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Vertreibung war, ist und bleibt Unrecht

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und die Landesbeauftragte für Aussiedler und Vertriebene Sylvia Stierstorfer mit der Abordnung der Banater Schwaben Foto: Susanne Marb/BdV Bayern

Ein beeindruckendes und farbenprächtiges Bild bot sich den rund 200 Gästen am 12. Juli im Kuppelsaal der Bayerischen Staatskanzlei anlässlich des Gedenkaktes für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Die zahlreichen Fahnenabordnungen, die Böhmerwald Sing- und Volkstanzgruppe München, der Chor der Deutschen aus Russland aus Augsburg und eine Vielzahl von Trachtenträgerinnen und Trachtenträgern verliehen der Veranstaltung einen Rahmen, der seinesgleichen in Deutschland suchen dürfte. Besonders in die Augen fielen dabei eine festliche Abordnung ehemaliger Einwohner aus Sanktmartin im Banat und die starke Präsenz oberschlesischer Trachten aus verschiedenen Kreisgruppen Bayerns.

Wegen Bauarbeiten konnte die traditionelle Kranzniederlegung diesmal nicht an der einschlägigen Gedenktafel im Treppenhaus der Staatskanzlei stattfinden. Stattdessen hatte man die prächtigen Blumengebinde der Staatsregierung, des Bayerischen Landtags und des BdV-Landesverbandes liebevoll vor das Rednerpult drapiert. Mit einem stillen Gedenken wurde die Feierstunde eingeleitet. In seiner Funktion als stellvertretender Ministerpräsident freute sich Innenminister Joachim Herrmann über die große Teilnahme von Vertretern des Bayerischen Landtags, aus den Konsulaten und kommunalen Gebietskörperschaften. Auffällig bei den Kirchen war das Fehlen von Repräsentanten der Katholischen wie der Evangelischen Kirche, im Gegensatz zur Orthodoxie, die sehr stark vertreten war. Mit Erzbischof Dr. Mark Arndt war erstmals die russisch-orthodoxe Diözese beim Gedenken vertreten, die griechisch-orthodoxe Kirche zeigte durch Archimandrit Georgios Siomos und einen weiteren Geistlichen erneut ihre Verbundenheit.

Das Zusammenwirken von Staatsregierung und Landtag unterstrich ein kurzer Filmbeitrag, in dem die vertriebenenpolitischen Sprecher aller Landtagsfraktionen eingangs Grüße übermittelten und, in zum Teil sehr persönlichen Statements, zum Anlass der Zusammenkunft Stellung bezogen. Sie und weitere Abgeordnete hatten sich unter der Leitung von Landtagsvizepräsident Thomas Gehring unter die Gäste gemischt, zu denen auch die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene Sylvia Stierstorfer und BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius zählten. 

In mitfühlenden und anerkennenden Worten würdigte Innenminister Joachim Herrmann die Leistung der rund drei Millionen deutschen Heimatvertriebenen beim Wiederaufbau Bayerns nach dem Zweiten Weltkrieg. Deren Leistungswille, Mut und Schaffenskraft habe als maßgeblicher Teil „zur bayerischen Erfolgsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg“ beigetragen. Herrmann wörtlich: „Die rund drei Millionen Heimatvertriebenen, die durch Flucht und Vertreibung in den Freistaat gekommen sind, haben sich aktiv am Wiederaufbau der neuen Heimat beteiligt und beherzt mit angepackt sowie mit äußerster Disziplin und aus eigener Anstrengung heraus eine neue Existenz geschaffen.“

Als bemerkenswert würdigte der Staatsminister, dass dies „nicht in Abgrenzung, sondern im Miteinander mit der heimischen Bevölkerung“ geschehen sei. Nicht umsonst würde man von den Sudetendeutschen, die in Bayern den Großteil der Heimatvertriebenen ausmachten, neben den Altbayern, Schwaben und Franken als „vierter Stamm“ Bayerns sprechen. Rückblickend erscheine ihm die zügige soziale wie ökonomische Integration der ungeheuren Zahl an Flüchtlingen und Vertriebenen, die nur durch ihre enorme Anpassungs- und Leistungsbereitschaft möglich war, sogar als das eigentliche „Nachkriegswunder“. Trotz des Leids und des ungeheuren Verlusts, den die Vertriebenen erfahren mussten, hätten sie früh Versöhnung gesucht, menschliche Brücken in ihre alte Heimat gebaut und damit tiefe Gräben in den Köpfen und Herzen überwunden. So hätten sie in ganz besonderer Weise den Glauben an die Völkerverständigung gestärkt und ein tragfähiges Fundament für Versöhnung und Neuanfang gelegt. 

Als Gastgeber erinnerte er daran, dass die Zahl der Menschen, die derzeit weltweit vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen, einen traurigen Negativrekord erreicht habe. Er mahnte, aus der Geschichte zu lernen: „Vertreibung war, ist und bleibt ein gravierendes Unrecht. Jede Vertreibung, jede ethnische Säuberung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Geschichte sei niemals nur etwas Vergangenes, sondern immer auch ein Wegweiser für die Zukunft. „Nur wenn wir aus dem Geschehenen die Lehren ziehen und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, können wir unsere Zukunft besser gestalten.“

An diesem Punkt setzte BdV-Landesvorsitzender Christian Knauer an. Es sei höchste Zeit, dass die langjährige Forderung des Bundes der Vertriebenen nach einem international verankerten und strafbewehrten Vertreibungsverbot sowie nach einem menschenrechtlich bindenden Recht auf die Heimat endlich aufgegriffen und umgesetzt werde. Was die deutschen Heimatvertriebenen nach 1945 erleiden mussten, sei heute nur noch schwer nachzuvollziehen. Selbst die schrecklichen Bilder aus der Ukraine stünden für viele kaum noch in einem echten Bezug zu ihnen.

„Die Opfer von Flucht und Vertreibung, die sich vor allem aus Frauen, Müttern, Kindern und alten Menschen rekrutierten, hatten nach 1945 für die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, alleine aufgrund der geographischen Lage die größte Zeche für alle Deutschen zu bezahlen“, so der BdV-Landesvorsitzende. Hass und Rache hätten sich nicht nur über die Landsleute in den deutschen Ostprovinzen, sondern auch über die Deutschen in Böhmen und Mähren, in Südosteuropa und vor allem in der Sowjetunion entladen. Dort seien die Landsleute bereits Anfang der 40er Jahre aus ihren Heimatgebieten vor allem in die unwegsamen Gebiete hinter dem Ural oder nach Kasachstan und Usbekistan verschleppt worden. Alle, die zurückblieben oder zurückbleiben konnten, waren bis in die 80er Jahre vielfach Verdächtigungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Der Gebrauch ihrer Muttersprache sei vielfach verboten gewesen, Berufslaufbahnen blieben oftmals für sie verschlossen. 

In Deutschland angekommen, erwartete die rund 15 Millionen Heimatvertriebenen nur wenig Solidarität oder gar psychologische Zuwendung. Vielfach wurde auch wenig über das Erlebte gesprochen. Knauer: „Wer wollte an das erfrorene Kind, das man am Rand des Schienenstranges zurücklassen musste, erinnert werden? Wer wollte sich als vergewaltigt outen?“ Vielfach als „Habenichtse, Saupreußen, Zigeuner“ tituliert, hätten sie ums tägliche Überleben gekämpft und in Barackenlagern, in Massenunterkünften, in ehemaligen Munitionsdepots, in Eisenbahnwaggons gehaust oder wurden in Bauernhöfe und Privatwohnungen eingewiesen. Das Erinnern an die zwei Millionen Menschen, die bei der Vertreibung ums Leben gekommen seien, bezeichnete er als „nationale Pflicht“. Gleiches gelte für die Aufbauleistungen der Heimatvertriebenen.

Dass sich Deutschland erst 2015 aufgemacht habe, an die Opfer von Flucht und Vertreibung ihrer eigenen Landsleute im Rahmen eines offiziellen Gedenktages zu erinnern, sei für die Betroffenen und deren Nachkommen nur schwer zu begreifen. Kaum verständlich sei es aber, dass dieses Gedenken schon nach sieben Jahren wieder zu verblassen scheine. Nicht nur er habe den Eindruck, dass dieses Gedenken „zu einem Pflichttermin ohne besondere Empathie“ verblasse. Diese nachlassende Anteilnahme lasse sich unter anderem an der Form und am Zeitpunkt der Gedenkfeiern, dem Fernbleiben wichtiger Vertreter der gesellschaftlichen Institutionen und einer mangelnden Berichterstattung in den Medien ablesen. „Ein Gedenken oder Erinnern muss eine Herzensangelegenheit sein – sonst macht es wenig Sinn und wird den Betroffenen nicht gerecht. Darüber einmal innezuhalten und nachzudenken, würde auch vielen Verantwortlichen in den staatlichen Verwaltungen nicht schaden“, so der Landesvorsitzende. 

Mit einem Dank an den Bayerischen Landtag und die Bayerische Staatsregierung würdigte der BdV-Sprecher die deutlichen Fortschritte beim Ausbau der Erinnerungskultur an die Deutschen im Osten. Mit dem Bau des Sudetendeutschen Museums, der Errichtung vier neuer Kulturstiftungen und der Ausweitung der institutionellen Förderung für die Vertriebeneneinrichtungen seien wichtige Wegmarken gesetzt worden. Ein bundesweit einmaliges Projekt bringe man mit der neuen Forschungsstelle „Kultur und Erinnerung. Heimatvertriebene und Aussiedler in Bayern 1945 – 2020“ an der Universität Regensburg derzeit auf den Weg.

Da man nicht wisse, wie die Welt in wenigen Wochen aussehe, appellierte der BdV-Landesvorsitzende zum dringend erforderlichen Zusammenhalt der Gesellschaft. Dies müsse sich in weniger Egoismus, mehr Gemeinsinn, mehr Engagieren und Eintreten für Demokratie und Rechtsstaat und darin zeigen, zu schätzen, dass man glücklich sein dürfe, „in diesem unserem schönen Deutschland und unserer bayerischen Heimat (zu) leben“.

Mit einer Videobotschaft der Vertreterin der deutschen Minderheit in der Ukraine und Dankesworten der Beauftragten der Staatsregierung Sylvia Stierstorfer ging die gelungene Feierstunde mit einem Empfang zu Ende.     

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Bei dem Festakt war die Landsmannschaft der Banater Schwaben durch eine große Abordnung vertreten. Ihr gehörten an: der Vorsitzende des Landesverbandes Bayern Harald Schlapansky, die stellvertretende Landesvorsitzende und Augsburger Kreisvorsitzende Dr. Hella Gerber, der Vorsitzende des Kulturwerks Banater Schwaben und des Kreisverbandes München Bernhard Fackelmann, die Kreisvorstandsmitglieder Franz Gerber (Augsburg) und Michael Klaus (München), eine Trachtengruppe der HOG Sanktmartin sowie Fahnenabordnungen des Kreisverbandes München und der HOG Sanktmartin.