über dieses Wiedersehen? Warum schauen wir uns an und wissen recht schnell und recht gut Bescheid? Nun, es ist dieser unermessliche und reiche Schatz von gemeinsamen Prägungen, Erlebnissen und Erfahrungen, über Generationen hinweg angereichert und weiter gegeben. Sowohl schöne als auch weniger angenehme, solche der Zuversicht und des Aufbaus, aber auch jene des Leids und des Verlusts. All dies hat uns zusammengeschmiedet und unverwechselbar gemacht. Nicht besser als andere, nein mit Sicherheit nicht, nur etwas anders. Es bewegt uns und führt uns zusammen, heute, morgen hier in Ulm und auch an anderen Tagen, wenn wir uns treffen. Es ist die gemeinsame Vergangenheit, die ausstrahlt, die sich auf unser Sein heute auswirkt und damit unser Handeln in gewissem Maße mitbestimmt.
Wir, die wir heute und morgen hier in Ulm sind, liefern durch unsere Anwesenheit den Beweis, dass unsere Heimat in uns weiterlebt: In einer anderen Form, in einer anderen Art, die von einem jeden von uns einen Beitrag verlangt, die an uns alle Ansprüche stellt. Denn wenn wir etwas weitergeben, etwas schenken wollen, dann müssen wir uns damit beschäftigen, dann müssen wir dieses mitgebrachte oder angenommene Erbe pflegen. Und es wird gepflegt, im Banat und in Deutschland. Das unterstreichen die vielen jungen und jung gebliebenen Trachtenträger, die heute, morgen werden es noch viel, viel mehr sein, dabei sind. Ob in Deutschland geboren oder in Rumänien lebend, die Art und Weise, wie wir uns mit unserem Erbe beschäftigen, es öffnen, uns öffnen, entscheidet darüber, was bleibt, was sich ändert oder was verschwindet. Es liegt allein an uns.
Hier gedenken wir aber jener, die am Anfang unserer Geschichte standen, jener, die entlang unseres langen Weges im Krieg, in der Deportation, in den Lagern ihr Leben verloren haben. Wir haben keinen vergessen und legen zu ihrer Ehre nun diesen Kranz nieder. Mögen sie in Frieden ruhen.