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„Verzeihen ja − vergessen nie!“ Gedenkfeier am 18. Januar in Karlsruhe

Totengedenken am Billeder Denkmal in Karlsruhe, von links Jürgen Griebel, stellvertretender Bundesvorsitzender, Dr. Frank Mentrup, Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe, Werner Gilde, Kreisvorsitzender von Karlsruhe, Peter Krier, Ehrenvorsitzender des Hilfswerks der Banater Schwaben, Erzbischof em. Dr. Robert Zollitsch, Hermann Kraus, evangelischer Pfarrer i.R., und Landesvorsitzender Richard S. Jäger, der die Gedenkansprache hielt.

Teilnehmer der Podiumsdiskussion (von links): Richard S. Jäger, Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg, Radu Florea, Generalkonsul Rumäniens in Stuttgart, Moderatorin Ines Szuck, Peter Krier, Ehrenvorsitzender des Hilfswerks der Banater Schwaben, Tom Hoyem, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Karlsruher Stadtrat. Fotos: Cornel Simionescu-Gruber

Die Gedenkfeier im Gemeindesaal St. Bernhard wurde vom Chor des Kreisverbandes Karlsruhe musikalisch untermalt.

Im Winter 1944/45 waren auf Befehl Stalins rund 70000 Deutsche aus Rumänien zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert worden. Dort sollten sie Wiederaufbauleistungen für vom Deutschen Reich verursachte Schäden erbringen. Die Männer und Frauen im Alter von 17 bis 45 Jahren wurden in den sowjetischen Lagern bis zu fünf Jahre festgehalten. Tausende kamen nicht wieder zurück, sondern starben während der Deportation an Unterernährung, Entkräftung oder Seuchen. Über das Erlebte reden konnten die, denen es vergönnt war, in ihre Heimat zurückzukehren, aber nie. Denn im inzwischen kommunistischen Rumänien war es verboten, über die Deportation und die damit verbundenen Geschehnisse zu sprechen.

Anlässlich des 75. Jahrestages der Deportation wurde am 18. Januar in Karlsruhe genau dieses dunklen und unvergesslichen Kapitels in der Geschichte der Banater Schwaben gedacht. Zu der Gedenkveranstaltung eingeladen hatten der Landesverband Baden-Württemberg und der Kreisverband Karlsruhe der Landsmannschaft der Banater Schwaben.

Am Billeder Denkmal auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe fand eine würdevolle Totengedenkfeier statt. In seinem Grußwort betonte Dr. Frank Mentrup, Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe, wie wichtig es sei, gerade in der heutigen Zeit, wo Flucht und Vertreibung, Heimatlosigkeit, Nichtanerkennen von Menschenrechten, Kultur und Religion wieder ganz aktuelle Themen seien, den Opfern der Deportation Gehör zu verschaffen und an die Ereignisse von damals zu erinnern. „Denn nur, wenn wir aus solchen Geschehnissen lernen, wenn wir uns dafür einsetzen, dass sich solche Dinge nicht wiederholen, können wir unser Handeln danach ausrichten, nur dann haben wir das wertgeschätzt, was uns die schrecklichen Schicksale der Menschen an Botschaften mitgegeben haben.“

Auch der Freiburger emeritierte Erzbischof und ehemalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Dr. Robert Zollitsch, selbst Zeuge der unmenschlichen Deportation in Jugoslawien, hob hervor, wie wichtig es sei, sich zu erinnern. Dies solle man jedoch nicht tun, um das Geschehene aufzurechnen oder um alte Wunden aufzureißen, „sondern weil wir Respekt vor dem haben, was unsere zur Zwangsarbeit verschleppten Landsleute durchgemacht und erlitten haben.“ Der Ereignisse, aber vor allem der Menschen zu gedenken und die Erinnerung an sie wach zu halten, sei uns Verpflichtung und Auftrag. Denn Nicht-Wahrhaben-Wollen und Vergessen beschwören Gefahren herauf, nicht aber die Erinnerung und Tage des Gedenkens. Das heißt, nachfragen, Aufmerksamkeit und Würde schenken und damit Impulse setzen gegen Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit, gegen Hass und Menschenverachtung.

Auch der aus Siebenbürgen stammende evangelische Priester Hermann Kraus überbrachte Grußworte, berichtete als Zeitzeuge über das Miterleben der Deportation im Januar 1945 und dankte Gott, dass jetzt endlich darüber gesprochen werde, worüber Jahrzehnte lang geschwiegen werden musste.

Die Ansprache hielt der Landesvorsitzende der Banater Schwaben aus Baden- Württemberg, Richard S. Jäger, der an das erlittene Unrecht erinnerte und die Deportation und Verschleppung seiner Landsleute als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit bewertete. Nach dem Schwinden der Erlebnisgeneration liege es nun an uns, der Kinder- und Enkelgeneration, dem Schicksal der Verschleppten und Verstorbenen eine Stimme zu geben und die Wahrheit aufzuzeigen, denn nur die Wahrheit schaffe Gerechtigkeit, nur sie verhelfe zu Frieden und Versöhnung, so Jäger. Die Nachkommen seien in der Pflicht, „Nie wieder!“ zu rufen und kommende Generationen an Flucht, Vertreibung und Deportation zu erinnern. Der Landesvorsitzende beendete seine Ansprache mit einer Botschaft, die Peter Altenbach, ein aus dem Banat Deportierter, im Donbass formulierte: „Wir wollen sogleich bitten Allmächtiger, bewahre unsere Kinder und alle Völker vor dem gleichen Schicksal, versöhne alle Völker und lass Frieden in der Welt sein.“

Die Fürbitten wurden von Ralf Gilde, Holger Giel, Theresia Jäger und Jasmin Muth vorgetragen. Die Jugendlichen haben sich darin für eine Zukunft in Frieden, Mitmenschlichkeit, Versöhnung und Freiheit ausgesprochen. Erzbischof em. Dr. Robert Zollitsch sprach ein Gebet für die in der Verbannung Verstorbenen. Im Anschluss legten der Kreisvorsitzende von Karlsruhe Werner Gilde und Richard S. Jäger am Denkmal einen Kranz für die Toten nieder. Zum Totengedenken trug Gerlinde Gilde das Gedicht „Wo ruhen sie?“ vor und erinnerte damit an die rund 13000 Toten in der sowjetischen Verbannung. Musikalisch untermalt wurde die Gedenkfeier vom Musikensemble Quintessenz, das bekannte Trauermärsche und Lieder spielte, sowie vom Kirchenchor der Heimatortsgemeinschaft Neupanat, der drei Russlandlieder sang, die während der Deportationszeit entstanden sind und in der Fremde gesungen wurden. Zudem beteiligten sich sieben Fahnenabordnungen von landsmannschaftlichen Gliederungen am Totengedenken.

Die anschließende Gedenkfeier fand im Gemeindesaal St. Bernhard statt und wurde musikalisch vom Chor des Kreisverbandes Karlsruhe unter der Leitung von Sonja Salman untermalt. Nach einer kurzen Begrüßung der rund 200 Gäste durch den Kreisvorsitzenden Werner Gilde und den Grußworten des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben Jürgen Griebel standen die Berichte und Erzählungen der letzten Zeitzeugen im Mittelpunkt. Johann Gehl, Mathias Mitschang, Maria Albrecht, Maria Dreier und Adam Hubert waren von Januar 1945 bis im November 1949 als Zwangsarbeiter in die Sowjetunion deportiert. Sie bekamen den Raum, über die unfassbaren und schrecklichen Erlebnisse zu sprechen. Johann Gehl, 94 Jahre alt, berichtete über die Deportation in allen Einzelheiten, besonders bewegend waren aber seine Schilderungen über die Mitmenschlichkeit der ukrainischen und russischen Menschen, die ihn vor dem sicheren Hungertod bewahrt und damit gerettet hatten. Der 91-jährige Mathias Mitschang sprach nach 75 Jahren erstmals öffentlich über das, was er während seiner Verschleppung erlebt hatte. Besonders beeindruckend: Nach seiner Rückkehr in die Heimat – er war geschwächt und für arbeitsunfähig erklärt worden – habe ihn der Sport wieder aufgebaut und ihm geholfen, sich zu erholen. Mathias Mitschang wurde ein sehr guter Leistungssportler, ja sogar einer der besten Stabhochspringer Rumäniens. Bewegend waren auch die kurzen und rührenden Worte der Kinder von Deportierten Anna Martini, Ingrid R. Melcher und Elisabeth Bartl. So berichtete Ingrid Melcher beispielsweise über ihre Mutter, die mit zwölf Jahren zusammen mit der Großmutter und weiteren drei Banater Familien nach „nur“ zehn Monaten dem Hungertod in der Deportation entkommen ist, indem sie bettelten.

Nach einer kurzen Pause folgte die von Ines Szuck moderierte Podiumsdiskussion zum Thema „Nur die Wahrheit schafft Gerechtigkeit“. Teilnehmer waren Richard S. Jäger, Landesvorsitzender der Banater Schwaben, Peter Krier, Ehrenvorsitzender des Hilfswerks der Banater Schwaben, Tom Hoyem, Stadtrat und Fraktionsvorsitzender der FDP in Karlsruhe, sowie Radu Florea, Generalkonsul Rumäniens in Stuttgart. Der Generalkonsul entschuldigte sich dabei im Namen Rumäniens für dessen Mitschuld an der Deportation und dem damit verbundenen Schicksal der Deutschen in Rumänien. Er betonte dabei, heutzutage habe man nicht nur das Recht darüber zu sprechen, vielmehr „haben wir die Pflicht, der Opfer zu gedenken, damit der Schatten der Vergessenheit ihnen nicht noch mehr Leid und uns selbst nicht noch mehr Unwürdigkeit zufügt.“ Peter Krier sprach über die politischen Forderungen der Landsmannschaft und des Hilfswerks der Banater Schwaben. Auch wenn es uns heute weitestgehend gut gehe, so sollen diese furchtbaren Erlebnisse im kollektiven Gedächtnis der Volksgruppe der Banater Schwaben erhalten und vor allem weitergeben werden, lautete sein Plädoyer. Gerade dieses Erinnern sei wichtig, denn es gäbe keine Garantie, dass sich immer alles nur zum Guten entwickele. Stadtrat Tom Hoyem betonte die Wichtigkeit der Erinnerungskultur und der Landesvorsitzende Richard S. Jäger sprach über den Umgang mit diesem Vermächtnis in der Zukunft. Es liege nun an uns, das Schicksal der Deportierten in den geschichtlichen Annalen festzuhalten, an diese Tragödie zu erinnern und zu mahnen, damit so etwas nie wieder geschieht.