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Eine große Geste, die uns Verpflichtung ist

Dr. Anton Wekerle mit seiner Tochter Dr. Inge Wekerle Steiner Einsender: Josef Lutz

Im Frühjahr 1996 stattete Dr. Anton Wekerle (Mitte) in Begleitung seines Sanktannaer Landsmanns Josef Lutz, damals stellvertretender Bundesvorsitzender (links), der Bundesgeschäftsstelle unserer Landsmannschaft sowie der Redaktion der „Banater Post“ in der Sendlinger Straße in München einen Besuch ab und führte Gespräche mit dem damaligen Bundesvorsitzenden Jakob Laub. Foto: Peter-Dietmar Leber

Die Sätze, die der erste Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben Dr. Matthias Hoffmann (1893-1957) aus Gertianosch vor nahezu 70 Jahren in seinem Aufruf „An alle Banater Schwaben aus Rumänien“ vortrug, haben es in sich. Sie sind schonungslos offen und direkt, aufrüttelnd, sie zeigen aber auch Alternativen auf. Hoffmann schrieb: „Die Banater Schwaben neigen seit drei Menschenaltern zum Individualismus. Jeder von uns trachtet, selbst zu handeln, mit seinen Schwierigkeiten in erster Linie selber fertig zu werden. Der Gemeinschaftssinn, das Gefühl der Zusammengehörigkeit sind bei uns bei weitem nicht so ausgeprägt, wie bei Angehörigen anderer Siedlungsgebiete. In dieser Zeit der Not war jeder bestrebt, sich selbst und seine Familie zu retten. Dass dies über den völkischen Zusammenhalt auch möglich oder gar notwendig sei, daran dachten nur wenige.“ Die wenigen macht Hoffmann in den Mitgliedern des Banater Ausschusses aus, der 1947 gegründet worden ist, in den Gründungs- und Vorstandsmitgliedern der Landsmannschaft, die alle seinen Aufruf mitunterzeichneten. Als Ziel dieses Wirkens betrachtete er dabei „das Bild, die Gestalt und die historisch einmalige Form donauschwäbischen Menschentums“ zu „bewahren und weiterzuentwickeln“. Man könnte es prägnanter mit dem Leitsatz des Heimattages 2016 in Ulm umschreiben, der drei Generationen später lautete: „300 Jahre Banater Schwaben – Wir schreiben unsere Geschichte fort“. 

Unter den Gründungsmitgliedern unserer Landsmannschaft befand sich der damals vierzigjährige Sanktannaer Dr. Anton Weckerle, vorgesehen als Mitglied des Schiedsgerichts. Anton Weckerle entstammte einer angesehenen und kinderreichen Sanktannaer Bauernfamilie. Sein Vater hatte sechs Geschwister, seine Mutter sieben. Er besuchte die Volksschule in Sanktanna, das Realgymnasium in Temeswar, das Brukenthal-Gymnasium in Hermannstadt. Er wollte Rechtsanwalt werden, studierte die Rechte in Berlin, in Paris und in Klausenburg, wo er sein Studium erfolgreich beendete. In Wien wurde er 1935 zum Doktor der Rechtswissenschaft promoviert. Danach eröffnete er eine Anwaltskanzlei in seinem Heimatort. Er heiratete 1938 Erna Deutschländer, eine Schulfreundin aus Hermannstadt. Dem Paar wurde eine Tochter geboren, die den Namen Inge erhielt. 

1944 flüchtete die junge Familie aus Sanktanna, die Eltern blieben daheim, weil der Vater erfolgreich eine Ölmühle betrieb. Die Entscheidung sollte ihm zum Verhängnis werden. In einer Auseinandersetzung mit einem Kolonisten, der Anspruch auf Franz Weckerles Haus und Anwesen anmeldete, wurde der damals 78-jährige ehemalige Mühlenbesitzer 1951 so verprügelt, dass er später seinen Verletzungen erlag. Sohn Anton Weckerle konnte nicht einmal zur Beerdigung kommen. Diese Daten hat der langjährige Vorsitzende der Heimatortsgemeinschaft Sanktanna Josef Lutz zusammengetragen, der Anfang der 1990er Jahre von Anton Weckerle kontaktiert worden ist. Er schrieb sich nun „Wekerle“, ohne das „c“ im Namen, und lebte in den USA. 

Nach wie vor ungebrochen war seine Verbundenheit mit der Landsmannschaft der Banater Schwaben, die er 1950 mitbegründet hatte, mit seinen Landsleuten aus dem Heimatort. Anton Wekerle, inzwischen weit über 80 Jahre alt, setzte sich ins Flugzeug und kam 1996 nach München. Einer seiner ersten Wege führte ihn in die Bundesgeschäftsstelle der Landsmannschaft in der Sendlinger Straße zu einem Gespräch mit dem damaligen Bundesvorsitzenden Jakob Laub und dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden Josef Lutz, an dem ich als Vorstandsreferent teilnahm. Die Gespräche drehten sich um das Banat einst und jetzt, um die Landsmannschaft und Heimatortsgemeinschaft, um Macht und Ohnmacht von Verbänden, um Aufgaben, Wunsch und Wirklichkeit. Nach wie vor sind mir seine wachen Augen und die Art und Weise der Diskussionsführung, seine Gabe, komplizierte Sachverhalte auf einfache Entscheidungen herunterzubrechen, in guter Erinnerung. Es gab in dieser Zeit viele Besuche in unserer Geschäftsstelle, von bekannten und weniger bekannten Landsleuten, von erfolgreichen und gescheiterten Unternehmern, im wahrsten Sinne des Wortes. Anton Wekerle trat anders auf. 
Wir erfuhren wir bei dieser Gelegenheit mehr über seinen Neustart nach dem Krieg. In Deutschland hatte er an der Landwirtschaftlichen Hochschule Weihenstephan in Freising 1948 ein weiteres Studium absolviert, Wirtschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt Landwirtschaft. Nach dem Tod des Vaters in Sanktanna wanderte die Familie in die USA aus. Der Anfang war schwer. Anton Wekerle nahm alle möglichen Arbeiten an, um ein weiteres Studium aufzunehmen, sein drittes mittlerweile. An der Universität in Columbus, Ohio studierte er Politische Wissenschaften, nach dem Abschluss wurde er Assistent an dieser Hochschule. 1957 trat er eine Stelle als Rechtsberater beim Kongress der USA in Washington an, später wurde er Abteilungsleiter im amerikanischen Außenministerium, zuständig für den Nahen und Mittleren Orient. Er war sprachgewandt, beherrschte acht Sprachen.

Tochter Inge studierte in Wien, sie wurde in Germanistik promoviert, wurde Dozentin für Mittelhochdeutsch an der Universität der amerikanischen Bundeshauptstadt. Zeitweilig war sie Präsidentin des Goethe-Instituts in Washington, ihr Vater wurde später Vizepräsident dieser Institution. Es zeigt die tiefe Verbundenheit von Vater und Tochter mit dem deutschen Kulturraum, aber auch ihre Auffassung von Verantwortung für Gemeinschaft und Gesellschaft. 

Erna Wekerle starb 1984 in den USA. In zweiter Ehe heiratete der Witwer zwei Jahre später Margarethe Wagner, verwitwete Molnar, aus Neuarad. Diese Daten hat Alf Kührt im Familienbuch Sanktanna veröffentlicht. 

Anton Wekerle war schon über neunzig, als er das letzte Mal an einem Treffen seiner Heimatortsgemeinschaft in Deutschland teilgenommen hatte. Er, der weise Diplomat, war wieder zum Rednerpult geschritten und warb für die Verantwortung der folgenden Generationen für das Erbe der Vorfahren sowohl in der Familie als auch in der Gemeinschaft. Anton Wekerle starb 2008 im Alter von 99 Jahren. 

Tochter Inge Wekerle, verheiratete Steiner, war Mitglied unserer Landsmannschaft, sie starb 2019. In ihrem Testament hatte sie neben Familienangehörigen und diversen caritativen Organisationen die Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V.  mit 500000 Euro bedacht, das Hilfswerk der Banater Schwaben e.V. mit 100000 Euro. Nach einem längeren Prüfverfahren konnte ihrem letzten Willen entsprochen und das Erbe angetreten werden. Für die Landsmannschaft ist es mit Abstand die höchste Zuwendung eines ehemaligen Mitglieds unseres Verbandes, für die Vertreter des Verbandes eine große Verantwortung, diese satzungsgerecht einzusetzen. Der Bundesvorstand der Landsmannschaft der Banater Schwaben hat deshalb beschlossen, eine gemeinnützige Stiftung einzurichten. Sie soll den Namen Wekerle tragen und einen wesentlichen Beitrag zur Pflege und Vermittlung des kulturellen Erbes der Banater Schwaben leisten. 

Siebzig Jahre nach dem Aufruf von Matthias Hoffmann gibt es Landsleute unter uns, denen das Gefühl der Zusammengehörigkeit sehr wichtig ist, die einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn pflegen, die bereit sind, einen Beitrag für diese Gemeinschaft zu leisten. Die Wekerles hatten nie vergessen, welcher Gemeinschaft sie entstammten, sie hatten sich stets öffentlich dazu bekannt. Sie wollten auch, dass sie weiterlebe, dass sie fortentwickelt werde, dass unser kulturelles Erbe bewahrt bleibe. Hierzu haben sie einen erheblichen finanziellen Beitrag geleistet, den Auftrag der nächsten Generation übermittelt. Wir wollen uns dieses Vertrauens würdig erweisen.