Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V.

Wir haben Kleinjetscha verlassen, aber nicht vergessen

Bei einer Feierstunde am Gedenkstein für Heimatvertriebene auf dem Rastatter Waldfriedhof gedachten die Kleinjetschaer ihrer Toten mit der Niederlegung eines Blumengestecks. Foto: Hartwig Schöberl

Inge und Erwin Wiener trugen eine wunderschöne originale Kleinjetschaer Hochzeitstracht aus dem Jahre 1896. Foto: Adrian Nestoriuc

Die Trachtenpaare in Kirchweih- und Sonntagstracht – hier mit Pfarrer Richard Baumann vor der Heilig-Kreuz-Kirche – verliehen den Jubiläumsfeierlichkeiten besonderen Glanz. Foto: Cornel Simionescu-Gruber

„Die hiesige Gemeinde Kleinjetscha entstand im Jahre 1769 unter der glorreichen Regierung Ihrer Majestät, der Kaiserin Maria Theresia. Aus verschiedenen Gegenden aus dem Deutschen Reich sind die ersten Ansiedler gekommen und haben sich Wohnungen allhier gebaut. Die ersten Dorfbewohner so wie sie aus verschiedenen Nationen stammten, so haben sie anfänglich auch verschiedene Sprachen gesprochen. Doch da der größte Teil aus Deutschen bestand, so haben langsam alle die deutsche Sprache erlernt und somit ist eine deutsche Gemeinde entstanden.“ Mit diesen Worten eröffnete am 20. Oktober 1872 der damalige Ortspfarrer Johannes Heintz seine Predigt anlässlich der 100-Jahr-Feier seit der Gründung der Pfarrei Kleinjetscha.

Die ersten Ansiedler, meistens mutige und entschlossene Kleinbauern, landwirtschaftliche Arbeiter und Beamte aus den zerrütteten Landstrichen Deutschlands, die ewig gehetzt wurden und müde waren der Fron, wollten den unmenschlichen Grausamkeiten entfliehen. Sie folgten dem Ruf der österreichischen Kaiserin Maria Theresia, um sich und ihren Kindern im Banat eine neue Heimat für die Zukunft zu sichern, wo sie in Frieden und Freiheit leben können. Sie machten sich auf den Weg und kamen nach einer langen Reise erschöpft im neuen Siedlungsgebiet an. So muss es gewesen sein. Denn wenn man sich das 1910 gemalte Hauptwerk „Die Ansiedlung der Deutschen im Banat“ unseres Banater Malers Stefan Jäger vor Augen führt, so kann man feststellen, dass er die Situation der Erstsiedler in den ersten Tagen nach der Ankunft sehr präzise getroffen hat. Man kann sich vorstellen, was die Menschen empfunden haben, die vor 250 Jahren ihre Heimat verlassen hatten und in ein Land zogen, das sie nicht kannten, in Dörfer, die es noch gar nicht gab. Etwas traurig und enttäuscht sitzen sie auf Jägers Bild mit ihren Bündeln da. In diesen Bündeln befand sich alles, was sie hatten. Freiwillig hatten sie ihre Heimat verlassen, mehr noch, sie hatten bezahlt, mussten sich loskaufen von ihrer Untertanenpflicht.

Mittlerweile sind 250 Jahre vergangen und die im ersten Teil des Triptychons dargestellte Wanderung hat Ende des letzten Jahrhunderts in umgekehrter Richtung stattgefunden. Man hat hier in Deutschland eine neue Heimat gefunden, ist integriert und denkt doch noch mit Wehmut an die alte Heimat. Denn wir Kleinjetschaer mussten den 250. Geburtstag unseres einst so schmucken Heimatdorfes hier in der neuen Heimat feiern und nicht in Kleinjetscha und der dortigen Kirche, wohin die Gedanken und Erinnerungen vieler von uns auch heute noch wandern.

Um dieses Ereignisses – 250 Jahre seit der Gründung unseres Heimatortes – zu gedenken und es gebührend zu feiern, trafen sich die Kleinjetschaer am 11. Mai in Rastatt.

Die Jubiläumsfeierlichkeiten begannen bereits am Vormittag auf dem Rastatter Waldfriedhof mit der Niederlegung eines Blumengestecks am Gedenkstein für Heimatvertriebene. In seiner kurzen Ansprache verwies der Vorsitzende der HOG Kleinjetscha Dietmar Giel auf die Inschrift des Gedenksteins: „Vergessen ist schlimmer als der Tod“ und betonte: „Wir haben Kleinjetscha verlassen, vergessen haben wir es aber nicht. An einem Tag wie heute ziehen unsere Gedanken zurück in die Vergangenheit, in eine Zeit, als Kleinjetscha unsere Heimat war. Eine Heimat, die unsere Vorfahren mit viel Fleiß und harter Arbeit aus einem Sumpfgebiet in fruchtbares Ackerland, in eine Kornkammer der Monarchie verwandelten. Wir gedenken in Ehrfurcht unserer Ahnen, die im Laufe der 250-jährigen Geschichte unseres Heimatortes dort gelebt und gearbeitet haben und auf dem Heimatfriedhof oder hier in der neuen Heimat ihre ewige Ruhe gefunden haben, aber auch aller Opfer der Schlachtfelder des Ersten und Zweiten Weltkrieges, derer, die während der Russland- und Bărăgandeportation ihr Leben lassen mussten und aller Verstorbenen in der ganzen Welt. Sie haben durch ihr Tun und Wirken die Geschichte unseres Heimatortes Kleinjetscha mitgeprägt. Von ihnen führt eine Spur zu uns, die unseren Lebensweg bestimmt.“ Gleichzeitig mit der Niederlegung des Blumengestecks erklangen in der alten Heimat die Kirchenglocken für die verstorbenen Landsleute in Kleinjetscha und auf der ganzen Welt. Musikalisch wurde die Gedenkfeier von einem Bläserquartett unter der Leitung von Josef Steingasser umrahmt.

Nach einem gemeinsamen Mittagsessen in dem mit sehr viel Liebe hergerichteten Gemeindesaal der Heilig-Kreuz-Kirche – auf den Tischen befanden sich Äpfel mit je einem Rosmarinsträußchen, auf der Bühne der „Kerweihbaam“ mit Hut und Tuch und der geschmückte „Kerweihstrauß“ – zogen 15 Trachtenpaare zum Festgottesdienst in die naheliegende Kirche, der von Pfarrer Richard Baumann zelebriert und vom Chor der Banater Schwaben aus Karlsruhe unter der Leitung von Sonja Salman sowie den Solisten Irmgard Holzinger-Fröhr, Melitta Giel und Dietmar Giel musikalisch umrahmt wurde. Die Fürbitten und die Namen der in den letzten beiden Jahren verstorbenen Kleinjetschaer wurden von unserer Landsmännin und Pfarrsekretärin der Heilig-Kreuz-Kirche Monika Wiener vorgetragen.

In seiner Predigt ging Pfarrer Baumann auf das Wort „Heimat“ ein, welches hier in Deutschland wieder eine Renaissance erlebt. Plötzlich wird Heimat wieder positiv besetzt. Nicht nur Heimatfeste haben Konjunktur, auch Politiker aller Couleur geben sich heimatverbunden. Und seit der letzten Regierungsbildung hat man in Deutschland sogar ein Bundesministerium für Heimat. Bei dem Wort „Heimat“ denkt man zunächst an den Ort, wo man geboren und aufgewachsen ist. Dazu gehört das Elternhaus, wo jeder Winkel vertraut und in Erinnerung geblieben ist. Es gehören dazu die Wege, Straßen und die Landschaft, in der man sich beim Spielen herumgetrieben hat. Und es gehört das Schulhaus dazu, der Friedhof und nicht zuletzt die Pfarrkirche mit all den Feiern und Festen durch das Kirchenjahr. Zur Heimat gehören aber vor allem die Menschen, mit denen man aufgewachsen ist und hier zuerst die Familie. Sie ist gleichsam der erweiterte Mutterschoß, der dem Kind mit der Liebe von Mutter und Vater die Erfahrung der Geborgenheit schenkt. Daraus wächst im Herzen des Kindes ein Urvertrauen, das entscheidend ist für das ganze Leben. Das Kind weiß sich angenommen und geborgen, es ist daheim, denn Heimat steht für Geborgenheit und Sicherheit. Pfarrer Baumann betonte auch, dass viele von uns in der Fremde eine neue Heimat gefunden haben und meinte, dass Heimat nicht nur ein Ort, sondern auch ein Gefühl ist. Das wissen vor allem diejenigen, die nicht mehr dort leben, wo sie geboren und aufgewachsen sind, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Zum Abschluss des Festgottesdienstes bedankte sich Pfarrer Baumann bei allen für das Mitfeiern, insbesondere beim Chor der Banater Schwaben aus Karlsruhe für das großartige musikalische Geschenk, das die Chormitglieder mit ihrem wunderbaren Gesang den Anwesenden gemacht haben.
Und welch eine Augenweide, als nach dem Gottesdienst vor der Kirche die Aufstellung zum traditionellen Gruppenfoto erfolgte und die verschiedenen Trachten in ihrer ganzen Pracht zu bewundern waren. Nachdem den Zuschauern auf dem Vorplatz des Gemeindezentrums noch das „Kerweihstickl“ vorgeführt wurde, marschierten die Trachtenpaare unter den Klängen der von Benno Kiefer geleiteten Blasmusikkapelle „Notenvagabunden“ in den gut gefüllten Saal.

Mit großer Aufmerksamkeit wurde die Ansprache des HOG-Vorsitzenden Dietmar Giel zu Beginn des Festaktes anlässlich des 250-jährigen Gründungsjubiläums von Kleinjetscha verfolgt. Er begrüßte die mehr als 130 Landsleute, die den Weg nach Rastatt gefunden haben, um gemeinsam dieses außergewöhnliche Fest zu begehen, sowie Werner Gilde, Mitglied im Bundesvorstand der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Vorsitzender der HOG Billed und des Kreisverbandes Karlsruhe, als Ehrengast.

In seinem Rückblick auf die 250-jährige Kleinjetschaer Ortsgeschichte von der Ansiedlung im Jahre 1769 bis zum heutigen Tage ließ der HOG-Vorsitzende die wichtigsten Ereignisse Revue passieren. Er betonte, dass die zurückliegenden 250 Jahre größtenteils durch schwere Zeiten geprägt waren. Feuersbrünste, Unwetter, Krankheiten, Dürre- und Wasserjahre, Weltkriege, Enteignung und Deportation waren Ereignisse, die die Dorfgemeinschaft immer wieder vor neue Herausforderungen stellte. Dies führte dazu, dass sich bereits 200 Jahre nach der Ortsgründung die Nachfahren der einstigen Siedler wieder auf den Weg dorthin machten, woher die Ahnen kamen. Heute dürfen wir in unserer neuen Heimat dieses Jubiläumsfest in Frieden und Freiheit und in einem geeinten Europa begehen.

Werner Gilde überbrachte in seinem Grußwort die Glückwünsche des Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben Peter-Dietmar Leber und des gesamten Bundesvorstandes und lobte den Zusammenhalt der ehemaligen Kleinjetschaer Dorfgemeinschaft unter den gegebenen Voraussetzungen hier in der neuen Heimat.

Zu Beginn des kulturellen Teils der Jubiläumsfeier stellte der HOG-Vorsitzende die 15 Trachtenpaare und ihre Trachten vor. So unterschiedlich die Herkunftsgebiete der Erstansiedler und deren Trachten und Dialekte, so vielfältig waren auch die getragenen Trachten und die gesprochenen Dialekte der mitwirkenden Trachtenträger bei diesem Fest. Zu den Paaren, die die Kleinjetschaer Kirchweihtracht trugen, gesellten sich noch weitere Paare aus dem Verwandten-, Bekannten- und Freundeskreis der Vorstandsmitglieder hinzu. So konnte man eine wunderschöne originale Kleinjetschaer Hochzeitstracht aus dem Jahre 1896 bewundern, welche von Inge und Erwin Wiener getragen wurde. Auch weitere Kirchweihtrachten aus Triebswetter, Billed, Alexanderhausen und Deutschbentschek wurden präsentiert. Die Vielfalt der Trachten wurde des Weiteren durch das Tragen von Frauen- und Sonntagstrachten bereichert. Aber auch die heute wieder in Mode gekommene Dirndltracht wurde zu diesem Anlass gezeigt.

Die unter der Leitung von Dagmar Österreicher mitwirkende Tanzgruppe „Banater „Schwabenkinder“ ließ es sich nicht nehmen, ihre neu einstudierten Tänze „Am großen Brunnen“ und „Die feurige Elisabeth“ vorzuführen und zusammen mit weiteren Mitgliedern anderer Tanzgruppen noch zwei Gemeinschaftstänze darzubieten. Dazwischen trug Ewald Düpree seine humorvollen „Erinnerunge an Kleijetscha“ vor.

Im Anschluss an die Tanzvorführungen wurde der HOG-Vorsitzende Dietmar Giel seitens des Bundesvorstands der Landsmannschaft der Banater Schwaben, vertreten durch Werner Gilde, geehrt. Für seine langjährigen Verdienste um den Verband und für das Wohl des Banater Volksstammes wurde ihm die Verdienstmedaille der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Silber überreicht.

Nach altem Brauch wurde dann noch der „Kerweihstrauß“ versteigert. Dietmar Giel ersteigerte ihn in diesem Jahr für seine Frau Melitta. Der Hut ging an Norbert Düpree, das Tuch an Anna Rieder.

Ein fester Bestandteil bei den Heimattreffen ist auch die Altenehrung. Den Altersjubilaren (neun Frauen und vier Männer) wurde seitens des Vorstandes je ein Präsent überreicht.

Der Festakt und das Kulturprogramm endeten mit den Dankesworten des HOG-Vorsitzenden. Er bedankte sich bei allen, die mithalfen, dieses gelungene Fest zu gestalten. Es waren viele Kleinigkeiten, wie das Herrichten der Trachten, das Schmücken des Saals, des Rosmarinstraußes, des Kirchweihbaums, das Backen der leckeren Torten und Kuchen, die alle zusammen eine perfekt organisierte Veranstaltung ergaben. Das Team „La Vio“ sorgte für das leibliche Wohl und verwöhnte die Gäste den ganzen Tag über mit traditionellen Speisen aus eigener Zubereitung.

Gerhard Kaiser ließ in gewohnter Weise den Abend ausklingen und sorgte für Stimmung.
Und so ging ein Fest zu Ende, bei welchem wir unsere Dankbarkeit den Ahnen der vergangenen 250 Jahre aussprachen und uns gegenseitig das Versprechen gaben, das Ahnenerbe weiter in die Zukunft zu tragen.