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Familie, Beruf und Freizeit in der aktuellen Lage

Roter Klatschmohn auf einem Feld in Deutschland Foto: Melitta Lismann

Die Corona-Pandemie scheint das Beste und das Schlechteste im Menschen hervorzubringen. Einer Studie der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin zufolge hat die Pandemie nicht nur gesundheitliche, wirtschaftliche und psychische Auswirkungen, sondern auch soziale, die auch nach Beendigung der Krise nachwirken können. Trotz der empfundenen Gefährlichkeit des Virus sei nicht die Angst vor Ansteckung und Erkrankung das größte Problem, sondern die Existenzbedrohung. Bei den Menschen herrschten mehr wirtschaftliche als gesundheitliche Befürchtungen vor.

Unübersehbar sind auch die negativen Auswirkungen der sozialen Isolation auf den Einzelnen. Wir Menschen sind keine Einzelgänger, wir sind von Natur aus soziale Wesen und brauchen die Kontakte zu unserem Umfeld. „Homeoffice, soziale Isolation und Ausgangssperren widersprechen dem Wesen des Menschen“, erklärte Psychologie-Professor Jürgen Margraf im Interview mit der Tagesschau.

Wir Banater Schwaben haben in der kommunistischen Diktatur zwar einiges erlebt, erlitten und erduldet, jedoch ist das mit der aktuellen Krisensituation nicht vergleichbar. Es war mir ein Anliegen, bei den Frauen, die ein Ehrenamt in unserer Landsmannschaft innehaben, nachzufragen, wie es ihnen in dieser außergewöhnlichen Situation ergeht, wie sie im Einzelnen damit umgehen. Wir kennen diese Frauen nur als Vorsitzende oder Vorstandsmitglieder unserer Gliederungen, doch hinter jeder Funktion verbirgt sich ein Mensch. Da unsere landsmannschaftlichen Aktivitäten durch Kontaktbeschränkungen und andere Auflagen zurzeit lahmgelegt sind, war es mir ein Bedürfnis, auch mal hinter die Kulissen zu schauen und die Frau hinter der Funktion zu Wort kommen zu lassen.

 

Trauer und Lichtblicke am „Corona-Himmel“

Ingrid Röhrich, Vorsitzende des Kreisverbandes Rems-Murr, stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes Baden-Württemberg und stellvertretende Vorsitzende der HOG Deutschbentschek, teilte mit: „Vor Ausbruch der Corona-Pandemie hatten wir fast keine Arbeit. Danach hat sich das schlagartig geändert. Wir montieren und verpacken nämlich im Auftrag einer bekannten internationalen Firma. Meine Eltern stellte ich unter häusliche Quarantäne und versorge sie mit allem, was sie benötigen. Dazu kam, dass wir meinen alten, alleinstehenden Onkel tot in der Wohnung in Karlsruhe aufgefunden haben. Da ich im Besitz einer Generalvollmacht war, musste ich mich um alles kümmern und die Urnenbestattung organisieren. Und da fingen die Probleme an. Nur telefonisch beziehungsweise auf dem Postweg konnte ich fast alles erledigen. In der Kapelle durften nur fünf Personen zugegen sein und am Grab zehn Personen, natürlich mit gebotenem Abstand. Da muss man schon überlegen, wer dabei sein darf und wer nicht. Es ist schon traurig, wenn nichts mehr normal abläuft. Eine schöne Sache gab es aber auch: Meine Nichte bekam Ende März einen kleinen Jungen. Ein hoffnungsvoller Lichtblick am „Corona-Himmel“.

Sonderschichten als Krankenschwester

Edda Bingert, Vorstandsmitglied der HOG Blumenthal-Fibisch, schrieb: „Ich schiebe zusätzlich noch Sonderschichten, denn für Krankenschwestern gibt es keine Quarantäne, außer man wird positiv getestet. Selbst als Kontaktperson zu einem positiv getesteten Angehörigen, muss man bei uns arbeiten, solange man symptomfrei ist. Wir haben ein ganzes Stockwerk freigeräumt für Covid19-Patienten, dabei war nicht einmal die vorhandene Isolierstation voll belegt. Gott sei Dank kann man dazu sagen. Aber trotzdem gab es für uns in dieser schweren Zeit Arbeit genug, obwohl Elektiveingriffe (planbare OPs) verschoben wurden. In unserer knapp bemessenen Freizeit kümmern mein Mann (der als Hausmeister auch nicht von zu Hause aus arbeiten kann) und ich uns noch um unsere zwei Enkelkinder Fabian und Isabell, damit unsere Tochter den Kopf für ihre Homeoffice-Tätigkeit frei hat. Aber bei aller Liebe zu ihnen erwarten auch wir sehnlichst die Wiedereröffnung der Schulen und Kindergärten, damit es für alle entspannter wird. Die Pflege meiner Schwiegermutter ist etwas Alltägliches. Wenn dann abends noch etwas Zeit ist, gehen wir spazieren oder schauen uns bei YouTube Videos von Banater Veranstaltungen an, hauptsächlich jene von Brunhilde Forro, und sagen uns: ‚Schön war’s. Wird es jemals wieder so werden?‘“

Im Einzelhandel ist man zurzeit gefordert

Zurzeit sei das Arbeiten im Einzelhandel sehr schwierig, erzählt Christine Weber, stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbandes Rems-Murr und stellvertretende Vorsitzende der HOG Hellburg/Galscha. „Die ersten Wochen waren mehr als anstrengend. Die Kunden waren im Kaufrausch, die Nachfrage nach Toilettenpapier, Mehl und Dosengerichten war riesig. Wir standen vor leeren Regalen. Kunden beschimpften uns, weil wir unfähig seien, die fehlenden Waren zu bestellen. Sie waren teils sehr aggressiv und nahmen überhaupt keine Rücksicht auf uns. Sie beschimpften einander an der Kasse, einmal musste sogar die Security mit Pfefferspray eingreifen und die Polizei dazu holen. Es gab vereinzelt auch nette Kunden, die sich bei uns bedankten, dass wir für sie arbeiten. Zurzeit wird am Eingang der Einlass von der Security geregelt. Maximal fünfzig Personen dürfen sich im Laden aufhalten. Einen Engpass gibt es derzeit bei Hefe, ansonsten ist alles vorrätig. Das Arbeiten mit Mundschutz strengt an und erschwert die Arbeit. Wir geben jedoch jeden Tag unser Bestes und hoffen, dabei gesund zu bleiben.

Wir versuchen, das Beste aus der Situation zu machen

Melitta Krämer, Vorsitzende der HOG Perkos, schreibt: „Ich bin bei der Stadt Sindelfingen als Hausmeisterin angestellt und zuständig für die Turn- und Festhalle. Am 7. und 8. März hatte ich noch Veranstaltungen und eine Woche später wurde alles abgesagt, mittlerweile bis Ende August. Im Moment baue ich noch Überstunden ab. Irgendwann wird dann Kurzarbeit kommen. Mein Mann ist bereits in Kurzarbeit und auch die Kinder sind zu Hause. Zum Glück sind sie erwachsen, was aber nicht heißt, dass sie keine Probleme haben. (Der Ältere hat sein Studium gerade abgeschlossen, die Jüngere hat im Herbst eine Ausbildung begonnen.) Mir persönlich macht die Corona-Pandemie sehr zu schaffen. Und ich weiß auch nicht, wem man noch glauben soll. Wir versuchen das Beste daraus zu machen, kochen und essen zusammen. Mein Mann und ich sind auch oft im Garten.“

Homeschooling ist eine Belastung für alle

„Ich finde es eine wunderbare Idee von Dir, einfach mal nachzufragen, was in dieser Zeit die Menschen so bewegt, was sie tun und vor allem, wer um seinen Job bangen muss“, schreibt Ingrid Dosch, stellvertretende Vorsitzende der HOG Jahrmarkt.

„Es hat sich von jetzt auf nachher fast alles und sehr schnell verändert. Ich persönlich finde diese Zeit etwas anstrengend. Vor allem, weil mein Kind Homeschooling hat. (...) Man muss die Kinder motivieren und auch Struktur in den Alltag bringen. Wir halten es zu Hause so, als gäbe es jeden Tag Schule. Das heißt: Um 7.30 Uhr aufstehen, frühstücken, anziehen, Zähne putzen und ab an den PC.

Ich arbeite im öffentlichen Dienst in Stuttgart-Freiberg und seit der Geburt unseres Sohnes nur noch an zwei Tagen in der Woche. Aber die ganzen Homeoffice-Stellen können jetzt schon nicht mit den verfügbaren PCs ausgestattet werden. Donnerstags ist für mich der Horror-Tag, denn ich bin dann bis ca. 19 Uhr oder später im Geschäft. (....) Freitags nimmt mein Mann einen Tag Urlaub, sodass ich dann einen normalen Arbeitstag habe.

Am Wochenende ist immer noch Nachlernen angesagt, denn es ist unheimlich viel. Die Lehrer denken, sie können einfach so den Stoff durcharbeiten. Und dann gibts da immer noch die Abgabefristen für die Arbeitsblätter, man kann es also nicht auf die lange Bank schieben.

Trotz allem bin ich der Meinung, dass wir es sehr gut haben. Ich denke da immer an die Menschen, denen nicht viel Geld zur Verfügung steht und sich durchkämpfen müssen. Mit der Corona-Krise kam ein zusätzliches Problem auf sie zu.“

Radeln als Ausgleich zum Homeoffice

Es sei eine gute Idee, über diese Zeit und die Menschen zu schreiben, meint Anita Maurer, Vorsitzende der HOG Schöndorf und HOG-Sprecherin im Bundesvorstand. „In dieser Daheimbleib-Phase tut man Dinge, die man normalerweise aufgeschoben hätte, zum Beispiel Aufräumen oder in Ecken herumstöbern. Es fallen einem Dinge in die Hand und im Kreise der schwowischen Hausgemeinschaft führt das zu Redebedarf. Man erinnert sich gemeinsam an das damit verbundene Erlebnis, an früher und bei uns somit auch gleich ans Banat. Erstaunlicherweise hat meine Oma immer wieder Geschichten auf Lager, die ich noch nicht gehört habe. Für mich ist das eine Bereicherung. Von meinen noch lebenden Großelternteilen – Oma ist 84 und der andere Opa 89 – sage ich immer, das seien meine ‚lebenden Geschichtsbücher‘. Beide sind Gott sei Dank fit, voll da und wissen unheimlich viel von früher.

Thema war zum Beispiel auch, wie das damals 1944/45 im Banat war mit der Schule, als es auf einmal keinen Unterricht mehr gab in deutscher Sprache. In diese Situation sind nun auch die Kinder heute geraten. Mein Opa war 1944 14 Jahre alt und in der „Adam-Müller-Guttenbrunn-Schule“ der Deutschen Volksgruppe. Nach dem Ende des Schuljahres 1943/44 gingen die Schüler auseinander und kamen nie mehr zusammen. Der Traum meines Opas, Bauer zu werden, war von heute auf morgen verflogen. Mit 14 Jahren erlebte er Flucht, Kriegsende, Enteignung und war auf einmal perspektivlos.

Meine Oma war damals neun Jahre alt. Sie hatte bis zum Umsturz 1944 die deutsche Volksschule besucht, aber im Schuljahr 1944/45 gab es in Schöndorf keine deutsche Klasse mehr. Unter diesen Umständen gingen die deutschen Kinder entweder in die rumänische Schule oder sie pausierten ein Jahr. Im Folgeschuljahr gab es dann wieder deutsche Klassen. Meine Oma ging in die rumänische Abteilung und hatte es auf einmal schwer, denn sie musste alles in rumänischer Sprache lernen. Ihre Schulfreundinnen hatten das auch so gemacht. (...)

Nachdem ich, im Gegensatz zu meinen Familienmitgliedern, nicht im Kommunismus aufgewachsen bin, tue ich mir schwer, mich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen. Jetzt heißt es plötzlich: Du musst eine Mundschutzmaske tragen, du darfst nicht reisen oder es gibt etwas nicht im Lebensmittelladen. Für mich schwer vorstellbar, denn ich bin im ‚Schlaraffenland‘ Deutschland aufgewachsen und genoss alle Freiheiten. Ich erinnere mich gerade jetzt an eine Begebenheit aus meiner Kindheit. Als nach der ersten Klasse meine Mutter und der Lehrer merkten, dass ich nicht richtig sehe, gingen wir zum Augenarzt. Und der sagte zu mir: ‚Wenn du eine Brille willst, bekommst du eine‘. Es wurde einem nichts aufgezwungen, nicht einmal dann, als es offensichtlich war, dass ich eine Brille benötigte. Jetzt bin ich fast 40 und es heißt: ‚Du musst dies oder das‘.

Ich lebe mit meiner Mama und Oma in einem Haus und gefühlt waren wir noch nie so lange am Stück nur zu Hause. Ich bin seit über sechs Wochen im Homeoffice, das funktioniert großartig und ich möchte es fast nicht mehr wegdenken. Man arbeitet aber von zu Hause auch mehr als man im Büro machen würde. Man tut es auch gerne, wenn der Beruf Spaß macht und man ja auch sonst nicht viel zu tun hat.

Einen willkommenen Ausgleich zum Alltag bringt mir das Fahrradfahren. Ich hatte ein altes Fahrrad und bin eigentlich nie damit gefahren. Mein Mann hingegen radelte öfters allein mit seinem Mountainbike. Das Radeln als „neues“ Hobby entdeckte ich durch die Tour de Banat, die letztes Jahr von Ernst Bayerle (HOG Bakowa) organisiert wurde. Das war der Ansporn, mir ein zeitgemäßes Fahrrad zu kaufen. So schaffte ich mir ein E-Bike an. Im Nachhinein betrachtet war es eine lohnenswerte Investition. Jetzt ist das Fahrradfahren unsere tägliche Abendbeschäftigung.  Dadurch, dass man jeden Tag draußen ist, erlebt man die Entwicklungen in der Natur ganz anders. Auch ohne Corona-Krise wären wir Fahrrad gefahren, aber sicherlich niemals so viel. Durch die Ausgangsbeschränkungen dürfen wir uns seit sechs Wochen nicht groß bewegen, der Bewegungsradius ist immer der gleiche. Das Gute daran ist, dass wir die Umgebung, in der wir schon seit über 30 Jahren leben, neu beziehungsweise anders kennenlernen.

Ich bin froh, dass wir mit Mama und Oma zusammenleben, da hat man die Liebsten einfach um sich. Dass wir auf dem Land wohnen und in einem Haus mit Garten, weiß ich jetzt noch mehr zu schätzen, zumal man sich doch ein bisschen auf seinem Anwesen bewegen kann.

Allerdings fehlt mir inzwischen der soziale Kontakt erheblich, bedingt auch dadurch, dass wir normalerweise kein Fest und keine Feier ausgelassen haben und wir es gewohnt waren, uns frei zu bewegen und zu reisen wann und wohin wir wollten. Das fehlt uns nun schon. Ich hoffe sehr, dass wir uns demnächst etwas freier bewegen können.

Geplant war eine Reise ins Banat. Dort wollte ich mit meinem Mann auf dem Fahrrad neue Wege und Routen erkunden für die ‚Tour de Banat 2.0‘, die nächstes Jahr stattfinden soll. Nun kam alles anders. Man muss eben das Beste aus der Situation machen, man lernt es irgendwann zu akzeptieren. Das Wichtigste ist und bleibt die Gesundheit, der Wunsch, dass man selbst, die Familienangehörigen und alle im Freundeskreis gesund bleiben.“

Einüben in den bevorstehenden Ruhestand

Gerlinde Gross, Verwaltungsangestellte beim staatlichen Schulamt in Böblingen, ist Vorsitzende der HOG Kleinomor. Sie schreibt: „Ich bin schon seit sechs Wochen vom Dienst freigestellt. Alle über 60 wurden nach Hause geschickt. So traurig die Zeit auch ist, für mich könnte es nicht besser sein. Der Lohn kommt pünktlich aufs Konto und ich übe schon mal, wie es wohl ab Herbst sein wird, wenn ich in den wohlverdienten Ruhestand gehe.

Langeweile hatte ich noch keine. Im Haus und Garten gibt es gerade jetzt, im Frühjahr, genug zu tun. Da ich gerne koche und backe, wird jetzt jeden Tag gekocht, überwiegend ‚Schwowisches‘. Da freut sich mein betagter Vater. Er braucht mich immer mehr.

Da mein Mann ebenfalls zu Hause ist, sind wir bei schönem Wetter mit den Fahrrädern viel unterwegs und genießen die Touren in der Natur.

Karin Ortmann ist Vorstandsmitglied der HOG Orzydorf. Sie arbeitet als Justizangestellte beim Amtsgericht in Fürth und schreibt: „Bei uns am Amtsgericht arbeiten wir nach einem Notfallplan. Ich arbeite nur zwei Tage in der Woche, ansonsten bin ich freigestellt. Der Nachteil dabei ist aber, dass wir die Arbeit von fünf Tagen unmöglich an zwei Tagen schaffen können, denn unsere Rechtspfleger arbeiten fünf Tage die Woche, teilweise im Homeoffice. Ansonsten wird viel im Haus und Garten gemacht, wozu man sonst nicht kommt. Wir gehen viel spazieren gehen und verbringen Zeit mit den Kindern (17 und 21 Jahre). Und an den Wochenenden unterstützen wir die Gastronomie, indem wir uns was zu essen nach Hause holen.

Hermine Gruber, Vorsitzende der HOG Pesak, berichtet: „Ich bin in der Krankenhausapotheke tätig. Wir haben derzeit sehr viel zu tun. Wir stellen Desinfektionsmittel her und kaufen Arzneimittel ein. Es gibt Lieferschwierigkeiten, die dann mit anderen Problemen verbunden sind, zum Beispiel: Wo bekomme ich es anderswo her, wieviel brauche ich überhaupt ganz dringend? Wir unterstützen die Pflegekräfte und räumen Arzneimittel auf den Stationen ein. Zuhause schlüpfe ich dann in die Lehrerrolle. Manchmal ist es der glatte Wahnsinn.“