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Brauchtumspflege auch in schwierigen Zeiten

Trachtenträger aus Crailsheim, Esslingen, Göppingen, Karlsruhe, Mannheim, Singen und Tuttlingen/Spaichingen präsentierten auf dem Rathausplatz zur Musik der „Original Banater Schwabenkapelle“ aus Göppingen drei Gemeinschaftstänze, die coronabedingt neu choreographiert wurden.

Der Trachtenumzug fiel diesmal zwar kleiner aus, doch ein Blickfang waren die schmucken banatschwäbischen Trachten allemal.

Am Banater Denkmal in der Mörikeanlage legten der Landesverband Baden-Württemberg und der Generalkonsul Rumäniens in Stuttgart Kränze nieder. Fotos: Cornel Simionescu-Gruber

Bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein wurde die Hohenstaufenstadt Göppingen am 4. Oktober 2020 Schauplatz eines besonderen Trachtenfestes. Wo, wenn nicht hier, in der Patenstadt der Banater Schwaben, sollte die erste Präsenz-Veranstaltung des Landesverbandes Baden-Württemberg nach dem Corona-Lockdown im März stattfinden. Um es mit den Worten des Landesvorsitzenden Richard S. Jäger zu sagen, war dieses Trachtenfest ein erster kleiner Lichtblick, dass sich das Verbandsleben wieder vorsichtig entfalten könne. „2020 ist für alle ein schwieriges Jahr, alle mussten lernen, mit einer neuen Gefahr, einer Pandemie, verantwortungsvoll umzugehen und dennoch die unverzichtbaren Begegnungen und das kulturelle Leben, das für die Gemeinschaft der Banater Schwaben so wichtig ist, wieder aufleben zu lassen.“

Das Organisationsteam hatte lange mit sich gerungen, ob diese Veranstaltung überhaupt stattfinden könnte und sollte. Großes Glück also, dass die Stadt Göppingen die Veranstaltung genehmigte. In seiner Begrüßung bedankte sich der Vorsitzende Richard S. Jäger deshalb ganz herzlich bei der Stadtverwaltung Göppingen und besonders bei Oberbürgermeister Guido Till, die das Organisationsteam bei der Planung und Absicherung der Veranstaltung unbürokratisch und tatkräftig unterstützt hatten. Er betonte dabei die Herzlichkeit, die den Banater Schwaben entgegengebracht werde. Dies zeige, wie gut aufgehoben sie in ihrer Patenstadt Göppingen seien.

Startpunkt der Veranstaltung war das Heimatmuseum im Alten Kasten in der Schlossstraße. Von hier aus zogen die Trachtenpaare in ihren schmucken banatschwäbischen Trachten, begleitet von der „Original Banater Schwabenkapelle“ aus Göppingen und vielen Schaulustigen, durch die Straßen Göppingens bis zum Rathaus. Hier begrüßte Richard Jäger die Ehrengäste, allen voran den Oberbürgermeister der Stadt Göppingen Guido Till sowie den Leiter der Hauptverwaltung Willi Schwaak.

„Viel Gäscht – viel Ehr“: Grußworte der Ehrengäste

In seinem Grußwort hob Oberbürgermeister Till dann nochmals die besondere Verbundenheit mit den Banater Schwaben hervor. Die Banater Schwaben und die Göppinger seien nicht etwa zusammengewachsen, vielmehr hätten die Banater Schwaben nach dem Krieg und später alle Kraft gegeben, die Stadt Göppingen gemeinsam zu entwickeln und aufzubauen. Und das sei das Allerwichtigste. In Göppingen träfen viele verschiedene Kulturen aufeinander, das mache den Facettenreichtum und damit auch den kulturellen Reichtum dieser Stadt aus. „Bleiben Sie Banater Schwaben, das ist gut so“, lautete der Appell des Oberbürgermeisters.

Besonders erfreut war der Landesvorsitzende, dass er Generalkonsul Radu Florea vom rumänischen Generalkonsulat in Stuttgart begrüßen konnte. Denn es zeige die besondere Verbundenheit der Banater Schwaben zu ihrem Herkunftsland. Der Generalkonsul fühlte sich seinerseits geehrt ob der Einladung und betonte, er übertreibe nicht, wenn er behaupte, dass Rumänien stolz darauf sei, die Gemeinschaft der Banater Schwaben beheimatet zu haben und diejenigen, die heute noch dort leben, beheimaten zu dürfen. Auch wenn dieser Stolz in früheren Zeiten, gemeint seien damit die düsteren Jahre vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Wende von 1989, nicht zum Ausdruck gebracht werden konnte. Jene Zeiten gehörten aber der Vergangenheit an, so Generalkonsul Florea.

Ein herzliches Willkommen galt auch Hartmut Liebscher, dem stellvertretenden Landesvorsitzenden und Landesgeschäftsführer des Bundes der Vertriebenen Baden Württemberg (BdV). Denn, dass die Anliegen der Landsmannschaft auch auf politischer Ebene Gehör finden, dafür sorge auch der Bund der Vertriebenen. Liebscher zeigte sich in seinem Grußwort sehr erfreut darüber, dass die Banater Schwaben es gewagt hatten, diese Veranstaltung durchzuführen. „Videokonferenzen oder der digitale Heimattag an Pfingsten können diese persönlichen Begegnungen, diese sozialen Kontakte bei weitem nicht ersetzen. Es ist ein Ersatz und eine sicher wichtige Ergänzung dazu. Aber das Original ist und bleibt die persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch, darum kann ich Sie auch nur bestärken, bei allen sicherlich noch notwendigen Vorsichtsmaßnahmen gegen dieses heimtückische Virus ihre Begegnungen und Treffen wieder aufzunehmen.“

Freudig begrüßt wurden auch der Bundesvorsitzende der Banater Jugend- und Trachtengruppen (DBJT) Patrick Polling und sein Stellvertreter in Baden-Württemberg Lukas Krispin. „Die Jugend ist unsere Zukunft“, so Jäger und so sei die Jugendarbeit das wichtigste Anliegen, es müsse alles daran gesetzt werden, die Jugendarbeit zu fördern und das kulturelle Erbe an die nächste Generation weiterzugeben. Patrick Polling zeigte sich zuversichtlich. Dieses Trachtenfest sei ein schönes Zeichen, trotz aller Umstände. Die Veranstaltung zeige, „dass wir Banater Schwaben zusammenhalten und gemeinsam für den Erhalt der Kultur einstehen. Es ist ein schönes Gefühl, Teil einer solchen Gemeinschaft zu sein und gerade in dieser Zeit ist die Gemeinschaft das wichtigste, was die Menschen haben“, betonte Polling.

Begrüßt wurde auch Theresia Teichert, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten das Heimatmuseum der Banater Schwaben, die Heimatstube im Alten Kasten, leitet und betreut. „Es ist ein Kleinod, ein Juwel, das wir hier geschaffen haben, das wir weiter ausbauen und zukunftsweisend weiterführen wollen“, betonte der Landesvorsitzende. Eine besondere Freude war es dem Landesvorsitzenden, Elisabeth Mersch, Tochter des vor wenigen Monaten verstorbenen ehemaligen stellvertretenden Landes- und Bundesvorsitzenden und jahrzehntelangen Göppinger Kreisvorsitzenden Hans Mersch begrüßen zu dürfen. Hans Mersch sei ein Urgestein in der Landsmannschaft gewesen, erklärte Jäger. Seine großen Leistungen, sein brückenschlagendes Wirken, seine Redegewandtheit, seine Liebe zur alten und zur neuen Heimat und vor allem seine Verbundenheit zu seinen Banater Landsleuten sollten Ansporn und Vermächtnis sein. Herzlich begrüßt wurden auch Vertreter der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn, Vertreter des Bundesvorstandes, allen voran Werner Gilde, Vertreter des Landesvorstandes und der 19 Kreisverbände in Baden-Württemberg.

Abwechslungsreiches Programm

Ein besonders herzliches Willkommen galt den Trachtenträgern aus Crailsheim, Tuttlingen, Esslingen, Konstanz-Singen, Karlsruhe, Mannheim und Göppingen. Denn: „Was wäre ein Trachtenfest ohne Euch, was wäre ein Banater Fest ohne unsere schönen Trachten und ohne Tanz? Ihr bereichert heute unser Fest, Ihr seid heute die Hauptdarsteller und unser ganzer Stolz“, betonte Jäger und übergab das Wort an Lukas Krispin, der die Moderation des folgenden Programms übernahm.

Lukas Krispin, selbst aktives Mitglied in der Jugendtanzgruppe des Kreisverbands Esslingen, erklärte: „Ich habe mich die letzten Tage auf den Tanz und die Blasmusik gefreut und kann es kaum erwarten, unsere Tänze und Trachten nach fast einem Jahr wieder vor Publikum zu präsentieren.“ Gezeigt wurden dann drei Gemeinschaftstänze, die normalerweise bei Großveranstaltungen der Banater Schwaben von bis zu 200 Paaren gemeinsam getanzt werden. Die Tänze – die Polka „Mein Banater Land“, der „Kathiländer“ und die Polka „Veilchenblaue Augen“ – wurden dafür übrigens extra Corona-konform neu choreographiert. Doch es wurde nicht nur getanzt. So trugen Tanzgruppenmitglieder Gedichte vor, die sich mit der Geschichte, dem Brauchtum oder dem Leben der Banater Schwaben beschäftigten. Der „Banater Schwabenzug“, vorgetragen von Patrick Polling, oder das „Schwowe-Schicksal“, vorgetragen von Erich Furak, stellvertretender Landesvorsitzender und Vorsitzender des Kreisverbandes Crailsheim-Aalen-Schwäbisch Hall, erzählten die Geschichte der Banater Schwaben in aller Kürze. Angefangen vom Auszug ins Banat auf der Ulmer Schachtel, dem arbeitsreichen Leben in der neuen Heimat, Zeiten von Krieg, Verschleppung und Enteignung bis hin zur Auswanderung zurück ins Mutterland nach Deutschland. Passend dazu erzählte Theresia Jäger aus Mannheim die Geschichte der Auswanderer aus Lothringen. Sie selbst, Nachfahrin einer der ersten Siedler aus Lothringen, wollte damit an das verborgene Erbe und die vergessenen lothringischen Wurzeln und an das Pionierleben der lothringischen Siedler in Südosteuropa erinnern. Werner Gilde, Mitglied im Bundes- und Landesvorstand sowie Vorsitzender des Kreisverbands Karlsruhe, trug das Gedicht „Oweds am Brunne“ vor. Es erzählt von der schönen Erinnerung an die Vergangenheit, von Herzklopfen, Liebe und Sehnsucht.
Elwine Muth, Ansprechpartnerin der AG Tracht bei der DBJT, gab einen kurzen Überblick über die Tracht der Banater Schwaben, die ein wesentlicher Bestandteil des sachlichen Kulturgutes ist. Jede Volkstracht ist im Schnitt und Material den Beschäftigungen der sozialen Gruppe angepasst, die sie geschaffen hat und trägt; sie ist, wie Sprache und Sitten, Erkennungszeichen des Volkes. Tracht tragen heißt Bekenntnis zur Gemeinschaft, zum Volksstamm und ist ein äußeres Zeichen der Verbindung von Sitte und Brauchtum. Ob und wie wichtig der Rosmarin (Rosmarein) für die Banater Schwaben ist, erklärte Roswitha Csulits vom Kreisverband Göppingen. Im täglichen Leben der Banater Schwaben und bei besonderen Anlässen spiele der Rosmarin eine besondere Rolle. Denn als Symbol für Leben und Freude, aber auch für die Trauer begleite er die Banater Schwaben von der Geburt bis zum Tod. Als kleine Erinnerung an die Veranstaltung erhielten die Ehrengäste deshalb einen Apfel mit einem Rosmarin-Zweig darin. Das Gedicht „Mei Sproch“, vorgetragen von Horst Redl, Vorsitzender des Kreisverbandes Konstanz-Singen, thematisierte die Sprache der Banater Schwaben: „Donaudeitscher, Donauschwob, / wer hat wenn vorwärts g’schob? / Bleibt des aa noch lang im Streit, / sem’mer doch nor deitschi Leit. / Un in alli Welt verstraut, bleibt die Sproch uns doch vertraut.“

Einen kleinen Ausschnitt ihres Repertoires zeigte die „Original Banater Schwabenkapelle“ aus Göppingen unter der Leitung von Peter Pohl. Zudem war es eine besondere Leistung, innerhalb weniger Wochen, unter Einhaltung aller Abstands- und Hygieneregeln, Musikstücke neu einzuüben und dieses Fest mitzugestalten.

Kranzniederlegung am Banater Denkmal

Bei solch einem schönen Trachtenfest sei es auch wichtig, der Toten zu gedenken, so Richard S. Jäger. So zogen Trachtenträger, Ehrengäste und Zuschauer, begleitet von Blaskapelle und Polizeieskorte, in einem Festumzug vom Marktplatz zum Denkmal für die Banater Schwaben, um dort aller Verstorbenen zu gedenken. Gedacht wurde besonders derer, die an Corona erkrankt waren und gestorben sind, aber auch derer, die vor 75 Jahren Opfer der Deportation in die Sowjetunion wurden. 2021 jährt es sich zum 70. Mal, dass Banater Landsleute in den Bărăgan verschleppt wurden, auch ihrer wurde gedacht. Als Zeichen der Verbundenheit legte Generalkonsul Radu Florea für Rumänien einen Kranz am Denkmal nieder.

Elisabeth Mersch hielt eine kurze Ansprache in Erinnerung an ihren verstorbenen Vater, den sie mit den Worten zitierte: „Lasst Brückenbauer uns im besten Sinne sein, Europa bauen für den Frieden, lasst Freunde uns mit allen Völkern sein und dennoch unsere Heimat lieben“. In dieser Überzeugung habe Hans Mersch 1996 seine Landsleute zur Einweihung des von dem Banater Künstler Ingo Glass geschaffenen Denkmals eingeladen. In seiner Festansprache habe Mersch die enge Beziehung zwischen der jüngsten Geschichte und dem Schicksal der Banater Schwaben unterstrichen. Das Denkmal solle Ausdruck der Verbundenheit der Banater Schwaben mit dieser Geschichte sein und ganz besonders ein Symbol der Verbundenheit mit den Toten in der alten und neuen Heimat.

Für Elisabeth Mersch steht das Denkmal für den Blick in die Vergangenheit. Es sei aber auch eine Aufforderung an die jetzt lebende Generation der Banater Schwaben, an die Kinder- und Enkelgeneration, sich ihrer Geschichte und ihres Brauchtums zu erinnern. Deshalb ihr Appell: „Pflegen Sie Ihr Brauchtum! Es ist ein wertvoller Schatz. Nur wer seine Geschichte kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.“