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Die Erinnerung an das Leid wach halten

Der Kreisverband München gedachte am 15. Januar auf dem Friedhof in Untermenzing der Deportation der Banater Schwaben zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion vor 77 Jahren. Foto: Karin Müller-Franzen

Kranzniederlegung an der Gedenktafel der Banater Schwaben auf dem Friedhof in Untermenzing bei München

Im Januar 2008 hielt der Landesverband Bayern gemeinsam mit dem Kreisverband Landshut ein Gedenken für die Opfer der Russlanddeportation ab. Stattgefunden hatte es in Landshut am Denkmal „Wider das Vergessen“ des Banater Künstlers Walter Andreas Kirchner. Die Erinnerung an die große Gedenkveranstaltung aller südostdeutschen Landsmannschaften in München im Jahr 1995, die der damalige Landesvorsitzende Peter Krier initiiert und die von den landsmannschaftlichen Kulturreferenten Walther Konschitzky (Banater Schwaben) und Hans-Werner Schuster (Siebenbürger Sachsen) sowie Udo Acker vom Haus des Deutschen Ostens in München maßgeblich inhaltlich vorbereitet worden war, war noch wach. Tausende Betroffene und deren Angehörige hatten sich damals eingefunden. Der Zug vom Liebfrauendom zum Denkmal im Hofgarten wollte nicht enden. Es war eine Demonstration der Geschundenen und der Vergessenen. 

Um die Erinnerung an das Leid dieser Menschen aufrechtzuerhalten, aber auch die Nachkommen zu mahnen, sich stets für Recht und Freiheit einzusetzen, wurde auch die Veranstaltung in Landshut organisiert. Ziel des Landesvorstandes war es, die Veranstaltung jedes Jahr gemeinsam mit einem anderen Kreisverband zu organisieren. Die jeweiligen Kreisverbände sollten die Veranstaltung im Folgejahr selbständig mit den Vertretern von Stadt und Vereinen vor Ort durchführen. Das ist nicht überall, aber doch in einigen Städten gelungen und auch der amtierende Landesvorstand hält diese Tradition aufrecht. 

Haben sich die Reihen der ehemaligen Zwangsarbeiter mittlerweile gelichtet, so sind es die Kinder und Enkelkinder der ehemaligen Deportierten, die an diesem Tag zu den Stätten des Gedenkens kommen und im Gebet verharren. In München fand das Gedenken in diesem Jahr am 15. Januar auf dem Friedhof in Untermenzing statt, wo der Kreisverband vor einigen Jahren am Vertriebenendenkmal eine Tafel zur Erinnerung an die Opfer der Banater Schwaben angebracht hat.

Der Kreisvorsitzende Bernhard Fackelmann hatte pandemiebedingt nur den Vorstand und zwei Fahnenabordnungen eingeladen. Er erinnerte in wenigen Worten an die Kriegsereignisse, den Beginn der Deportation und deren Folgen für die Betroffenen, deren Familien und die Gemeinschaft. Anerkennend vermerkte er die Bemühungen Rumäniens, den ehemaligen Deportierten und nun auch deren Kindern finanzielle Entschädigungen zukommen zu lassen. 

Als Walter Prinz (Blumenthal) und Nikolaus Kern (Jahrmarkt) zu den Trompeten greifen, das Lied vom guten Kameraden spielen und die Fahnen sich senken, wird die leidvolle Erfahrung dieser kleinen Gruppe, die hier für die einstige Gemeinschaft steht, spürbar. Ein Gebet, die Blicke zu den Kerzen für die Verstorbenen, auf die frischen Blumen des Kranzes – jeder hängt seinen Gedanken nach. 

Für Michael Klaus ist dieses jährliche Gedenken sehr wichtig. Seine Mutter Margaretha, geb. Welter, ließ zwei kleine Kinder in Mercydorf zurück, als sie nach Russland deportiert wurde. Ihr Mann war im Krieg. Die Kinder blieben beim Großvater, der sechs Monate später starb. Man traut sich fast nicht, die Frage nach dem „Danach“ zu stellen. Die Antwort ist bitter: Eingesprungen sind die Nachbarn, der Schwager der Mutter. Dreieinhalb Jahre lang arbeitete Margaretha Klaus in den Kohlegruben in Stalino. Links und rechts von ihr sind Leidensgenossen gestorben. Als ihr Mann aus der Gefangenschaft heimkehrte, seine Frau und die Kinder suchte, fand er rumänische Kolonisten im Haus. Er musste weitersuchen. Irgendwann war die Familie wieder vereint, zwei weitere Kinder folgten, ein Triumph der Liebe und des Lebens. 

Auch die Mutter von Juliane Fackelmann war als Zwangsarbeiterin deportiert. Anna Schwerthöffer, 1927 in Matscha geboren, lebt heute bei ihr und ihrem Schwiegersohn. Jeden Tag redet sie über das Lager in Kriwoi Rog, wo ihr ebenfalls deportierter Bruder ihr half, zu überleben. Deportiert wurde sie zwei Tage nach ihrem 18. Geburtstag. Insgesamt vier ehemalige Deportierte aus Matscha leben noch. Das Reden über diese Zeit hat ihr immer geholfen, dieses Trauma zu verarbeiten, sagt Juliane Fackelmann.  

Das war bei Sebastian Trapp aus Glogowatz anders. Seine Mutter Sophia, geborene Haidt, hat sehr wenig über diese Zeit berichtet. Als das Gerücht über eine Deportation umging, wurde sie versteckt. Weil nun aber ihre jüngere Schwester mitgenommen werden sollte – die Zahl musste stimmen –, stellte sie sich. Dreieinhalb Jahre lang arbeitete sie unter unmenschlichen Bedingungen im Wald bei Mednogorsk südlich des Urals. Die Deportierten fällten Holz zum Stützen der Schächte in den dortigen Kupfererzminen. „Eigentlich hat sie dieses Trauma nie überwunden“, sagt Sebastian Trapp heute. Deshalb sei es ihm wichtig, an diesem Tag und in dieser Gemeinschaft an das Leid von damals zu erinnern. 

Das gilt auch für Hans Schlosser aus Jahrmarkt, der die Fahne des Kreisverbandes München trägt. Als seine Mutter Katharina, geborene Tannenberger, deportiert wurde, war er gerade elf Monate alt. Er blieb in der Obhut der Großmutter. Fast vier Jahre lang leistete die Mutter Zwangsarbeit in Saporoschje. Entlassen wurde sie in die Ostzone, wo sie auf 
einem Bauernhof in Brandenburg unterkam. Mit mehreren Frauen machte sie sich von dort zu Fuß auf den Weg ins Banat, heim zur Familie. Für Hans Schlosser war sie nach der Heimkehr eine Fremde. Oma war „die Mutter“ und sie die „Deutschlandmutter“, erinnert er sich. Über die Zeit in der Deportation hat sie nie geredet. 

Walter Jung trägt die Fahne der HOG Sanktmartin, es ist sein Heimatort. Seine Schwester Elisabeth, Jahrgang 1927, später verheiratete Eisele, war als einzige von fünf Geschwistern ebenfalls zur Zwangsarbeit in die damalige Sowjetunion deportiert. Nach der Rückkehr wurde sie Lehrerin, aber über die Zeit in Russland hat sie erst in den letzten Jahren vor ihrem Tod geredet. Sie wurde 90 Jahre alt. 

Viel reden auch die Kinder der ehemaligen Deportierten nicht über diese Zeit. Trotzdem wirkt das Geschehen lange nach, in den Familien, in der Gemeinschaft, bis heute.