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Vertriebene haben gesamteuropäisch gedacht

Der Chor des Kreisverbandes Stuttgart der Banater Schwaben gestaltete das Kulturprogramm zum Tag der Heimat mit. Foto: Hans Vastag

Der Bund der Vertriebenen, Landesverband Baden-Württemberg feierte am 15. September den Tag der Heimat, diesmal im Großen Kursaal in Bad Cannstatt. Da der Hegelsaal der Liederhalle, der bisher als Austragungsort des Heimattages diente, für ein Jahr wegen Erneuerung geschlossen ist, musste man nach Bad Cannstatt ausweichen, wobei der kleinere Saal an die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit stieß. Trotzdem kann man den Tag als einen gelungenen Festakt bezeichnen.

Der Gedenktag begann um 11 Uhr am Denkmal für die Opfer von Flucht und Vertreibung im Park vor dem Kurgebäude, wo ein Kranz niedergelegt wurde, und mündete in einem Festakt am Nachmittag im Großen Kursaal. Gestaltet wurde die Kranzniederlegung in diesem Jahr vom Verband der heimatvertriebenen Frauen mit seiner Vorsitzenden Rosemarie Schuran. Das Grußwort sprach Bezirksbürgermeister Marcel Löffler, der die treffenden Worte für die Würdigung der Toten von Flucht und Vertreibung fand.

Im Kursaal wurde zunächst – nach dem traditionellen Einzug der verschiedenen Landsmannschaften mit ihren Trachten und Fahnen – viel gesungen und getanzt. Zum Auftakt musizierte der Original Karpaten-Express der Siebenbürger Blasmusik Stuttgart, der auch das gemeinsam gesungene Deutschlandlied begleitete. Es traten auf: der Chor der Banater Schwaben, Kreisverband Stuttgart mit ihrem Dirigenten Wilhelm Hack, der Chor der Deutschen aus Russland, die Gruppen der Siebenbürger Sachsen mit Chor und Tanzgruppe. Die Tanzgruppe wurde von der Egerländer Familienmusik Hess begleitet. Einen besonderen musikalischen Genuss boten der Knabenchor Capella Vocalis aus Reutlingen sowie das Ensemble Violini Allegri des Jugend- und Studentenrings der Deutschen aus Russland. Gesamtleitung und Ansage des Kulturprogramms oblagen dem stellvertretenden BdV-Landesvorsitzenden und Landesvorsitzenden der DJO Hartmut Liebscher sowie Norman Thalheimer.

In seiner Ansprache begrüßte der Stuttgarter Kreisvorsitzende des BdV Albert Reich alle teilnehmenden Gruppen und die Ehrengäste: die Landesvorsitzende Iris Ripsam, Europa- und Bundestagsabgeordnete, darunter den Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments Rainer Wieland, Bundes- und Landesvorsitzende der Landsmannschaften und besonders die Festrednerin Dr. Susanne Eisenmann, Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg.

In ihrer Rede betonte die Ministerin, dass mit dem diesjährigen Motto „Menschenrechte und Verständigung – für Frieden in Europa“ eine glückliche und richtige Kombination gewählt sei, wonach sie den Beitrag der Vertriebenen mit den Worten würdigte: „Baden-Württemberg ist nach dem Zweiten Weltkrieg vielen, auch vielen von Ihnen, zur neuen, zur zweiten Heimat geworden, und gerade hier im Raum Stuttgart haben sich viele von Ihnen und – inzwischen kann man auch sagen: viele Ihrer Vorfahren – nach Flucht und Vertreibung niedergelassen. Gerade von hier ging aber auch ein Impuls der Verständigung aus, der für die Geschichte Ihres Verbandes wichtig war, der aber weit in die Gesellschaft hineingewirkt hat. In der Charta vom 5. August 1950 verzichteten die Heimatvertriebenen hier in Bad Cannstatt auf Rache und Vergeltung, bekannten sich zu einem geeinten Europa und sicherten zu, am Wiederaufbau Deutschlands mitzuwirken. Diese, wenn Sie so wollen, Vorleistung, war eine wichtige Voraussetzung für spätere Versöhnung und kann schwer in ihrer Bedeutung überschätzt werden. Es war ein wichtiges Zeichen zum rechten Augenblick und hat wichtige Grundlagen für eine Politik des Friedens und der Versöhnung gelegt.“

Kultusministerin Eisenmann weiter: „Die Geschichte Baden-Württembergs nach 1945 ist untrennbar verbunden mit der Integration und dem Wirken der Heimatvertriebenen. Es freut mich auch vor diesem Hintergrund sehr, dass bereits 1950 auch Sie einen breiteren Fokus als den rein deutschen gewählt haben und in der Charta sozusagen gesamteuropäisch gedacht haben. Das war, wenn man sich die damalige Lage des Jahres 1950 vergegenwärtigt, so zwingend nicht. Europa lag in Trümmern, die Zukunft alles andere als sicher. Daher sind auch Ihr Aufbauwerk und Ihre Beteiligung an einem vereinten Europa nicht zu überschätzen.

Wir sind an diesen Kontinent gebunden als Deutsche, wir müssen – als größte Nation in Europa – diesen auch mitgestalten. Ob wir wollen oder nicht. Auch das erwarten übrigens unsere Partner und Nachbarn. Abwarten und Tee trinken, können wir uns nicht leisten. Und als eine der wirtschaftsstärksten Regionen – auch durch Ihr Verdienst – in Europa müssen wir uns zwingend für die Zukunft unseres Kontinents interessieren. Eine aktive und verantwortungsvolle Europapolitik ist daher kein Luxus. Sie ist historisch erforderlich, sie ist ökonomisch zwingend, sie ist politisch angezeigt. Wenn diese im Zeichen von Versöhnung und Kooperation steht, dann hat sie alle Chancen auf Erfolg.
Auch dazu können nach wie vor die Vertriebenenverbände, die sich im BdV versammeln, einen wichtigen Beitrag leisten. Und dazu rufe ich Sie daher auch auf. Zur konstruktiven Mitwirkung an einem vereinten Europa – ganz im Sinne der Charta der Heimatvertriebenen.“

Einer in den zurückliegenden Jahren gepflegten Tradition folgend, wurden Ilse von Freiburg (Heilbronn) und Waltraud Illner (Stuttgart) durch die Landesvorsitzende Iris Ripsam für ihr langjähriges
ehrenamtliches Wirken mit der Verleihung der Goldenen Ehrennadel des BdV-Landesverbandes gewürdigt und ausgezeichnet.

Die Landesvorsitzende Iris Ripsam dankte zum Schluss der Veranstaltung den beteiligten Gruppen, und Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche sprachen geistliche Worte, nach denen das Schlusslied „Kein schöner Land“ die Veranstaltung ausklingen ließ.