Vor 30 Jahren, im Dezember 1989, wurde das Ceauşescu-Regime in Rumänien gestürzt, das den Menschen jahrzehntelang ihre Freiheit und zuletzt auch immer mehr die elementaren Lebensgrundlagen entzogen hat. Der Funke des Volksaufstands, der schließlich zum Sturz des Diktators führte, wurde in Temeswar entfacht und so waren auch etliche Banater Schwaben aktiv oder als Zeitzeugen dabei. Atemlos beobachteten die in Deutschland lebenden Landsleute das Geschehen, reagierten auch prompt und dann anhaltend mit Hilfslieferungen, Spendensammlungen und Strukturhilfen. Die Zusammenarbeit zwischen den Banatern „hier“ und „dort“ erhielt eine neue Qualität, Austausch wurde in beide Richtungen möglich. Die Wende in Rumänien führte auch zu einer Wende in der Geschichte der Banater Schwaben, die nun vor der reellen Entscheidung standen, ob sie im Banat bleiben oder nach Deutschland auswandern sollten. Viele saßen eh schon auf gepackten Koffern und entschieden sich für das Gehen. Andere wiederum ließen sich von der in Gang gesetzten Auswanderungswelle mitreißen und verließen ebenfalls das Land. Die „Auswanderungslawine“ in den Jahren 1990-1991 hatte einschneidende Folgen für die Gemeinschaft.
Die 55. Kulturtagung des Landesverbandes Baden-Württemberg, die am 9. und 10. November 2019 im Haus der Donauschwaben in Sindelfingen stattfand, nahm den Jahrestag der Wende zum Anlass, um die Geschehnisse und ihre Auswirkungen auf die Banater Schwaben aus der Distanz von 30 Jahren zu beleuchten. Alle Referenten waren in irgendeiner Weise Zeitzeugen des Geschehens und der weiteren Entwicklungen: Fünf von ihnen lebten zur Zeit der Wende im Banat. Während Luzian Geier, Marius Koity und Hans Vastag in der Folgezeit auswanderten, sind Dietlinde Huhn und Werner Kremm in ihrer angestammten Heimat verblieben. Zwei der Referenten, Uwe Detemple und Manfred Engelmann, lebten 1989 schon in Deutschland.
Zur Eröffnung der gut besuchten Kulturtagung hieß der Vorsitzende des Landesverbandes Baden-Württemberg Josef Prunkl alle Gäste willkommen und begrüßte als Ehrengäste den Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben Peter-Dietmar Leber, den Ehrenbundesvorsitzenden Bernhard Krastl, den Ehrenvorsitzenden des Landesverbandes Bayern und des Hilfswerks der Banater Schwaben Peter Krier, die Kulturreferentin für den Donauraum am Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm Dr. Swantje Volkmann und den Bundesvorsitzenden des Heimatverbandes der Banater Berglanddeutschen Günther Friedmann. Prunkl begrüßte sodann die Referenten und dankte ihnen für die Bereitschaft, ihr Zeitzeugenwissen mit dem Publikum zu teilen. Einen Willkommensgruß richtete er an die anwesenden Mitglieder des Landesvorstandes, Kreis- und HOG-Vorsitzenden. Für die inhaltliche Konzeption und Organisation der Tagung dankte er Halrun Reinholz, die von Landesvorstandsmitglied Hans Vastag unterstützt wurde. Abschließend dankte Prunkl Elisabeth Sterbling, Mitarbeiterin der Landesgeschäftsstelle in Stuttgart, für die organisatorische Arbeit im Vorfeld der Tagung.
Die Revolution in Rumänien im europäischen Kontext
Nach einer kurzen Einführung in das Tagungsthema durch die Moderatorin Halrun Reinholz stellte Hans Vastag die „Revolution“ in Rumänien in den europäischen Kontext. Er gab einen ereigniszentrierten Überblick über die Entwicklungen in den Ostblockstaaten im Wendejahr 1989, die zur Abschaffung der dortigen kommunistischen Systeme führten und den Menschen die lang ersehnte Freiheit brachten. Vastag wies auf die Freiheitsbewegungen vor 1989 in der DDR (1953), in Ungarn (1956), der Tschechoslowakei (1968) und in Polen (1970, 1980) hin, ebenso auf die in der Sowjetunion von Michail Gorbatschow ab 1985 eingeleitete Politik von Glasnost (Transparenz) und Perestroika (Umgestaltung) sowie die sogenannte Sinatra-Doktrin, die es den anderen Ostblockstaaten erstmals erlaubte, eigene Wege zu gehen. Der Referent zeigte auf, wie die Wende vom Kommunismus zur Demokratie in den Ländern Mittel- und Osteuropas verlaufen ist. In Polen und Ungarn, wo die Kommunisten bereits zuvor den Reformprozess eingeleitet hatten, erfolgten die am runden Tisch zwischen Regime und Oppositionellen ausgehandelten Modalitäten eines friedlichen Machtwechsels in Etappen. Vor diesem Hintergrund läutete Ungarn am 27. Juni eine Zeitenwende ein: Die Durchtrennung des Stacheldrahts an der Grenze Ungarns zu Österreich durch die Außenminister der beiden Länder gilt als Symbol für die Öffnung des Eisernen Vorhangs. Im Herbst 1989 folgten die friedliche Revolution in der DDR und der Fall der Berliner Mauer, die Samtene Revolution in der Tschechoslowakei sowie der Sturz des kommunistischen Staats- und Parteichefs Bulgariens. Im Gegensatz zu den anderen Ländern verlief die Revolution in Rumänien im Dezember 1989, die ihren Anfang in Temeswar nahm, blutig.
Zeitenwende 1989 in Rumänien
Als nächster Referent warf Uwe Detemple einen Blick auf das Revolutionsjahr 1989 in Rumänien, das mit dem Sturz des verhassten Ceauşescu-Regimes eine Zeitenwende herbeiführte. Detemple, der sich seit vielen Jahren mit den Ereignissen vom Dezember 1989 auseinandersetzt, hat mehrfach zu dem Thema publiziert, unter anderem das Buch „Mein Rumänien. Revolution & Poesie“ (2008). Im ersten Teil seines Vortrags schilderte er die Lage in Rumänien, wie sie sich ihm im Frühjahr 1989, anlässlich eines Besuchs im Banat, darstellte. Detemple entwarf das Bild eines in Agonie liegenden Landes, das sich fest in den Fängen der Diktatur befand, in dem die Menschen unter der trostlosen wirtschaftlichen Lage und sozialen Kälte litten, in dem Nahrungs- und Energiemangel zu den bestimmenden Faktoren im Alltagsleben gehörten, in dem die angestrebte „Homogenisierung der Gesellschaft“ durch minderheitenfeindliche Maßnahmen entschlossen vorangetrieben wurde.
Diese „bleierne Zeit“ bildete den „Prolog“ zu den kommenden Ereignissen, denen sich Detemple im zweiten Teil seines Vortrags widmete. Dieser stand unter der Überschrift: „Freiheit oder Tod! – Die Rolle Temeswars im Rahmen der Rumänischen Revolution von 1989“. Ausführlich stellte er dar, wie sich die Protestdemonstration gegen die bevorstehende Zwangsversetzung des regimekritischen Pfarrers László Tőkés am 16. Dezember 1989 zu einem Volksaufstand ausweitete, der Zehntausende Menschen auf die Straßen brachte, wie das Regime versuchte, die Lage in den Griff zu bekommen und mit Waffengewalt reagierte, der zahlreiche Menschen zum Opfer fielen, wie letztendlich der Freiheitswille triumphierte, Temeswar bereits am 20. Dezember zur ersten freien Stadt Rumäniens erklärt wurde, der Funke von Temeswar auf das ganze Land übersprang und in Bukarest dem Regime schließlich der Todesstoß versetzt wurde.
Die Banater Schwaben in den ersten Nachwendejahren
„Bleiben oder Gehen? Die Situation der Banater Schwaben in Rumänien in den ersten Jahren nach der Wende 1989“ lautete der Titel eines weiteren Referats von Hans Vastag, der damals als Redakteur der „Neuen Banater Zeitung“ arbeitete und 1992 zusammen mit György Mandics und Manfred Engelmann das Buch „Temeswar, Symbol der Freiheit“ veröffentlichte. Vastag zitierte eingangs Sebastian Kräuter, der 1990 zum Bischof der Diözese Temeswar ernannt worden war, mit den Worten: „Man kann die Entwicklung in unserem Land mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen, man kann aber nicht verkennen, das wir uns auf einem sinkenden Schiff befinden.“ Durch die Aussiedlung, die in den Jahren 1990 und 1991 eine Rekordhöhe erreichte, erlitt die deutsche Minderheit einen enormen Bevölkerungsverlust mit tiefgreifenden demografischen und siedlungsgeografischen Folgen. Laut Volkszählung vom Januar 1992 lebten im Banat noch 48400 Deutsche. Der sich schwierig gestaltende Transformationsprozess in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft, die Auswirkungen der massiven Aussiedlung auf den sozialen, schulischen, kulturellen und kirchlichen Bereich, die Bemühungen um den Erhalt der existierenden Institutionen und die Schaffung neuer Strukturen und Einrichtungen waren Gegenstand der Ausführungen des Referenten.
Vastag ging unter anderem auf die Gründung der Forumsstrukturen ein, auf das deutschsprachige Schulwesen, die Schaffung von Sozialeinrichtungen unter dem Dach der Adam-Müller-Guttenbrunn-Stiftung, die Veränderungen in der deutschen Medienlandschaft, die Bemühungen um die Bewahrung des kulturellen Erbes sowie die Situation der Kirchen. Sein Fazit: Die vielen positiven Entwicklungen nach der Wende konnten zwar die „Auswanderungslawine“ nicht aufhalten, sie kamen jedoch der im Banat verbliebenen kleinen Gemeinschaft zugute, die sich – trotz aller Schwierigkeiten – bis heute behauptet.
Vielfältige Unterstützung und Hilfe aus Deutschland
Manfred Engelmann, bereits in Zusammenhang mit dem Buch „Temeswar, Symbol der Freiheit“ erwähnt, war zur Zeit der Wende Bundeskulturreferent der Landsmannschaft der Banater Schwaben und Vorsitzender des Arbeitskreises BanatJA (Arbeitskreis Junger Banater Akademiker). Sein Vortrag trug den Titel „Vermittler und Aufbauhelfer. Banater und ihre Verantwortung für die Landsleute in Rumänien nach dem Fall des Eisernen Vorhangs“. Anhand zahlreicher Beispiele verdeutlichte Engelmann, dass die Zusammenarbeit zwischen den Banater Schwaben hüben und drüben eine neue Qualität erhielt und Austausch nun in beide Richtungen möglich wurde. Der Referent erinnerte an die riesige Solidaritätswelle für die Landsleute im Banat, die ihren Ausdruck in vielschichtigen Hilfsmaßnahmen fand. Von verschiedenen Seiten initiiert und organisiert, brachten unzählige Hilfstransporte Tausende Tonnen an Hilfsgütern ins Banat. Erwähnt wurden auch die nachhaltigen Maßnahmen, die den Schulen, Kindergärten, Kultureinrichtungen und Lokalforen zugutekamen, die Schaffung von Altenheimen und Sozialstationen, die Konzertreisen von Chören und Kapellen ins Banat, der Aufenthalt von Handball- und Fußballmannschaften aus dem Banat in Deutschland, die Umsetzung des Konzepts „Zeitung in der Zeitung“ (die „Banater Zeitung“ erscheint seit 1993 als Wochenbeilage der ADZ) oder die Revitalisierung des Kirchweihfestes in verschiedenen Banater Ortschaften. Engelmann wies auf die Brückenfunktion hin, die dem Arbeitskreis BanatJA Anfang der 1990er Jahre zukam und würdigte zum Schluss diejenigen Personen, die sich im Banat für die Belange ihrer Landsleute, für die deutsche Sprache und Kultur eingesetzt haben und dies zum Teil bis heute tun.
Erinnerungen eines Zeitzeugen: Am Puls der Zeit
Die Reihe der Vorträge endete am Samstag mit jenem von Marius Koity, damals junger NBZ-Redakteur, der aus der Perspektive des unmittelbaren Zeitzeugen die Ereignisse der Wende in Temeswar schilderte. Seine Erinnerungen stellte er unter die Überschrift „Am Puls der Zeit“. Koity schilderte die Eindrücke, die sich ihm am Morgen des 18. Dezember auf dem Fußweg vom Nordbahnhof zum Pressehaus boten („In der Stadt sah es aus wie in Beirut“), wie auch später, am Nachmittag, als er in der Stadt mit seiner Kamera unterwegs war – ohne allerdings den Mut aufzubringen, Fotos zu machen, weil ihm dies lebensgefährlich schien. Nachdem das Regime am 20. Dezember die Kontrolle über Temeswar verloren hatte, seien dann tags darauf und am Vormittag des 22. Dezember, dem Tag des Ceauşescu-Sturzes, seine wenigen Revolutionsfotos entstanden, so Koity. Ins Gedächtnis gebrannt habe sich ihm auch die in der Druckerei verbrachte Nacht zum 23. Dezember, als die erste freie Ausgabe der NBZ entstand.
Der Referent erinnerte an die vielen Hilfstransporte, unter anderem auch der Noch-DDR, an die Versammlungen, die zur Gründung des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat und in Rumänien geführt haben, sowie an den Genscher-Besuch in Temeswar, nach dem er ernüchtert feststellen musste, „dass nichts in unseren Händen übrig geblieben war, was die breite Masse zum Hierbleiben und Durchhalten in Rumänien motiviert hätte“. Der Zug sei zu diesem Zeitpunkt längst abgefahren gewesen, was ihm anlässlich eines Besuchs in Wetschehausen gemeinsam mit einem Journalisten aus Wien im Januar 1990 augenscheinlich geworden sei. Dort sei ihnen versichert worden, dass 90 Prozent der Schwaben auf gepackten Koffern säßen. Er selbst, so Koity, sei im Frühjahr 1990 noch weit entfernt vom Kofferpacken gewesen. Der Referent brachte auch das Dilemma zur Sprache, in das viele Landsleute geraten waren, die sich zwischen Bleiben oder Gehen entscheiden mussten und sich Rat in den Vorstandssprechstunden des Forums holen wollten. 1992 übersiedelte auch Marius Koity nach Deutschland. Seit 1993 ist er für die für die „Ostthüringer Zeitung“ tätig, gegenwärtig als Chef der Lokalredaktionen Pößneck, Schleiz und Bad Lobenstein.
Seinen Abschluss fand der erste Tag mit dem traditionellen Konzert, das seit vielen Jahren fester Bestandteil des Tagungsprogramms ist und 2019 bereits zum 20. Mal stattfand. Gewidmet war es diesmal „Franz Lehár und seiner Zeit“. Über den Konzertabend wird in dieser Ausgabe gesondert berichtet.
Die Banater Schwaben in Rumänien heute
Die Kulturtagung wurde am Sonntagvormittag mit einem Vortrag des aus dem Banat angereisten ADZ-Redakteurs Werner Kremm fortgesetzt. Das vorgegebene Thema – „Wie es weiterging. Die Banater Schwaben in Rumänien nach 1989“ – vertiefend, nahm er zunächst den Begriff „Heimat“ unter die Lupe und stellte seinen Ausführungen zum Thema „Heimat: Verlust, Erwerb, Bewahrung“ das Gedicht „Banater Elegie“ seines Jugendfreundes Richard Wagners voran. Um den Bedeutungswandel zu verdeutlichen, den der Begriff „Heimat“ in den vergangenen 150 Jahren erfahren hat, zitierte Kremm die Definition aus dem „Meyers Konversations-Lexikon“ (vierte Auflage, Leipzig 1887), die Erläuterungen zur Geschichte des „Heimatsrechts“ sowie den Eintrag zum Begriff „Heimweh“, um in einem nächsten Schritt darzulegen, wie der Soziologe Prof. Dr. Anton Sterbling, aus Großsanktnikolaus gebürtig, wie Kremm, heute den Begriffskomplex „Heimat – Heimatrecht – Heimweh“ angeht. Zur Veranschaulichung seiner Ausführungen wiedergab er zwei Gedichte: „Die letzten Stunden im Grenzbahnhof Curtici“ aus Horst Samsons Poem „La victoire“ und „Abschied in Arad“ von Anton Sterbling.
Im zweiten Teil seines Vortrags gab Werner Kremm einen Überblick zu dem, was heutzutage im Banat in Sachen Deutsch passiert. Im Jahr 2018 habe das Demokratische Forum der Deutschen im Banat (DFDB) 1777 zahlende Mitglieder gehabt, im selben Jahr hätten die Haushaltszuwendungen des rumänischen Staates an das DFDB etwas über 2 Millionen Lei betragen, wovon rund 76 Prozent in Kulturprojekte und Verwaltungsaufgaben flossen. Der Referent ging sodann auf die Aufgaben und die Tätigkeit der Adam-Müller-Guttebnrunn-Stiftung im sozialen und kulturellen Bereich sowie des Banater Vereins für Internationale Kooperation „Banatia“ im wirtschaftlichen Bereich ein, wobei letzterer auch „gemeinschaftsfördernde Projekte“ unterstützt, und lieferte Zahlen zum deutschsprachigen Unterricht im Schuljahr 2018/19, der im Banat von 6291 Kindern und Jugendlichen besucht wurde.
Deutsches Gemeinschaftsleben in Großsanktnikolaus
Dietlinde Huhn referierte anschließend über „Die deutsche Gemeinschaft aus Großsanktnikolaus im Wandel der letzten drei Jahrzehnte“, die sie nicht nur erlebt, sondern als Deutschlehrerin und Vorsitzende des Lokalforums mitgestaltet und mitgeprägt hat. Die Wandlungen im Leben der deutschen Gemeinschaft aus Großsanktnikolaus innerhalb der letzten 30 Jahre seien massiv gewesen. Es galt, für den verbliebenen, immer kleiner werdenden Teil der Deutschen aus Großsanktnikolaus neue Wege des Zusammenhalts und teils auch des Überlebens als Gemeinschaft zu suchen, entsprechende Lösungen zu finden und sich an die grundlegend veränderten Verhältnisse anzupassen, so Dietlinde Huhn. In ihrem Vortrag griff sie vier Aspekte auf – Schule, Gemeinschaftsleben, Kirche und soziale Fürsorge –, die für das Fortbestehen der deutschen Gemeinschaft in ihrer Heimatstadt unabdingbar war und auch weiterhin sind.
Die Hauptaufgabe habe darin bestanden, den Weiterbestand der deutschen Abteilung in Großsanktnikolaus zu sichern. Dietlinde Huhn führte schlüssige Argumente hierfür an, berichtete über die unternommenen Maßnahmen, benannte aber auch die beiden Hauptprobleme, mit denen sich die deutsche Abteilung bis heute konfrontiert sieht: der Mangel an Lehrkräften, besonders an Fachlehrern, und die Sicherung der notwendigen Schülerzahlen für jeden Klassenzug. Im Rückblick betrachtet, habe sich der ganze Aufwand gelohnt, lautete das Fazit. Wenn es im Schulleben um den Weiterbestand ging, sei es in der Forumstätigkeit ein Neuanfang gewesen, galt es doch sofort nach der Wende für die verbliebene, in raschem Tempo immer kleiner werdende deutsche Gemeinschaft eine Anlaufstelle für sämtliche Probleme und Anliegen zu schaffen. Das Lokalforum habe einen eigenen Sitz, eine eigene Tanzgruppe und biete seinen Mitgliedern sowie Interessierten regelmäßige Zusammenkünfte und Veranstaltungen an, die darauf ausgerichtet seien, deutsche Sitten und Traditionen zu bewahren. Die Referentin berichtete über die guten Beziehungen der deutschen Schulabteilung und des Forums zur katholischen Kirchengemeinde, in der die kleine deutsche Gemeinschaft ihren Platz habe, und ging abschließend auf den sozialen Aspekt der Forums-tätigkeit ein. Die seit 1994 in Großsanktnikolaus bestehende Sozialstation kümmere sich um Senioren und Sozialfälle und ermögliche diesen Menschen ein Altern in Würde.
Erinnerungen und Spuren 30 Jahre danach
Als letzter Referent trat Luzian Geier ans Mikrofon. Seinem Vortrag gab er den Titel „Die Sicht aus der Distanz. Erinnerungen und Spuren 30 Jahre nach dem Volksaufstand im Banat“. Geier arbeitete damals als NBZ-Redakteur in Temeswar. Eingangs wies er auf die schier unüberschaubare Literatur zu den Ereignissen im Dezember 1989 hin und merkte an, dass es sich zum Teil um Spekulationen handle, was verständlich sei, zumal vieles bis heute nicht geklärt sei und manches sich auch nicht erklären lasse. Im ersten Teil seines Vortrags nahm Luzian Geier Stellung zu einigen Fragen beziehungsweise schon festgeschriebenen Fakten, so zu dem Versuch, den Beginn der Revolte nicht mit Temeswar in Verbindung zu verbringen, sondern mit Jassy, wo es am 14. Dezember eine angekündigte, aber nicht stattgefundene Demonstration gegeben haben soll. Oder zu der Frage, ob die Ereignisse im Dezember 1989 eine Revolution waren oder nicht. Was in Temeswar passiert ist, sei eine Volkserhebung, ein Volksaufstand gewesen. Geier erläuterte, wie sich die Forderungen der Demonstranten zwischen dem 16. und 21. Dezember gewandelt haben; diese seien politischer und sozialer Natur gewesen, es habe kein Konzept über eine neue Gesellschaftsordnung und das Danach gegeben. Die strittige Frage, ob ausländische Agenten in Temeswar gewesen seien oder gar aktiv gekämpft hätten, müsse verneint werden. Die Nachrichten im ungarischen und jugoslawischen Fernsehen über die Ereignisse, die sich im Herbst 1989 in Mittel- und Osteuropa abgespielt haben, hätten die Menschen im Banat mehr beeinflusst als irgendwelche Agenten, so Geier. Dies erkläre auch, warum es gerade in Temeswar zur Volkserhebung kam. Eine weitere Frage, der der Referent nachging, betraf die Zahl der Todesopfer aus den Reihen der Deutschen. Diese belief sich unter Einbeziehung der aus Mischehen stammenden Toten, laut Geier, auf neun oder zehn.
Im zweiten Teil seines Vortrags schilderte Luzian Geier Eindrücke und Erlebnisse aus den Tagen des Volksaufstandes in Temeswar, um anschließend mittels Bildern aufzuzeigen, wie die Erinnerung daran durch Denkmäler, Gedenktafeln oder die Gedenkstätte auf dem Heldenfriedhof bewahrt wird.
Die vorgelegten Referate vermochten durch die unterschiedlichen Herangehensweisen und die vielfältigen Aspekte, die sie beleuchtet haben, dem interessierten Publikum Einblicke zu geben in die Ereignisse vor 30 Jahren, die durch ihre weitreichenden Folgen eine Zeitenwende in der Geschichte der Banater Schwaben eingeläutet haben. Wie immer werden die Referate in einem Tagungsband veröffentlicht und damit einem breiteren Kreis zugänglich gemacht.