Eigentlich ist das erste Novemberwochenende ein feststehender Termin im Kalender aller Mitglieder der Deutschen Banater Jugend- und Trachtengruppen (DBJT). An diesem Wochenende ist nichts wichtiger. Nur in ganz seltenen Fällen werden Familienfeste oder andere Veranstaltungen diesem Ereignis vorgezogen. Denn dieses Wochenende steht ganz im Zeichen des Brauchtums der Banater Schwaben. Es wird gesungen, gekocht, gegessen, aber vor allem getanzt, bis die Sohlen qualmen… eigentlich. Alle freuen sich darauf, zusammenzukommen, gemeinsam zu lachen, Spaß zu haben… eigentlich.
Doch 2020 ist alles anders. Bereits nach dem ersten Lockdown im März war klar, das DBJT-Herbstseminar würde in diesem Jahr nicht in gewohnter Art und Weise stattfinden können. Selbst unter Einhaltung strenger Hygienemaßnahmen wäre angesichts der aktuellen Corona-Situation ein persönliches Treffen der 80 bis 100 Teilnehmer in Unterhub im Allgäu mit einem viel zu großen Risiko verbunden gewesen. Das Seminar ganz ausfallen zu lassen, so wie es bereits im März geschehen war, kam diesmal nicht in Frage. Und dann: der zweite Lockdown.
Nachdem der digitale Heimattag an Pfingsten bereits ein voller Erfolg war, entschloss sich der DBJT-Vorstand, das Brauchtumsseminar 2020 ebenfalls ins Internet zu verlegen. Während der DBJT-Mitgliederversammlung Mitte Oktober gab es dann auch einen regen Austausch darüber, wie das Programm aussehen sollte. Ideen wurden gesammelt, offene Fragen geklärt und anstehende Aufgaben besprochen. Das Programm sollte zwar abwechslungsreich und vielfältig sein, doch sollte es keine zweistündige Liveübertragung geben wie zum Heimattag. Stattdessen wollte man einzelne Workshops zu verschiedenen Themen anbieten, die über den Tag verteilt auf dem YouTube-Kanal der DBJT freigeschaltet werden sollten. Wichtig: Die Workshops sollten möglichst viele Mitglieder und Zuschauer ansprechen.
Ein Tanzseminar war klar, die typisch banatschwäbische Küche durfte nicht fehlen. Auch ein Handarbeitsvideo sollte es geben. Und warum nicht auch etwas Neues versuchen, das so in Unterhub vielleicht gar nicht möglich gewesen wäre. Schnell war man sich einig. Jetzt hieß es, die Programmpunkte vorzubereiten oder, wenn nötig, in kurzen Videos – sie sollten nicht länger als 20 Minuten sein – umzusetzen. Kreativität und Einfallsreichtum waren dabei keine Grenze gesetzt.
Spieleabend und Podcast „Gredlhingl un Hanslkokosch“
Am Freitag, dem 6. November, um 19 Uhr ging es endlich los. Erster Programmpunkt war ein gemeinsamer virtueller Spieleabend auf der Onlineplattform Discord. Mitspielen konnte jeder, gleich welchen Alters, generationsübergreifend. Über 30 Menschen aus ganz Deutschland nahmen gleichzeitig daran teil. Ob elf oder 80 Jahre alt, gespielt wurde gemeinsam unter anderem „Scrabble“, ein Brettspiel, bei dem aus zufällig gezogenen Buchstaben Wörter gelegt werden mussten, oder das Strategiespiel „Among Us“, wozu es zu Beginn eine Einführung gab. Das Schöne daran: Seitdem gibt es regelmäßige Onlinetreffen am Freitagabend, beispielsweise, um gemeinsam Karten zu spielen.
Um 20.30 Uhr folgte dann auf dem YouTube-Kanal (DBJTube) ein Liveauftritt des DBJT-Bundesvorsitzenden Patrick Polling und seiner Stellvertreterin in Bayern Sandra Keller mit ihrem Podcast „Gredlhingl un Hanslkokosch“. Erstmals saßen sich die beiden dabei auch persönlich gegenüber. Bisher sprachen sie immer übers Telefon miteinander. Für den ersten gemeinsamen Liveauftritt hatten sie sich deshalb zwar ein kurzes Themenkonzept überlegt, wollten jedoch auch ganz spontan auf die eingehenden Kommentare ihrer Zuschauer reagieren können. Sie nutzten die Gelegenheit, um über die Aktivitäten und die Arbeit der DBJT der vergangenen drei Jahre zu sprechen. Und rückblickend gab es so einiges zu erzählen. Ob Sportfest, Zeltlager, Brauchtumsseminare, Heimattage oder die Reise zu den Folkloretagen nach Prag, es war viel passiert. Und wie die Kommentare der Zuschauer zeigten, schwelgten dabei nicht nur Sandra und Patrick in Erinnerungen. Außerdem sprachen die beiden über aktuelle Themen, erzählten sich Witze oder hatten lustige Spiele vorbereitet. Ihre Zuschauer konnten währenddessen live Fragen stellen, kommentieren und mitdiskutieren. Auch Anita Maurer, Vorsitzende der HOG Schöndorf, war live dabei. Für sie war die Teilnahme am Brauchtumsseminar eine Premiere. Bisher hatte es sich einfach nicht ergeben, doch hatte sie schon viel darüber gelesen, Fotos oder Videos gesehen. Auf die Frage, wie sie denn den Podcast fand, war ihre Antwort eindeutig: „Einfach toll, wie locker und flockig Patrick und Sandra das machen. Den Podcast habe ich schon mehrmals verfolgt. Die Idee – einfach am Puls der Zeit, echt gut gemacht, nicht langweilig oder ermüdend.“
Fitnessübungen, Flyergestaltung und Häkeln
Samstagmorgen und damit der zweite Seminartag startete mit dem Video „Fit in den Tag“. Zunächst zeigte DBJT-Mitglied Klaus Weber einige Qigong-Übungen. Darunter verstehe man, so Klaus, Meditations- und Bewegungsübungen, die aus der traditionellen chinesischen Heilkunde stammen. In China sollen sie den Menschen dabei helfen, fit in den Tag zu starten. Klaus empfahl deshalb, die Übungen früh morgens noch vor dem Frühstück zu machen. Wichtig sei, die Bewegungen fließend und ohne Hektik durchzuführen und dabei ruhig und gleichmäßig zu atmen.
Wer es etwas flotter mochte, konnte seinen Tag mit den Fitnessübungen von Julia Polling, Beisitzerin im DBJT-Vorstand, und ihrem Mitbewohner Leon beginnen. Zu schneller und rhythmischer Musik zeigten sie Übungen für Bauch, Beine, Rücken und Po und brachten beispielsweise mit Hampelmann-Sprüngen und Liegestützen den Kreislauf ordentlich in Schwung.
Im Anschluss folgte ein Webinar zur „Flyergestaltung mit PowerPoint“. In dem knapp einstündigen Workshop zeigte Lukas Krispin, stellvertretender Bundesvorsitzender der DBJT für Baden-Württemberg, Schritt für Schritt, wie man schnell und einfach einen Flyer für die nächste Veranstaltung gestalten kann. Das Beste daran: Jeder Workshop-Teilnehmer konnte, wenn er das Programm PowerPoint geöffnet hatte, alles direkt am heimischen Computer ausprobieren. Lukas hatte dazu seinen Bildschirm für alle sichtbar geteilt. Dadurch wurde jeder einzelne Handgriff und Klick, den Lukas im Programm tätigte, nachvollziehbar. Am Ende des Webinars hatte dann jeder seinen eigenen Flyer vorliegen. Andrea Kielburg, Beisitzerin im DBJT-Vorstand, probierte es aus und war begeistert. Eine Wiederholung des Seminars ist nicht ausgeschlossen.
Parallel dazu startete das Video „Häkeln eines Dreieckstuchs“ von und mit Rosi Petla aus Reutlingen. Dazu animiert hatte sie ihre Tochter Melinda Petla, stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbandes Reutlingen und Leiterin der dortigen Trachtentanzgruppe. Rosi erklärte Schritt für Schritt, wie mit Hilfe einer Häkelnadel, Wolle und vor allem Spaß ein solches Schultertuch entsteht. Ein bisschen Geduld gehöre natürlich auch dazu, denn es dauere schon ein Weilchen, bis es fertig sei. „In meiner Jugend nannten wir dieses Umhängetuch übrigens ‚Pitzko‘“, erzählte die aus Bakowa stammende Rosi. Ihre Art zu erklären kam bei den Zuschauern richtig gut an. Doch nicht nur das, vielmehr wurden einige sogar so davon inspiriert, dass sie sofort mit einem Probestück anfingen und am nächsten Werktag Wolle für ein ganzes Schultertuch gekauft haben. So auch Andrea Kielburg. Die 23-Jährige hatte letztmals in der vierten Klasse gehäkelt. Ein Tipp: Für ein etwa 160 x 80 Zentimeter großes Tuch werden 350 bis 450 Gramm Wolle benötigt.
„Hinglpaprikasch“ und „Kerschstrudl“
Aber was wäre das Brauchtumsseminar ohne das gute schwowische Essen? Auf dem Speiseplan standen „Hinglpaprikasch“ mit Mehlknödelchen und frischgebackenem Brot sowie Kerschstrudl. Die dazugehörigen Rezepte wurden vorab auf Facebook, Instagram und der DBJT-Website veröffentlicht. Und so konnte jeder, der die benötigten Zutaten eingekauft hatte, am Samstag live mitkochen und/oder backen.
Los ging’s pünktlich zur Mittagszeit mit dem Video der Tanz- und Trachtengruppe Karlsruhe. Während die Ernestine Jäger und Heidi Müller sich um die Teigwaren, also das Brot und die Mehlknödelchen als Einlage kümmerten, waren die Männer fürs Kochen des typisch banatschwäbischen Hinglspaprikaschs zuständig. Da Vorbereitung ja bekanntlich alles ist, mussten Hubert Jäger und Norbert Müller erst einmal Zwiebeln und Kartoffeln schälen. Der Spaß durfte dabei natürlich nicht zu kurz kommen und so ließen es sich die beiden Köche nicht nehmen, sich für diese nach eigener Aussage minderwertigen Arbeiten zunächst mit einem Schluck Bier zu stärken. So gehe die Arbeit schließlich leichter von der Hand. Interessant übrigens, welche Fingerfertigkeit Norbert dabei zeigte. Er schälte die Kartoffeln so geschickt, dass die Schale jeweils komplett in einem Stück erhalten blieb und das, obwohl er letztmals während seines Militärdienstes Kartoffeln schälen musste. Damit das „Hinglpaprikasch“ aber so richtig gut gelingt, gaben die beiden Köche den Zuschauern und Nachkochern noch einige Tipps mit an die Hand. Erstens, die Richtung beim Anschwitzen der Zwiebeln sei sehr wichtig, der Kochlöffel müsse immer im Uhrzeigersinn gedreht werden. Zweitens, Schnaps dürfe bei „de Schwowe nit fehle“, er werde zur Stärkung der Köche benötigt. Ramona Kiefer, Beisitzerin im DBJT-Vorstand, wagte den Versuch, war live dabei und kochte mit. Als besonderen Vorteil empfand sie dabei die Möglichkeit, das Video zwischendurch mal anzuhalten oder vor- und zurückzuspulen, um bestimmte Teile nochmal genauer anschauen zu können. So war man einerseits live dabei, konnte aber andererseits in seinem eigenen Tempo kochen. Die Mehlknödel seien jedoch eine Herausforderung und für Anfänger nur bedingt geeignet. Etwas Kocherfahrung solle man dafür schon mitbringen, so Ramona. Denn was bei Heidi Müller so leicht von der Hand gehe, erfordere dann doch ein wenig Übung. Alles in allem habe sich der Versuch aber gelohnt, denn „wenn man den Mut hat, sich darauf einzulassen, ist es ein enormer Gewinn“, so Ramona resümierend.
Am frühen Nachmittag ging dann das Video-Tutorial „Kerschstrudl backe“ online. Patrick Pollings Oma Elisabeth Schöps zeigte Schritt für Schritt, wie aus Eiern, Butter, Zucker, Hefe, Milch und Mehl ein leckerer Strudelteig entstehen und dann nach Herzenslust belegt werden kann. Die Menge der Kirschen sei dabei Geschmacksache, ebenso, ob der Teig zunächst mit Grieß oder mit Kakao und Zucker bestreut werde. Wer es lieber süßer möge, sei mit der Kakaovariante besser beraten. Interessantes Detail: Patricks über 70-jährige Oma ließ den Hefeteig nicht etwa von einer Küchenmaschine durchkneten, vielmehr legte sie selbst Hand an und knetete den Teig mit einem Holzlöffel ordentlich durch. Andrea Kielburg probierte das Rezept aus und so konnte ihre Familie am Sonntag zum Nachmittagskaffee warmen „Kerschstrudl“ genießen.
Flashmob „Jerusalema“ und „Fuchsen“
Tanzbegeisterte und auch diejenigen, die gerne Karten spielen, kamen am Samstagnachmittag auf ihre Kosten. Stefanie Timmler, Mitglied der Trachtentanzgruppe Singen und ebenfalls im Vorstand der DBJT, zeigte die Choreografie zu „Jerusalema“. Dieser Tanz gehe als Flashmob um den Globus und sorge weltweit für Begeisterung. Ob jung oder alt, das Lied bringe Menschen zusammen und zeige, wie Musik und Tanz Menschen verbinden könne, auch oder gerade in solch schwierigen Zeiten wie der aktuellen, erklärte Stefanie und fügte hinzu: „Auch die DBJT möchte Teil dieser großen Bewegung sein“. Das Video, in dem sie zunächst alle Schritte einzeln erklärte und dann die gesamte Choreografie gemeinsam mit Mitgliedern der Singener Tanzgruppe zeigte, entstand glücklicherweise noch vor dem Lockdown. Denn ein Flashmob wirke einfach besser, wenn mehrere Menschen gemeinsam tanzen, so Stefanie.
In dem Video-Tutorial „Fuchsen“ ging es um das im Banat vor allem in Männerrunden beliebte Kartenspiel. Da die Regeln von Dorf zu Dorf variieren konnten, versuchte Patrick Polling, lediglich die Grundzüge des Spiels zu erklären. Kleiner Tipp: Ein Spiel mit einem „eingefleischten Fuchser“ lohne sich auf alle Fälle.
Technik spielt bei „Amore Blue“ nicht mit
Ab 20.30 Uhr ging dann das Gesangsduo „Amore Blue“ live auf Sendung. Das aus Nürnberg stammende Geschwisterpaar Bianca und Patrick Schummer sorgte eineinhalb Stunden für Stimmung und heizte den Zuschauern mit musikalischen Darbietungen ordentlich ein. Ob jung oder alt, jeder war eingeladen mitzutanzen, mitzusingen oder einfach nur zuzuhören und zu genießen. Geplant war eine Liveübertragung, bei der die Musiker nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen sein sollten. Leider lief es nicht so, wie geplant. Bereits im Vorfeld machte die Technik allen Beteiligten einen Strich durch die Rechnung. Gesendet wurde aus dem Aufnahmestudio von „Amore Blue“ im Keller seines Elternhauses. Leider war es trotz mehrerer Versuche nicht möglich, eine stabile Internetleitung aufzubauen. Die Datenraten für Video und Ton waren einfach zu groß. Das Netz brach immer wieder zusammen. Und so wurde aus der geplanten Videoübertragung eine Radio-Livesendung. „Ich war schon etwas enttäuscht, dass man sie nicht sah. So war’s wie Radiohören“, bedauerte Anita Maurer.
Und doch hat sich die Arbeit trotz mancher Rückschläge gelohnt. Das Brauchtumsseminar war ein Erfolg. Durch die Online-Veranstaltung konnten Menschen daran teilnehmen, denen es sonst aus verschiedenen Gründen nicht möglich gewesen wäre. Ob jung oder alt, jeder konnte Teil der DBJT-Gemeinschaft sein.
Die Rückmeldungen waren positiv und ermutigend. „Es war ein tolles Konzept. Sehr schön, dass man sich das Ganze auch immer wieder auf YouTube ansehen kann“, resümierte Anita Maurer und ergänzte: „Wahrscheinlich hätte sich für mich die Möglichkeit, in Unterhub dabei zu sein, nie ergeben. Doch dieses Jahr war und ist alles anders und das bietet vielleicht in gewissen Dingen auch Vorteile.“ Und dennoch könne eine solche Online-Veranstaltung eine Präsenzveranstaltung vor Ort mit all den sozialen Kontakten, Gesprächen und Umarmungen niemals ganz ersetzen. Es sei eine sehr gute Alternative, damit man den Draht zueinander nicht ganz verliere, betonte sie und fügte hinzu: „Hoffen wir auf etwas mehr Normalität, damit wir unsere Bräuche bald wieder in gewohnter Weise weiterpflegen können“.
Auch DBJT-Vorstandsmitglied Andrea Kielburg zog eine positive Bilanz. Und doch schrieb sie sich eins auf die Agenda. „Beim nächsten Mal wünsche ich mir mehr Möglichkeiten der Interaktion während der Workshops. So könnten junge oder neue Mitglieder besser integriert und mit einbezogen werden.“
An dieser Stelle gilt ein Dank all denen, die alles dafür getan haben, dieses Seminar zu einem besonderen Erlebnis werden zu lassen. Denn, so fasste Patrick Polling zusammen, „all das kann nur funktionieren, wenn eine gute Zusammenarbeit im Vorstand, aber auch mit den Mitgliedern besteht. Denn ohne sie, ohne ihre Ideen, ihre aktive Teilnahme, ohne ihrer aller Unterstützung wäre ein solches Seminar nicht umsetzbar, wäre das alles nicht möglich gewesen. Und gerade dieser Zusammenhalt ist in solchen Zeiten wie den jetzigen so wichtig. Es war zu spüren, dass wir füreinander da sind.“