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Kinder Russlanddeportierter berichten

Am 27. November stellte der Soziologe Dr. Anton Sterbling in Berlin im Collegium Hungaricum das neu erschienene Buch „Die Verschleppung der Deutschen aus dem Banat in die Sowjetunion aus der Sicht ihrer Kinder“ vor. Der 500 Seiten starke Band, herausgegeben von der Landsmannschaft der Banater Schwaben, enthält fast 120 Erzählberichte von Kindern der Verschleppten, die durch wissenschaftliche Analysen, einen Anhang und Abbildungen ergänzt werden. Wie Dr. Sterbling berichtete, hat die Redaktion nicht in die Erzählberichte eingegriffen, um ihre Authentizität zu wahren. Nur wo Überschriften fehlten, habe sie die Kernaussage zur Überschrift gemacht. Zwar stammten alle Berichte von Banater Schwaben, wäre die Arbeit aber auf Siebenbürgen ausgeweitet worden, wären die Erzählberichte wahrscheinlich nicht grundlegend anders ausgefallen. Dr. Sterbling machte deutlich, dass die Russlandverschleppung nach dem „Kollektivschuldprinzip“ bürokratisch geplant und durchgeführt wurde. Die verschleppten Deutschen hätten ein unmenschliches Lagerregime „mit strengen, gewaltgestützten Regelungen, Zwängen, Kontrollen, Schikanen, Demütigungen und Repressionen“ erdulden müssen. Sie seien ständigem Hunger und eisiger Kälte ausgesetzt gewesen. Ihre Unterbringung sowie die Hygiene- und Lebensbedingungen seien katastrophal gewesen. „Der Tod selbst war eine häufige, alltägliche Erscheinung in den Deportationslagern.“

Ernst Meinhardt berichtete über das, was seine Mutter in der Familie über ihre eigene Russlandverschleppung erzählte. Einer ihrer Kernsätze war „Wie froh wären wir gewesen, wenn wir in Russland so etwas Gutes zu essen bekommen hätten.“ Dieser Satz sei immer dann gefallen, wenn er als Kind über das Essen gemeckert habe. Seinen Vortrag ergänzte er mit Bildern von Bescheinigungen über die Russlandverschleppung. Sie wurden ab 1958 sowohl von rumänischen als auch von sowjetischen Behörden ausgestellt. Zeiten, die von rumänischen Behörden, zum Beispiel dem Gemeinderat, dem Bukarester Innenministerium oder der Securitate, bescheinigt wurden, konnten anschließend in die Arbeitsbücher eingetragen werden. Natürlich durfte nicht von „Verschleppung“ gesprochen werden, sondern nur von „Wiederaufbauarbeit in der Sowjetunion“. Von einigen Russlandverschleppten gibt es auch noch deren sowjetischen Entlassungsschein.

In der Diskussionsrunde berichtete die Wissenschaftlerin Annelie-Ute Gabanyi, wie ihre Großmutter der Verschleppung entging. Während sie von zwei Uniformierten abgeführt wurde, sei ein Offizier der königlich-rumänischen Armee zufällig vorbeigekommen. Er habe die Uniformierten angeschrien „Was macht ihr da mit meiner Mutter?“ Dann habe er sie in die Arme genommen und nach Hause gebracht. Natürlich sei sie nicht seine Mutter gewesen, sondern bloß eine Bekannte von ihm.

Wie Dr. Sterbling sagte, wurden auch Kommunisten aus Rumänien nach Russland verschleppt, wenn sie deutscher Volkszugehörigkeit waren. Ein Beispiel ist der aus Neuarad stammende Philipp Geltz. Er wurde Anfang 1945 in das Donezbecken deportiert, konnte aber schon 1946 in seine Heimat zurückkehren. 1956-1957 war er in der kommunistischen Bukarester Regierung Minister für Kommunalwirtschaft. Sein Ministerium beschäftigte sich in diesen Jahren unter anderem mit der Rückgabe von Häusern und Höfen, die den Rumäniendeutschen 1945 weggenommen worden waren.

Zu der Buchvorstellung eingeladen hatten das ungarische Kulturinstitut Collegium Hungaricum Berlin, die Deutsch-Ungarische Gesellschaft Berlin, die Siebenbürger Sachsen und die Banater Schwaben. Leider kamen nicht so viele Gäste, wie sich die Gastgeber erhofft hatten. Das lag mit Sicherheit an den strengen Corona-Auflagen. Diejenigen, die kamen, darunter ein Honorarprofessor der Technischen Universität Budapest, waren an dem Thema sehr interessiert. Zwei Gäste waren sogar aus dem 260 Kilometer entfernten Jena ins Collegium Hungaricum gekommen. 

Dr. Sterbling stellte am Schluss noch das im Pop-Verlag Ludwigsburg erschienene Buch „Deportationen – Literarische Blickwinkel“ vor. Darin berichten Schriftsteller der ehemaligen „Aktionsgruppe Banat“ sowie ihnen nahestehende Freunde nicht nur über die Russland-, sondern auch über die Bărăgan-Verschleppung. Meinhardt wies auf den Band „Order 7161“ des Luxemburger Fotografen Marc Schroeder hin. „Order 7161“, also „Befehl 7161“, war der Name des „streng geheimen Befehls“, mit dem Stalin am 16. Dezember 1944 die Verschleppung der Deutschen aus Rumänien, Jugoslawien, Ungarn, Bulgarien und der Tschechoslowakei anordnete. Schroeders Fotoband soll noch in diesem Jahr in deutscher und englischer Sprache erscheinen.