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Einsatz für Versöhnung und Frieden in Europa

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Mitte) und Landesvorsitzender Richard S. Jäger (2.v.l.) mit den Banater Teilnehmern der Jubiläumsfeier im Neuen Schloss in Stuttgart Foto: Cornel Simionescu-Gruber

In der „besten Stube des Landes“, im Weißen Saal des Neuen Schlosses in Stuttgart, versammelten sich am 23. April geladene Gäste zu einem Festakt aus Anlass des 70-jährigen Bestehens des Bundes der Vertriebenen (BdV) in Baden-Württemberg. Dieser stand unter dem Motto: „Vertriebene und Spätaussiedler: Brückenbauer in Europa“. Dass mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seinem Stellvertreter Thomas Strobl gleich zwei prominente Landespolitiker den Veranstaltern die Ehre gaben, zeugt vom hohen gesellschaftlichen Stellenwert der Vertriebenenorganisation wie auch vom Ansehen, das der BdV bei der Landesregierung genießt, was auch in den Reden der beiden Politiker mehrmals betont wurde. Als Ehrengäste waren auch Alt-Ministerpräsident Erwin Teufel und BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius zugegen.

Die Begrüßung nahm die Landesvorsitzende des BdV Iris Ripsam vor. Sie hieß neben den bereits genannten Ehrengästen auch den Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments Rainer Wieland, die anwesenden Abgeordneten des Landtags von Baden-Württemberg und die Vertreter des Innenministeriums, den Generalkonsul von Rumänien in Stuttgart Dr. Radu Florea, die Landesvorsitzenden der Landsmannschaften sowie die Pressevertreter herzlich willkommen. Im Anschluss berichteten die SWR-Landeschau und auch die Printmedien über das Ereignis. 

Beim Festakt hoben sowohl Ministerpräsident Winfried Kretschmann als auch der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl die Leistung der Heimatvertriebenen beim Aufbau von Baden-Württemberg hervor. Kretschmann sagte, das Jubiläum des BdV und das des Landes – Baden-Württemberg feierte am 25. April sein 70-jähriges Bestehen – hingen eng zusammen. „Denn die Heimatvertriebenen haben bei der Volksabstimmung im Dezember 1951 nahezu geschlossen für den Südweststaat gestimmt.“ Sie hätten so den entscheidenden Ausschlag für die Gründung des Landes Baden-Württemberg wenige Monate später gegeben. „Die heimatvertriebenen Deutschen wollten in der neuen Heimat gute Staatsbürger sein“, so Kretschmann, der auch an das Leid der Vertriebenen erinnerte. Der Grünen-Politiker sagte: „Unrecht ist und bleibt es, wenn unschuldige Frauen, Männer und Kinder willkürlich aus ihrer Heimat vertrieben, wenn sie enteignet oder ermordet werden.“ Unrecht sei und bleibe es, wenn Menschen allein ihrer Volkszugehörigkeit wegen verfolgt, diskriminiert und an Leib und Seele bedroht werden. Der Ministerpräsident erwähnte in diesem Zusammenhang seine eigene Familiengeschichte: Seine Eltern seien 1945 aus Ostpreußen geflüchtet, sein älterer Bruder sei als Säugling auf der Flucht verstorben.

Innenminister Thomas Strobl, der auch Landesbeauftragter für Vertriebene und Spätaussiedler ist, erklärte zum 70-jährigen Bestehen des Bundes der Vertriebenen: „Seit 70 Jahren ist der BdV nun in Baden-Württemberg aktiv, vertritt erfolgreich die Interessen seiner Mitglieder und setzt sich in vielfältiger Weise für die Bewahrung der Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa ein. Wir feiern in diesen Tagen 70 Jahre BdV und 70 Jahre Baden-Württemberg – und beide Jubiläen sind eng verknüpft. In Baden-Württemberg ist es uns gemeinsam gelungen, auf den Trümmern des Zweiten Weltkrieges eine neue Zukunft aufzubauen. Unser Land hat von der Aufnahme der Vertriebenen und Flüchtlinge sehr profitiert. Die Zuwanderung in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die rund ein Fünftel der Bevölkerung im Gebiet des heutigen Baden-Württembergs umfasste, war in mehrfacher Hinsicht ein Gewinn: ein Gewinn an hoch motivierten Beschäftigten und Selbständigen, deren Einsatzbereitschaft eine wesentliche Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung in den 1950er-Jahren war, ein Gewinn an vielfältigen Erfahrungen beim Zusammentreffen von Menschen mit unterschiedlichem kulturellem und historischem Hintergrund und letztendlich ein Gewinn für unseren Staat selbst. Denn ohne die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen gäbe es Baden-Württemberg gar nicht, gerade auch ihre Stimmen gaben bei der Volksabstimmung im Dezember 1951, die zur Gründung des Südweststaates führte, den Ausschlag.“ 

Strobl weiter: „Der BdV und die Landsmannschaften setzen sich sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene seit Jahrzehnten nachdrücklich für Versöhnung und Frieden in Europa ein. Gemeinsames und Verschiedenes zu kennen und sich damit auseinanderzusetzen, ist letztendlich die beste Grundlage für eine tragfähige Völkerverständigung. Diese Aufgabe und ihre Bedeutung ist angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine hochaktuell und nicht hoch genug zu bewerten. Wer glaubte, dass der Frieden in Europa selbstverständlich und für alle Zeiten gesichert ist, wurde in den vergangenen Wochen eines Besseren belehrt. Wir müssen daraus die Lehre ziehen, dass Frieden, Freiheit und Toleranz immer wieder unseren vollen Einsatz erfordern.“ 

Einen historischen Beitrag lieferte Prof. Dr. Manfred Kittel von der Universität Regenburg, der in seinem Rückblick unter anderem die Leistungen der jungen Bundesrepublik und besonders des Lastenausgleichs würdigte. Er hob vor allem die Bedeutung des Lastenausgleichs „in psychologischer Hinsicht“ hervor: „Er hat den Vertriebenen ja eines doch vor Augen geführt: Nämlich, dass diese Aufnahmegesellschaft prinzipiell solidaritätsfähig ist. Eine Millionenzahl Einheimischer immerhin hat bis 1979 treu und brav und vierteljährlich ihre Vermögensabgabe nach LAG entrichtet.“ Professor Kittel, von 2009 bis 2014 Gründungsdirektor der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, hatte sich diesem lange Zeit in Vergessenheit geratenen Thema auch in seinem letzten, 2020 erschienenen Buch gewidmet: „Stiefkinder des Wirtschaftswunders? Die deutschen Ostvertriebenen und die Politik des Lastenausgleichs (1952-1975)“. 

In seinem Vortrag spannte der Historiker den Bogen bis in die Gegenwart und plädierte für eine neue Erinnerungskultur. Professor Kittel schloss mit den Worten: „Wir alle fühlen, wir stehen an einer Zeitenwende. Die darf man aber nicht nur ankündigen, man muss sie auch vollziehen. Wir werden unsere handelspolitischen Interessen künftig viel teurer mit geopolitischen Interessen abwägen müssen. Denn tun wir es nicht, kann es uns morgen schon gehen wie heute der Ukraine. Zur Zeitenwende gehört auch eine neue Erinnerungskultur. Die Realität des NS-Horrors und die Empathie mit seinen Opfern muss ihren Platz behalten, gar keine Frage, aber gleichzeitig muss es viel stärker auch darum gehen, wie ein Horror dieses Ausmaßes eigentlich zu vermeiden gewesen wäre und vor allem künftig zu vermeiden ist. Das heißt: Die wehrhafte Demokratie gehört in den Mittelpunkt unserer Erinnerungskultur. Und gerade der BdV, geschichtsbewusst aus eigener leidvoller Erfahrung, kann zu dieser Zeitenwende vieles beitragen.“

Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von der Familienmusik Preishammer.  Zum Schluss gab es im Foyer einen Stehempfang mit Fototerminen, bei dem die prominenten Gäste abwechselnd mit Vertretern des BdV und der Landsmannschaften abgelichtet wurden.

An dem Festakt nahmen seitens des Landesverbandes Baden-Württemberg der Landsmannschaft der Banater Schwaben der Landesvorsitzende Richard Jäger mit Tochter Johanna in Tracht, die stellvertretenden Vorsitzenden Erich Furak und Christine Neu, die Beisitzer im Landesvorstand Cornel Simionescu-Gruber und Hans Vastag sowie der Vorsitzende des Kreisverbandes Heilbronn Anton 
Michels teil.